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Wenn Sie bei Bret Harte gelesen haben sollten, wie einst gewisse nicht eben sehr verständige Leute in der amerikanischen Wüste vor lauter Langeweile das lebhafteste Interesse an der Geburt des Kindes einer vollständig fremden Frau nahmen, so wird es Sie nicht besonders wundernehmen, daß wir Offiziere, wir Trunkenbolde und genau so liederliche Burschen unsere ganze Aufmerksamkeit nunmehr darauf richteten, was Gott wohl unserer jungen Frau Oberst für ein Kind schenken würde. Dieser Umstand hatte plötzlich in unseren Augen eine solche Wichtigkeit gewonnen, daß wir sogar den Beschluß faßten, die Ankunft des Neugeborenen besonders zu feiern, und unserem Hotelier zu diesem Zwecke befahlen, einen verstärkten Vorrat an Schaumweinen bereitzustellen, selber aber gruppierten wir uns zum Klang der Abendglocken um den Kartentisch, um eine »Schlacht zu schlagen«, oder, wie man damals sagte: »Uns zu Nutzen des Kaiserlichen Erziehungs-Heimes zu betätigen.«
Ich wiederhole, es war für uns nicht nur Beschäftigung, sondern auch Gewohnheit und Arbeit, und zudem das allerbeste Mittel, das wir kannten, die Langeweile zu überwinden. Und auch dieses Mal fing es ganz wie immer an. Die Rangältesten, die Rittmeister und die Stabsrittmeister, deren Schläfen nämlich und Schnurrbärte schon graumeliert waren, fingen an. Sie setzten sich genau in dem Augenblick zum Kartentisch als in der Stadt die Glocken zum Abendgottesdienst zu läuten begannen und die Stadtleute mit tiefen gegenseitigen Verbeugungen zur Kirche wanderten, um zu beten, denn der von mir geschilderte Vorfall fand am Freitag der sechsten Woche der großen Fasten statt.
Die Rittmeister betrachteten diese wackern Christen und schauten auch der Hebamme nach und wünschten darauf mit soldatischer Einfachheit einem jeden Erfolg und Glück, jedem das Seine, und ließen dann im großen Zimmer die Fensterjalousien aus grünem Kaliko herab, gaben den Befehl, die Kronleuchter anzuzünden und endlich ging es ans Kartenabziehen »nach rechts und nach links«.
Die Jugend machte noch einige Promenaden die Straßen entlang und zwinkerte, an den Kaufmannshäusern vorübergehend, den Kaufmannstöchtern zu und erschien schließlich, als die Schatten dichter wurden, ebenfalls unter dem Kronleuchter.
Wie gut kann ich mich noch an jenen Abend erinnern, sowohl an den diesseits, als auch an den jenseits der herabgelassenen Jalousien. Schön war es draußen. Ein lichter Märztag erlosch in purpurner Abendröte und alles, was in den Sonnenstrahlen aufgetaut war, begann wieder hart zu werden, – es war kühl und dennoch wehte es im Winde wie Frühlingsduft, hoch oben trällerten die Lerchen. Die Kirchen waren nur spärlich beleuchtet und aus ihnen schritten langsam und immer einzeln die Sünder hervor, denen ihre Sünden erlassen worden waren. Langsam und einzeln schritten sie dahin und sprachen mit keinem und verschwanden in ihren Häusern, immer noch im gleichen tiefen Schweigen. Ein jeder von ihnen hatte nur die einzige Sorge, sich durch nichts zerstreuen zu lassen, um den Frieden und die Ruhe, die in seiner Seele eingekehrt waren, nicht zu verlieren.
Mit einem Male brach die Stille über die ganze Stadt herein, die Stadt, die ohnehin niemals sehr geräuschvoll war. Die Pforten wurden geschlossen, hinter den Zäunen wurden die Hundeketten hörbar; die kleinen Schenken wurden zugesperrt und nur vor dem von uns besetzten Hotel hielten zwei »fixe« Droschkenkutscher, die noch immer nicht die Hoffnung verloren hatten, daß wir sie zu irgendwelchen Zwecken brauchen würden.
Um die gleiche Zeit lärmte ein großer Reiseschlitten, der von einem Dreigespann gezogen wurde, über den hartgefrorenen Fahrweg der großen Straße, und vor dem Gasthaus hielt ein fremder hochgewachsener Herr in einem Bärenpelz mit langen Ärmeln und fragte: »Habt ihr ein Zimmer für mich?«
Dieses geschah im gleichen Moment, als ich und noch zwei der jüngeren Offiziere uns dem Eingang des Hotels näherten, nachdem wir die Fensterchen, durch die sich uns gewohnheitsmäßig die uns unzugänglichen Kaufmannsfräulein zeigten, nach Gebühr inspiziert hatten.
