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Achtzehntes Kapitel

1

Der Reverend Elmer Gantry schrieb Briefe – er hatte keine Freunde, und alle Briefe betrafen Anfragen wegen seiner Erfolgkurse – an einem kleinen Eichenpult in der Halle des O'Hearnhotels in Zenith.

Seine Vorträge in Zenith waren nicht schlecht und nicht besonders gut gegangen. Er hatte genug verdient, um zu überlegen, ob er Frank Shallard die hundert Dollars zurückzahlen sollte, aber entschieden nicht genug, um es zu tun. Er war dieses unsicheren Geschäfts müde; fast war er bereit, wieder zu seinen Ackergeräten zurückzukehren. Aber er sah alles andere als mutlos aus, in seinem Gehrock, dem Eckenkragen und der getupften blauen Schleife.

An der anderen Seite des Pultes schrieb ein kleiner Mann mit ungeheurer Hakennase, fliehendem Kinn und kahlem Kopf. Er trug einen braunen Geschäftsanzug, dazu eine muntere grüne Kravatte, und hatte eine Hornbrille.

»Vizepräsident einer Bank, hat aber als Schullehrer angefangen«, war Elmers Urteil. Er spürte, daß der Mann ihn beobachtete. Vielleicht ein Hörer? Nein. Zu alt.

Elmer lehnte sich zurück, faltete die Hände, sah so priesterlich wie möglich drein, räusperte sich in gelehrtem Ton und lächelte strahlend.

Der Mann sah ihn weiter an, redete aber nicht.

»Schöner Morgen«, sagte Elmer.

»Ja. Reizend. An solchen Morgen zeigt die ganze Natur die göttliche Freude!«

»Mein Gott! Nichts zu machen für mich hier! Der ist Prediger oder Osteopath«, jammerte Elmer bei sich.

»Sind Sie – Sie sind Dr. Gantry, glaube ich.«

»Wieso, ja. Ich, äh, es tut mir leid, ich –«

»Ich bin der Bischof Toomis, vom Bezirk Zenith der Methodistenkirche. Ich hatte das große Vergnügen, gestern abend eine ihrer Ansprachen zu hören, Doktor Gantry.«

Elmer geriet in hysterische Aufregung.

Bischof Wesley R. Toomis! Schon seit Jahren hörte er von dem Bischof als einem der Riesen, einem der Kanzelredner, einem der tiefen Denker, begeisternden Sprecher und höheren Beamten der Methodistenkirche, Norden. Er hatte vor zehntausend in Ocean Grove gesprochen; er hatte in der Yalekapelle gepredigt; er war ein Erfolg in London gewesen. Elmer stand auf und legte los, mit einem Händedruck, der dem Bischof sehr weh tun mußte:

»Nanu, nanu, nanu, das ist ja ein ganz außerordentliches Vergnügen. Was für eine Freude! Sie sind also gekommen und haben mir zugehört! Na, ich wollte, ich hätte das gewußt. Ich hätt' Sie gebeten, auf der Tribüne Platz zu nehmen!«

Bischof Toomis war gleichfalls aufgestanden; er drückte Elmer in seinen Stuhl zurück, er selbst hockte da wie ein kleiner Habicht und sagte:

»Nein, nein, durchaus nicht, durchaus nicht. Ich war nur als demütiger Zuhörer gekommen. Ich darf wohl sagen, ich habe, durch den zufälligen Umstand, daß ich älter bin, mehr Erfahrung vom christlichen Leben und der christlichen Lehre als Sie, und ich kann nicht gerade behaupten, daß ich in jeder Hinsicht einer Meinung mit Ihnen war, aber doch, es war ein sehr beeindruckender Gedanke, das über die Notwendigkeit des Reichtums zur Fortführung der Arbeit der geschäftlichen Alltagswelt, wie wir sie jetzt haben, und über den Wert der Konzentration, im Schweigen sowohl wie in jenen glücklichen Augenblicken ausgeprägteren Gebets. Ja, ja. Ich bin unbedingt der Ansicht, daß wir unsere Methodistenpraxis um einige der großen Wahrheiten über die, leider, zu oft verborgenen und unterdrückten inneren göttlichen Kräfte vermehren sollten, die unbewußt jeder von uns besitzt, wie uns das Neudenken gelehrt hat, und daß wir die Kirche ganz entschieden nicht auf bereits erkannte Dogmen beschränken, sondern in ihrem Wachstum ermutigen sollten. Es ist ganz klar, daß wirklich hingebungsvolles Gebet und Konzentration höchst materiell sowohl physische Gesundheit wie finanziellen Erfolg zeitigen. Ja, ja. Es hat mich sehr interessiert, was Sie darüber zu sagen wußten, und – kurz und gut, ich spreche heute mittag beim Lunch der Handelskammer über ungefähr dieselben Dinge, und wenn Sie zufällig frei sein sollten, würde ich mich sehr freuen –«

