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Vierzehntes Kapitel

Worin lag das Geheimnis?

Damit unsere Erzählung endlich verständlich werde, wollen wir so unbescheiden sein, es zu lösen.

Sascha trug auf seiner Brust ein mit Aquarellfarben gemaltes Porträt seiner lieben rosigen Cousine Anja, die jetzt die Frau seines Obersten war und die im gleichen Augenblick, als Sascha sich vom Leben eigenwillig trennte, einem neuen kleinen Menschlein das Leben geschenkt hatte.

Das Porträt war nicht etwa das Pfand einer leidenschaftlichen Liebe, es war das Vermächtnis einer lichten Kinderfreundschaft und keuscher Schwüre; aber als die rosige Anja die Frau des Obersten wurde, und dieser letztere eifersüchtig auf den Cousin wurde, – da war es, daß Sascha die Leiden des Don Carlos auch in sich zu spüren begann. Und er steigerte diese Leiden bis zur Wucht der verdunkelnden Qualen … und dazu kam nun noch dieser Vorfall mit dem Geld und der Visitation, und zu allem Unheil erschien dabei der Oberst.

Sascha gab das Geheimnis der Cousine nicht preis.

Als er die Pistole bereits auf seine Brust gerichtet hatte, übergab er das Porträt seinem Diener und sagte nur dies:

»Ich beschwöre dich bei Gott – gib es meinem Vater.«

Und der Diener gab es dem Vater über den Sarg des Verstorbenen hinweg.

Und darum sagte der Vater, sein Sohn sei »gestorben, wie es sich für einen ehrenhaften und edlen jungen Menschen gehöre«.

Das Porträt war nett und unschuldig und hatte nicht einmal viel Ähnlichkeit von der, die es darstellte, und trug eine Unterschrift:

»Dem lieben Sascha von seiner
treuen Anja.«

Und nichts weiter …

Jetzt kann man darüber lachen, – und vielleicht kann es sogar dumm erscheinen! Ja, ja, es kann sein, daß es auch so ist. »Andre Zeiten, andre Vögel, andre Vögel, andre Lieder.« Ich will niemand hervorstreichen und will auch keineswegs kritisieren, ich habe es hier nur mit dem zu tun, was die Frauen als anziehend empfinden.

Wer war denn dieser Kornett Sascha?

Nichts Besonderes, eigentlich nichts, oder sehr wenig, – ein rosiger Knabe, ein kleiner Edelmann, ein milchschnäblicher Säugling in Uniform. Er hatte eigentlich nichts an sich, keine einzige blendende Gabe, außer eben der Gabe seiner Jugend … und des blinden Gefühles für die persönliche Ehre der Frau … Und nun lassen Sie einmal sehen, ob wohl etwas an ihm war, vor dem man niederknien konnte und es verehren? Und doch werde ich Ihnen jetzt erzählen, wie man vor ihm niederkniete und ihn verehrte.

Die Geschichte des Geheimnisses, das ich Ihnen der Notwendigkeit halber soeben enthüllte, wußte damals keiner in der Stadt, denn es war ja nur der Diener da, der ein weniges darüber wußte, und ganz und gar erfaßte lediglich der Vater des Selbstmörders den Zusammenhang der Dinge. Außerdem tauchte noch ein Umstand auf, der nicht nur geeignet war, alles zu verwirren, sondern es geradezu mußte, und zwar war das ein Fehler des Marko, der sich bekreuzigend manchen im Vertrauen mitteilte, er hätte gesehen, wie der Diener des Verstorbenen seinem Vater heimlich etwas übergeben. Und was konnte das wohl gewesen sein, was der eine dem andern mit solcher Heimlichkeit übergab, und der andere mit der gleichen Heimlichkeit an sich nahm und verborgen hielt? …

Gott weiß es. Marko bekreuzigte sich und meinte:

»Es sei ferne von mir, eine Sünde auf meine Seele zu laden, – ich konnte nicht genau sehen, was es war, ich sah nur, daß es ein Paketchen war, und in Papier war es zudem gewickelt.«

