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Wollt ihr einen wackern Burschen – hier ist einer, gut mit Zeugnissen versehen; er wird euch nach Herzenslust betrügen. Wenn ihr mir nicht glaubt, so probirt es mit ihm.
Die Kolonie, 1635.
Die Aspasia setzte ihre Fahrt bei leichtem, aber günstigem Winde fort. Da das Schiff nur langsam weiter kam, so ließ Kapitän M– in der Bay von Goa ansegeln, sobald sie zu dieser Reliquie früherer Größe und Wohlhabenheit gelangten, das ach! wie das Volk, von dem es erbaut wurde, von seiner Höhe gefallen ist. Die Stadt bedeckt noch immer denselben ungeheuren Flächenraum; noch erheben die prachtvollen Kirchen ihre Häupter über die anderen Gebäude; noch immer blickt der Inquisitions-Palast in seiner grauenvollen Düsterheit und mit seinen Eisengittern auf die Reisenden herab. Aber wo ist der Reichthum, das Genie und der Unternehmungsgeist, der Muth und der religiöse Enthusiasmus, welche diese majestätischen Pfeiler erhob. Jetzt bewohnt eine spärliche Bevölkerung von gemischter Hindu- und portugiesischer Abstammung, oder von halb bekehrten Indiern, die einst so glänzende Stadt des Ostens. Leset die Geschichte der Mauren in Spanien, ihrer Ritterlichkeit, ihres Muthes, ihrer Künste und wissenschaftlichen Forschungen – und werfet dann einen Blick auf ihre entarteten Nachkommen an der afrikanischen Küste. Bedenkt, wie energisch und ausdauernd die Spanier damals waren, als sie jene Eroberer nach einem vieljährigen Kampfe aus ihrem Lande vertrieben – als sie später die westliche Welt entdeckten und sie in Besitz nahmen – und man betrachte sie jetzt. Dann wendet euren Blick auf die Portugiesen, welche – den Nationen Europas ein Vorbild von Ausdauer und Thätigkeit – in Schiffen, mit welchen irgend einen Versuch zu machen wir für Wahnsinn halten würden, das Kap der Stürme umschifften und, weder durch Unglück noch Tod entmuthigt, sich der Herrschaft des Ostens bemächtigten. Was sind sie jetzt auf der Skala der Nationen?
Welch rascher Wechsel! Kaum sind zwei Jahrhunderte verschwunden. – Auch andere Völker sind mit den Werken, die sie aufführten, in den Staub gesunken; aber sie sind aus Altersschwäche von dem Schauplatze abgetreten, und Menschen und Dinge haben ihren Lauf zu gleicher Zeit beschlossen. Allein hier stehen die letzteren noch in all ihrem Glanze, während die Kraft der ersteren dahin ist – und wo finden wir ein traurigeres Bild vermenschlichen Unmacht, sowohl bei Individuen, wie bei ganzen Nationen, als wenn wir auf einen Körper blicken, welcher den Geist überlebt hat?
Seit dem Anfang der Welt ist die Geschichte nur ein Bericht über Königreiche und Staaten, die allmälig gestiegen und nachher gefallen sind. Der Einzelne ist nur ein Ausdruck des Ganzen. In der Jugend lauter Thatkraft, im Mannesalter kühn und kräftig, im Greisenalter nichts als Schwäche und abermalige Kindheit. Lerne also England dein Schicksal aus den untrüglichen Jahrbüchern der Zeit. Früher oder später wird es sich ereignen, wo du einem vielleicht noch ungebornen Volke dienstpflichtig wirst, und deine entarteten Söhne werden dann lesen, daß Freiheit einst das Losungswort der Insel war, aber kein Verlangen nach Freiheit mehr fühlen.
Als die Aspasia mit fast unbewegten Segeln am Eingange des Hafens lag, segelte ein von zwei Männern gerudertes Boot auf sie zu, und derjenige, der auf den Sternschoten saß, sagte, nachdem sie dem Schiffe zur Seite gekommen waren, in schlechtem Englisch, er bringe ein Geschenk für den Kapitän, worauf ihm der erste Lieutenant, welcher sich auf dem Verdecke befand, gestattete, an der Schiffsseite heraufzukommen. Es war ein eingeborner Mönch, und da das Ordens-Gewand, wenn es von einem Europäer in einer nördlichen Zone getragen wird, schon abscheulich aussieht, so war dieß noch mehr bei dem Schwarzen unter dem heißen Himmelsstriche der Fall. Er trug ein bedecktes Körbchen und sagte, er sei von dem Superior seines Klosters, welches auf einer Landspitze gerade vor dem Hafen lag, abgesandt. Der erste Lieutenant ging in die Kajüte hinunter und meldete es dem Kapitän.