Sie gingen, Elmer und Bischof Toomis, und Elmer fügte an die Bemerkungen des Bischofs einige Gedanken und die zärtlichsten Komplimente über Bischöfe im allgemeinen, Bischof Wesley R. Toomis im besonderen, über Kanzelberedsamkeit und die Schönheiten des Erfolgs. Alle fühlten sich sehr wohl, nur vielleicht die Mitglieder der Handelskammer nicht, und nach dem Lunch gingen Elmer und der Bischof zusammen weg.

»Du mein lieber Gott, es ist sehr schmeichelhaft für mich, daß Sie so viel von mir wissen! Ich bin schließlich nichts weiter als ein höchst demütiger Diener der Methodistenkirche – will sagen, des Herrn – und ich hätte mir nie gedacht, daß etwas von dem kleinen Lokalruf, den ich vielleicht genieße, in die Welt der Neudenker gedrungen sein könnte«, säuselte der Bischof.

»Ach, ich bin kein Neudenker. Ich, äh, ich halte nur zeitweilig diese Vorträge – als eine Art psychologisches Experiment, könnte man sagen. Ich bin ordinierter Baptistenprediger, und im Seminar wurden uns Ihre Predigten natürlich als Beispiele vorgehalten.«

»Ich fürchte, Sie schmeicheln mir, Doktor.«

»Gar keine Rede. Sie haben solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich – trotz meiner großen Verehrung für die Baptistenkirche – nach dem Lesen Ihrer Predigten das Gefühl hatte, daß in der Methodistenkirche mehr Schwung und Gewalt ist, und ich hab' manchmal dran gedacht, einen Methodistenführer wie Sie zu fragen, ob ich nicht in Ihren Dienst treten sollte.«

»Tatsächlich? Tatsächlich? Wir könnten Sie brauchen. Ach – würden Sie wohl morgen zum Abendessen zu uns kommen – ganz einfach auf einen Löffel Suppe?«

»Ich würde mich sehr geehrt fühlen, Bischof.«

Als Elmer allein in seinem Zimmer war, jubelte er: »Machen wir! Ich hab' den Schwindel satt. Muß in eine richtige große Maschinerie reinkommen wie bei den Methodisten – vielleicht werd' ich ganz unten anfangen müssen, dann werd' ich aber schnell hochkommen – selber Bischof sein in zehn Jahren – mit ihrem ganzen Zaster, den großen Kirchen, der großen Mitgliedschaft und dem allen zu meiner Unterstützung. Jawohl. O Herr, du hast mich geführt … Nein, ich mein's wirklich ehrlich … Keine Schweinereien mehr. Richtige Religion von jetzt an. Hurra! Ach, Bischof, du wirst schon sehen, wie ich dir um den Bart geh'!«

2

Das Bischofspalais. Im Hintergrund des langgestreckten Salons ein Alkoven mit Gratbögen und Fächermaßwerk – Überreste der Karthäuserkapelle. Eine erschütternde Kreuzigung von einem Schüler des El Greco, drohender, sturmgepeitschter Himmel hinter der hageren Gestalt des sterbenden Gottes. Geteilte Fenster, in denen noch die Wappen schon lange Staub gewordener strenger Bischöfe funkeln. Der Refektoriumstisch, eine kalte Fläche aus alter Eiche, rings herum harte mönchische Stühle. Und die Bibliothek – zu beiden Seiten des hohen Kamins erhaben leuchtende Reihen in Kalbsleder gebundener Weisheit, die jetzt so tot ist wie die Bischöfe.

Dieses Bild muß im Gedächtnis gehalten werden, weil es ein so schöner Gegensatz zur Wohnung des Reverend Dr. Wesley R. Toomis, Bischofs des Methodistenbezirks Zenith, ist.

