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Zwölftes Kapitel

Diese oder ähnliche Erwägungen gingen den Offizieren durch die Köpfe, als sie unverzagt zur Wohnung ihres ältesten Kameraden zogen und dreist den geräumigen aber niedrigen Saal in dem nach kleinrussischer Art gebauten Häuschen betraten; doch mußten sie schon dort bemerken, daß die Sache sehr unerfreulich aussah. Statt daß der Rittmeister sie kameradschaftlich in seinem gestreiften Hausrock, die Pfeife im Munde, empfing, war die Türe zu seinem Arbeitszimmer abgesperrt, – das bedeutete nichts anderes, als daß er warten wolle, bis alle eingetroffen, und dann erst herauskommen würde, um mit allen gemeinsam zu sprechen …

Dieses offizielle Verhalten verhieß nicht Gutes, und die versammelten Offiziere blickten einander an und dämpften sogleich ihre Stimmen bis zum Flüstertone; einer fragte den andern:

»Ja, was soll denn das heißen? … Was haben wir denn gestern angestellt?«

Einer hatte beim Gang über die Straße etwas von einem Porträt gehört …

»Porträt, Porträt … Ja, was denn für ein Porträt?!«

Keiner vermochte sich daran zu erinnern.

Gleichzeitig öffnete sich die Türe und aus dem Arbeitszimmer trat der Rittmeister heraus, er trug die Uniform mit Epauletten, den Schnurrbart hatte er stramm gebürstet, und begrüßte die Offiziere nicht erst, sondern begann sogleich seine Rede, und zwar mit den Worten, die Gogol sehr viel später seinen Skwosnik-Dmuchanowskij Skwosnik-Dmuchanowskij ist das Stadthaupt aus der bekannten Gogolschen Komödie: »Der Revisor«. (Anmerkung des Herausgebers.) sagen ließ.

»Ich bat Sie hierher, meine Herren, um Ihnen eine äußerst unangenehme Nachricht zu übermitteln: der bürgerlichen Obrigkeit ist eine Klage gegen Sie zugegangen, von deren Inhalt mir das Stadthaupt Kenntnis gegeben hat; ich muß Sie daher arretieren. Ich bitte um Ihre Degen und ersuche Sie, mir sogleich offenherzig erklären zu wollen, was Sie eigentlich gestern im Laden angerichtet haben?«

Die Offiziere legten ohne zu murren ihre Säbel ab und überreichten sie dem Schwadronchef, was jedoch die »offenherzigen Erklärungen« anbelangte, so entgegneten sie, daß sie froh wären, endlich selber zu erfahren, was sie eigentlich angestellt hätten, da sie sich an nichts erinnern könnten.

Der Rittmeister blickte noch finsterer und fuhr in noch rauherem Tone fort:

»Keine Scherze jetzt! ich spreche mit Ihnen dienstlich als der Rangälteste!«

»Wir spaßen ebenfalls nicht,« entgegnete einer der Angeschuldigten, »Weiß Gott, wir können uns an nichts erinnern.«

»Erinnern Sie sich!«

»Es war ein heißer Tag … wir traten unversehens in den Laden … wir tranken den kalten Wermutwein … dann stritten wir mit den Juden aus irgendeinem Grunde … aber es war keine schlimme Absicht dabei … Dort waren außerdem zwei Schreiber, die alles sehen konnten …«

»Da haben wir es ja … zwei Schreiber! Die sind es ja. Diese zwei Schreiber konnten in der Tat alles sehen und haben es auch gesehen, womit aber wollen Sie sich gegen die beiden rechtfertigen? Es ist eine Schande für unseren Stand!«

»Wieso denn rechtfertigen? … Könnten wir das nicht wenigstens erfahren?« warfen die Offiziere ein.

»Rechtfertigen müssen Sie sich wegen folgender Sache!« rief der Rittmeister und zog hierbei ein vierfach gefaltetes Papier aus der Tasche und las ihnen die vom Stadthaupt dringlich übermittelte Kopie der Meldung jener Gerichtsherrchen vor, in der geschrieben stand, wie die Herren Offiziere durch das Schleudern von Gabeln das Porträt verunstaltet, trotzdem die am Tatorte des Verbrechens anwesenden Gerichtsherrchen, »in ihrem Herzen Gottesfurcht und die Liebe zum Höchsten bewegend«, die ganze Zeit über auf den Knien lagen, und zwar mit solchem Eifer, daß sie an den betroffenen Stellen ihre derzeit einzigen Pluderhosen durchgescheuert und mithin aus diesem Grunde gegenwärtig verhindert wären ihre dienstlichen Pflichten zu versehen. Und daß sie daher gegen die von den Offizieren begangene Unzucht protestieren, für die Beschädigung der Hosen aber von den Beschuldigten zu ihren Gunsten je zwanzig Rubel in Assignaten zu erheben ersuchen.

