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Fünfzehntes Kapitel

Nachdem Pawlin meine Wohnung verlassen, begab er sich, von keinem bemerkt, zu seiner Frau. Ljuba erbebte, als sie ihren Mann sah: so gütig hatte sie ihn noch nie gesehen, und darum erschien er ihr besonders furchterregend.

Er zog sich hastig um und veranlaßte auch seine Frau, sich umzukleiden, darauf packte er alles, was er für notwendig hielt, zusammen und führte seine Frau aus Anna Lwownas Hause. Ljuba setzte sich nicht zur Wehr, sie begriff nur das eine, daß sie fortgeführt wurde. Pawlin und Ljuba erwarteten Dodja auf einer der hinter Petersburg liegenden Eisenbahnstationen. Ljuba zeigte sich nicht, Pawlin aber trat vor meinen Vetter, und zwar trat er nicht etwa im Zorn des beleidigten Ehemannes vor ihn, sondern mit der großen Sanftmut des Christen, der sich selber bezwungen, und redete ihn folgendermaßen an:

»Seien Sie gnädig und großmütig und sagen Sie mir, ob Sie meine Frau geliebt haben?«

»Gewiß: aber was willst du von mir?« erwiderte Dodja, der sich noch immer nicht davon entwöhnt hatte, sich höher zu dünken, als der vor ihm stehende Lakai.

»Ich will Ihnen gleich sagen, was ich von Ihnen will,« entgegnete der friedfertige Pawlin, »ich bitte Sie jedoch, mir zuvor auf eine Frage zu antworten: nämlich, ob Sie sie auch jetzt noch lieben?«

»Ja, ich liebe sie, und was weiter?«

»Dieses nur, nur dies eine, sie liebt Sie ja auch noch, liebt Sie sehr … und … und sie hats mir selber gesagt.«

»Hast du sie denn danach gefragt?«

»Ja, ich habe sie danach gefragt, und sie hat mir alles geradeheraus gestanden und hat geweint … Was soll man tun: vor Gott trage ich die Schuld an ihr!«

Dodja wollte seinen Ohren nicht trauen und begriff nicht, was das heißen sollte? Pawlin jedoch schritt unterdessen ins andere Zimmer, führte seine verwirrte Frau heraus und meinte:

»Da ist sie; sie ist nicht mehr meine Frau!«

»Wie?« rief Dodja, denn es wollte ihm nicht in den Kopf, womit das enden sollte.

»Und so laß ich sie denn nach dem göttlichen Gesetz frei … Und da sie Sie so sehr liebt und Ihnen zugetan ist, so nehmen Sie sie denn hin und heiraten Sie sie!«

»Bist du verrückt geworden?« Dodja kam nach und nach zur Besinnung: »Wie kann ich sie denn heiraten?«

»Warum nicht? Kommt es Ihnen vielleicht erniedrigend vor? … Keine Ursache dazu. Ich würde mich freilich hüten, ihr den Rat zu geben, Sie zu heiraten, denn ich weiß jetzt, was für ein Mensch Sie sind, und weiß, daß sie kein Glück mit Ihnen haben wird, aber sie weiß das ebensogut und hat dennoch in ihrem Herzen nur Sie – da ist also nichts zu machen … Es wäre besser für sie, in ein Kloster zu gehen, allein der Abgrund zieht sie noch zu mächtig an, mag es denn wenigstens ohne Schmach und Sünde geschehen; und darum also … heiraten Sie sie …«

»Aber Pawlin,« stammelte Dodja und versuchte, sich zu rechtfertigen, »das vorhin … das sagte ich nicht aus dem Grunde … sondern weil … du lebst ja noch …«

»Ja, ja, ich lebe noch; ich lebe noch, und Gott allein weiß, wie lange ichs noch machen werde, aber trotzdem werde ich selbst ihretwegen mir nichts antun. Gestern noch dachte ich an so etwas, aber …«

Bei diesen Worten schrie Ljuba auf und floh in eine dunkle Ecke, die Hände vors Gesicht pressend.

»Sehen Sie!« murmelte Pawlin mit einem kranken Lächeln. »Sie liebt mich nicht, und dennoch tue ich ihr leid, Ihnen aber scheint sie nicht im mindesten leid zu tun, und Sie werden von ihr geliebt … Wenn sie mich nur zum hundertsten Teil so lieben wollte, wie sie Sie liebt, so wollte ich sogar noch Verbannung als Paradies erachten … Doch es lohnt nicht, lange darüber zu reden! … es ist ja doch gleichviel: nehmen Sie sie jetzt zu sich und [reisen] Sie fort … und … und heiraten Sie sie … ich werde Sie beobachten und … und wenn Sie nicht tun sollten, was ich Ihnen sage, dann …« bei diesen Worten beugte er sich dicht zu Dodjas Ohr und fuhr fort: »zwingen Sie mich nicht, eine Sünde zu begehen, ich spreche jetzt friedfertig mit Ihnen und als Christ, in dem Falle aber müßte ich Sie töten, und zwar ihretwegen … der Schutzlosen … meiner Frau wegen …«

Offenbar sagte Pawlin diese Worte mit großer Entschiedenheit, oder aber war mein Vetter ein großer Feigling, kurz, ihm war plötzlich alle Lust vergangen, auf die Heirat mit Ljuba zu verzichten und er teilte Pawlin sein volles Einverständnis mit. Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, daß er, trotzdem er seine Zustimmung gab, im Kopf die feste Absicht hatte, es niemals zu tun, um so mehr, als er schließlich genügend Gründe zu der Annahme hatte, es würde sich ihm schließlich die Möglichkeit bieten, Pawlin zu entgehen. In diesem Zusammenhange sagte er dem alten Manne, daß es ihm allerdings zur Zeit noch nicht möglich sei, sich unverzüglich mit Ljuba zu verehelichen, denn die Frau eines Mannes, der noch am Leben sei, würde kein Priester mit einem anderen trauen. Pawlin entgegnete nur:

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen, das ist meine Sache: wenn es soweit ist, werde ich schon sterben, und dann wird man Sie mit ihr trauen.«

»Sterben wirst du?«

»Ja, sterben.«

»Er wird sterben und droht dennoch, mich zu töten,« dachte Dodja. »Armer Alter, wie diese einfachen Leute doch zuweilen lieben können! … Er tut mir sogar leid: er ist verrückt geworden.«


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