Bischof Toomis' Wohnung lag draußen in dem Teil von Zenith, der Devon Woods heißt, in der Nähe des Zusammenflusses des Chaloosa und des Appleseed River, in jenem Viertel, das (im Jahre 1913, als Elmer Gantry es zum erstenmal sah, ganz neu) von nahezu erstklassigen Ärzten, Anwälten, Gütermaklern und Eisenwarengrossisten bevorzugt wurde. Es war ein plumpes, modernes Haus, ein Ziegelbau mit bunten imitierten Kacheln, viel Fachwerkimitation in den Giebeln und einer gedeckten Veranda mit Schaukelstühlen, die der bischöfliche, aber demokratische Dr. Toomis an Sommerabenden sehr schätzte.

Das Wohnzimmer hatte eingebaute Bücherregale hinter Bleiglas, eingebaute Sitzgelegenheiten mit dünnen braunen Kissen und einen ungeheuren elektrischen Kronleuchter mit Schirmen aus geripptem Glas in Rubinrot, Smaragdgrün und Wasserblau. Sehr viele Sessel waren da – Klubsessel, Lehnstühle, gerade Holzstühle mit Brandmalerei auf den Lehnen – und sehr viele Tische, so daß man sich durch das Zimmer winden mußte. Aber die Charakteristika des Zimmers waren der Kamin, die Bücher und die ausländischen Kuriositäten.

Der Kamin war eine geniale Sache. Er war basilikaähnlich aufgebaut aus bossierten grünen Steinblöcken. Zwischen den größeren Steinen waren rosa, braune und erdfarbene Kieselsteine eingesetzt, die der gute Bischof in der ganzen Welt aufgelesen hatte. Dieser Kieselstein, pflegte der Bischof zu zirpen, wenn er einen im Zimmer umherführte, stammte vom Jordanufer, dieser war ein Fragment aus der großen chinesischen Mauer, und jenen hatte er aus einem Garten in Florenz gestohlen. Sie waren aber keineswegs die einzigen Attraktionen des Kamins. Der Sims war aus Libanonzeder, original, eingefaßt mit Messingbändern von einem Schiff, das im Jahre 1902 im Schwarzen Meer untergegangen war – der Bischof hatte das Messing selbst 1904 in Rußland gekauft. Die Kaminböcke waren aus Pflugscharen gemacht, mit denen der Bischof selbst gearbeitet hatte, als er noch ein ungebildeter Bauernjunge auf den Maisfeldern von Illinois war und nichts von seinem kommenden Ruhm ahnte. Der Schürhaken war, versicherte er, eine richtige Walfischharpune, die er, erstaunlich billig, in Nantucket aufgegabelt hatte. Der rohe Griff war mit einer rosa Schleife geschmückt. Das war nicht das Werk des Bischofs, sondern seiner Frau. Er selbst, sagte er, er zöge die freie, rohe, heldische Stärke des nackten Holzes vor, aber Mrs. Toomis meinte, es brauchte noch eine Verzierung, etwas Freundliches –

In den derben Rauchfang des Kamins war eine glatte Marmorplatte eingelassen, auf der in kunstvollen, geschnörkelten und vergoldeten Buchstaben stand: »Die Tugend des Heims ist Friede, der Ruhm des Heims ist Frömmigkeit.«

Die Bücher waren, wie der Bischof sagte, »wert, überflogen zu werden«. Da waren natürlich die Methodistendisziplin und das Methodistengesangsbuch, beide hübsch in weiches blaues Kalbleder gebunden, mit Lederschließen; da war eine imposante Sammlung von Bibeln, darunter eine sehr alte, aus dem Jahre 1740, und eine illustrierte mit allen Hoffmann-Bildern und hundertsechzig anderen biblischen Szenen; und da waren die notwendigen Werke theologischer Gelehrsamkeit, die sich für einen Bischof geziemten – Moodys Predigten, Farrars »Leben Christi«, »Blumen und Tiere im heiligen Land« und »Auf seinen Spuren« von Charles Sheldon. Die geistlichen Bücher für den Alltagsgebrauch waren im Arbeitszimmer.

