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Nachdem ich Stepan Iwanowitschs sichtbare Vorliebe für alles, was nicht »aus dem Moskowiterland« herstammte, bereits mehrfach erwähnt habe, muß ich den Leser davor warnen, Wischnewskij etwa daraufhin für einen Politiker zu halten, oder einen Separatisten, oder, wie man heute sagt, für einen »Ukrainophilen«. Es ist freilich wahr, daß man damals auf die Ukrainophilie durch die Finger sah und sogar vorgab, nichts von ihr zu wissen, wenn jedoch jemand sich an Stepan Iwanowitsch herangemacht hätte, um in seiner Seele zu lesen, er hätte nichts Politisches in ihr gefunden. Am wahrscheinlichsten wäre noch, daß er sich in dieser Seele wie in einem Speicher gefühlt hätte, in dem alles herumliegt, alles nur Erdenkliche vorhanden ist, in welchem jedoch niemand finden kann, was er sucht. Wischnewskij widersprach einem jeden, die einzige Ausnahme hiervon machte seine erste Frau, die von uns bereits ziemlich genau geschilderte Stepanida Wassiljewna Schúbinskaja. Wenn sein Partner sich im Gespräch als ein Ukrainophile entpuppte und alles Kleinrussische lobte, dann war Wischnewskij unbedingt darauf aus, die Mängel der kleinrussischen Sitten zu schildern und zwar tat er das mit einer hervorragenden Begabung und steigerte die treffenden Vergleiche, die er hierbei verwandte, bis zu der größtmöglichen Schärfe. Dann pflegte er Polen auf das eifrigste zu loben, zumal Stefan Bathori und Sobieski, – Bogdan Bogdan – gemeint ist natürlich der ukrainische Nationalheld Bogdan Chmelnizky (1593-1657), der die Ukrainischen Kosaken aus polnischer unter die russische Herrschaft brachte. (Anmerkung des Herausgebers.) dagegen nannte er einen großen »Saufaus« und ließ jedesmal den Streit in die seiner Anschauung nach entscheidende Schlußformel ausklingen: »Die Polen sind bei uns eingefallen und haben uns erdrückt.« Sprach aber ein anderer etwa mit einem Seufzer von Polen, dann veränderte Stepan Iwanowitsch augenblicks die Walze und zog das großrussische Register.
»Es ist ja wahr,« pflegte er zu sagen, »Freiheiten und Rechte gab es damals, aber was half das schon, da ein jeder »König« sein wollte und ein jeder gegen die »Könige« intrigierte. Darum sind sie auch zugrunde gegangen und mußten zugrunde gehen, weil sie nicht taten, was für die Wohlfahrt des ganzen Landes vonnöten war, sondern ein jeder diese unglückliche Freiheit, so sehr es anging, nur für sich selber beanspruchte.«
Und setzte mit einer Handbewegung verächtlich dazu:
»Nichts, nichts!«
Wischnewskij war ebensowenig ein Befürworter des unabweisbaren Gehorsams vor der Obrigkeit, im Gegenteil, wie wir bereits oben zu zeigen Gelegenheit hatten, war er häufig und sogar fast in jedem Falle bereit, die ausführenden Organe der gesetzgeberischen Gewalt zu erniedrigen und zu beleidigen. Er war kein Demokrat, und er war erst recht kein Freund irgendwelcher Richtungen, die in unserem heutigen Sinne dem Volke irgendwelche Rechte einräumen wollen. Im Gegenteil, die so bescheidene und augenscheinlich so harmlose Institution der Wählbarkeit der Stadthäupter kam ihm furchtbar lächerlich vor, er wollte sie um nichts in der Welt »Häupter« nennen, sondern nannte sie durchaus anders. Mit einem Wort, Wischnewskij war nach der kurzen, aber treffenden Bezeichnung des Volksmundes ein »Pan von Natur halt, wie ein Auerochs aus dem