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Gelegentlich seiner Erkundigungen nach geistlichen Verbündeten und Rivalen – was das gleiche war – erfuhr Elmer, daß zwei seiner Kollegen aus dem Mizpah-Seminar in Zenith stationiert seien.
Wallace Umstead, der Hilfslehrer und Turnplatzleiter in Mizpah, war jetzt Generalsekretär der Zenither Y.M.C.A.
»Das ist ein blöder Kerl. Wir können auf ihn verzichten«, meinte Elmer. »Stark, aber ohne Schliff und Bildung. Nein. Das ist falsch. Man gewinnt als Prediger 'ne Menge Publizität, wenn man in der Y. spricht, und kann die Burschen dazu kriegen, daß sie der Kirche beitreten.«
Er besuchte also Mr. Umstead, und das war ein herzliches und rührendes Zusammentreffen zweier Seminarkollegen, zweier starker Männer und mannhafter Christen.
Doch Elmer freute sich nicht, als er hörte, daß noch ein Kollege, Frank Shallard, in der Stadt sei. Verdrießlich erinnerte er sich: »Natürlich – der Kerl, der mich bevormundet hat, der herumgeschlichen ist, um mich zu bespitzeln, wie ich ihm in Schoenheim das Handwerk lernen geholfen hab'.«
Mit Vergnügen ließ er sich sagen, Frank stehe bei der zuverlässigeren und verständigeren Geistlichkeit Zeniths in Ungnade. Er war aus der Baptistenkirche ausgetreten; es hieß, daß er im Weltkrieg in pöbelhafter Art den gemeinen Soldaten gespielt hätte; und er war als Pastor an eine Kongregationalistenkirche in Zenith gegangen – nicht eine gottesfürchtige, reiche Kongregationistenkirche, wie die Dr. Prosper Edwards', sondern eine, die im Verdacht stand, ebenso schwankend, feige und irreleitend zu sein wie nur irgendeine Unitarianerkirche.
Es fiel Elmer ein, daß er Frank noch immer die hundert Dollars schuldig war, die er sich geborgt hatte, um zu seinen letzten Erfolgkursen nach Zenith fahren zu können. Er war wütend, als ihm das einfiel. Er konnte sie nicht zurückgeben, jetzt nicht, da er eben ein Automobil gekauft und nur zur Hälfte bezahlt hatte! Aber war es ungefährlich, sich diesen Narren Shallard zum Feind zu machen, der herumgehen, sich den Mund zerreißen und alle möglichen Geschichten erzählen könnte – die höchstens zur Hälfte wahr waren?
Er stöhnte unter Marterqualen, schrieb einen Scheck auf hundert Dollars aus – das war die Hälfte seines augenblicklichen Bankkontos – und schickte diesen Frank mit einem Brief, in dem er erklärte, er hätte seit Jahren gewünscht, dieses Geld zurückzugeben, hätte aber Franks Adresse verloren. Er würde auch bestimmt seinen lieben Kollegen besuchen, sobald seine Zeit es ihm erlaubte.
»Und das wird wohl so sechzehn Jahre nach dem jüngsten Gericht sein«, brummte er.
Alle Zärtlichkeit, alle heitere Rechtschaffenheit, alle mystischen Visionen Andrew Pengillys, jenes Dorfheiligen, waren nicht imstande gewesen zu bewirken, daß Frank, nachdem er sich zu dem zweifelnden Rabbiner und dem Unitarianergeistlichen in Eureka gesellt hatte, mit dem Dienst in der Baptistenkirche zufrieden blieb. Diese Liberalen bewiesen trefflich die Behauptung der baptistischen Fundamentalisten, daß jede Beschäftigung mit Biologie und Ethnologie den Verlust des Baptistenglaubens bedeute, weshalb auch die Ausbildung in den Staatsuniversitäten auf Algebra, Landwirtschaft und Bibelstudium beschränkt werden sollte.
Anfang 1917, als nur noch fraglich war, ob er aus der Baptistenkirche austreten oder hinausgeworfen werden sollte, wurde Frank von der Kriegstragödie gepackt – in seiner Unsicherheit von etwas, das nach Stärke aussah, gepackt – und er resignierte, trotz Bess' entsetzten Protesten; er schickte sie und die Kinder zu ihrem Vater zurück und ließ sich als gemeiner Soldat anwerben.
Feldvikar? Nein! Er wollte, zum erstenmal, normal und nicht isoliert sein.
Während des Kriegs wurde er als Schreiber in Garnison in Amerika behalten. Er war fleißig, flink, akkurat, gehorsam; er brachte es zum Sergeanten und lernte rauchen; er brachte getreu seinen Hauptmann nach Hause, sooft dieser betrunken war; und er las ein halbes Hundert Bände Wissenschaft.
Und die ganze Zeit verabscheute er es.
Er verabscheute die Schmach, mit anderen Männern zusammengepfercht, nicht mehr eine behagliche, würdevolle und befehlende Persönlichkeit zu sein, deren Idiosynkrasie für ihn selbst und für andere Leute wichtig war, sondern ein Zahnrad, auf dem brutal herumgehämmert wurde, sobald es irgendein Geräusch von Individualität von sich gab. Er verabscheute die scheinbare Planlosigkeit der ganzen Veranstaltung. Wenn dies ein Krieg zur Beendigung der Kriege sein sollte – aus den Reden seiner Kameraden oder seiner Offiziere konnte er nichts Derartiges entnehmen.
