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Erstes Kapitel

Vor etwa zwanzig Jahren, als ich noch ein Schüler war und eines der Petersburger Gymnasien besuchte, wohnten wir, mein verstorbenes Mütterchen nämlich und ihre Schwester Olga Petrowna, meine Tante, im Hause einer meiner anderen Tanten väterlicherseits, die sehr reich war. Obwohl diese letztere heute nicht mehr am Leben ist, möchte ich ihren wirklichen Namen nicht bekanntgeben und will sie Anna Lwowna nennen. Ihr Haus steht auch noch heute auf dem gleichen Fleck, auf dem es damals stand, nur mit dem Unterschiede, daß es zu jener Zeit eines der größten Häuser in jener Straße war, gegenwärtig aber eher eines der kleinsten. Die riesenhafte Gebäude der Gegenwart haben es erdrückt – und niemand mehr macht andere auf das Haus aufmerksam, was zu jener Zeit, in der meine Geschichte beginnt, noch häufig zu geschehen pflegte.

Da ich meine Erzählung nicht mit Menschen, sondern mit einem Hause begann, muß ich wohl oder übel konsequent fortfahren und Ihnen erzählen, was das für ein Haus war; es war ein furchtbares Haus, und zwar war es in vieler Hinsicht furchtbar. Ein Steinhaus war es, drei Stock hoch und mit drei Höfen, einer hinter dem anderen, die rings von völlig gleichmäßigen, dreistöckigen Mietskasernen eingefaßt waren. Das Äußere des Hauses war düster und grau, es sah fast wie ein Gefängnis aus. Es machte einen niederdrückenden Eindruck. Das Haus hatte einen Teil der Mitgift gebildet, als meine Tante sich vor Jahren mit einem nicht sehr entfernten Verwandten verehelichte, einem vielversprechenden und damals noch glänzenden jungen Weltmann, der freilich seine Laufbahn damit beendete, daß er in ungewöhnlich kurzer Zeit sein eigenes geringes und das bedeutende Vermögen der Frau verpraßte und sich bereits anschickte, die Finger nach dem Rest der Mitgift, daß heißt, nach eben diesem Hause auszustrecken. Es gelang meiner Tante erst in Paris, diese Absicht ihres Mannes aufzudecken, die Gatten lebten zu jener Zeit dort und Anna Lwowna wiegte sich in der Hoffnung, ihre Schönheit sei so überaus groß, daß es ihr gelingen würde, die ganze Welt in Staunen zu versetzen – wenn sie nur nicht in den Augen eben dieser Welt immer wieder durch eine dieser Damen der Halbwelt verdunkelt worden wäre, mit der es nicht anging, den Kampf aufzunehmen, es wäre außerdem auch unmöglich gewesen, denn der Luxus dieser Dame war geradezu märchenhaft, er war so groß, daß sogar die solidesten Damen ein Interesse dafür zeigten, von woher wohl diese Kurtisane das alles nahm. Vermutlich interessierte sich auch Anna Lwowna, meine Tante, dafür, ihr Mann aber teilte ihr mit, daß dieses Zufallsgeschöpf seine beneidenswerte Lage der Freigebigkeit eines im indischen Feldzuge reich gewordenen Engländers verdanke; doch stellte sich nur zu bald heraus, daß das Unsinn war und daß der reiche Engländer kein anderer, als eben der Gatte meiner Tante war, der ihr Vermögen auf die unvorsichtigste Weise zugunsten dieses dunklen Sternes verschwendet hatte. Seine Leidenschaft hatte ihn soweit geführt, daß den beiden außer dem Hause in Petersburg, von dem ich spreche, nichts mehr geblieben war. Als meine Tante Anna Lwowna dies alles erfuhr, geriet sie außer sich: sie schluchzte lange, kam jedoch nach und nach wieder zu sich und nun zeigte sich ihre Charakterstärke, allerdings mit einer gehörigen Dosis von Hartherzigkeit gemischt: sie zog die Vollmacht, die sie ihrem Gatten erteilt hatte, offiziell zurück, und reiste, den Mann als Beute seiner Gläubiger in Paris zurücklassend, heim nach Rußland, wo sie sich in ihrem Hause niederließ. Das Haus brachte ihr einen hübschen Ertrag, so daß Tante mit dem Gelde nicht nur sorgenlos leben, sondern auch ihren Sohn Woldemar, oder Dódja, wie er daheim genannt wurde, anständig