»Ein Geschenk?« rief Kapitän M–; »doch hoffentlich kein Affe – Timeo Danaos et dona ferentes.«
Der erste Lieutenant, welcher sein Latein schon längst vergessen hatte, gab keine Antwort, sondern begab sich auf das Verdeck zurück, wohin ihm auch bald Kapitän M– folgte.
Der schwarze Sohn des heiligen Franziskus machte seine Verbeugung, öffnete das Körbchen und nahm eine Kohlstaude mit langem Stengel und vier bis fünf welken Blättern, aber ohne Kopf, heraus. »Superior schickt ein Geschenk dem Ingls Kapitaun.« Nachdem er den Kohl vorsichtig auf die Karronadenschleifen gelegt hatte, wühlte er eine Zeit lang in seiner Tasche herum, und zog endlich einen schmutzigen Papierwisch hervor, welcher in abscheulichem Englisch die Bitte enthielt, dem Kloster eine Unterstützung zu reichen.«
»Das erwartete ich,« bemerkte Kapitän M– lächelnd, als er das kurios stylisirte Gesuch durchlas. »Der Zahlmeisters-Gehülfe soll einen Sack Zwieback heraufholen und in das Boot bringen.«
Der Zwieback wurde auf die Laufplanke herausgebracht und der Mönch, welcher es bemerkte, ging auf den Kapitän zu und sagte: »Superior lieben Rum, Sennor; im Fall Sie keinen Rum haben, er auch Geld nimmt.«
»Das mag wohl sein,« erwiederte Kapitän M–, »aber es ist gegen meinen Grundsatz, von dem ersten herzugeben, und so viel ich mich erinnere, erlauben Eure Ordensregeln nicht, das zweite anzunehmen.«
Als der Mönch sah, daß hier nichts mehr zu bekommen sei, schickte er sich zur Abreise an und sagte, indem er den Kohl noch immer unbeachtet daliegen sah, Kapitaun, non quer Kohl – nicht bedürfen?«
»Nicht eigentlich,« erwiederte Kapitän M–, indem er das Geschenk mit einem etwas spöttischen Lächeln anblickte.
»Dann will ich ihn wieder an's Land nehmen, wieder pflanzen – für ein anderes Schiff.« Somit legte er den Kohl wieder in sein Körbchen, machte seine Verbeugung und entfernte sich.
Leser, der Kohl ist in Indien etwas Seltenes. Zu Pondicherry habe ich welchen als ein seltenes ausländisches Gewächs in Blumentöpfen gesehen.
Zwei Tage später ankerte die Aspasia vor Bombay. Kapitän M– ließ dem Admiral salutiren und ging an's Land, um ihm persönlich seine Aufwartung zu machen. Das Schiff war bald mit Leuten jeder Gattung angefüllt, die an Bord kamen, um die Wäsche der Offiziere abzuholen. Die Offiziere des Konstabelzimmers hatten gerade ihr Mittagsmahl beendigt und das Tischtuch war kaum weggenommen, als unser Freund Billy Pitt eintrat und einen schmächtigen Menschen mitbrachte, der in ein glänzend weißes Gewand gekleidet war und den Kopf mit einem schwarzen, den Parsihs eigentümlichen Turbane bedeckt hatte. In der Hand trug er ein Körbchen mit Früchten.
»Massa Courtena, hier Mulatte, will sprechen die Offiziere. Nennt sich Dubash – ich sah in das Wörterbuch, kein solch Wort in der englischen Sprache.«
»Es bedeutet wahrscheinlich einen Wäscher,« bemerkte Courtenay.
»Nein, Sir;« nahm jetzt der Fremde unter anmuthiger Verbeugung für sich selbst das Wort: nicht einen Wäscher, sondern ich Ihr Weißzeug zum Waschen abholen will. Dubash geht zu Markt; versieht die Herren mit Allem, was sie bedürfen – läuft überall für sie hin – holt Fleisch und Fisch und sonstige Dinge – Jedermann hier hat einen Dubash – ich Dubash für alle Schiffe, die hieher kommen – habe sehr gute Zeugnisse, Sir,« fuhr der Parsih fort, indem er ein dünnes Buch aus seinem Kleide hervorzog und es Courtenay unter einem tiefen Bückling überreichte.
