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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Wie schwach, wie zaghaft ist des Weibes Sinn!
Doch zeigt ihr Herz in Eifersucht sich bitter,
Dann braust die Schwachheit auf, wie Ungewitter.

Lee: die Königin als Nebenbuhlerin.

 

Jetzt aber müssen wir Mr. Rainscourts begleiten, der das Schloß verließ, mit großer Eile reiste und abermals das Pflaster der Hauptstadt betrat, welches er früher ebenso eilig, jedoch unter ganz andern Umständen verlassen hatte. Die Kunde von seinem Glücke war ihm vorausgegangen, und er empfing all die Huldigungen, die jederzeit einem Manne dargebracht werden, der viele Gläubiger, aber auch die Mittel hat, ihre Forderungen zu befriedigen. Ganz seiner Voraussage gemäß war der kleine schwarz gekleidete Herr so höflich, als man es nur wünschen konnte, und wies nicht undeutlich darauf hin, daß es ihm großes Vergnügen machen würde, die Leitung der Angelegenheiten Rainscourt's zu übernehmen. Auch legte er dem Letztern, um sich wieder in Gunst zu setzen, einen Plan vor, wonach der Belauf der an ihn gemachten Anforderungen sich vermindern ließ, und Rainscourt, der niemals verzieh, gab den Wünschen des Advokaten nur insoweit nach, daß er ihm erlaubte, diesen Theil der Arrangements zu übernehmen. Nachdem Mr. T– die Gläubiger zu günstigen Bedingungen bewogen hatte und Alles gehörig unterzeichnet und gesiegelt war, wurden nicht allein seine Dienste für die Zukunft abgelehnt, sondern die Dienerschaft erhielt noch überdies den Befehl, dem Sachwalter die Thüre zu weisen.

Wie seine Gattin richtig bemerkt hatte, fand Rainscourt ohne Schwierigkeit Freunde aller Art und von beiden Geschlechtern; – er stürzte sich in eine Fluth von Vergnügungen und Zerstreuungen, denen er sich mehrere Monate überließ, ohne seine Ergötzlichkeiten von seiner Gattin und Tochter, an die er kaum dachte, unterbrechen zu lassen.

Er hatte bald nach seiner Ankunft in London seiner Familie eine Anweisung auf den Banquier zu A... übersendet und glaubte, es sei damit Alles gethan. Dies war jedoch keineswegs die Meinung seiner Gattin; – in einem einsamen Schlosse Irlands eingemauert zu leben, entsprach weder ihren Wünschen, noch ihrem Geschmacke. Nachdem mehrere Briefe unbeantwortet geblieben waren, worin sie um die Erlaubniß, zu ihm kommen zu dürfen, gebeten und ihm die Nothwendigkeit vorgestellt hatte, daß Emilie, die jetzt beinahe zwölf Jahre alt war, eine seinen gegenwärtigen Verhältnissen angemessene Erziehung erhalten müßte, packte sie ihre spärliche Garderobe zusammen, gelangte nach acht Tagen mit Emilie in London an und fuhr an dem Hotel vor, nach welchem Rainscourt seine Briefe adressiren ließ.

Rainscourt war bei ihrer Ankunft nicht zu Hause. Da sie sich als seine Gattin ankündigte, so wurde sie die Treppe hinauf in seine Zimmer geführt, welche von ihr augenblicklich einer genauen Durchsicht unterworfen wurden. Die auf dem Tische in sorgloser Zerstreuung herumliegenden Papiere und Briefe, die sie alle zu durchlesen sich die Freiheit nahm, erfüllten sie mit nicht geringer Erbitterung und Eifersucht. Die Minuten wurden ihr zu Stunden, die Stunden zu Monaten, bis ihr Gemahl endlich in Begleitung zweier fashionablen Roué's erschien.

