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Dreiunddreißigstes Kapitel

1

Als Mr. Mannie Silverhorn um zehn Uhr mit schwerem Kopf erwachte, fiel ihm ein, daß er geredet hatte, und aufgeregt untersuchte er die Morgenausgabe der Advocate-Times. Mit Entzücken sah er, daß sich keine Spur seiner Indiskretion darin fand.

Aber am nächsten Morgen erblickten Mr. Silverhorn und der Reverend Dr. Gantry fast im gleichen Augenblick auf der ersten Seite der Advocate-Times das Faksimile eines Dokuments, in welchem Emanuel Silverhorn, R.-A., die Erklärung abgab, wenn Dr. Gantry sich nicht ohne Gerichtsverfahren verständige, werde er wegen Entfremdung der Zuneigung von Mr. Oscar Dowler geklagt werden, dessen Frau, behauptete Dowler, von Dr. Gantry verbrecherisch mißbraucht worden sei.

2

Es war nicht so sehr das Geschrei der Zenither Reporter, die ihn von seinem eigenen Haus zu dem T. J. Riggs und aufs Land hinaus verfolgten – es waren nicht so sehr die Abrisse seiner Laufbahn und die Anspielungen auf seine an den Tag gebrachte Lasterhaftigkeit in allen Zenither Zeitungen, Morgen- und Abendblättern – es war nicht so sehr der Gedanke daran, daß er die Achtung seiner Gemeinde verloren hatte. Was ihn entsetzte, war die Tatsache, daß die Associated Press die Geschichte durch das ganze Land verbreitete, daß er Telegramme von Dr. Wilkie Bannister von der Yorkville-Methodistenkirche und dem Vorsitzenden des Schuschmu bekam, in welchen es hieß: Ist diese Geschichte wahr? Bis die Sache erledigt ist, müssen wir selbstverständlich jede Entscheidung vertagen.

3

Bei der zweiten Konferenz mit Mannie Silverhorn und Oscar Dowler war Hettie anwesend, außerdem Elmer und T. J. Rigg, der besonders liebenswürdig war.

Sie saßen an Mannies Bureautisch und hörten an, was Oscar zu Mannies Indiskretion zu sagen hatte.

»Also, erledigen wir die Sache!« schnarrte Rigg. »Sind wir bereit, Geschäft zu reden?«

»Ich bin's«, schnaubte Oscar. »Was ist? Krieg' ich die zehn Mille?«

Den aufgeregten Laufburschen zur Seite schiebend, kam ein großer Mann mit Plattfüßen in Mannies Büro.

»Hallo, Pete«, sagte Rigg zärtlich.

»Hallo, Pete«, sagte Mannie ängstlich.

»Wer zum Teufel sind Sie?« fragte Oscar Dowler.

»Aber – Oscar!« sagte Hettie.

»Alles so weit, Pete?« fragte T. J. Rigg. »Übrigens, Herrschaften, das ist Mr. Peter Reese vom Reese-Detektivbureau. Wissen Sie, Hettie, ich hab' mir gedacht, wenn Sie das gedreht haben, muß Ihre Vergangenheit interessant sein. Ist sie's, Pete?«

»Ach, nicht besonders; so ziemlich Durchschnitt«, sagte Mr. Peter Reese. »Also, Hettie, warum sind Sie am 12. Januar 1920 um Mitternacht von Seattle abgereist?«

»Das geht Sie nichts an!« schrie Hettie.

»Nichts, so? Na, Arthur L. F. Morrissey dort geht's sicher was an. Er würde gern was von Ihnen hören«, sagte Mr. Reese, »und Ihre jetzige Adresse wissen – und Ihren jetzigen Namen! Na, Hettie, wie ist es mit der Zeit, die Sie in New York wegen Ladendiebstählen abgesessen haben?«

»Gehen Sie –«

»Aber, Hettie, fluchen Sie doch nicht! Denken Sie dran, daß 'n Geistlicher da ist«, kicherte Mr. Rigg. »Haben Sie genug?«

»Ach ja, ich glaub' schon«, sagte Hettie müde. (Und in diesem Augenblick liebte Elmer sie wieder, wollte sie trösten.) »Hauen wir ab, Oscar.«