Der Rittmeister las das Schreiben vor, pfiff darauf der Ordonnanz und befahl, das Porträt aus dem Schlafzimmer herzutragen; nun konnten die Offiziere die Spuren ihres gestrigen Zeitvertreibes beaugenscheinigen und wurden sehr still …

Der Rittmeister zog nunmehr seinen Uniformrock aus, setzte sich auf den Tisch und fuhr, die Hände hinter die gestickten Hosenträger steckend, mit veränderter Stimme fort:

»Die Sache steht nicht gut, meine Herren. Sie hat einen bösartigen Charakter angenommen, da man, weiß der Teufel was, hinzudichten kann … Diese erbärmlichen Kreaturen, Dreck, Kanzleiburschen mit dem Titel Amtsschreiber … unterstehen sich, gegen Offiziere aufzutreten … Ich sprach vorhin zu Ihnen als der Rangälteste, jetzt spreche ich als Kamerad … Man kann die Sache unmöglich ihren gewöhnlichen Gang gehen lassen, sondern muß versuchen, durch Schnelligkeit vorzubeugen und durch offenherzige militärische Aufrichtigkeit, wie es sich für anständige Menschen gehört … Ob es helfen wird oder nicht, gleichviel, es muß offen und ehrlich vorgegangen werden. Bitte, nehmen Sie Platz, stecken Sie Ihre Pfeifen an und lassen Sie uns überlegen. Meine Ansicht ist folgende: schlimm ist Dieberei, aber man kann nicht dran vorbei. Wir müssen uns den Umstand zunutze machen, daß die Post nach Perejaslaw gestern abgegangen ist, und daß die nächste erst nach drei Tagen abgeht. Das ist Ihr Glück. Ich habe Ihnen Ihre Säbel abgenommen, Sie aber müssen jetzt zwei aus Ihrer Zahl wählen, die zum Oberst reiten sollen und ihm alles auf Ehr und Gewissen zu beichten haben. Er ist ein guter Freund des Gouverneurs und kann helfen, wenn er will.«

Ein besserer Plan war nicht gut denkbar, und darum sprengten bereits eine Stunde darauf zwei Offiziere aus Pirjatin nach Perejaslaw; auf dem Wege dorthin lag jedoch das Gut Farbowanaja. Nach der Hitze und Schwüle der letzten Tage entlud sich urplötzlich ein Gewitter, ein Wolkenbruch stürzte herab, und aus den strömenden Wasserfluten tauchte vor den Offizieren plötzlich aus dem Felde wie eine große Blase ein ukrainischer Bauer auf.

»Wessen Glocken klingen da und in welcher Angelegenheit?«

Jene entgegneten:

»Wir sind Offiziere und reiten in eigener Angelegenheit.«

»In eigener Angelegenheit; dann kehren Sie also vielleicht bei unserem Pan Wischnewskij ein.«

Die Offiziere wollten eigentlich nicht recht, aber der Kleinrusse überzeugte sie:

»Das muß so sein … es ist so hergebracht.«

Also fügten sie sich, um das Gewitter und den Regen im Trockenen abzuwarten. Stepan Iwanowitsch empfing sie auf das freundlichste, – er ließ ihnen sogleich zu essen und zu trinken geben und fragte sie: »Was soll denn das, meine Herren, reiten Sie auf Befehl oder aus eigenem Antriebe bei solchem Wetter ins Weite?«

Die Offiziere erwiderten ihm, daß sie sowohl gezwungenermaßen, als auch aus eigenem Antriebe sich auf den Weg gemacht hätten.

»Und zwar? … Vielleicht kann ich Ihnen helfen, so daß Sie gar nicht erst weiter zu reiten brauchen?«

Aber die Offiziere seufzten nur und sagten:

»Ach nein, es ist eine so schlimme Sache, daß es höchstens helfen würde, wenn der Oberst den Gouverneur unseretwegen bitten wollte.«

»Nun, nun, was heißt denn schon der Gouverneur? Ich frage Sie nicht aus Neugier.«

Da erzählten die Offiziere es ihm.

Wischnewskij fuhr sich mit den gespreizten Fingern über den Scheitel, nieste und meinte darauf:

»Das ist doch keine Sache für den Gouverneur, und deswegen brauchen Sie doch nicht erst nach Perejaslaw zu reiten. Da kann Ihnen keiner helfen, wenn man die Sache nicht richtig deichselt.«

»Aber wie deichselt man sie denn richtig?«

»Ja, da werd ich wohl noch einmal niesen müssen.«

Und wieder strich Stepan Iwanowitsch mit den Fingern über seinen Scheitel, nieste und sprach darauf:

»Ich sehe schon, obwohl ihr Moskowiter seid und eigentlich uns belehren solltet, habt ihr das Ding falsch angefangen, und wenn ihr zu den Ältesten reitet, könntet ihr noch alles verderben. Durch eure Aufrichtigkeit werdet ihr nichts besser machen, sondern höchstens eurer Obrigkeit Verdruß bereiten, und darum arretiere ich euch bis morgen und habe das Recht, euch zu arretieren, denn ihr habt mir ja selber gestanden, daß ihr weggelaufen seid, und außerdem habt ihr keine Säbel bei euch. Ich bitte, sich in den Flügel zu begeben, dort ist alles für Sie bereit, schlafen Sie gut und morgen früh wird Ihre Sache richtig gedeichselt werden, und zwar so, wie es sich gehört.«


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