»Nun, Mr. Dubash, wir wollen einmal sehen, wie Ihr Charakter ist,« sagte Courtenay, das Buch öffnend.
»Ja, Sir, haben Sie die Güte zu lesen, und ich spreche mit den jungen Herren, bevor andere Dubahs an Bord kommen. Ich bringe den Herren etwas Obst,« sagte der Mann, indem er das Körbchen unter einer zweiten tiefen Verbeugung ehrfurchtsvoll auf den Tisch stellte und das Konstabelzimmer verließ.
Courtenay las einige Minuten, dann brach er in ein lautes Gelächter aus und sagte: »Sehr gute Zeugnisse in der That! Man höre nur einmal –«
Erstes: Es wird hiemit bezeugt, daß Homaji Baba das Konstabelzimmer des königlichen Schiffes Flora bediente und uns auf das Schändlichste betrogen hat.
(Unterzeichnet)
Peter Hicks, erster Lieutenant.
Jonas Smith, Zahlmeister.
Zweites: Homaji Baba bediente mich als Dubash während meines Aufenthaltes in diesem Hafen. Er ist ein tauglicher Bursche, aber ein abgefeimter Schurke. Ich zahlte ihm nur die Hälfte seiner Rechnung und er war vollkommen zufrieden. Ich empfehle Andern das gleiche Verfahren.
(Unterzeichnet)
Andrew Thompson, Kompagnieschiff, Clio
Drittes: Ich stimme mit den obigen Bemerkungen ganz überein; aber da die andern Dubashen eben so große Schelmen und nicht halb so gescheit sind, so empfehle ich Homaji Baba mit bestem Gewissen.
(Unterzeichnet)
Peter Phillips,
Kapitän des Kompagnie-Kreuzers Vestalin.
Viertes: Von allen Schurken, mit denen ich je in diesem spitzbübischen Theile einer höchst niederträchtigen Welt zu thun hatte, ist Homaji Baba der größte. Gebt ihm ja kein Geld; er wird es schon bekommen, aber wenn ihr ihn entlasset, so zahlt ihm ein Drittel seiner Forderung und er hat dennoch zu viel
(Unterzeichnet)
Billy Helflame,
Kapitän vom königlichen Schiffe Spitfire.
Gegen Zwölf Seiten des Buches waren mit Zeugnissen obiger Gattung angefüllt, welche der Dubash, obwohl er geläufig englisch sprach, doch nicht lesen konnte, und dieselben für lauter günstige Atteste hielt, so wie man ihn auch belehrt hatte. Sie waren wenigstens in so fern von Nutzen, daß Neuangekommene dadurch gewarnt wurden und der genannte Homaji die Leute nicht so gut prellen konnte.
Als das Gelächter etwas nachgelassen hatte, rief Billy Pitt zuerst aus: – »Verdammt schwarz Schurke – ich so denken, als er kam zu mir – wollte mir nicht gefallen –«
»›Wer mir die Börse stiehlt, stiehlt nur einen Bettel‹,« fiel Price ein.
»Weil Sie nie haben Geld, Mr. Price,« rief Billy ihn unterbrechend.
»Stille, Sir – ›Aber wer mir meinen guten Namen raubt, raubt mir das – das‹ –«
»Raubt Ihnen was, Sir? –«
»Stille, Sir,« rief Price wiederum, »›raubt mir das‹ – was ist es doch? Der verdammte schwarze Schelm hat mich ganz konfus gemacht.«
»Ich nicht der Dieb, Sar – Massa Price; Sie jederzeit vergessen das Ende Ihrer Geschichte.«
»Ich werde dir das Maul für immer zum Schweigen bringen, wenn du nicht sogleich fortgehst.«
»O bringen Sie nur Billy nicht um,« bemerkte Courtenay; »es ist genug, Shakspeare gemordet zu haben. Doch ist es meine Meinung, diesen Burschen in Dienst zu nehmen und dem Rathe zu folgen, den uns das Buch hier gegeben hat.«
Courtenay's Vorschlag fand Beifall, und Homaji Baba wurde bei seiner Rückkehr als Bedienter angestellt.
