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Dann ging er ohne Zögern an den Strand,
Verließ sein Schiff bis zu dem nächsten Tage;
Kein Zollhaus, keine Quarantäne fand
Sich hier, ihn zu beläst'gen mit der Frage;
Wann er gekommen und aus welchem Land?
Don Juan.
Zu der Zeit, als das Fahrzeug seine Masten verlor, war es bedeutend nordwärts von Ushant gesegelt, wiewohl der Schiffsmeistersgehülfe nach seiner gewöhnlichen Unwissenheit nicht das Mindeste davon gemerkt hatte. Der Wind, welcher jetzt stark aus Nordwest wehte, trieb das Wrack in den Kanal hinein, so daß es sich jetzt allmälig der französischen Küste näherte. Nachdem es vierundzwanzig Stunden, während welcher Willy kein einzigesmal aus seinem Schlummer erwachte, vor dem Sturme hergetrieben, befand es sich nur wenige Meilen von dem Hafen von Cherbourg entfernt.
Es war bereits heller Tag, als unser Held erwachte; und nachdem er einige Zeit gebraucht hatte, um sich von den lebhaften Eindrücken eines Traumes zu befreien, in welchem es ihm vorkam, als wandle er mit seiner theuern Mutter in ländlichen Gefilden, erinnerte er sich wieder an seine Lage, stieg, um zu erfahren, wo er sich befinde, die Leiter hinauf und schaute umher. Der Wind hatte sich so ziemlich gelegt, aber die Aussicht war unerfreulich. Er sah nichts als einen dunklen, winterlichen Himmel und die rollende See; nirgends ein lebendiges Wesen, mit Ausnahme der Seevögel, die mit lautem Geräusche über die weißen Spitzen der Wogen hinschwebten. Das Besansegel des Fahrzeuges war noch aufgehißt, hatte sich jedoch von dem Belegnagel losgemacht und flatterte hälftig noch, aber nur in Fetzen, in den beharrlichen Windstößen über dem Borde des rollenden Schiffes. Willy spähte, an der Luke sich anlehnend, nach allen Richtungen umher, doch lange Zeit vergeblich. Endlich entdeckte sein scharfes Auge ein kleines Fahrzeug mit einem einzigen dicht gerefften Segel, das bald über die Wogen sich erhob, bald wieder in die Tiefe hinabsank. Es war schaluppenartig getakelt und steuerte gerade auf ihn zu.
Nach einer Viertelstunde hatte es sich bis auf eine Meile genähert und Willy bemerkte mit Freude, daß Leute auf dem Verdecke waren und von Zeit zu Zeit nach ihm herzeigten. Er sprang hinunter, öffnete Mr. Bullock's unverschlossenen Koffer und nahm mit einer Freiheit, die er bei Lebzeiten des ehrenwerthen Offiziers durchaus sich nicht würde erlaubt haben, eines von den zwei besten, für besondere Gelegenheiten aufbewahrten weißen Hemden desselben heraus. Mit diesen begab er sich auf das Verdeck, befestigte es an einer Enterhakenstange und hißte es als Nothsignal auf. Mechanisch griff er auch mit der Hand nach dem Kopfe, um seinen Hut zu schwenken, erinnerte sich aber, als er ihn nicht fand, daß derselbe das erste Sühnopfer gewesen war, welches er den unbarmherzigen Gottheiten der Winde und Wogen hatte bringen müssen. Als das Fahrzeug dem seinigen nahe kam, legte es windwärts bei und hißte nach einigem Zögern ein kleines Boot über das Schanddeck, das drei Personen fassen konnte. Zwei sprangen hinein und ruderten unter den Stern des Wracks.
»Du mußt springen, mein Junge; man kann bei solcher See kein Fahrzeug an die Seite bringen, ohne ein Segel, es zu stellen. Fürchte dich jedoch nicht, wir fischen dich auf.«
Willy, der sehr wenig Anlage zur Furcht hatte, sprang, obwohl er nicht schwimmen konnte, vom Hackbord des Fahrzeuges in die schäumenden Wogen und wurde sogleich von den Matrosen herausgezogen, die ihn am Hosenband in das Boot hoben und unter die Dost warfen. Hierauf griffen sie, ohne ein Wort zu sprechen, wieder zu den Rudern und steuerten dem größern Fahrzeuge zu. Es gelang ihnen, unsern Helden und sich selber an Bord desselben zu bringen, obgleich das Boot bei diesem Versuche einen Riß kriegte und nutzlos zurückgelassen werden mußte.
