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Obgleich Mrs. Evans Riddle dem gemeinen, nicht übersinnlichen Auge lediglich als weiblicher Grobscamied erschien, wußten Mrs. Riddle und ihre Anhänger doch, sanft lächelnd, daß sie eine Ära instituiere, in der es mit Krankheit, Armut und Torheit für immer vorbei sein würde.
Sie war Besitzerin der Victoria-Gedankenkraft-Zentrale, New York, und nicht einmal in Los Angeles gab es ein wichtigeres Zentrum vorgekauter Philosophie und stiefmütterchenverbrämter Ethik. Sie unterhielt ein Magazin, das mit so unerhörten Gedanken wie »Die ganze Welt ist eine Straße, auf der wir nichts weiter als Weggenossen sind« angefüllt war. Am Sonntag hielt sie Morgen- und Abendandachten im Euterpesaal, in der siebenundachtzigsten Straße, und zwischen Augenblicken stillen Denkens boxte sie mit dem Unerklärlichen. Sie hatte Kurse für Konzentration, Erfolg, Liebe, Metaphysik, orientalische Mystik und die vierte Dimension.
Sie unterrichtete kleine, auserlesene Kreise in der Kunst, seinen Gatten zu hüten, die Sanskritphilosophie zu verstehen, ohne etwas von Sanskrit noch von Philosophie zu verstehen, und schlank zu werden, ohne auf Süßigkeiten zu verzichten. Sie heilte alle Krankheiten, die im medizinischen Lexikon standen, und noch dazu einige, die nicht drin standen; und in persönlichen Konsultationen, die halbe Stunde zehn Dollars, setzte sie unappetitlichen älteren Damen auseinander, wie sie in einem Fußballhelden Leidenschaft erwecken könnten.
Sie hatte ein Personal, zu dem auch ein richtiger Hindu-Swami gehörte – auf jeden Fall war er ein richtiger Hindu – aber sie suchte einen ersten Assistenten.
Der Reverend Elmer Gantry hatte als selbständiger Evangelist Schiffbruch erlitten.
Er hatte ebenso gelärmt und gedroht wie jeder Durchschnittsevangelist; er hatte ziemlich großen Versammlungen gegenüber erklärt, daß das Jüngste Gericht aller Wahrscheinlichkeit nach schon vor sechs Uhr früh stattfinden würde, und alle Anekdoten vom sterbenden Trunkenbold erzählt. Aber irgend etwas war falsch, er konnte die Sache nicht in Schuß bringen.
Sharon war bei ihm, sie leitete ihn, rüttelte ihn auf und schalt ihn aus, daß es fast nicht zu ertragen war. Manchmal verehrte er sie wie den Schatten eines toten Gottes; immer sehnte er sich als Mensch nach ihr, nach ihren Launen, ihrem elektrisierenden Zorn und ihrem übermäßigen Lachen. Auf der Kanzel kam er sich wie ein Betrüger vor, und in den Hotelzimmern verlangte es ihn schmerzvoll nach ihrer Stimme.
Was das Schlimmste war, überall erwartete man von ihm, er solle von ihrem »tapferen Tod für die Sache des Herrn« erzählen. Er hatte es reichlich über.
Mrs. Evans Riddle forderte ihn auf, bei ihr einzutreten.
Elmer hatte nichts gegen die sanfte Milch des Neudenkens einzuwenden. Aber nach Sharon war Mrs. Riddle zu viel verlangt. Sie rasierte sich regelmäßig, sie roch nach Zigarrenrauch, und trotzdem hatte sie eine wiehernde Neigung für warme männliche Aufmerksamkeiten.
Elmer mußte sich sein Brot verdienen, und er hatte zu viel von dem Gift der Rede geschluckt, um wieder ein einfacher Handelsreisender werden zu können. Nach der Unterredung mit Mrs. Riddle schauderte es ihn; er sagte ihr, sie würde eine Offenbarung für einen jungen Mann wie ihn sein; er hielt ihre Hand; er ging hinaus und wusch sich die Hand; und da er in dem großen braunen Sandsteinhaus, das ihr sowohl als Gedankenkraftzentrale wie als Wohnung diente, sein Quartier haben sollte, beschloß er, seine Tür immer versperrt zu halten.