»Nein, ihr bleibt – bis ihr das da unterschrieben habt«, sagte Mr. Rigg. »Wenn ihr unterschreibt, kriegt ihr zweihundert Dollars, um aus der Stadt zu verschwinden – und zwar noch vor Morgen, sonst steh euch Gott bei! Wenn ihr nicht unterschreibt, gehen Sie zurück nach Seattle zum Verhör.«

»Schön«, sagte Hettie, und Mr. Rigg verlas seine Erklärung:

 

Ich erkläre hiermit freiwillig an Eides Statt, daß alle Anklagen gegen den Reverend Dr. Elmer Gantry, direkt oder indirekt durch mich und meinen Mann erhoben, falsch, sündhaft und völlig unbegründet sind. Ich war bei Dr. Gantry als Sekretärin angestellt. Seine Beziehungen zu mir waren immer die eines Gentlemans und christlichen Pastors. Ich verschwieg ihm sündhafterweise, daß ich mit einem Mann, der eine verbrecherische Vergangenheit hat, verheiratet bin.

Die Alkoholinteressenten, insbesondere gewisse Destillateure, die Dr. Gantry als einen der größten Feinde des Alkoholhandels schaden wollten, kamen zu mir und bezahlten mich, damit ich die Stellung Dr. Gantrys erschüttere, und in einem Augenblick, den zu bedauern ich nie aufhören werde, stimmte ich zu und veranlaßte meinen Mann, mir bei der Fälschung von Briefen zu helfen, welche vortäuschen sollten, von Dr. Gantry zu kommen.

Die Ursache für dieses mein Bekenntnis ist folgendes: Ich suchte Dr. Gantry auf, erzählte ihm, was ich vorhatte, und verlangte Geld von ihm, um meine Auftraggeber, die Alkoholinteressenten, zu verraten. Dr. Gantry sagte: »Schwester, es tut mir leid, daß Sie etwas so Schlechtes tun wollen, nicht um meinetwillen, denn es gehört zum Leben des Christen, jedes Kreuz zu tragen, aber um Ihrer Seele willen. Tun Sie, was Sie für das Beste halten, Schwester; bevor Sie aber weiter handeln, wollen Sie mit mir niederknien und beten?«

Als ich Dr. Gantry beten hörte, bereute ich plötzlich, ging heim und tippte mit eigenen Händen diese Erklärung, deren vollkommene Wahrheit ich beschwöre.

 

Als Hettie die Erklärung, und ihr Gatte eine Bestätigung unterzeichnet hatte, bemerkte Mannie Silverhorn: »Mir scheint, Sie haben 'n bißchen übertrieben, T. J. Das ist zu gut, um wahr zu sein. Aber, Sie haben sich wohl dabei gedacht, Hettie soll so dumm sein, daß sie in ihrem Bekenntnis zu dick aufträgt.«

»So hab ich mir's gedacht, Mannie.«

»Na, vielleicht haben Sie recht. Wenn Sie mir jetzt die zweihundert Dollars geben, werd' ich schauen, daß die Herrschaften heute abend aus der Stadt verschwinden, und vielleicht geb' ich ihnen auch was von den zweihundert.«

»Vielleicht!« sagte Mr. Rigg.

»Vielleicht!« sagte Mr. Silverhorn.

»Herrgott!« rief Elmer Gantry, und plötzlich vergoß er zu seiner Schande Tränen.

Das war Sonnabend vormittag.

4

Die Nachmittagsblätter brachten auf der ersten Seite Hetties Bekenntnis, verkündeten freudig Elmers Unschuld, erzählten von seinen Arbeiten für die Reinheit und griffen die Alkoholinteressenten an, die das arme, schwache, törichte Mädchen bestochen hatten, um Elmer zu vernichten.

Am Sonntag waren vor acht Uhr früh Telegramme von der Yorkville-Methodistenkirche und dem Schuschmu gekommen, welche Elmer noch unter Glückwünschen versicherten, sie hätten nie an seiner Unschuld gezweifelt, und ihm das Pastorat von Yorkville und die Stellung des ersten Sekretärs beim Schuschmu anboten.

5

Als die Zeitungen die ersten Angriffe gegen Elmer vom Stapel ließen, hatte Cleo wütend gesagt: »Oh, was für eine schlechte, schlechte Lüge – Liebster, du weißt, daß ich zu dir halten werde!« Aber seine Mutter hatte gegackert: »Also, Elmy, wieviel davon ist wahr? Es hängt mir schon 'n bißchen zum Hals heraus, was du immer wieder ausfrißt!«

Jetzt, als er mit ihnen beim Sonntagsfrühstück saß, zeigte er ihnen die Telegramme, und die beiden Frauen drängten sich aneinander, um sie zu lesen.

