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Elftes Kapitel

Ich glaube, ich brauche Ihnen wohl nicht erst lange zu sagen, wer schuld daran war, daß Ljuba sich hinreißen ließ? Es ist nicht schwer zu erraten, daß sie bei der allgemeinen Verführung rings Dodja zur Beute fallen mußte, denn diesem halfen ja zur Erreichung seines Zieles sogar die häuslichen Umstände. Ljuba verbrachte die Tage und Nächte unter dem gleichen Dach mit ihm, und gab sich zum Schlusse sozusagen wider ihren Willen der Leidenschaft hin. Sie bemerkte, daß er imstande gewesen wäre, sich an ihr zu rächen, indem er ihr die unendlich wertvolle Gunst Anna Lwownas entzogen hätte; sie sah, daß, wenn er ihretwegen mürrisch war oder mißgelaunt, es ihre Wohltäterin bekümmerte, – denn diese weinte dann und litt darunter … Ljuba wußte nicht, wie sie anders handeln sollte und trocknete die Tränen der alten Frau … Dodja war eigentlich ein recht dummer Junge: wenn er Geld hatte, verschwendete er es, und wenn er keines hatte, nahm er es gegen dreimal so hohe Wechsel auf, und fand dennoch keine Dame, die eingewilligt hätte, seine Favoritin zu werden. Ljuba schien ihm ausgezeichnet für diese Rolle zu passen und somit ausersah er sie hierfür und brachte sie endlich auch dazu. Und zwar wurde sie von Pawlin eigenhändig für den Abend hergerichtet (wie er mir späterhin in einer der jammervollsten Minuten seines Lebens erzählte).

Das Ganze spielte sich folgendermaßen ab: es war damals Winter und die Stadt war voll von Bällen und Maskenfesten – und Anna Lwowna faßte den Entschluß, der armen Ljuba ein kleines Vergnügen zu gönnen und sie auf einen Kostümball, der in einem der Klubs gegeben wurde, zu schicken. Pawlin wurde hiervon einen Monat zuvor in Kenntnis gesetzt und im Laufe dieses Monats gabs im Hause eine Unmenge zu tun, um das gewählte Kostüm fertig zu bringen. Alle beteiligten sich an diesem Geschäft, alle von Anna Lwowna an bis auf Pawlin, der diesmal entgegen seiner Gewohnheit unablässig von seinen Pflichten abgezogen wurde und mit kleinen Billetten bald in das eine, bald in das andere Magazin laufen mußte, um all die Kleinigkeiten zu holen, aus denen das zauberische Gewand Ljubas zusammengesetzt wurde. Die Ausführung des Kostümes, die gewisse künstlerische Erwägungen erforderte, überwachte jener Künstler, Dodjas Freund, der die netten Bleistiftporträts Ljubas hergestellt hatte. Es versteht sich von selbst, daß diese Vorbereitungen die jungen Leute noch enger zusammenführen mußten, ja, daß eine Art naher Freundschaft ihre Folge wurde, die Ljubas alten Mann, den Bedienten, noch mehr als zuvor aus ihrem Kopf verdrängen mußte. Endlich war das Kostüm fertig und paßte ausgezeichnet. Pawlin sah seine Frau, als sie in Begleitung einer Verwandten Anna Lwownas und umringt von ihren Kavalieren, unter denen sich auch Dodja und der Künstler befanden, die Treppe hinabschritt.

Ljubas Gewand stellte die Dämmerung dar: sie trug einen leichten ätherischen Chiton, der in sanften Rauchfarben gehalten war. Der untere Saum des breiten, in dichten Falten herabfallenden Gewandes war dunkel wie die Nacht, doch wich die Dunkelheit, je höher sie stieg, und ging endlich mit weichen Halbtönen in andere leichte und helle Farben über – vom Gürtel aufwärts wurden die Farben immer leichter und luftiger, so daß es fast den Eindruck machte, als schwebe Ljubas Gestalt, als schmelze sie hin wie eine Wolke. Inmitten dieses Schwebens und Schmelzens aber schimmerte Ljubas Köpfchen, das eine Lilie und eine rote Rose kränzten; ihre Schultern trugen von tausend Farben schillernde, fast durchsichtige Wachsflügel und in der Hand hielt sie einen goldenen Leuchter, der von blauem Vergißmeinnicht und dunkelrotem Mohn geschmückt war. Traum und Erwachen, müde Träumerei der Leidenschaft und ihr loderndes Aufflackern, – all das kam in Ljubas Kostüm auf eine hübsche Weise zum Ausdruck, – und in diesem Aufzuge setzte sie Pawlin in den Wagen, – allein nach vier Stunden hob er eine ganz andere aus dem Wagen … Ljuba sagte ihrem Manne kein Wort, als sie seiner ansichtig wurde, sie wollte auch das Brathuhn nicht berühren, das er ihr hergerichtet hatte und ebensowenig das Konfekt, sie riß ihr Gewand vom Leibe und warf sich mit dem Gesicht zur Wand aufs Bett und blieb in dieser Stellung regungslos den Rest der Nacht hindurch liegen und den ganzen folgenden Tag. Pawlin hütete ihren langen Schlaf, aber seine Sorge war umsonst: Ljuba schlief nicht – sie hatte anfangs lange geweint und lag nun mit gerötetem, erhitztem Gesicht und mit offenen trockenen Augen, die immer den gleichen Fleck anstarrten, still im Bett.