Die Vorbereitung für seine Arbeiten war nicht allzu anstrengend. Er las sechs Nummern von Mrs. Riddles Magazin durch, und ebenso, wie er die Handelsausdrücke der Evangelisten gelernt hatte, lernte er die Gewerbekunde des Neudenkens: das kosmische Schwingungsgesetz; »Ich bejahe den Lebensgedanken«. Er arbeitete sich durch ein Kapitel des Buchs »Die Essenz der orientalischen Mystik, Okkultistik und Geheimlehre« und bewältigte sieben Seiten des »Bhagavadgita«; und so war er darauf vorbereitet, Jünger zu lehren, wie sie zu Liebe und Erfolg kommen sollten.
In der Praxis war es viel weniger seine Aufgabe, die himalayischen Höhen zu ersteigen, als Mrs. Evans Riddle zu gefallen. Sobald sie dahinter gekommen war, daß er wenig Lust hatte mit ihr bis nach Mitternacht aufzubleiben, verlangte sie mit einiger Schärfe von ihm, er solle neue Chelas heranschaffen – so nannte sie, nach dem »Kim«, zahlende Kunden.
Gelegentlich hielt er im Euterpesaal die Sonntagsmorgenandacht für Mrs. Riddle ab, wenn sie es müde war, Rheumatismus zu heilen, oder wenn sie unter Rheumatismus litt, und immer mußte er im Euterpesaal sein, um geistige Hilfe zu geben. Sie liebte es, sich ihren behaarten Arm streicheln zu lassen, kurz bevor sie zum Predigen hinaus ging; und das war eine nicht allzu schwere Aufgabe – gewöhnlich konnte er sich erholen, während sie draußen auf der Rednerbühne stand. Sie übergab ihm die persönlichen Konsultationen mit alten Jungfern, und es machte ihm Spaß, die scharfen Nasen zittern, die vertrockneten Münder beben zu sehen.
Aber die größte Aufmerksamkeit schenkte er den Erfolgkursen. Für jemand, der noch nie in seinem Leben mehr als Fünftausend in einem Jahr verdient hatte, war es begeisternd, Dutzenden von bewunderungsvollen geistig Zurückgebliebenen mit herausquellenden Augen zu erklären, wie sie Zehntausend, Fünfzigtausend – eine Million im Jahr verdienen könnten, und alles das durch die Wunderkraft der Suggestion, durch imponierende Persönlichkeit, durch den göttlichen Rhythmus, ja, durch nichts weiter, als durch das Befreien des inneren Eigenleuchtens.
Es war köstlich, es war eine Wonne für ihn, der nie einen gewaltigeren Titanen des Erfolgs vor Augen gehabt hatte als den Vorsitzenden eines Evangelistischen Ortsausschusses, einem Buchhalter, der dreißig Dollars in der Woche verdiente, auseinanderzusetzen, wie er zu Morgan ins Büro stapfen, ihn mit dem durchdringenden Blick des Eingeweihten fixieren und auf der Stelle Hunderttausend borgen sollte.
Aber immer sehnte er sich nach Sharon, mit einem Gefühl der Leere, das ebenso wirklich war, wie die Schwäche des Hungers und der Müdigkeit nach langem Gehen. Er sah seine Tage mit ihr als Abenteuer, fessellos, im Duft der frischen Luft. Er verabscheute sich selbst, daß er je einen Seitenblick getan hatte, und faßte den Entschluß, sein ganzes Leben im Zölibat zu verbringen.
In mancher Hinsicht zog er das Neudenken dem Normalprotestantismus voraus. Man konnte sicherer damit umgehen. Er war nie ganz sicher gewesen, ob nicht vielleicht doch etwas an den Lehren sei, die er als Evangelist gepredigt hatte. Vielleicht hatte Gott wirklich jedes Wort der Bibel diktiert. Vielleicht gab es wirklich eine Hölle mit brennendem Schwefel. Vielleicht umlauerte der Heilige Geist ihn wirklich und stattete dann Bericht ab. Aber von allen seinen Neugedanken wußte er voll gelassener Heiterkeit, daß sie reiner, unvermischter Unsinn seien. Niemand konnte seine Theorien leugnen, weil keine seiner Theorien einen Sinn hatte. Es kam gar nicht darauf an, was er sagte, solange er die Leute zum Zuhören zwang; und er hatte Freude an der Schwungkraft seiner Worte, wenn er seine Auditorien mit langen, gewundenen, saftigen Phrasen in Bann hielt, die ebenso schwunghaft und zusammenhanglos waren wie Parfümreklame.