Am folgenden Tag gingen Seymour, Courtenay und Macallan an das Land, um zu einem alten Bekannten des Letztern zu kommen, der den Doktor bei seiner Ankunft besucht hatte. Auf seinen Rath verließen sie das Schiff vor Sonnenuntergang, damit sie einen Spaziergang machen und die Stadt und ihre Umgegend besichtigen könnten, ohne von der Hitze belästigt zu werden. Sie erreichten die dicht am Meere sich weit ausbreitende Ebene, wo der Admiral nach der Sitte der dortigen Engländer in einem geräumigen Zelte wohnte. Dieß waren keine Zelte, wie man sie in England sieht, sondern der Hitze und dem Regen unzugängliche, einen großen Platz bedeckende, in mehrere Zimmer geteilte und gleich andern Häusern möblirte Gebäude, die einen bedeutenden Raum einnahmen. Die ungeheure Meeresfläche, welche man von da aus überblickte, war ruhig, und an dem Gestade befanden sich Hunderte von Menschen, die, das Gesicht nach Osten gekehrt, auf ihren über dem Sande ausgebreiteten Teppichen standen. Als die Sonne glänzend am Horizonte in die Höhe stieg, warfen sich alle in stummer Anbetung zu Boden und verharrten in dieser Lage, bis die Sonnenscheibe über die Wasserlinie herauf war. Dann erhoben sie sich, warfen einige Blumen in die kräuselnden Wellen, rollten ihre Teppiche zusammen und gingen hinweg.
»Was sind das für Leute und was haben sie für eine Religion?« fragte Seymour.
»Es sind Parsihs, ein Ueberrest der alten Perser – der Ghebern oder Feueranbeter. Wie Sie gesehen haben, verehren sie auch die Sonne. Vor langer Zeit kamen sie in dieses Land, um sicher vor Verfolgung ihre Religion ausüben zu können. Sie sind die Verständigsten unter allen Bewohnern dieses Landes. Viele von ihnen waren Fürsten in ihrem Vaterlande und sind noch jetzt unermeßlich reich. Sie haben Tempel hier, in denen das heilige Feuer nie erlöschen darf. Sollte es durch Zufall oder Nachlässigkeit ausgehen, so muß es durch Feuer vom Himmel wieder angezündet werden. Da es hier niemals blitzt, so schicken sie nach Kalkutta, wo während des Wechsels der Passatwinde viele Gewitter stattfinden, und bringen das Feuer unter vielen Ceremonien hieher.«
»Sind ihre Gebräuche auch sonst noch von denen der Hindus verschieden?«
»Ja, ihre Frauen werden nicht so eingesperrt. Sie werden bei Ihrer Rückkehr in die Stadt eine Menge derselben sehen. Man kann sie leicht an ihrer hellen Gesichtsfarbe und den großen dünnen, goldenen Ringen erkennen, auf welche drei bis vier Perlen gefaßt werden, und die sie dann durch das Nasenbein eingesteckt so tragen, daß sie ihnen bis über den Mund herunterhängen.«
»Was sind dort für ungeheure Thürme – jenseits der Bai?«
»Sie wurden von den Parsihs erbaut, und zwar zur Aufnahme ihrer Todten. Oben auf dem Gipfel eines jeden Thurmes befindet sich ein eiserner Rost, auf welchen man die Leichen legt, damit sie von den Raubvögeln verzehrt werden. Die vom Fleische entblösten Gerippe fallen alsdann durch ein Gitter in einen unten befindlichen Behälter. Ihre Todten beerdigen sie nie. – Aber das Frühstück wird jetzt bereit sein; wir wollen daher umkehren. Es gibt hier noch Vieles zu sehen. Die Höhlen von Elephanta und Canara sind Ihrer Aufmerksamkeit wohl würdig und ich werde Sie mit Vergnügen dahin begleiten, wenn Sie dieselben zu besuchen Lust haben.«
Sie unterließen nicht, von dem Anerbieten Gebrauch zu machen, und ehe eine Woche zu Ende war, hatten sie diese glänzenden Denkmale des Aberglaubens und Götzendienstes besichtiget. Die Aspasia erhielt ihre Befehle, und Homaji Baba empfing, nachdem man ihm den gehörigen Theil seiner Forderung ausbezahlt hatte, von Courtenay ein Zeugniß in der gewöhnlichen Form. Weit entfernt, sich dadurch beleidigt zu fühlen, bat er noch um die Ehre, von den Offizieren, im Falle sie je wieder nach Bombay kommen sollten, auf's Neue in Dienst genommen zu werden.