Aber der Bischof war ein Mann von Welt, und seine Bücher entsprachen seinen Neigungen. Er hatte einen vollständigen Dickens, einen vollständigen Walter Scott, Tennyson in einer Liebhaberausgabe, in glattem gemusterten Kalbleder mit polierten Goldecken, viele der besseren Werke von Macaulay und Ruskin und, für leichtere Augenblicke, Romane von Mrs. Humphry Ward, Winston Churchill und »der Elizabeth vom Deutschen Garten«. In Reisewerken und Tierbüchern feierte er Triumphe. Er hatte da nicht weniger als fünfzig Bände mit Titeln wie »Wie man Vögel studieren soll«, »Mit Büchse und Kamera durch Madagaskar«, »Mein Sommer in den Rockies«, »Meine Mission im finstersten Afrika«, »Stiefmütterchen für Gedanken« und »London vom Bus aus«.

Auch Geschichte und Volkswirtschaft hatte der Bischof nicht vernachlässigt: er besaß die »Vollständige Weltgeschichte: Illustriert« von Rev. Dr. Hockett in elf hübschen Bänden, ein antiquarisches Exemplar von Hadleys »Volkswirtschaft« und »Die Lösung der Kapital- und Arbeiterfrage – Brüderliche Liebe«.

Doch nicht so sehr der Kamin, noch die Bibliothek, sondern die Erinnerungen an Auslandsreisen waren es, die der Wohnung des Bischofs ein gewisses Etwas gaben, das sie über die meisten Häuser in Devon Woods erhob. Der Bischof und seine Frau liebten das Reisen. Sie hatten eine sechs Monate dauernde Inspektionsreise durch die Missionen Japans, Koreas, Chinas, Indiens, Borneos, Javas und der Philippinen gemacht, welcher der Bischof ein autoritatives Wissen über alle orientalischen Regierungen, Religionen, Psychologie, Handel und Hotels verdankte. Doch außerdem waren sie sechsmal im Sommer nach Europa gereist, und gewöhnlich mit den feineren und exklusiveren Gesellschaftstouren. Einmal hatten sie drei ganze Wochen damit verbracht, sich nur London anzusehen – mit Abstechern nach Oxford, Canterbury und Stratford – einmal hatten sie eine viertägige Wanderung in Tirol gemacht, und einmal hatten sie auf einem Kanaldampfer einen Mann kennen gelernt, der, wie ein Steward sagte, ein Lord war.

Das Wohnzimmer dampfte von diesen Abenteuern. Es waren nicht einmal so viele Kuriositäten da – der Bischof sagte, er halte nichts davon, eine Menge ausländischer Möbel und solcher Sachen zu besitzen, wo doch das Beste der Welt gerade hier in der Heimat gemacht werde – doch was Bilder anlangte – die Toomis' waren Freunde des Photographierens und hatten die ganze Welt in Schwarz-weiß nach Haus getragen.

Hier war der Himmelstempel in Peking, mit dem Bischof davor. Hier war die Große Pyramide, mit Mrs. Toomis davor. Hier war der Mailänder Dom, mit beiden davor – diese Aufnahme war für sie von einem italienischen Führer gemacht worden, einem gefälligen Herrn, der dem Bischof versichert hatte, er sei für die Prohibition.

3

In dieses Zimmer kam Elmer Gantry mit überwältigender Höflichkeit. Als wollte er sie küssen, beugte er sich über die Hand von Mrs. Toomis, die eine stattliche Dame voll bescheidener Lebhaftigkeit war und Augengläser trug; er murmelte: »Sie wissen ja gar nicht, was für ein Vorzug das für mich ist!«

Sie wurde rot und sah zum Bischof hinüber, als wollte sie sagen: »Das, mein Geliebter, ist ein feiner Mann.«

Er drückte voll Ehrfurcht dem Bischof die Hand und rief dröhnend: »Es ist ja so gut von Ihnen, einen heimatlosen Wanderer aufzunehmen!«

»Unsinn, Unsinn, Bruder. Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn Sie sich hier zu Hause fühlen! Bevor das Abendessen auf den Tisch kommt, wird es Ihnen vielleicht Spaß machen, ein oder zwei Bücher und Bilder anzusehen, und Sachen, die Mutter und ich auf unseren vielen Reisen gefunden haben, auf den Reisen, zu denen uns das Werk getrieben hat … Das wird Sie vielleicht interessieren. Es ist eine Photographie des Parlamentsgebäudes, oder Westminsters, wie es auch heißt, in London, England, das unserem Kapitol in Washington entspricht.«

