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Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Ein allgemein Geschrei erhebt sich d'rauf.
Die Mannschaft stürzt verzweifelnd jetzt zu Hauf';
Kein Rudern hilft, kein Beistand naht, es sinkt der Muth
Und tausend Gräber gähnen in der Fluth.

Ovid. Nach Dryden's Uebersetzung.

 

Obwohl wir nicht umhin können, den unerschütterlichen Gleichmuth des Kapitäns zu bewundern, so darf es doch nicht befremden, wenn die Offiziere der Fregatte mit seiner gänzlichen Sorglosigkeit gegen sein eigenes und das Schicksal der Mannschaft bei Erfüllung seiner Dienstpflicht nicht zufrieden waren. Sie murrten zwar nicht, blickten aber schweigend bald einander selbst, bald den Kapitän an, und man konnte aus dem Umstande, daß sie häufig ihre Stellen tauschten, wohl abnehmen, die gefährliche Lage des Schiffes erwecke bei ihnen die größte Besorgniß. Macallan war unten, um den Verwundeten Hülfe zu leisten; sonst wäre er wahrscheinlich von den andern abgesandt worden, um dem Kapitän Vorstellungen zu machen. Nach einigen Minuten redete ihn der Schiffer abermals an:

»Ich fürchte, Sir, wenn wir noch länger so fortsteuern, werden wir die Fregatte verlieren,« sagte er, ehrerbietig an seinen Hut greifend.

»Gleichviel,« erwiederte Kapitän M., »der Feind wird ein Linienschiff verlieren, und unser Vaterland gewinnt dabei, wenn die Bilanz gezogen wird.«

»Ich möchte es fast bezweifeln, Sir; das feindliche Schiff hat allerdings einen größeren Werth; allein es gibt noch andere Rücksichten.«

»Und diese sind?«

»Der Werth der Offiziere und Mannschaften beider Schiffe, die nothwendig das Schicksal ihrer Fahrzeuge theilen müssen. Der Kapitän jenes Schiffes ist keinen Schuß Pulver werth. Es wäre klug, ihn leben und sein Kommando fortsetzen zu lassen. Sein Schiff wird jederzeit unser sein, sobald wir desselben bedürfen; und es würde bei einem Haupttreffen eine Lücke in die feindliche Linie machen, die uns den größten Nutzen bringen könnte. Ohne also weiter eine Parallele zu ziehen – ohne den Werth der Offiziere und Mannschaften abzuwägen, muß ich mir die Bemerkung erlauben, daß schon um Ihretwillen England nicht gewinnen würde, wenn beide Schiffe und ihre Mannschaften zu Grunde gingen.«

»Vielen Dank für Ihr Kompliment, welches ich gern in die Wagschale lege, weil es nur federleicht ist. Aber ich bin anderer Meinung. Mir kommt der Krieg wie ein Schachspiel vor, und ich nehme keinen Anstand, einen Läufer gegen einen Rochen zu opfern. Geht aber der Roche verloren,« indem er auf das französische Fahrzeug hinwies, »so ist an dem Läufer, das heißt an dieser kleinen Fregatte, wenig gelegen.«

»Sehr wohl, Sir,« erwiederte Pearce, abermals an seinen Hut greifend; »als der Schiffer dieses Fahrzeuges hielt ich es für Pflicht, meine Meinung zu äußern.«

»Sie haben Ihre Pflicht erfüllt, Mr. Pearce, und ich danke Ihnen dafür; aber mir liegen auch Pflichten ob. Eine davon ist, wenigstens nach meiner Vorstellung von dem Dienste, das Leben der Schiffsmannschaft, so brav und gut disciplinirt sie auch sein mag (und ich muß gestehen, daß die, welche ich zu befehlen die Ehre habe, dieses Lob in vollem Maaße verdient), nicht zu berücksichtigen, wenn die allgemeinen Interessen des Vaterlandes in's Spiel kommen. Wenn Jemand in königliche Dienste tritt, so kann er sein Leben nicht länger als sein eigen ansehen; er gehört seinem König und Vaterlande, die über ihn verfügen können. Kommen wir um, so wird man ohne große Schwierigkeit in Alt-England eine eben so wackere Schiffsmannschaft, als diese, wieder zusammen bringen können. Eben so geschickte Offiziere, als wir, warten sehnlichst auf eine Anstellung; und trotz Ihres Komplimentes, Mr. Pearce, wird die Admiralität doch bald wieder einen Kapitän haben, der mir gleich kommt, oder sogar mich übertrifft.«