»Oh, mein Liebling, ich bin so froh und stolz!« rief Cleo; und Elmers Mutter – sie war eine alte Frau, gebeugt; sie sah sehr elend aus, als sie murmelte: »Oh, verzeih mir, mein Junge! Ich war genau so schlecht wie diese Person, die Dowler!«

6

Aber trotz alledem – würde seine Gemeinde ihm glauben? Wenn sie bei seinem Erscheinen höhnische Mienen ziehen sollten, war er ruiniert, verlor er doch noch das Yorkville-Pastorat und den Schuschmu. Er war also sehr aufgeregt in der Viertelstunde vor der Morgenandacht, schritt in seiner Kanzlei auf und ab und bemerkte durch das Fenster – das erstemal ohne Befriedigung daß Hunderte und Hunderte in den überfüllten Zuhörerraum zu kommen versuchten.

In seiner Kanzlei war es so still. Wie fehlte ihm Hettie!

Er kniete nieder. Er betete eigentlich nicht, er hatte ein unausgesprochenes Gefühl der Sehnsucht. Aber so viel war deutlich: »Ich hab' meine Lektion gelernt. Ich werd' nie wieder ein Mädel ansehen. Ich werde das Haupt aller moralischen Veranstaltungen im Land sein, nichts kann mich aufhalten, jetzt, wo ich den Schuschmu hab' aber ich will alles sein, was ich von anderen Leuten verlange! Nie wieder!«

Er stand an der Tür seines Arbeitszimmers, sah zu, wie der Chor zu der singenden Zuhörerschar hinausschritt. Es wurde ihm bewußt, wie er die Einzelheiten seiner Kirche lieben gelernt hatte; wie sie ihm fehlen würden, wenn seine Leute ihn jetzt im Stich lassen sollten: der Chor, die Kanzel, das Singen, die bewundernden Gesichter.

Es war so weit. Er konnte es nicht aufschieben. Er mußte ihnen entgegentreten.

Schwach wankte der Reverend Dr. Gantry durch die Tür ins Auditorium und gab sich zweitausendfünfhundert Fragezeichen preis.

Sie standen auf und jauchzten – jauchzten – jauchzten. Sie zeigten leuchtende Freundesmienen.

Ohne daß er vorher daran gedacht hätte, kniete Elmer auf der Tribüne nieder, streckte ihnen die Hände entgegen, schluchzte, und mit ihm knieten und schluchzten und beteten alle, während draußen vor der Glastür der Kirche Hunderte, welche die Menge drinnen knien sahen, auf den Kirchenstufen, auf dem Bürgersteig, den ganzen Block entlang, knieten.

»Oh, meine Freunde!« rief Elmer, »glaubt Ihr an meine Unschuld, an die Verruchtheit meiner Ankläger? Versichert mich dessen mit einem Hallelujah!«

Die Kirche donnerte in dem triumphierenden Hallelujah, und in heiligem Schweigen betete Elmer:

»O Herr, der Du Dich von Deinem mächtigen Thron herniedergeneigt und Deinen Diener vom Angriff der Söldlinge des Satans errettet hast! Wir danken Dir gar sehr, weil wir so an Deinem Werk, an Deinem allein, weiter arbeiten können! Nicht mit weniger, mit mehr Eifer werden wir äußerste Reinheit und ein Leben des Gebetes suchen und, frei von allen Versuchungen, frohlocken!«

Er machte eine Bewegung, um den Chor in sein Gebet einzuschließen, und sah zum erstenmal, daß eine neue Sängerin da war, ein Mädchen mit entzückenden Fesseln und munteren Augen, mit der er ganz entschieden näher bekannt werden müßte. Doch der Gedanke war so schnell, daß er sein Triumphgebet nicht unterbrach:

»Laß mich, o Herr, diesen Tag zählen als den Beginn eines neuen und eifrigeren Lebens, als den Beginn eines Kreuzzugs für vollständige Sittlichkeit und die Herrschaft der christlichen Kirche durch das ganze Land. O Herr, Dein Werk ist erst begonnen! Wir werden diese Vereinigten Staaten noch zu einer sittlichen Nation machen!«


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