»Ja, ja, was Sie nicht sagen!«

»Und hier ist noch ein Photo, das vielleicht einiges Interesse haben könnte. Es ist eine Szene, die nur sehr selten photographiert ist – ja, sie war so interessant, daß ich sie dem National Geographic Magazine eingeschickt habe, und obwohl sie es nicht brauchen konnten, wegen Platzmangel, hat mir einer der Herausgeber geschrieben – ich hab' den Brief noch irgendwo – und er war auch der Meinung, daß es ein ganz ungewöhnliches und interessantes Bild sei. Es ist direkt vor dem Sacré Coeur aufgenommen, der berühmten Kirche in Paris auf dem Berg von Montmartre, und wenn Sie es genau ansehen, werden Sie an dem merkwürdigen Licht erkennen, daß es unmittelbar vor Sonnenaufgang aufgenommen ist! Und doch sehen Sie, wie großartig es geworden ist! Die Dame, hier rechts, ist Mrs. Toomis. Ja, mein Bester, ein richtiger Hauch aus Paris!«

»Nanu, ja, das ist wirklich interessant! Paris, ah!«

»Aber, ach, Dr. Gantry, eine traurig lasterhafte Stadt! Ich spreche nicht von den Lastern der Franzosen selbst – das ist etwas, was sie mit ihrem eigenen Gewissen ausmachen müssen, obwohl ich selbstverständlich für die aktivste und ausgedehnteste Verbreitung unserer amerikanischen protestantischen Missionen dort bin, wie in allen anderen europäischen Ländern, die unter dem Übel und der Finsternis des Katholizismus leiden. Aber was mich betrübt, ist der Gedanke – und ich weiß, wovon ich spreche, ich habe selbst dieses bedauerliche Schauspiel gesehen – was Sie betrüben würde, Dr. Gantry, ist der Anblick prächtiger junger Amerikaner, die dorthin gehen und nicht aus den Predigten in Steinen profitieren, der Geschichte, die aus jenen historischen Bauten zu lesen ist, sondern sich zu einem Leben unbesonnener, rasender Lustbarkeiten, wenn nicht geradezu tatsächlicher Sittenlosigkeit verleiten lassen. Oh, das gibt einem zu denken, Dr. Gantry!«

»Ja, das muß es, ja. Übrigens, Bischof, nicht Dr. Gantry – Mr. Gantry – ganz einfach Reverend.«

»Aber ich dachte, Ihre Zirkulare –«

»Ach, das war ein Fehler von dem Mann, der sie für mich geschrieben hat. Ich hab' ihn ordentlich ins Gebet genommen!«

»Nun, nun, ich bewundere Sie, daß Sie darüber sprechen! Es ist nicht allzu leicht für uns arme schwache Sterbliche, auf Ehren und Titel zu verzichten, ob sie uns nun mit Recht oder mit Unrecht zugeschrieben werden. Na, ich bin überzeugt, daß es nur eine Frage der Zeit ist, wann Sie die Ehre haben werden, Doktor der Theologie zu sein, wenn ich ohne Unbescheidenheit so von einem Titel sprechen darf, den ich zufällig selbst besitze – ja, tatsächlich, wenn ein Mann Stärke mit Beredsamkeit, gefälliger Erscheinung und einem schönen, erstklassigen Wortschatz vereint, wie Sie, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann –«

»Wesley, Lieber, das Abendessen steht auf dem Tisch.«

»Ja, schön, meine Liebe. Die Damen, Dr. Gantry – Mr. Gantry – wie Sie schon bemerkt haben werden, scheinen die Damen die sonderbare Ansicht zu haben, daß ein Haushalt nach der Schablone geführt werden muß, und sie stehen nicht an, auch eine abstrakte Diskussion zu unterbrechen, um uns zum bereiteten Mahle zu bitten, sobald sie meinen, daß es an der Zeit sei, und ich für meine Person beeile mich zu gehorchen, und – Nach dem Abendessen haben wir dann noch einige Photographien, die Sie vielleicht interessieren, und ich möchte auch, daß Sie einen Blick auf meine Bücher werfen. Ich weiß, ein armer Bischof hat nicht das Recht, der Lust an materiellen Besitztümern zu frönen, aber ich bekenne mich eines Lasters schuldig – meiner unmäßigen Liebe zum Besitz literarischer Leckerbissen … Ja, Liebe, wir kommen sofort. Toujours la femme, Mr. Gantry! – immer die Damen! Übrigens, sind Sie verheiratet?«