Jeder auch nur einigermaßen beobachtende Mensch hätte bei ihrem Anblick sogleich sagen können, daß ein großes Spiel über sie hinweggegangen sei, – und hätte recht gehabt. Ljuba hatte anfangs die Absicht, mit Pawlin hierüber zu sprechen, jedoch sie überlegte es sich späterhin anders, sie zog sich, als es Abend geworden war, an und ging zu Anna Lwowna, um sich über Dodja zu beklagen. Aber sie hatte sich die Klage so töricht im Kopf zurechtgelegt, daß sie auch von dieser Absicht ließ – und sich schließlich darauf beschränkte, sich über Dodja vor keinem anderen, als ihm selber zu beklagen, worauf die beiden den Frieden mit einem Kuß besiegelten. Und nun setzten sich die einmal begonnenen Fahrten und Maskenfeste fort. Wenn Pawlin spät abends in seinem Sessel eingenickt war, während er die verspäteten Bewohner des Hauses erwartete, oder wenn er sich ohne Kopfkissen ein wenig auf die harte, hinter den Säulen verborgene Pritsche zur Ruhe niedergelassen hatte, ahnte er da wohl, daß um diese Zeit seine junge Frau sich nicht etwa in Anna Lwownas Gesellschaft langweilte, sondern, daß sie im schwarzen Domino im Wirbel des Tanzes durch hellerleuchtete Maskensäle flog? dachte er wohl in den Stunden, da er erwachte und sich erhob und seiner Frau nach oben in die Wohnung der Generalin einen Gruß schickte, daß die gleiche zarte Ljuba um die gleiche Stunde mit einem von Nebeln des Champagners noch schweren Köpfchen in einem rasenden Dreigespann, dessen Glöckchen laut klingelten, saß und mit lechzenden Lippen in gierigen Zügen die frische Luft einatmete? …

Lange ging das unbemerkt so weiter. Die Umstände lagen so günstig, daß es schien, die Betrügerin brauche nichts zu fürchten. Die alte Generalin ging immer so früh in ihr Zimmer und verschloß die Türe, die zum kleinen Gebetraum, in welchem Ljuba auf einer mit weichen Teppichen gepolsterten Ottomane schlief, immer so fest, daß es wahrhaftig keine Mühe kostete, aufzustehen und die hübschen Kleider, die die Generalin in ihren Kleiderkästen aufbewahren ließ, anzuziehen. Entweder schlief Anna Lwowna so tief oder sie war so sehr mit ihren Abrechnungen beschäftigt, daß sie niemals auch nur das geringste hörte. Ja, noch mehr: sie war so vertrauensselig, daß sie niemals zu einem Hindernis für die beiden wurde, nach Belieben zu gehen oder zu kommen. Ljuba konnte, wenn sie in ihr Gebetzimmer heimkehrte, vor den dürftig erleuchteten strengen und dunklen Gesichtern auf den Familien-Heiligenbildern nach Herzenslust sich ausweinen. Aber weinte sie denn überhaupt über ihren Fall? Anfangs weinte sie ein klein wenig, um so mehr mußte sie späterhin weinen, als es zu Ende ging, zu Ende mit ihrem hellen Glänzen inmitten dieses einsaugenden Kreises, den schon so viele Schriftsteller aller Literaturen der kultivierten Länder der Welt mehr oder minder flüchtig berührten, der aber noch nirgends die volle und abschließende Schilderung fand, die uns mit der Physiologie des in ihm treibenden schicksalsvollen und unheimlich einsaugenden Lebensgang bekannt gemacht hätte. Zumal bei uns hat sich bisher keiner daran gemacht, diesen Kreis darzustellen, denn es gibt bei uns auch nicht ein einziges lebensvolles oder nur farbiges Bild von ihm.


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