Willy's Zähne klapperten und sein ganzer Leib zitterte vor Kälte, als er zu dem Kapitän ging, welcher, in einen groben weißen Ueberrock gehüllt und die Pfeife im Munde aus dem Verdecke saß. Der Kapitän war ein junger – dem Anscheine nach nicht über fünfundzwanzig Jahre alter Mann, von mittlerer Größe. Sein Gesicht war oval und hatte einen höchst gefälligen Ausdruck; seine Augen waren klein und glänzend; und ungeachtet seines groben Anzuges war sein Haar und Knebelbart mit einer gewissen Eleganz geordnet, woraus man abnehmen konnte, daß dieselbe bei ihm gewöhnlich war. An seiner linken Hand trug er einen wollenen Winterhandschuh; die rechte, mit welcher er die Pfeife hielt, war bloß und ausgezeichnet klein und weiß. Als er den Zustand des Knaben wahrnahm, rief er einem von den Leuten zu: »Phillips, nimm diesen armen Teufel hinunter, ziehe ihm etwas Trockenes an und gib ihm ein Glas Branntwein. Wenn er sich erholt hat, wollen wir ihn fragen, wie es kommt, daß er gleich einem Bären in einem Waschzuber ganz allein herumgetrieben wurde. Da Junge, geh' mit Phillips hinunter.«
»Der ist vom rechten Schlag,« sagte einer der Matrosen, die ihn an Bord gebracht hatten, indem er unserem Helden einen Blick nachschickte, als derselbe die Hütte hinabstieg. »Ich dachte das gleich, als ich sah, wie klug er das Signal aufhißte; er sprang so munter über Bord, wie ein neuseeländischer Hund – besann sich keine zwei Minuten.«
»Wir werden bald sehen, wo er her ist,« erwiederte der Kapitän, indem er seine Pfeife wieder anzündete, die er während der Zeit, als Willy und die Matrosen aus dem Boote an Bord genommen wurden, hatte ausgehen lassen.
Willy war bald mit einer behaglicheren Kleidung versehen, und mochte es nun ein launiger Einfall Phillips' sein, der den Auftrag erhalten, den Kleinen aufzutakeln, oder nicht, kurz, er erschien auf dem Decke als das wahre Bild des Thieres, mit dem ihn der Kapitän verglichen hatte. Dicke wollene Strümpfe, welche länger als seine Beine und Schenkel waren, ein paar ungeheure tüchtig mit Fett eingeriebene Fischerstiefel, ein schwarzer Guerseykittel, der ihm bis unter die Kniee reichte, ließen ihn weit breiter erscheinen, als er hoch war. Eine rothe, wollene Nachtmütze krönte diesen Anzug, der, obgleich nichts weniger als elegant, vortrefflich darauf berechnet war, den Branntwein bei Wiederherstellung des Blutumlaufes zu unterstützen.
»Hier ist er, Kapitän, mucker genug, aber gerade nicht sehr schmuck,« sagte Phillips, indem er Willy durch die Luke hinaufschob, denn dieser war durch das Gewicht seines neuen Anzugs so belastet, daß er ohne Beistand niemals hinaufgekommen wäre. »Ich habe ihm etwas Spiritus eingestaut, und er schlägt nun nicht mehr des Teufels Zapfenstreich mit seinen Malmladen.«
»Nun, mein Junge,« sagte der Kapitän, die Pfeife aus dem Mund nehmend, »wie heißt du? wer bist du? und wie kommt es, daß du dich in dieser Barke herumtriebst? sag mir die Wahrheit – sei aufrichtig; ehrlich währt am längsten.«
Unglücklicherweise waren die beiden ersten Fragen für Willy sehr schwer zu beantworten. Er erzählte seine Geschichte unter bedeutendem Stocken – meinte, sein Name sei Seymour – meinte, er sei ein Midshipman. Der Kapitän und die Mannschaft des Schiffes hörten ihm ohne Unterbrechung zu und ließen ihn getrost sein Garn spinnen. Als er zu Ende war, blickte ihm der Kapitän sehr scharf in's Gesicht und redete ihn folgendermaßen an:
»Mein junger Freund, nimm es mir nicht übel, aber ich habe ein klein wenig Weltkenntniß und wünschte deßhalb, daß du den kleinen Rath, den ich dir gleich anfangs gegeben, als eine Warnung betrachtet und nicht vergessen hättest. Sagte ich nicht, sei aufrichtig? Du meinst, du seist ein Offizier, du meinst, dein Name sei Seymour. Ich hingegen sage dir, mein Junge, daß ich von allen deinen Meinungen kein Wort glaube. Doch die Sache hat weiter nichts auf sich. Wenn man lügt, so muß es mit einiger Ueberlegung geschehen, und ich habe nichts gegen ein wenig Erfindungsgabe oder etwas Vorsicht gegen Fremde. Alles, was du vorhin von einer Schlacht sagtest, war sehr hübsch; aber dennoch, verlaß dich auf das Sprüchwort: ›Ehrlich währt am längsten‹; sind wir einmal besser mit einander bekannt geworden, so wirst du, wie ich denke, die Wahrheit berichten. Ich sehe Land am Seebug – in einer Stunde werden wir in Cherbourg sein, wo wir uns hoffentlich bald besser verstehen werden.«
Die Sainte Vierge, dieß war der Name des Fahrzeuges, das unerträglich nach Branntwein roch und, wie unsere Leser wahrscheinlich schon errathen haben, ein zwischen Cherbourg und der Küste von England segelnder Schmuggler war – lief bald nachher in den Hafen ein und legte sich, nachdem die Zollbeamten (die zwischen Schmuggeln nach und aus ihrem Lande sehr wohl zu unterscheiden wissen) an Bord gekommen waren, dicht bei dem Hafendamme vor Anker.