»Noch nicht, Bischof!«

»Nun, nun, Sie müssen danach trachten. Ich sage Ihnen, im Dienst gibt es am unverehelichten Prediger immer viel, wenn auch oft ungerechte Kritik, die ihn sehr behindert. Ja, meine Liebe, wir kommen.«

In den zu Füllhörnern gefalteten Servietten waren Brötchen verborgen, und das Abendessen begann mit einem Frucht-Cocktail aus Orangen, Äpfeln und Büchsenananas.

»Ja«, sagte Elmer mit einer höflichen Verbeugung zu Mrs. Toomis, »ich sehe, ich bin in hoher Gesellschaft – es fängt mit einem Frucht-Cocktail an! Ich sage Ihnen, meinen Frucht-Cocktail vor dem Essen muß ich ganz einfach haben!«

Das wirkte großartig. Der Bischof wiederholte es unter erstickendem Lachen.

4

Elmer brachte es während des Essens zuwege, ihnen zu verstehen zu geben, daß er nicht nur theologischer Seminarmann sei, nicht nur die Psychologie, den orientalischen Okkultismus und die Methoden des Millionenverdienens gemeistert habe, sondern auch der Generalmanager der berühmten Miss Sharon Falconer gewesen sei.

Ob Bischof Toomis dachte: »Ich brauche diesen Mann – aus dem wird mal was – er würde mir nützlich sein«, ist nicht bekannt. Aber entschieden hörte er Elmer mit Eifer zu, plauderte mit ihm, und nach dem Abendessen, nachdem er ihm die Bibliothek und die Erinnerungen an ferne Wanderungen nicht länger als eine Stunde vorgeführt hatte, führte er ihn ins Arbeitszimmer, von Mrs. Toomis weg, die jede Viertelstunde mit ihren eigenen Erinnerungen unterbrochen hatte, den Erinnerungen an das Roastbeef bei Simpson, die Zimmerpreise am Bloomburry Square, an das Essen im französischen Speisewagen, die Geschwindigkeit französischer Droschken und die Aussicht vom Eiffelturm bei Sonnenuntergang.

Das Arbeitszimmer war weniger prächtig als das Wohnzimmer. Ein kleiner geschäftsmäßig aussehender Schreibtisch stand da, ein Diktaphon, ein Zettelkatalog mit den eventuellen Beitragsstiftern, ein Registraturschrank und die Schreibmaschine des Bischofs. Die Bücher waren rein praktisch: Crudens Konkordanz, Smiths Bibelwörterbuch, ein Atlas von Palästina und die drei erschienenen Bände der Predigten des Bischofs. Wenn er nicht ganz zehn Minuten lang in diese hineinsah, konnte er eine Ansprache für jede Gelegenheit fertig haben.

Der Bischof ließ sich in seinen herrlichen drehbaren Eichenschreibtischstuhl fallen, zeigte auf seine Schreibmaschine und seufzte: »Dieser fürchterliche Raum kann Ihnen verraten, wie sehr ich von praktischen Geschäften bedrängt bin. Am liebsten würde ich still an meiner geliebten Maschine dort sitzen und irgendein Werk reiner Schönheit produzieren, das ewig dauern könnte, während doch auch die wichtigsten zeitlichen Affären die Neigung haben, zu vergehen. Natürlich habe ich Leitartikel im Advocate, und dann sind meine Predigten veröffentlicht worden.«

Er sah Elmer scharf an.