Die Aufwärter, die zufälliger Weise nicht gegenwärtig waren, hatten ihm die Ankunft seiner Gattin nicht gemeldet, welche nun im Reisehut und Shawl auf dem Sopha saß, die eine Hand voll von Billets und Briefen, deren Aufschriften offenbar von weiblichen Händen herrührten – und in der andern ihr Taschentuch, als wäre sie auf eine Scene vorbereitet. Sie hatte die Beine über einander geschlagen und der Vorderfuß des einen bewegte sich mit der Kraft des Stämpels einer Dampfmaschine, das im Innern tobende Ungestüm anzeigend, frei auf und ab, als Rainscourt, dessen Stimme man schon von der Treppe herauf hörte, in dem Oehrn ankam und auf die Frage eines seiner Begleiter erwiederte:

»Hingehen und sie sehen? Gewißlich nicht – ich bin ihrer völlig satt – bei Gott, ich wollte eben so gerne meine Frau sehen!« Und mit diesen Worten trat er in's Zimmer, wo er bei Mrs. Rainscourts unerwartetem Anblick unwillkührlich ausrufen mußte: »Spricht man vom Wolfe, so –«

»kommt er, Sir,« erwiederte die Lady, indem sie aufstand und eine tiefe Verbeugung gegen ihn machte.

»Bah, meine Liebe?« erwiederte Rainscourt verwirrt und unwillig, daß es hier vor seinen Begleitern eine Scene geben sollte – »Ich scherzte nur.«

»Guten Morgen, Rainscourt!« sagte Einer von seinen Freunden. – »Ich fürchte, hier de trop zu werden.«

»Und ich mache mich auch fort, mein Werthester, denn man kann nicht wissen, wie der Scherz aufgenommen wird,« fügte der Zweite hinzu, indem er mit seinem Freunde das Zimmer verließ.

Emilie ging auf ihren Vater zu, dessen Hand sie ergriff, und Rainscourt, der, insoweit es sein selbstsüchtiger Charakter zuließ, seine Tochter liebte, küßte sie auf die Stirne.

Die betreffenden Partieen schwiegen eine Zeitlang. Beide wollten den Angriff lieber erwarten, als beginnen; allein bei einer Geduldprobe dieser Art gewann, wie es sich leicht vermuthen ließ, der Mann den Sieg. Mrs. Rainscourt wartete so lange, bis sie sich genöthigt sah, entweder ihren Gefühlen durch Worte Luft zu machen, oder vor Aerger zu bersten. Das Scharmützel begann also von ihrer Seite mit einem Thränenergusse, der mit gewaltigen Krämpfen endete.

Die ersteren wurden von ihrem Gemahl nicht geachtet, indem er dieselben immer als eine Art von Aufflammen ihrer Geschütze vor Beginn der Schlacht ansah, allein die Krämpfe brachten ihn einigermaßen in Verwirrung. In seinem eigenen Hause würde er geklingelt, und die Sorge für seine Gattin der Dienerschaft überlassen haben; aber in einem Hotel sollte wo möglich jedes Aussehen vermieden werden.

»Meine liebe Emilie, geh' zu deiner Mutter – du weißt, wie ihr zu helfen ist.«

»Nein, ich weiß es nicht, Papa,« sagte das Mädchen weinend, »aber Noreh pflegte ihr die Hände zu öffnen.«

Rainscourts Augen richteten sich natürlich auf die Finger seiner Frau, in welchen er eine Sammlung von Billeten und Briefen wahrnahm. Er hielt es deswegen für räthlich, ihr die Hand zu öffnen, und wäre es auch nur, um wieder in den Besitz seiner Papiere zu gelangen. Wozu ihn Liebe nicht vermocht haben würde, das gebot ihm sein Interesse. Er ging zum Sopha hin und suchte ihre zusammengepreßten Hände zu öffnen. Mochten aber nun Mrs. Rainscourts Krämpfe blos verstellt oder von einer solchen Heftigkeit sein, daß sie der Stärke ihres Gemahls Trotz boten – kurz, alle seine Anstrengungen, ihr die Briefe zu entreißen, blieben unwirksam, und nach mehreren vergeblichen Versuchen stand er von seinen Bemühungen ab.