Sobald das Fahrzeug in Sicherheit gebracht war, ging der Kapitän in die Kajüte hinunter und erschien nach wenigen Minuten in einem Anzuge wieder, der einen weit bessern Geschmack verrieth, als er der Hälfte der Pflastertreter in Bondstreet eigen ist. Dann begab er sich an das Land in eine Schenke, wo er gewöhnlich sein Quartier nahm. Er führte unsern Helden mit sich, dessen seltsame Kleidung, welche gegen die des Kapitäns so auffallend abstach, eine Quelle reichlicher Belustigung für die Matrosen und anderes Volk war, das auf dem Quai sich versammelt hatte.
» Ah, mon capitaine, charmé de vous revoir. Buvons un coup, n'est-ce pas?« sagte der Schenkwirth, während er eintrat und dem Kapitän eine Flasche des besten Franzbranntweins und ein Glas vorsetzte.
» Heureuse voyage, n'est-ce pas, Monsieur?«
» Ça va bien,« erwiederte der Kapitän, ein Glas Liquer die Kehle hinunterstürzend. »Mein Zimmer, wenn es Ihnen gefällig ist, und ein Bett für diesen Jungen. Sagen Sie Monsieur Beaujou, dem Trödler, er möchte sogleich mit einigen Kleidungsstücken für ihn herkommen. Ist Kapitän Debriseau hier?«
»Ja, Monsieur, hat seine ganze letzte Ladung verloren – hat Alles in's Meer werfen müssen.«
»Schadet nichts – er hat die beiden vorigen eingebracht – kann es schon verschmerzen.«
»Ja, aber Kapitän Debriseau ist dessen ungeachtet schlecht gelaunt. Er hieß mich diesen Morgen einen alten Schelm – c'est incroyable!«
»Gut, meine Empfehlung an ihn, und sagen Sie ihm, daß ich mir die Ehre seiner Gesellschaft erbitte, wenn er nicht schon anderwärts versagt ist. Komm, Bursche.«
Der Schenkwirth führte unter vielen tiefen Bücklingen den Kapitän und unsern Helden in ein niedriges, finsteres Gemach, welches nur ein einziges Fenster hatte und noch überdieß durch eine hohe, kaum vier Fuß entfernte Mauer verdunkelt wurde. Der Boden war mit Ziegeln gepflastert, der Tisch von Tannenholz und nicht sehr reinlich, und an den weißen Wänden hingen ringsumher schlechte Zeichnungen von verschiedenen Schmuggelfahrzeugen, die als ausgezeichnete Segler, oder weil sie immer gutes Glück gehabt hatten, im Hafen von Cherbourg berühmt geworden waren. Unter einigen Klötzen auf dem Herde brannte Stroh, welches bis jetzt noch mehr Rauch als Feuer verbreitete. Einige Stühle, ein altes gebrechliches Sopha und ein hoher Kleiderschrank vollendeten die Möblirung dieses Zimmers.
»Ich bemerkte Ihre schöne Schaluppe schon lange, ehe sie in den Hafen einlief – sie ist nicht zu verkennen, und ich gab Befehl, das Zimmer für Monsieur einzurichten. C'est un joli appartement, n'est-ce pas, Monsieur? so abgelegen!«
Mit einiger Ueberwindung, aber mit äußerst viel Klugheit enthielt sich der dienstfertige Schenkwirth aller weiteren Anpreisungen der schönen Aussicht.