»Ja, natürlich, Bischof, ich hab' sie gelesen!«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber wonach ich mich in all diesen Jahren gesehnt habe, das ist sündige weltliche literarische Arbeit. Ich habe mir immer eingebildet, vielleicht in vergeblicher Eitelkeit, daß ich Talent habe – Ich habe mich danach gesehnt, ein Buch zu schreiben, ja, einen Roman – Ich habe ein ziemlich interessantes Thema. Sehen Sie, dieser Bauernjunge, in Bedürftigkeit aufgewachsen, mit sehr wenig Bildungsmöglichkeiten, der kämpft hart um das bißchen Buchgelehrsamkeit, das er sich erwirbt; aber draußen, auf den grünen Feldern, auf Gottes reinen Wiesen, umgeben von den belaubten Bäumen, und bei Nacht von den Sternen droben, die süße, freie Luft der Weiden einatmend, wächst er zu einem starken, reinen und gottesfürchtigen jungen Mann heran, und natürlich, wenn er in die Stadt geht – ich habe daran gedacht, ihn in den geistlichen Stand eintreten zu lassen, aber ich möchte es nicht autobiographisch machen, deshalb lasse ich ihn einen kaufmännischen Beruf ergreifen, aber einen der mehr aufbauenden Zweige des großen Reiches des Geschäfts, sagen wir, so wie Bankwesen. Nun, er lernt die Tochter seines Chefs kennen – sie ist ein liebreizendes junges Weib, doch verführt von den mannigfaltigen Verführungen und Lustbarkeiten der Stadt, und ich möchte zeigen, wie sein Einfluß sie von den breiten Pfaden hinwegführt, die zum Verderben leiten, und was für wundervollen Einfluß er nicht nur auf sie, sondern auch auf andere im Jahrmarkt der Geschäfte ausübt. Ja, das ist meine Sehnsucht, doch – Da wir gerade hier sitzen, so ganz unter uns, hat man fast das Gefühl, als ob es angenehm wäre, zu rauchen – Rauchen Sie

»Nein, Gott sei Dank, Bischof, ich kann ehrlich sagen, daß ich seit Jahren weder den Geschmack von Alkohol noch von Nikotin gekostet habe.«

»Gott sei gelobt!«

»Wie ich noch jünger war, so bißchen, könnte man sagen, 'n Kraftmeier, wurde ich ab und zu in Versuchung geführt, aber der Einfluß von Schwester Falconer – oh, das war eine heilige Seele, wie eine Nonne – nur streng protestantisch, natürlich – der hat mich so emporgehoben, daß ich jetzt frei von allen derartigen Gelüsten bin.«

»Ich freue mich, das zu hören, Bruder, freue mich ganz ungemein, das zu hören … Nun, Gantry, gestern sagten Sie etwas davon, daß Sie daran gedacht hätten, zu den Methodisten zu kommen. Wie ernsthaft haben Sie sich mit diesem Gedanken beschäftigt?«

»Sehr.«

»Das wünsche ich auch. Ich meine – Natürlich sind weder Sie noch ich notwendig für den Fortschritt der großen Methodistenkirche, die von Tag zu Tag mehr die Bestimmung hat, unsere geliebte Nation zu unterrichten und zu führen. Aber ich meine – wenn ich einen prächtigen jungen Mann wie Sie kennen lerne, denke ich gern daran, was für geistige Befriedigung er in dieser Institution finden würde. Die Arbeit, mit der Sie sich im Augenblick beschäftigen, ist wohl ersprießlich für viele prächtige junge Leute, aber sie ist etwas Einzelnes – sie hat keine Dauer. Wenn Sie gehen, stirbt vieles von dem Guten, das Sie getan haben, weil keine Institution wie die lebendige Kirche da ist, um es fortzuführen. Sie müßten einer der großen Sekten angehören, und von diesen, fühle ich, trotz aller meiner Bewunderung für die Baptisten, ist die Methodistenkirche gewissermaßen das leuchtendste Vorbild. Sie ist so demokratisch und ganz und gar nicht vorurteilsvoll, und doch sehr mächtig. Sie ist die richtige Volkskirche.«

»Ja, ich glaube fast, Sie haben Recht, Bischof. Seitdem ich mit Ihnen gesprochen hab', hab' ich nachgedacht – Äh, wenn die Methodistenkirche mich aufnehmen wollte, was hätt' ich da zu tun? Würde es da viel Schreibereien geben?«