Wir hörten also, daß der Angekommene nach einem Zimmer fragte, und hörten ferner, daß der älteste Zimmerkellner Marko, der zu ihm hinauskam, ihn Áwgust Matwéjewitsch nannte, ihm zu keiner glücklichen Rückkunft gratulierte und ihm schließlich entgegnete:
»Ich wage nicht, Awgust Matwejewitsch, Eurer Gnaden weiszumachen, daß kein Zimmer frei sei. Ein Zimmerchen wäre schon frei, aber ich fürchte nur, daß Sie, gnädiger Herr, damit nicht zufrieden sein werden?«
»Warum?« fragte der Angekommene, »ungesunde Luft oder Wanzen?«
»Nichts dergleichen, – Unreinlichkeit, Sie wissen es selber, kommt bei uns nicht vor: es ist nur das, daß bei uns jetzt viele Offiziere wohnen …«
»Na, und die machen Lärm, nicht wahr?«
»N … n … ja, Herr, Sie wissen ja – unverheiratete Leute, – sie gehen auf und ab und pfeifen … Ich sag es nur, damit Sie später nicht etwa böse werden, oder unzufrieden mit uns sind, denn wir können sie unmöglich zur Ruhe bringen.«
»Das fehlte auch noch – ihr werdet euch unterstehen, Offizieren zu befehlen, ruhig zu sein! Und was wäre denn nachher das ganze Leben wert … Aber ich denke, vor Müdigkeit wird es mir schon gelingen, zu übernachten.«
»Das stimmt, immerhin muß ich es Eurer Gnaden zuvor sagen, und jetzt ist alles in Ordnung. Und soll ich nun, wenn ich fragen darf, den Koffer und die Reisekissen nehmen?«
»Ja, Bruder, nimm sie nur, nimm sie. Ich bin ohne Unterbrechung von Moskau bis hierher gefahren und bin so schläfrig, daß ich vor keinem Lärm Angst habe, – mich kann niemand stören.«
Der Kellner führte den Gast in sein Zimmer, wir aber gingen unterdessen in das große Gemach des Schwadron-Rittmeisters, wo bereits gespielt wurde, und zwar nahm jetzt unsere ganze Gesellschaft am Spiel teil, mit Ausnahme des Cousins der Frau Oberst, Sascha, der über irgendein Unwohlsein klagte und weder trinken noch spielen wollte, sondern rastlos auf dem Korridor auf und ab schritt.
Der Bruder der Frau Oberst hatte sich uns angeschlossen, als wir die Besichtigung der Kaufmannstöchter vornahmen und nahm jetzt ebenfalls am Spiel teil, Sascha jedoch war nur auf einen Sprung ins Spielzimmer gekommen und verließ es sogleich, um wiederum auf und ab zu gehen.
Er verhielt sich so eigentümlich, daß wir auf ihn aufmerksam wurden. Wenn man ihn ansah, schien es in der Tat, als sei er ganz aus dem Häuschen, und als wäre er entweder krank oder traurig oder verstimmt, – sah man ihn aber schärfer an, dann konnte es wiederum scheinen, als sei alles in Ordnung. Und nur das eine war ihm gleich anzumerken, daß er mit seinen Gedanken weit weg war von allem, was ihn umgab und daß ihn etwas Fernes beschäftigte, etwas, das uns anderen fremd war. Wir spotteten ein wenig über ihn: »Hats dir am Ende die Hebamme angetan?« im übrigen jedoch schenkte keiner seinem Verhalten besondere Beachtung. Und in der Tat, er war ja noch ein sehr junger Mensch und noch nicht so ganz im wahren Zechen der Offiziere »aus neun Elementen« bestehend drin. Vermutlich hatten ihn die vorhergehenden Anstrengungen zu sehr mitgenommen und still gemacht. Zudem war das Zimmer, in welchem gespielt wurde, sehr vollgeraucht, und es war nicht verwunderlich, daß einem in der Atmosphäre der Kopf weh tun konnte; es mochte auch sein, daß Saschas Finanzen in Unordnung geraten waren, denn gerade in der letzten Zeit hatte er häufig hasardiert und nicht selten beträchtliche Summen verloren, und er war ein Bursche von festen Regeln und schämte sich, seine Eltern zu oft anzugehen.
Kurz, wir ließen diesen jungen Mann mit seinen leisen Schritten auf dem Tuchläufer des Korridors auf und ab marschieren und schlugen derweilen unsere Kartenschlacht und tranken und aßen und stritten und lärmten und vergaßen im Laufe der nächtlichen Stunden ganz jenes feierliche Ereignis, das sich im Hause des Kommandeurs vorbereitete. Und damit dieses Vergessen noch dichter würde, trat eine Stunde nach Mitternacht eine für uns alle neue und unverhoffte Begebenheit ein, deren Ursache eben jener fremde Reisende war, dem wir vorhin begegnet waren, als er, wie ich bereits erzählte, seinen Reiseschlitten verließ, um in unserem Gasthause zu übernachten.