»Ich will hier nur rauchen und speisen, Monsieur Picardon, weiter nichts. Bringen Sie nun Pfeifen und Tabak und richten Sie an Kapitän Debriseau meine Einladung aus.«
Der letztgenannte Herr und die Pfeifen kamen in demselben Augenblicke an.
»M'Elvina, mein theurer Freund, ich bin erfreut, zu sehen, daß Ihnen das Glück günstiger war als mir bei meiner letzten Fahrt. Der Teufel hole den Kutter! Sacristie!« fuhr Kapitän Debriseau fort, der aus Guernsey gebürtig war; »der Wind kam ihm, nachdem wir umgelegt hatten, um drei Striche zu statten, sonst hätte ich ihn umfahren und so den Inhalt meines Geldbeutels verdoppelt. Sacre nom de Dieu!« setzte er zähneknirschend hinzu und riß sich eine Handvoll Haare von seinem vierschrötigen Kopfe, der wohl eben so viel hätte entbehren können, als Absalon sich abzuscheeren pflegte.
» Que ça me fait bisquer!«
» Bah; – laissez aller, mon ami – setzen Sie sich nieder und rauchen Sie eine Pfeife,« fiel unser Kapitän ein.
»Es ist im besten Falle nur ein elendes Handwerk, das nicht einmal die darauf verwendeten Mittel ordentlich lohnt. Mein Lugger wird im Mai segelfertig, und dann will ich sehen, was es mit einem Zollkutter auf sich hat. Ich war vorige Woche zu Ostende und sah mein Schiff. Beim Jupiter, es ist vortrefflich! Es war damals bis zur Wasserhöhe mit Planken bekleidet und muß jetzt beinahe so weit sein, daß man es vom Stapel lassen kann. Ich will nur einmal noch die Reise machen, und dann sage ich dunkeln Nächten und Südweststürmen Adieu. – Eine Reihe herrlicher Zähne mit dem Willen und der Kraft zu beißen. Sechszehn lange Neunpfünder, alter Knabe!«
»Aber rascher Umsatz, Kamerad,« antwortete Debriseau, auf das Cherbourg'sche Schmuggelsystem hindeutend, dem er allein seinen Lebensunterhalt verdankte und deßwegen nicht gern geringschätzig von ihm reden hörte.
Zu Gunsten derjenigen, die sich auch bei der Unterhaltung ein wenig Belehrung gefallen lassen, will ich hier einige Bemerkungen hinsichtlich des zwischen dem Hafen von Cherbourg und der englischen Küste getriebenen Schmuggelwesens einschalten, bemerke jedoch, daß es meinen Lesern vollkommen freisteht, ein paar Seiten zu überschlagen, wenn sie nicht Lust haben, dieses heillose Treiben kennen zu lernen.
Der Hafen von Cherbourg ist wegen seiner günstigen Lage besser als irgend ein anderer in Frankreich zur Belebung des Schmuggelhandels mit der Seeküste von England geeignet. Der ihm zunächst liegende Hafen, nach welchem aus eben diesem Grunde die Schmuggler meistens fahren, ist der Bill von Portland, nicht weit von dem fashionabeln Badeorte Weymouth.
Die bei diesem Contrebandehandel verwendeten Fahrzeuge sind meistens kleine Lugger oder Schaluppen von vierzig bis sechszig Tonnen und führen gewöhnlich Branntwein. Im Sommer nimmt man bei schönem Wetter hie und da Ruderboote, aber da die Ueberfahrt nur vierundzwanzig Stunden dauert, so benützt man vorzüglich dunkle Nächte und Südwestwinde.
Jene Fahrzeuge werden nicht bewaffnet, um Widerstand leisten zu können. Wenn sie vor ihrer Ankunft an der englischen Küste von Kreuzern oder Zollschiffen wahrgenommen oder verfolgt werden, so sind sie genöthigt, im Falle sie nicht als bessere Segler entfliehen können, ihre Ladung in's Meer zu werfen. Dieß geschieht, um sowohl von der Mannschaft Bestrafung und Gefangennehmung abzuwenden, als die Konfiskation des Fahrzeuges und der Ladung zu vermeiden. Erreichen sie die englische Küste und werden sie von Zollschiffen verfolgt oder durch die Signale ihrer Agenten am Lande in Kenntniß gesetzt, daß sie entdeckt sind und ihre Ladungen nicht an's Land bringen können, so merken sie sich genau die Lage und die Entfernung mehrerer Punkte am Ufer und versenken mit schweren Steinen ihre Branntweintonnen, die immer gleich einer Perlenschnur an einem Halse befestigt find. Hier bleibt die Ladung so lange liegen, bis sie eine günstige Gelegenheit finden, dieselbe in Booten aufzusuchen und mit großen Haken die Tonnen wieder herauszuziehen. Sie wissen den Ort, wo dieselben liegen, so genau und ihre Geschicklichkeit ist in Folge der beständigen Uebung so groß, daß sie nur selten ihre Ladung nicht mehr zu entdecken vermögen. Der Gewinn, welcher bei diesem Schmuggelhandel herauskommt, ist so bedeutend, daß, wenn auch zwei Ladungen verloren gehen, doch eine dritte untergebrachte für den Verlust der beiden andern vollständig entschädigt.