»Das wäre eine sehr einfache Sache. Da Sie bereits ordiniert sind, könnte ich Sie von der Bezirksversammlung, die im nächsten Monat in Sparta zusammentritt, der Jahresversammlung zur Aufnahme empfehlen lassen. Ich bin überzeugt, wenn die Jahresversammlung im nächsten Frühjahr stattfindet, in nicht ganz einem Jahr von jetzt, könnte ich mit Ihren Zeugnissen von Terwillinger und Mizpah Ihre Annahme durch die Versammlung erreichen und die Anerkennung Ihrer Weihe durchsetzen. Bis dahin kann ich erreichen, daß Sie als Prediger auf Probe akzeptiert werden. Und ich habe gerade jetzt eine Kirche, in Banjo Crossing, die eben solcher Führerschaft bedarf wie der Ihren. Banjo hat nur neunhundert Einwohner, aber Sie werden begreifen, daß es notwendig für Sie sein würde, von unten zu beginnen. Die Brüder würden mit Recht sehr eifersüchtig sein, wenn ich Ihnen gleich zuallererst eine erstklassige Stellung gäbe. Aber ich bin sicher, daß Sie schnell vorwärtskommen könnten. Ja, wir müssen Sie in der Kirche haben. Groß ist die Arbeit für die Geweihten des Herrn – und ich möchte jede Wette eingehen, daß ich Sie noch selbst als Bischof sehen werde!«

5

Als Elmer wieder in seinem Hotel war, klagte er, er könne unmöglich zu einer Landstraßensiedlung mit neunhundert Leuten herabsinken, mit einem Gehalt von vielleicht elfhundert Dollars; unmöglich nach dem großen Zelt und den zahlreichen Scharen Sharons, unmöglich nach den Zimmerfluchten und Gehröcken, nachdem er in Tanzsälen für Frauen von Börseanern der Dr. Gantry gewesen war.

Aber so konnte er auch nicht weiter. Im Neudenker-Geschäft würde er nie hoch kommen. Er gestand sich ein, daß er nicht den richtigen schöpferischen Geist habe. Er konnte sich nie zu solcher Originalität aufschwingen wie, zum Beispiel, Mrs. Riddles humoristisches Orakel: »Habt keine Angst davor, Leute zu verdrehen, weil die meisten ohne dies auf dem Kopf stehen und Ihr sie nur wieder auf die Füße stellt.«

Glücklicherweise war es, abgesehen von einigen wenigen eleganten Kirchen, nicht notwendig, irgend etwas Originelles zu sagen, um bei den Baptisten oder den Methodisten Erfolg zu haben.

In einem regulären Pastorat würde er glücklich sein. Er gehörte seinem Beruf. Wie ein Schauspieler Freude an Schminke, Plakaten und Dekorationen hat, so liebte Elmer die Einzelheiten seines Berufs – Gesangbücher, Abendmahlsandachten, Chorproben; er beobachtete gern die Fortschritte der Frauenhilfe; es machte ihm Freude, aus den Mysterien hinter der Bühne, die dem Auditorium so unbekannt und rätselhaft sind, nach vorne in das Licht der wartenden Gemeinde zu kommen.

Und seine Mutter – Er hatte sie seit zwei Jahren nicht gesehen, aber er sehnte sich noch immer danach, sie zu trösten, und wußte, daß sie über seine Neudenker-Harlekinade ganz einfach entsetzt war.

Aber – neunhundert Einwohner!

Vierzehn Tage hielt er es aus; er verlangte eine größere Kirche von Bischof Toomis; er brachte alle kleinen Zeitungsausschnitte über seine Reden in Gesellschaft Sharons.

Dann hatten die Vorträge in Zenith geendet, und er sah nur höchst theoretische Möglichkeiten vor sich.

Bischof Toomis war bekümmert: »Ich bin enttäuscht, Bruder, daß Sie mehr an die Größe der Herde denken als an die großen, grrrrroßen Möglichkeiten zum Guten, die vor Ihnen liegen!«

Elmer setzte seine rotbäckigste, wackerste, knabenhafteste Miene auf. »O nein Bischof, Sie verstehen mich nicht, wirklich! Ich wollte nur die Möglichkeit haben, meine Übung dort zur Verfügung zu stellen, wo sie den größten Wert haben könnte. Aber ich brenne darauf, mich von Ihnen führen zu lassen!«

Zwei Monate später war Elmer im Zug nach Banjo Crossing, als Pastor der Methodistenkirche in jenem lieblichen Dörfchen im Schatten der Ahornbäume.


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