Wie angenehm war es, an hellen Winternachmittagen in der Gold- und Samteleganz des Vortragssaals hübsche Frauen anzusehen und zu stöhnen: »Und, o meine Geliebten, könnt ihr nicht sehen, erblickt ihr nicht, haben eure erdgebundenen Augen nicht gewahrt das Supremat der Rajaheigenschaft, die jeder von uns, vermittels jener inneren Betrachtung, die das All und Höchste ist, so sehr auch der Schein sie verhüllen mag, erwerben kann, und himmelhoch weiter ausbauen zu erhabeneren besseren Sphären?«
Fast jedes Hinduwort war von Nutzen. Es scheint, daß die Hindus verborgene Kräfte haben, die sie befähigen, alles zu tun, was sie wollen, nur nicht, vielleicht, die Mohammedaner, die Pest und die Kobra loszuwerden. »Seelenatmen« war ebenfalls etwas Herrliches, worüber sich reden ließ, wenn er nichts zu sagen hatte; und man konnte ein Auditorium in Satin gekleideter Damen während der letzten Viertelstunde des Vortrags festhalten, indem man eifrig über »Konzentration« sprach.
Aber trotz allen diesen angenehmen Einzelheiten haßte er Mrs. Riddle und hegte den Verdacht, daß sie ihn beschwindelte. Er sollte, außer seinem kleinen Jahresgehalt von zweitausendfünfhundert Dollars einen Gewinnanteil bekommen. Es gab aber nie einen Gewinn, und wenn er andeutete, daß er gern ihre Bücher sehen würde – lediglich aus Bewunderung für die Schönheiten der Buchhaltung – vertröstete sie ihn.
Er ergriff also vernünftige Repressalien. Er zog aus ihrem Haus aus; er begann die Patienten, die zu persönlichen Konsultationen kamen, für sich zu nehmen und im Sprechzimmer seiner neuen Pension in Harlem zu empfangen. Und wenn sie bei seinen Meetings im Euterpesaal nicht anwesend war, brachte er von den Sammelgeldern nur so viel in die Victoria-Gedankenkraft-Zentrale zurück, wie ihm, nach eifrigem Beten, Meditieren und Rechnen auf einem Kuvert, angemessen erschien.
Das brachte die Bombe zum Platzen.
Mrs. Evans Riddle hatte ein bedauerlich argwöhnisches Wesen. Sie sorgte dafür, daß ein gezeichneter Zwanzig-Dollarschein in die Abendsammlung gelangte – ein Jahr, nachdem Elmer begonnen hatte, für die höheren Mächte zu arbeiten – und als er ihr das Sammelgeld ohne die zwanzig Dollars brachte, sagte sie, während ihr Swami heidnisch und unangenehm durch das Zimmer grinste, ganz laut:
»Gantry, Sie sind ein Dieb! Sie sind entlassen! Sie haben zwar einen Kontrakt, aber von mir aus können Sie klagen und zum Teufel gehen. Jackson!« Ein großer schwarzer Hausmeister erschien. »Schmeißen Sie den Gauner raus, ja?«
Er fühlte sich verstört, obdachlos und arm, doch er begann mit eigenen Erfolgkursen.
Es ging ihm ausgezeichnet mit dem Erfolg, abgesehen davon, daß er nicht genug zum Leben damit verdienen konnte.
Er hielt sich in jeder Stadt einen bis vier Monate auf. Er mietete den Tanzsaal des zweitbesten Hotels für Vorträge an drei Abenden in jeder Woche und inserierte in den Zeitungen, als ob er eine Zigarette oder Seifensorte wäre:
Seine Hörer waren Schullehrer, die Teestubenbesitzer werden, Kommis', die Verkaufsdirektoren, Geistliche, die Journalisten werden wollen, Journalisten, die Gütermakler, Gütermakler, die Bischöfe werden, und Witwen, die ohne Einbuße an Eleganz Geld verdienen wollten. Er hielt ihnen Vorträge in der allerschönsten Sprache, alle aus Mrs. Riddles Magazin.