War das nicht am Ende das Geld? Warum hätte man es nicht annehmen sollen, da doch die Begleitumstände, die ich Ihnen geschildert habe, sehr unklar waren und von Stunde zu Stunde, wie es mit jedem Verdachte geschieht, sinnloser wurden und von Stunde zu Stunde immer stärker ihr ganzes demoralisierendes Mißtrauen rings verbreiteten  … Hat denn nicht ein jeder, der Hände hat, auch gleichzeitig die Fähigkeit, damit zu nehmen? Den Dieb entdecken – das war die wichtigste Aufgabe: nicht das geringste verdächtige Anzeichen sich entgehen lassen – das war doch die Pflicht eines jeden …

Freilich, eines jeden, der der Ansicht ist, daß die gierigen Augen des Mißtrauens besser sehen, als das lichte Auge des gerührten Herzens: zum Heil des menschlichen Geschlechtes jedoch sind ihm auch die großen seelischen Enthüllungen zugänglich, die es dem Menschen ermöglichen, selbst unsichtbare Wahrheiten zu erfassen und ihn zwingen, alle Hemmungen fahren zu lassen und mit geradezu elementarem Triebe ein Unglück durch Trauer zu ehren. Dieses sind dann in ihrer Art heilige Stürme, die uns hinabgeschickt werden, um den sich immer dichter zusammenballenden erstickenden Nebel auseinanderzublasen – in ihnen ist ein »Atem der Höhe«, in ihnen die Enthüllung, die alles klar macht, was von einem Lügengewebe bisher verborgen gehalten wurde.

Man erlaubte Marko nicht einmal, von dem, was er gesehen, zu sprechen. Alle wußten, was der Diener dem Vater des armen Sascha übergeben hatte: Es war ein Porträt einer Frau …

Daran zweifelte keine Menschenseele auch nur einen Augenblick, – die ganze Welt sprach darüber, als hätte sie während der Minute, da die geheimnisvolle Übergabe unter vier Augen stattfand, durchs Fenster zugeschaut; es lag in der Luft und es sang davon das Lied der Lerchen …

Saschas Beerdigung war nicht feierlich und nicht einmal rührend, sie war einfach erschütternd. Sie alle, meine Herrschaften, haben feierliche Beerdigungen gesehen, die mit einem gewissen »Pomp« vor sich gingen … Ich spreche nicht von den Beerdigungen mit jenem feierlichen Leichengepränge, das doch nur die ganze Eitelkeit des Menschengeschlechtes offenbart. Aber denken Sie an Gogols Beerdigung, von der wir so viele schöne Beschreibungen gelesen haben, und an Nekrassows und Dostojewskijs Beerdigungen, die man »weltgeschichtliche Ereignisse« genannt hat.

All das hatte natürlich seine Bedeutung und war vielleicht auch ganz aufrichtig gemeint, aber diese Aufrichtigkeit wurde stets von etwas Nebensächlichem völlig überwuchert. Ich sah, wie Skobelew in Moskau beerdigt wurde … Mehr als irgendwo anders konnte man hier gewahren, was an wirkliche Trauer gemahnte – doch lachen Sie meinetwegen jetzt über mich, wenn Sie wollen, – als ich damals dort stand, stieg mir jener so sehr besondere Tag meiner Jugendzeit auf, an dem wir Sascha beerdigten … Welch ein Vergleich! Wir hatten, da er ja Offizier war, ihm die vorschriftsmäßige »Zeremonie« zugedacht, aber, nahm sie auch den allersichtbarsten Platz ein, niemand sah sie und niemand bemerkte sie. Denn das, was die wahrhafte Trauer der Leute zu seinem Andenken tat, die von allüberall herbeigeströmt kamen, um zu schluchzen und sich angesichts seines jugendlichen totenblassen Gesichtes in Wehklagen zu überbieten, das war stärker als alles, und es schien sogar, als durchdringe es die Luft ringsum mit einem Beben.


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