»Was ist sonst noch für sie gut, Emilie?«

»Wenn man ihr Wasser in's Gesicht spritzt, Papa – soll ich klingeln?«

»Nein, liebes Kind, gibt es sonst kein anderes Mittel?«

»O ja, Papa, ihr die Schnürbrust öffnen.«

Rainscourt, der keineswegs die Kenntnisse eines Kammermädchens hatte, langte nicht ohne Schwierigkeit durch die Falten des Oberkleides u. s. w. beim Schnürleibe an, und hatte um so mehr Mühe, da Mrs. Rainscourt in ihren Bewegungen sehr heftig war. Ueberdies wurde er nicht wenig durch absonderliche Stiche in Verwirrung gesetzt, die er von jenen unentbehrlichen Toiletten-Artikeln erhielt, deren das schöne Geschlecht benöthigt ist, und woraus wir ersehen können, daß es keine Rosen ohne Dornen gibt. Endlich bei der ersehnten Hülle angelangt, war er in großer Verlegenheit, das Ende der Schnur zu finden, die ihm wie ein Gordischer Knoten ohne Anfang und Ende vorkam. Seinem ungeduldigen Temperamente nachgebend, nahm er ein Federmesser zu Hilfe, um ihn à la Alexander zu zerschneiden. Anstatt aber von Innen heraus zu scheiden, suchte er in seiner Eile unglücklicher Weise die Schnur von außen nach innen zu trennen, und die Spitze des Messers, das den erwarteten Widerstand nicht fand, fuhr mit nicht geringer Gewalt Mrs. Rainscourt in den Rücken. Diese sprang, zu seiner Bestürzung, augenblicklich empor und schrie aus allen Kräften: »Wollen Sie mich ermorden, Mr. Rainscourt? Hilfe! Hilfe!«

»Es geschah blos zufällig, meine Liebe,« sagte Rainscourt in beruhigendem Tone; denn er fürchtete, daß ihr Schreien das ganze Haus in Alarm bringen möchte. »Ich bin wirklich über meine Ungeschicklichkeit sehr erschrocken.«

»Er brachte Sie ja wieder zum Bewußtsein,« bemerkte Emilie mit großer Naivität, und wurde dafür, zu ihrem Erstaunen, mit einer derben Ohrfeige begrüßt.

»Warum sollten Sie erschrocken sein, Mr. Rainscourt?« sagte die Lady, welche, wie ihre Tochter richtig bemerkt hatte, von dem Aderlassen aus dem Rücken wundervoll zum Bewußtsein gekommen war – »Wie sollten Sie darüber erschrocken sein, daß Sie mich in den Rücken stachen? Habe ich hier nicht Sachen in der Hand, die mir tausend Stiche in das Herz geben? Sehen Sie, diese Briefe habe ich alle gelesen! Sie hatten in der That Ursache genug, mich in Galway zurückzulassen; aber eine solche Behandlung dulde ich nicht länger. Mr. Rainscourt ich dringe auf augenblickliche Scheidung.«

»Was brauchen wir uns darüber zu zanken, da wir Eines Sinnes sind? Haben Sie die Güte, sich zu setzen; dann wollen wir die Sache ruhig überlegen. Was fordern Sie nun?«

»Zuerst, Mr. Rainscourt, die Anerkennung von Ihrer Seite, daß ich eine höchst beleidigte und sehr schlecht behandelte Frau bin.«

»Zugestanden, meine Liebe, wenn das zu Ihrem Glücke beiträgt; ich habe in der That Ihren Werth niemals gekannt.«

»Ich verbitte mir jeden Spott, Sir. Zweitens einen angemessenen Jahrgehalt, der mit Ihrem Vermögen im Verhältnisse steht.«

»Mit Vergnügen bewilligt, Mrs. Rainscourt.«

»Drittens, Mr. Rainscourt, noch einen besondern Jahrgehalt für die Erziehung und Ausstattung Emiliens, die unter meiner Obhut bleiben will.«

»Gleichfalls zugestanden.«

»Ferner, Mr. Rainscourt, wünsche ich, um den Anstand aufrecht zu erhalten, daß ein Schloß auf einem Ihrer verschiedenen Güter in England für uns eingerichtet würde. Ihre Tochter muß auf den Gütern, deren künftige Erbin sie ist, wohnen und dort bekannt werden.«