Beide Schiffe waren jetzt ungefähr zwei Kabeltaulängen von einander entfernt, etwa Dreiviertelmeilen leewärts in der Nähe einer hohen, felsigen, von einer furchtbaren Brandung gepeitschten Küste. Das Vorgebirge dehnte sich ungefähr zwei Striche an dem Wetterbug der Fregatte aus, und eine niedrige, sandige Landzunge lief weit hinaus an ihrer Windviering, so daß beide Fahrzeuge völlig in eine Bai eingezwängt waren. Das Linienschiff machte abermals den Versuch, ein Hintersegel aufzuhissen; aber sobald es sich auf die Spitzen der berghohen Wogen erhob, die von Zeit zu Zeit die Rümpfe beider Schiffe einander verbargen, so verhinderte das wohlgerichtete Feuer der Fregatte den Franzosen in seinem Rettungsversuche, und es war jetzt wahrscheinlich, daß er verloren sei. Das Linienschiff tauchte mit dem Schanddecke unter, und sein letzter Mast fiel über Bord.

»Nun kann ihn nichts mehr retten, Sir,« bemerkte der Schiffer.

»Nein,« erwiederte der Kapitän, »wir haben das Unsrige gethan, und müssen jetzt unsere eigene Rettung versuchen.«

»Macht die Kanonen fest – schnell, meine Jungen; ihr arbeitet für euer Leben. Wir müssen das Hauptsegel beisetzen, Mr. Pearce, und das Schiff wo möglich vom Lande abhalten.«

Der Schiffer schüttelte den Kopf. »Matrosen an die Geitauen und Bauchgordingen – hinauf an die großen Schooten – laßt die Nockgordingen los, Bursche – eingeholt!«

»Es ist doch ein erbarmungswürdiger Anblick, bei Gott,« sagte der Kapitän, über die Hängemattengeländer nach dem französischen Schiffe hinschauend, das jetzt gerade vor dem Winde auf die Küste zu trieb, und an jeder Seite seine zertrümmerten Masten nachzog – »in einigen Augenblicken werden acht- bis neunhundert arme Teufel vor ihrem Richter stehen. Ich wünsche, wir könnten sie retten.«

»Sie sollten daran schon früher gedacht haben, Sir,« sagte der Schiffer, mit einem ernsthaften Lächeln über diesen Gefühlsausbruch des Kapitäns. »Nichts vermag sie zu retten, und ich fürchte, daß uns selbst nur eine Veränderung des Windes oder ein Wunder helfen kann.«

»Die Fregatte hat angestoßen, Sir, und liegt auf der Seite,« sagte der Schiemann, der auf der Karronadenschleife stand.

»Achten Sie auf Ihr Amt, Sir; richten Sie die Augen auf das Luvleik des Segels, und nicht auf jenes Schiff,« erwiederte der Kapitän in heftigem Tone.

Mittlerweile hatte der erste Lieutenant das Hauptsegel beigesetzt, und die unbeschädigte Mannschaft richtete ihre Blicke eine Zeit lang auf das Linienschiff, welches von Gischt eingehüllt, auf der Seite lag; aber sie nahmen jetzt auch, was ihnen vorher die angestrengte Beschäftigung und der Eifer der Verfolgung nicht gestattet hatte, die verzweifelte Lage ihres eigenen Fahrzeuges wahr. Das Vorgebirge lag breit an dem Wetterbug, und ein aus dem Wasser hervorragendes Felsenriff dehnte sich leewärts von demselben gegen die Fregatte zu aus. So groß wurde nun die Besorgniß der Mannschaft für ihre eigene Sicherheit, daß sie ihre Blicke von dem gestrandeten Fahrzeuge ab und auf die Felsen richteten, über den Gefahren, welche ihnen selbst drohten, das traurige Schicksal des Feindes gänzlich vergessend. Die Fregatte that Alles, was ein wackeres Schiff vermochte, indem sie sich aus den von den Wellen gebildeten Höhlen erhob und das Wasser von sich abschüttelte, wenn sie bisweilen, mit ihrem scharfen Vorsteven die gewaltigen Massen des Elementes durchschneidend, ihr Vordertheil, in Folge des mächtigen Druckes der Segel, unter den Wellen begrub und bei der Heftigkeit ihrer Anstrengungen vornen und hinten zitterte. Aber die bergehohen Wellen trafen mit unwiderstehlicher Gewalt ihre Scheerbalken, wodurch ihr Lauf verzögert wurde, und jeder Augenblick sie näher an das Felsenriff trieb.