Zur großen Schmach der Betheiligten muß ich bemerken, daß dieser Schmuggelhandel nicht etwa von Einzelnen, sondern von einer ganzen Gesellschaft betrieben wird. Hundert Pfund-Aktien werden auf eine Spekulation verwendet, deren Gewinn alljährlich vertheilt wird, und nicht wenige Küstenbewohner, die man für völlig unfähig halten sollte, sich für ein solches Treiben herzugeben, haben erwiesenermaßen bedeutende Kapitalien darin stecken.
Das Schmuggeln von Havre, Ostende u. s. w. beschränkt sich auf die Küste von Irland und die nördlichen Gestade von England. Die Ladungen sind passend gewählt und von hohem Werthe. Da aber die Reise und die damit verbundenen Gefahren bedeutender sind, so werden meistens schnellsegelnde, gut bemannte und bewaffnete Fahrzeuge genommen, um jederzeit, wenn ihnen nicht eine weit überlegenere Anzahl gegenübersteht, Widerstand leisten zu können.
Kapitän M'Elvina hatte den Schmuggelhandel zwischen Cherbourg und Portland angefangen, um so lange Beschäftigung zu haben, bis ein schöner Lugger von sechszehn Kanonen, dessen Kommando ihm zugesagt war und der die Bestimmung hatte, zwischen Havre und der irischen Küste zu fahren, segelfertig sein würde: wogegen Kapitän Debriseau sein ganzes Leben sich mit dem Cherbourger Handel beschäftigt hatte, und nicht gesonnen war, denselben aufzugeben.
»Aber was haben Sie da, Mac?« begann Debriseau, mit seiner Pfeife nach unserem Helden zeigend, der, in seinem wunderlichen Anzug gehüllt, auf dem ledernen Sopha saß. »Ist es ein Bär oder ein Junge?«
»Ein Junge, den ich von einem Wrack auflas. Ich besinne mich gerade, was ich mit ihm anfangen soll; er ist ein verteufelt kühner Bursche.«
»Beim Jupiter,« entgegnete Debriseau, »ich will ihn zu meinem Ganymedes machen, bis er älter wird.«
Wäre Willy in der Mythologie so bewandert gewesen, wie Kapitän Debriseau, so hätte er denselben belehren können, daß er ganz vor Kurzem jenes Amt unter Mr. Bullock bekleidet habe; aber obwohl jene Ausbrüche als Schiffsnamen ihm nicht unbekannt waren, so gehörten doch die Attribute der betreffenden Gottheiten unter diejenigen Gegenstände, auf welche der alte Adams bei seinem Unterrichte keinen Werth gelegt hatte.
»Man wird ihn zu Allem brauchen können,« entgegnete unser Kapitän, »wenn er nur ehrlich ist.«
»M'Elvina,« sagte Debriseau, »Sie führen immer das Wort ›ehrlich‹ im Munde. Unter uns gesagt, glaube ich nicht, daß weder Sie noch ich ein sehr ehrliches Leben führen: erlauben Sie mir daher die Frage, warum Sie immer mit Ehrlichkeit um sich werfen, wenn wir allein sind? Ich begreife allerdings wohl, daß es gut ist, die Welt ein wenig mit dem Scheine der Redlichkeit zu hintergehen.«
»Debriseau, hätte mir irgend ein Anderer nur halb so viel gesagt, so würde ich ihm mein Grogglas in's Gesicht geworfen haben. Es ist keine Aufschneiderei. Ich meine es aufrichtig, und um dieß zu beweisen, will ich Ihnen ein kurzes Bild von meinem Leben entwerfen; Sie werden dann, sobald Sie meine Geschichte gehört haben, ohne Zweifel mit mir die Wahrheit des alten Sprüchwortes anerkennen: ›ehrlich währt am längsten‹.«
Doch Kapitän M'Elvina braucht zu seiner Erzählung ein eigenes Kapitel.