»Eine billige Forderung, die ich zugestehe. Wünschen Sie noch etwas Weiteres?«

»Nichts von Bedeutung; allein Emiliens wegen wäre es mir sehr lieb, wenn Sie uns hie und da einen Besuch abstatteten, damit wenigstens der Anstand vor der Welt aufrecht erhalten wird.«

»Ich werde mich höchst glücklich schätzen, dies zu thun, meine Liebe, und immer meiner innersten Ueberzeugung gemäß mit Hochachtung von Ihnen sprechen. Wünschen Sie noch Etwas, Mrs. Rainscourt?«

»Nein, aber ich glaube, Sie würden meinen Bitten zehnmal mehr bewilligt haben,« entgegnete die Lady in gereiztem Tone, – »schon um des Vergnügens willen, meiner los zu werden.«

»In der That, meine Liebe,« erwiederte Rainscourt. »Sie können Alles von mir verlangen, mit Ausnahme meiner eigenen Person.«

»Ich verlange keine andere Theilung, Sir, als die Ihres Vermögens.«

»Davon sollen Sie, meine Liebe, Ihren reichlichen Antheil bekommen. Mrs. Rainscourt, ich denke, wir haben nun keine weitere Veranlassung zum Streite mehr. Das Gut in Norfolk, wo Admiral De Courcy wohnte, ist ein schöner Landsitz, und ich bitte Sie, es als Ihr Hauptquartier zu betrachten; natürlich steht es Ihnen frei, sobald Sie wollen, Ihren Aufenthalt zu wechseln. Und nun, nachdem Alles in Ordnung ist, lassen Sie uns einander die Hände geben und fortan gute Freunde sein.«

Mrs. Rainscourt reichte ihm die Hand und besiegelte damit den neuen Kontrakt; aber übel behandelt, wie sie es gewesen war – seit Jahren mit Ihrem Gatten entzweit – und jetzt überzeugt, daß sie in dem zartesten Punkte verletzt sei, neigte sich ihr Herz noch immer zu dem Vater ihres Kindes hin. Die Hand, welche sie zum Zeichen der Trennung ausstreckte, erinnerte sie an den Tag, an dem sie dieselbe Hand ihm zum Pfande künftiger Liebe und Treue gereicht und mit Entzücken auch seine Angelöbnisse gehört hatte. Sie bedeckte ihr Gesicht mit dem Taschentuche, welches bald von ihren Thränen durchnäßt war.

So ist das Weib! Bis zum letzten Augenblicke bewahrt es seine Liebe rein, als einen Ausfluß der Gottheit. In den glücklichen Tagen der Zuneigung und des Vertrauens umgibt sie sein Dasein mit einem Lichtschimmer; in den Stunden des Kummers und der Verlassenheit weist das Gedächtniß, von ihrer unwiderstehlichen Macht geleitet, gleich dem Zeiger der Sonnenuhr, blos auf die Momente hin, die sonnig und heiter waren.

Mrs. Rainscourt fand indeß bald, daß ein unbegränzter Kredit bei einem Banquier kein so übles Ersatzmittel für einen schlimmen Ehegatten sei, und mit Hülfe ihres Stolzes genoß sie eines größeren Glücks und Seelenfriedens, als seit vielen Jahren der Fall gewesen war. Während ihres Aufenthalts in London empfing sie hie und da einen Besuch von Rainscourt, der sich sehr gütig und anständig gegen sie benahm und auf die aufblühende Schönheit seiner Tochter nicht wenig stolz zu sein schien. Mrs. Rainscourt erlangte nicht nur ihre gute Laune, sondern auch ihre persönlichen Reize wieder; daher sich ihre zahlreichen Bekannten wunderten, warum Mr. Rainscourt gegen eine so lebhafte und anziehende Frau gleichgültig sein konnte. Nach Verfluß weniger Wochen war ihr Landsitz in Stand gesetzt, und Mrs. Rainscourt verließ mit Emilie und einer zahlreichen Dienerschaft die Hauptstadt, um denselben für den bevorstehenden Sommer zu beziehen.


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