Urwald«, das heißt, er war ein »Herr«, wie es sich gehörte, ganz so, wie ein Auerochs aus den Grodnoschen Urwäldern keineswegs mit einem gewöhnlichen Stier zu vergleichen ist, da er viel stärker als diese ist und viel mutiger. Und da er ein solcher Pan war, wahrte er eifersüchtig seine volle Würde und kannte sich gut in diesen Fragen aus. Obwohl er keine wirkliche Bildung genossen und keine der dazumal noch unbekannten politischen Abhandlungen, die nachmals von Leuten wie Tocqueville geschrieben wurden, kannte, begriff er die kosmopolitischen Strömungen des echten Aristokratismus nur zu gut, die allerdings genau so dem echten Demokratismus zu eigen sind, da das zusammenhaltende Prinzip bei beiden etwas ist, das die Neigung für den Nationalismus beiseite drängt. Wischnewskij liebte die Polen wenig, wenn aber die Rede auf irgendwelche »moskowitische« Adelsfamilien kam, schnitt er sogleich ironische Grimassen und pflegte sogar, wenn er eine Minute erhaschen konnte, in der Stepanida Wassiljewna das Zimmer verlassen hatte, zu sagen:
»Was das schon für ein Adel ist! Alle ihre Großväter und Großmütter haben noch Stockprügel bekommen.«
Von diesem Gesichtspunkt aus konnte Wischnewskij sich nicht genug tun, die Reinheit des polnischen Adels und sogar der livländischen Barone zu preisen, wäre es jedoch zwischen diesen und Rußland zu einem Kriege gekommen, er hätte es nicht ausgehalten und wäre losgezogen, sie zu »dreschen«, und zwar mit allergrößtem Eifer, denn wenn er sie auch insgeheim der Reinheit ihres »adligen Blutes« wegen beneidete, so konnte er sie doch andererseits ihres »Hundemutes« wegen nicht ausstehen, das heißt, ihres Hochmutes wegen und ihrer Anmaßung, die ihm widerwärtig waren, da er sich selber für sehr einfach und gradlinig hielt.
Wer hätte sich in all dem Wust, der im Schädel unseres Psychopathen aufgeschichtet lag, auskennen können? Allein wenn zufällig irgendeine Frage vor ihm auftauchte oder eine irgendwie ungewöhnliche Begebenheit, dann war der ganze psychopathische Unsinn mit einem Male verschwunden und Stepan Iwanowitsch zeigte eine erstaunliche, oder wenn man will, vielleicht ebenfalls psychopathische Findigkeit. In komplizierten und sogar gefahrdrohenden Fällen handelte er kühn und geschickt und hatte schon des öfteren Menschen, die in Schwierigkeiten und großer Not steckten, die sie fast zu erdrücken gedroht, mit Leichtigkeit, als spaße er nur, daraus hinausgeholfen.
Ein solcher Fall wird von den Offizieren eines Dragonerregimentes berichtet, das entweder in Pirjátin (Gouvernement Poltawa) stand oder in Bjeschézk (Gouvernement Twer).
Dieser merkwürdige Vorfall wird von den einen nach dem Twerschen verlegt, die andern jedoch nehmen die Ukraine hierfür in Anspruch; es ist schwer zu entscheiden, wer hier mehr Recht hat, zudem lohnt es sich wirklich nicht, sich hierüber den Kopf zu zerbrechen. Es ist ein Vorfall, der mit gleicher Wahrscheinlichkeit in einer beliebigen Stadt geschehen konnte, wenn man jedoch hierbei die Charakterzüge der beiden darin mitbeteiligten »Herrchen« in Betracht zieht, so scheint es nicht unangemessen, ihn in die Umwelt der kleinrussischen Schreiberzunft zu verlegen.
Im übrigen geht uns die genaue Ortsbestimmung wenig an, uns ist es nur um das allgemeine Bild der Ereignisse zu tun und um die Rolle, die unser psychopathischer Held darin spielte.