»Halten Sie das Schiff ab, Mr. Hardy,« sagte der Kapitän, welcher, seitdem er den Schiemann zurecht gewiesen, kein Wort gesprochen hatte – »wir haben gerade noch Raum dazu.«

Der Schiffer befahl mit festem, aber leisem Tone dem Manne am Gade, das Steuer zu wenden, denn er dachte in diesem Augenblicke an Weib und Kind.

Das Schiff war eben abgefallen und gewann wieder einen Weg, als es auf einen verborgenen Felsen stieß. Mit einem lauten und durchdringenden Schrei lief die Mannschaft nach hinten; gleich darauf traf eine ungeheure Welle die Fregatte am Spiegel, und hob sie empor, so daß sie von dem Felsen wieder in das tiefe Wasser hinabglitt.

»Sie ist wieder flott, Sir,« sagte der Schiffer.

»Es ist Gottes Gnade, Mr. Pearce! Bringen Sie, sobald Sie können, das Schiff wieder in den Wind,« erwiederte der Kapitän mit Fassung. Aber in diesem Augenblicke stürzte der Zimmermann die Luke herauf und rief mit bleichem Gesichte und zitternder Stimme, das Schiff fülle sich schnell mit Wasser und könne nur noch wenige Minuten flott erhalten werden.

»Wir gehen unter! Wir gehen unter?« schallte es jetzt mit furchtbarer Schnelligkeit durch das Schiff und alle Disciplin und Subordination schien verschwunden zu sein.

Einige Matrosen liefen nach den Booten und banden die Seile, womit sie angebunden waren, mit zitternden Händen los.

»Stille da, vorn und hinten!« schrie der Kapitän mit der vollen Kraft seiner gewaltigen Stimme. »Jeder auf seinen Posten! Gleich dort aus den Booten heraus!«

Alle gehorchten, mit Ausnahme eines Einzigen, der noch immer bemüht war, die Bootskrapper loszumachen.

»Heraus, Sir,« wiederholte der Kapitän.

»Ich will nicht, bei Gott!« antwortete der Matrose kaltblütig.

Die Enterpiken befanden sich, aus irgend einem unbekannten Grunde, gerade auf dem Verdecke, ganz nahe dem Kajütenschrägfenster. Der Kapitän ergriff Eine davon, schwang sie über seinem Kopfe und befahl dem Matrosen zum dritten Male, das Boot zu verlassen.

»Jeder für sich und Gott für uns Alle!« war die kaltblütige Antwort des widerspenstigen Seemannes.

Die Pike sauste und drang dem Manne bis an das Heft in den Leib. Der Unglückliche wankte, griff nach dem Penterbalken, verfehlte ihn und stürzte rücklings über das Schanddeck des Bootes in's Meer.

»Bursche,« rief der Kapitän mit Nachdruck, die Mannschaft anredend, welche voll Entsetzen dem Auftritte zuschaute, »so lang nur noch ein Brett, ja nur noch ein Zahnstocher von diesem Schiffe übrig ist, muß meinen Befehlen Folge geleistet werden. Schiemann, Steuer herum! Ich habe euch nur noch einige Worte zu sagen. Das Schiff sinkt und wir müssen es auf das Felsenriff treiben – die Boote sind unnütz. So lange es noch zusammenhält, klammert euch daran fest, als an euren einzigen Hoffnungsanker. Und nun lebt wohl, wackere Kameraden; denn wir sehen uns vielleicht nicht Alle in dieser Welt wieder. Haben Sie Acht, daß das Schiff wo möglich auf eine geeignete Stelle kommt, Mr. Pearce.«

»Ich sehe nur noch eine einzige Stelle, wo wir es möglicherweise hinbringen können, Sir. Ein wenig Steuerbord! – Gut! – So« – lauteten die kaltblütigen Befehle des Schiffers, während das Fahrzeug mit vermehrter Schnelligkeit seinem Untergange entgegenflog.

Der Kapitän stand an den Karronadetragehölzern, von wo aus er die Mannschaft angeredet hatte. Sein Blick war fest und kühn – nicht Eine Muskel in seinem Gesichte verzog sich, und die Matrosen sahen auf dasselbe, wie auf ein Barometer ihres Schicksals. Erschreckt durch die furchtbare Bestrafung des Widerspenstigen und durch langgewohnte Disciplin im Zaume gehalten, erwarteten sie in ängstlicher Spannung, aber schweigend, ihren Untergang.

Alles hier Geschilderte währte jedoch nur zwei Minuten – welche kaum verstrichen waren, als die Fregatte an das Felsenriff stieß.


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