Er hatte eine Anzahl von Phrasen – alle gestohlen – und diese ließ er in der Weise aller Religionen von seinen Schülern im Chor wiederholen. Einige dieser mächtigen Beschwörungen waren:
Ich kann sein, was immer ich will; ich richte meine geöffneten Augen auf mein Ich und besitze, was immer ich begehre.
Ich bin Gottes Kind, Gott hat alles Gute geschaffen, auch den Reichtum, und diesen will ich erben.
Ich bin energisch – ich bin äußerst energisch – ich fürchte keinen Menschen, sei es in Bureaux oder wo anders.
In mir ist eine Kraft, die dich meinen Wünschen unterwürfig macht.
Halte fest, o Unterbewußtsein, den Gedanken des Erfolgs.
Im göttlichen Buch der Werke ist mein Name mit goldenen Lettern geschrieben. Daher gehöre ich zum Adel der Welt, und jetzt, in diesem Augenblick, ergreife ich Besitz von meinem Reich.
Ich bin ein Teil des Weltgeistes, und deshalb beanspruche ich meine rechtmäßige Weltmacht für mich.
Täglich soll mein Unterbewußtsein mich auffordern, nicht mehr zufrieden zu sein und für andere zu arbeiten.
Sie alle waren gefaßt auf eine Million im Jahr, außer ihrem Lehrer, der auf den Bankrott gefaßt war.
Er hatte Schüler genug, aber die ständigen Unkosten waren enorm, und seine Schüler arm. Er mußte den Tanzsaal mieten, die Reklame bezahlen; er mußte prunkvoll auftreten, eine Zimmerflucht im Hotel bewohnen, saubere Wäsche und einen frischgebügelten Gehrock haben. Er saß in roten Plüschgemächern, in denen jeder Tag zwanzig Dollar kostete, und zerbrach sich den Kopf darüber, wo er sein Frühstück hernehmen sollte. Er war so entsetzt, daß er begann, sich selbst zu studieren.
Er faßte, mit der Energie der Angst, den Entschluß, allen Geliebten oder Teilhabern in Hinkunft treu zu sein, in seinen Gebeten und Predigten tatsächlich nichts zu sagen, was er nicht glaubte. Er wäre gern ins Mizpah-Seminar zurück, um sich die Vergebung des Dekans Trosper zu holen, zu promovieren und in den Dienst der Baptisten zurückzukehren – sei es auch im alleruninteressantesten Flecken. Aber zuerst mußte er genug Geld verdienen, um ein Jahr im Seminar bezahlen zu können.
Er hatte mit dem Manager des O'Hearn-Hauses in Zenith korrespondiert: einer Stadt mit vierhunderttausend Einwohnern im Staate Winnemac, hundert Meilen von Mizpah. Das war im Jahre 1913, als das Hotel Thornleigh noch nicht stand und Gil O'Hearn versuchte, mit seinem neuen gelben Ziegelgasthaus das fashionable Geschäft Zeniths dem berühmten, aber etwas heruntergekommenen Grand Hotel zu entreißen. Intellektuelle Tanzsaalvorträge bedeuten für die Smartheit eines Hotels fast ebensoviel wie ein hervorragender Cocktail-Mixer, und Mr. O'Hearn war von dem Prospekt des gelehrten und magnetischen Dr. Elmer Gantry gepackt worden.
Elmer konnte das O'Hearnsche Angebot, das ihm eine Garantie zusicherte, annehmen und seines täglichen Brots sicher sein, aber er brauchte Geld für ein oder zwei Wochen, bevor die Honorare hereinkommen würden.
Von wem konnte er borgen?
Hatte er nicht in den Nachrichten für Mizpah-Alumnen gelesen, daß Frank Shallard, der mit ihm in der Schoenheimer Landkirche gedient hatte, jetzt an einer Kirche in der Nähe von Zenith war?
Er fand die Notiz wieder und stellte fest, daß Frank in Eureka sei, einer Industriestadt mit vierzigtausend Einwohnern. Elmer hatte genug Geld, um bis Eureka zu kommen. Während der ganzen Fahrt dorthin wärmte er die Zuneigung auf, mit der man eines freigebigen und etwas weichen Bekannten gedenkt, wenn man Geld von ihm borgen will.