Aber er lernte es, in Gegenwart gewöhnlicher Menschen ungezwungen und gewöhnlich zu sein. Er lernte es sogar, das Fluchen nicht mehr zu hören. Er lernte es, an großen und starken Männern Gefallen zu finden, die lieber Tabak kauten als badeten und kein längeres Wort als »Teufel« kannten. Er merkte, daß er die Vorzüge dieser gewöhnlichen Leute so sehr liebte, daß er »etwas für sie tun« wollte – und als er verwirrt überlegte, konnte er keine andere Möglichkeit finden, »etwas für sie zu tun«, als weiter zu predigen.
Aber nicht unter den Baptisten mit ihren harten Köpfen.
Doch er konnte auch nicht ganz zu den Unitarianern übergehen. Er verehrte noch immer in Jesus von Nazareth den einzigen Weg zu Gerechtigkeit und Menschenliebe, und noch immer – für ihn war sogar wie in der Kindheit ein Zauber in den Geschichten von den Hirten, die in der Nacht Wache hielten, von der glorreichen Mutter neben dem Kind in der Wiege – noch immer hatte er das irrationale Gefühl, daß Jesus von mehr als menschlicher Geburt, wahrhaftiglich der Christus sei.
Es schien ihm, daß die Kongregationalisten die Freiesten unter den mehr oder weniger trinitarischen Konfessionen wären. Jede Kongregationalistenkirche gab sich selbst ihre Gesetze. Von den Baptisten nahm man dies an, aber sie waren von einer strengen Allgemeinanschauung regiert.
Nach dem Krieg sprach er mit dem Staatssuperintendenten der Kongregtionalistenkirchen Winnemacs. Frank wollte eine freie Kirche, und zwar eine arme Kirche, aber nicht eine, die aus Ängstlichkeit und Mangel arm war.
Es würde ihm eine Freude sein, sagte der Superintendent, ihn bei den Kongregationalisten zu begrüßen, und es sei gerade eine Herde frei, wie Frank sie wünsche: die Dorchesterkirche am Rande von Zenith. Die Pfarrkinder seien kleine Ladenbesitzer, Fabrikvorarbeiter, geschickte Arbeiter und Eisenbahner, außerdem etliche Musiklehrer und Versicherungsagenten. Sie seien sehr arm; und sie ständen im Ruf, wirklich der Wahrheit von der Kanzel bedürftig zu sein.
Als Elmer nach Zenith kam, war Frank seit zwei Jahren an der Dorchesterkirche nahezu glücklich.
Er fand, daß die Größeren unter seinen kongregationalistischen Mitpastoren – wie G. Prosper Edwards mit seiner plüschgefütterten Kathedrale in der Stadt – fast ebenso leicht wie die Baptisten entsetzt werden konnten, wenn man darauf anspielte, daß wir hinsichtlich der jungfräulichen Geburt nicht wirklich alles wüßten. Er fand, daß die würdigen Fleischer und Schnittwarenhändler seiner Gemeinde bei einer Verteidigung des bolschewistischen Rußlands nicht vor Freude strahlten. Er fand, daß er noch immer durchaus nicht sicher war, überhaupt etwas Gutes zu tun, abgesehen davon, daß er verschüchterten Leuten, die sich vor dem Höllenfeuer entsetzten und Angst davor hatten, allein zu gehen, das Narkotikum religiöser Hoffnung verabreichte.
Aber, einigermaßen frei zu sein, nach dem Leben in der Armee das warme Behagen eines Heims mit der guten Bess und den Kindern zu haben, das war eine Oase, und drei Jahre lang pausierte Frank in seinem Tappen nach Ehrlichkeit.
Noch mehr als Bess hielt die Freundschaft Dr. Philip McGarrys von der Arbor Methodistenkirche Frank im Dienst.
McGarry war drei oder vier Jahre jünger als Frank, aber in seiner trotzigen Fröhlichkeit wirkte er reifer. Frank hatte ihn bei der monatlichen Zusammenkunft des Predigerverbands kennen gelernt, sie hatten aneinander eine gewisse hochmütige Ehrlichkeit lieb gewonnen. McGarry ließ sich durch das, was die Biologie der Genesis antat, nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht durch einen Hinweis darauf, daß gewisse christliche Riten von Mithraskulten gestohlen seien, noch durch Freudianismus oder soziale Ketzereien, aber McGarry liebte die Kirche als kameradschaftliche Vereinigung von Menschen, die gleich hungrig sind nach etwas Schönerem als der täglichen Selbstsucht, und diese Liebe erstreckte er auch auf Frank.
Aber Frank ärgerte sich noch immer darüber, daß er als Pfarrer nicht für einen ganzen Mann gehalten wurde; daß sogar vernünftige Leute das Gefühl hatten, sie müßten mit ihm auf besondere Weise umgehen; daß er davon ausgeschlossen war, die wirklichen Gedanken und wirklichen Wünsche der gewöhnlichen Menschheit zu teilen.
Und als er Elmers Begrüßungsbrief bekam, stöhnte er: »Ach Gott, ob man mich wohl je auf eine Stufe mit einem Kerl wie Gantry stellt?«
Er meinte zu Bess, nach einer feurigen Aufzählung von Elmers hervorragenden Fähigkeiten zum Führertum im Geiste und in der Liebe: »Am liebsten würd' ich ihm den Scheck wieder zurückschicken.«
»Zeig ihn mal her«, sagte Bess und meinte, den Scheck in ihren Strumpf steckend, spöttisch: »Das bedeutet einen neuen Anzug für Michael, ein gutes Essen für dich und mich, einen neuen Lippenstift und Geld auf der Bank. Hurra! Ich bewundere dich, Reverend Shallard, ich bete dich an, ich hänge in aller christlichen Treue an dir, aber ich muß dir sagen, mein Junge, es würde dir nicht im geringsten schaden, wenn du etwas von Elmers schneller Technik im Hofmachen hättest!«