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Elftes Kapitel

Kaum waren die Offiziere fortgegangen und somit der von ihnen verlassene Judenladen leer geworden, als auch sogleich die beiden »Gerichtsherrchen« unter dem Tisch hervorkrochen und sich, nachdem sie ihre vom langen Knien steif gewordenen Glieder in Ordnung gebracht, umschauten … Im Umkreis war alles still, in der Kammer und im Laden keine Seele, und die dicke Tabakwolke, die den Raum erfüllte, verschleierte selbst das verstümmelte Bild mit seinen ausgestochenen Augen und den vielen anderen Löchern und Verletzungen.

Zu ihrem Glück und zum Unglück für die Offiziere waren die Herrchen nüchtern, denn während jene am Tisch, von wo aus sie ihre Gabeln nach dem Porträt warfen, ihre Trunkenheit durch ständiges Trinken nur noch steigerten, waren die unter dem Tisch eingesperrten Heraklit und Demokrit immer nüchterner geworden, wozu die Furcht, die sie empfanden, ihr Teil beigetragen haben mag, aber auch die erzwungene Enthaltsamkeit war daran schuld und ferner das Verlangen nach Rache, das heftig in ihnen entbrannt war, und das in ihnen den prächtigen Plan groß werden ließ, wie sie ihre Beleidiger am besten bestrafen könnten.

Kurz entschlossen nahmen die Herrchen das verwundete Porträt von der Wand, liefen damit vor den Laden und machten Lärm.

»Guten Leute, herbei, herbei … Wer an Gott glaubt und die Älteren ehrt, der staune … Entsetzlich, daß Offiziere das Bild einer Person so verunehren konnten!«

Und weiß Gott von wo, – wie aus der Erde geschossen, erschienen auf dieses Geschrei hin die Hausleute, die sich während der Zeit über versteckt gehalten hatten, die Weiber vom Markt eilten herbei, die Judenkinder kreischten, – und die Geschichte nahm ihren Lauf.

Der jüdische Hauswirt, der mehr Angst als alle anderen gehabt hatte, nunmehr jedoch ungehaltener als alle über den Skandal war, stopfte sich die Daumen vor die Augen, wie es sonst nur der Rabbi tut, wenn er sie segnet, und schrie:

»Ich habe nichts gewußt und weiß auch jetzt nichts und weiß auch nicht, wer dieser große Militär-Pan ist, der dort gemalt ist … Gott soll ihm alles Gute schenken, mich aber … ich aber kann das Bild gar nicht brauchen … Ich schenk es euch: wer es will, kann es nehmen.«

Demokrit hingegen rief:

»Wir jedoch wissen … wer diese Person ist, und wir protestieren … Denkt nur, guten Leute, – keine Augen mehr, ausgestochen. Wir wollen das Bild zum Stadthaupt bringen.«

Und so schritt der Demokrit mit dem verwundeten Bild zum Hause des Stadthauptes, und Heraklit schritt an seiner Seite, die warme Sonne machte ihn wieder säuerlich und er begann aufs neue, zu weinen, so daß alle, die dem Zuge folgten, mit Anerkennung auf ihn hinwiesen und sprachen:

»Rein zum Verwundern, wieviel Gefühl!«

Inzwischen aber schliefen die Offiziere und schliefen und ahnten nicht, daß gegen sie protestiert worden war, und daß diese Sache ihnen noch viel Unannehmlichkeiten und noch viel zu schaffen machen würde.

Doch war auch noch so tief ihr Schlaf der Trunkenheit, noch viel unangenehmer war das Erwachen am nächsten Morgen.

Schon in der Frühe lief zu allen Zechkumpanen des von uns bereits beschriebenen Gelages eine Ordonnanz des schnurrbärtigen Majors oder Rittmeisters, der die Schwadron kommandierte, und der mithin am Orte der Tat die höchste Regimentsgewalt in seiner Person darstellte.

Zwar ist ein Rittmeister noch keine, Gott weiß wie hohe Obrigkeit, – fast das gleiche, wie alle die anderen, und er kann auch zuweilen genau wie alle die anderen hüpfen, – allein dennoch fuhr es den Offizieren in die Glieder.

Das Schlimmste bei der ganzen Sache war, daß die Köpfe ihnen immer noch brummten, und daß es ihnen durchaus nicht gelingen wollte, sich daran zu erinnern, was gestern in der Kammer neben dem Judenladen vorgefallen sein konnte … An dies und jenes konnte man sich freilich erinnern, und auch daran, daß kräftig gesoffen worden war, aber vieles wollte einfach nicht in den Kopf, und da waren außerdem beträchtliche Lücken in der Zeit, so als wäre die Zeit ab und zu ganz verschwunden gewesen. Die Juden, freilich, die Juden hatten sie verjagt, aber was war denn das schon, das war doch bereits mehrfach geschehen und sogar im Beisein des Rittmeisters. Jemand fortjagen ist doch kein Malheur, zumal wenn es Juden sind, ein Volk, das bereits die höchste Vorsehung dazu bestimmt hat, »verstreut« zu werden. Der Jude wird ihnen eben ein übriges aufkreiden, wird das als getrunken aufschreiben, was gar nicht getrunken worden ist und wird für das Zerbrochene oder Zerschlagene Ersatz verlangen, das gar nicht zerbrochen wurde, – allein, nun wenn schon, man wird es zahlen und alles wird bis zur nächsten Geschichte wieder in Ordnung sein. Und der Jude selber wird ihnen die erste Runde »zum Friedensschluß« ohne Zahlung präsentieren, und dann werden sie Lust auf eine zweite bekommen und seinen Handel aufs neue in Schwung bringen … Unmöglich, daß er, der Jude, mit ihnen Händel suchen wollte und der Anlaß war, daß sie so plötzlich in aller Herrgottsfrühe zum rangältesten Offizier befohlen wurden! … Oder vielleicht die Schreiberchen … Es scheint, daß einige Gerichtsschreiber zugegen gewesen waren … »Gerichtsherrchen« … Keine ernste Platte … wurden zu jener Zeit etwa wenige solcher Bürschlein von den Militärs gezaust! … Und waren sie vielleicht etwas Besseres wert, dieses Nesselgezücht, diese Schmiergeldnehmer? … Oder hatten sie am Ende einem von ihnen die Nase abgehauen, oder gar die Ohren? … Das wäre freilich schlimm – was abgehauen ist, flickt man nicht so leicht wieder an … Aber – Gott ist gnädig, – waren denn nicht schon schlimmere Dinge gut abgelaufen, – auch diese Sache würde sich erledigen lassen. Und wozu braucht denn ein Schreiber überhaupt eine Nase? – höchstens, um Tabak zu schnupfen und das Amtspapier damit zu beschmutzen … Schmiergeld ist ja kein Braten, das kann er auch ohne Nase riechen … Man wird zusammenlegen müssen und zahlen, aber wenn man sowas repartiert, dann geht es schon …


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