erziehen konnte. Ihrem Manne schickte sie nichts und sprach auch nie wieder von ihm: er kam dort mit der Zeit herunter und war schließlich irgendwo im Ausland verschwunden. Einige erzählten, er wäre im Schuldgefängnis gestorben, andere meinten, man hätte ihn in einer Spielhöhle gesehen, in der er als Croupier beschäftigt gewesen sei. Uns geht das alles hier nichts an. Zu jener Zeit, als ich Tante Anna Lwowna kennenlernte, war sie eine Frau von fünfundvierzig Jahren; von ihrer früheren ziemlich bedeutenden, wenn auch unsympathischen herben und trockenen Schönheit, die irgendwie den Frauen der russischen Beau-monde eigentümlich ist, hatten sich noch gewisse Spuren erhalten. Anna Lwowna wohnte in ihrem eigenen Hause und zwar bewohnte sie die Hälfte der prächtigen Beletage. Es war eine sehr geräumige Wohnung, die der Tante die Möglichkeit gab, zu leben, wie es sich für eine große und zudem für eine strenge und solide Dame schickte, als welche sie in den Augen der meisten hochgestellten Persönlichkeiten, die ihr Haus besuchten, galt. Sie hatte es gern, wenn man sie ihrer Lage wegen bemitleidete, und jammerte, wo immer es möglich war, über ihre Schutzlosigkeit und über die Beschränktheit der Mittel, die ihr, einer Witwe, zur Verfügung stünden, – doch erledigte sie daneben glanzvoll ihre Geschäfte. Dank ihren Verbindungen und ihrer Gewandtheit kostete sie zum Beispiel die Erziehung ihres Sohnes keinen Pfennig, außerdem gelang es ihr auf irgendeine Weise, eine sehr anständige Unterstützung »aus Ursache des beispiellosen Unglückes« zu erwirken, so daß sie die Einkünfte, die ihr Haus ihr brachte, zurücklegen konnte. Anna Lwowna war eine sehr berechnende Frau und war außerdem, offen gestanden, herzlos, was Sie, wie mir scheint, zum Teil schon daraus ersehen können, wie sie mit ihrem Manne umging, denn weder verzieh sie ihm je seine Verfehlung, noch kam sie ihm in seiner gedrückten Lage jemals auch nur mit einem Groschen zu Hilfe. Im Hause der Tante hatte ein jeder Furcht vor ihr: ich konnte das nur zu deutlich bemerken, denn da wir in einem der Seitenflügel wohnten, hatte ich genügend Gelegenheit, wahrzunehmen, wie die anderen Mieter sich zu ihr stellten. Die Tante hatte keinen Bevollmächtigten, denn sie verwaltete ihr Haus selber und war eine strenge und erbarmungslose Herrin. Sie hatte die Sitte eingeführt, daß alle Mieter für einen Monat im voraus zahlen mußten, wer sich auch nur um einen Tag hierbei verspätete, dem wurden augenblicks die Fenster ausgehängt – und nach weiteren zwei Tagen wurde der Mieter einfach hinausgeworfen. Begünstigungen oder gar Nachsicht gab es für keinen – und es machte auch keiner der Mieter je den geringsten Versuch, sie zu erlangen, denn ein jeder wußte, daß es vergebens war. So regierte die Tante: sie selber war für die Mieter niemals zu sehen und nie und unter keinen Umständen wurde jemals einer ihrer Mieter von ihr empfangen, – und dennoch traf einzig sie alle Anordnungen und prompt wurden diese ihre ungnädigen Befehle ausgeführt. Man erzählte, daß bei der Ausführung dieser Befehle noch niemals die geringste Milde gewaltet hatte. Sie klagte, daß die Vollstrecker ihres Willens viel zu untüchtig seien, und hatte schon oft gewechselt, bevor sie endlich denjenigen fand, der ihrer unbarmherzigen Härte vollauf zusagte. Dieser bemerkenswerte Mann war der Portier Pawlín Petrówitsch Pjewunów, oder kürzer Pawlin genannt. – Ich empfehle diesen Menschen Ihrer ganz besonderen Beachtung, denn ungeachtet seiner bescheidenen Stellung ist er der Held dieser von mir begonnenen Erzählung. Darum will ich zunächst ihn selber ein wenig genauer beschreiben und will erzählen, auf welche Weise wir das Vergnügen hatten, diese Antiquität in der bunten Livree kennenzulernen.


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