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Elmer erreichte vor Gericht die Schuldigsprechung von sechzehn der siebenundzwanzig Unholde, die er verhaftet hatte, und sechs Monate extra für Oscar Hochlauf wegen Widerstands gegen die Verhaftung und Führung von Schmäh- und Lästerreden. Der Richter pries ihn; der Bürgermeister vergab ihm; der Polizeipräsident drückte ihm die Hand und lud ihn dazu ein, sich jederzeit eines Zuges Polizei zu bedienen; und einige von den jüngeren Reportern hielten sich nicht den Mund mit der Hand zu.
Das Laster hatte in Zenith ein Ende gefunden. Es dauerte dreißig Tage, bis die erste der munteren Damen wirklich wieder an der Arbeit war – obwohl die chevaleresken Kerkermeister im Arbeitshaus einige von ihnen gelegentlich auf eine Nacht hinausließen.
Jeden Sonntagabend wurden jetzt Leute von Elmers Kirchentür weggeschickt. Wenn sie auch nicht immer eine Predigt über das Laster bekamen, so hatten sie wenigstens ihre Freude an den Saxophonsolos und am Singen von: »Heut abend wird's in der Altstadt hoch hergehen.« Und einmal wurden sie durch einen professionellen Taschenspieler unterhalten; dieser trug (es war Elmers eigene Idee) ein Plakat, das verkündete, daß er »Gottes Wort« vorstelle, und zeigte ihnen, wie leicht es sei, Gewichte aufzuheben, die symbolische Inschriften trugen: »Sünde«, »Kummer«, »Unwissenheit« und »Papismus«. Die Kuratoren berieten über den Bau einer neuen, viel größeren Kirche – ein Projekt, mit dessen Vorbereitung Elmer schon vor einem Jahr begonnen hatte, indem er den Kuratoren vor Augen hielt, wie viele neue, elegante Miethäuser an die Stelle der verwahrlosten Wohnhäuser träten.
Die Kuratoren erhöhten sein Gehalt auf fünftausend Dollars und vergrößerten das Budget für Stiftungsarbeit. Elmer richtete nicht so viel Clubs für Studenten der Chiropraktik und der Filmdarstellerkunst wie Dr. Otto Hickenlooper von der Zentral-Methodisten ein, aber es gab kaum eine Stunde von neun Uhr morgens bis zehn Uhr abends, zu der nicht irgendein Zirkel sich bemühte, für irgend jemand Gutes zu tun … und sogar nach zehn Uhr waren oft Elmer und Lulu Bains Naylor da und berieten über die Kochkurse.
Elmer hatte die Gefahren seiner Kreuzfahrerpublizität und seiner Munteren Sonntagabende vorausgesehen – die Gefahr, für einen Clown, und nicht für einen großen moralischen Führer gehalten zu werden.
»Ich muß mir was ausdenken, wobei ich meine Würde bewahre und die Leute doch an der Strippe behalt'!« überlegte er. »Ich muß eben andere Leute den ganzen Blödsinn machen lassen, aber ich, ich muß oben bleiben und darf nicht so viel lachen wie bisher. Und gerade, wenn die armseligen Hammel glauben, daß mein Sonntagabend nichts weiter als 'ne lustige Revue ist, werd ich ihnen plötzlich 'ne richtige alte Höllenfeuer- und Verdammnispredigt zu fressen geben, oder poetisch sein oder so Zeugs.«
Es wirkte so ziemlich. Obgleich viele seiner Predigerrivalen ihn weiterhin »Clown«, »Charlatan« und »Sensationshascher« nannten, mußten sie alle seine erhabene Seele und seine gewichtige Gelehrsamkeit anerkennen, sobald sie einmal gesehen hatten, wie er in stillem Gebet erstarrt dastand, dann seinen langen Zeigefinger ausstreckte und intonierte:
»Ihr habt jetzt gelacht. Ihr habt gesungen. Ihr seid fröhlich gewesen. Aber was zu sehen, seid ihr hierhergekommen? Bloß Lachen? Ich möchte jetzt, daß ihr einen Augenblick innehaltet und daran denkt, wie lang es her ist, daß ihr die Betrachtung angestellt habt, daß jede Nacht der Tod eure Seelen von euch fordern kann, und daß ihr dann, Lachen oder nicht Lachen, wenn ihr nicht den Frieden Gottes gefunden, wenn ihr nicht Christum Jesum zu eurem Heiland genommen habt, ohne Möglichkeit zur Reue in der letzten Minute, in entsetzliche, heulende, grauenhafte, ewige Qualen gestürzt werden könnt!«
Elmer war eine so hervorragende Persönlichkeit geworden, daß der Rotary Club ihn voll Eifer unter seine Mitglieder aufnahm.
Der Rotary Club war ein Verein von Bücherrevisoren, Schneidern, Osteopathen, Universitätsrektoren, Teppichfabrikanten, Reklamemännern, Modewarenhändlern, Eishändlern, Klavierverkäufern, Wäschereibesitzern und anderen Häuptern der öffentlichen Meinung, die allwöchentlich zusammenkamen, um gemeinsam zu lunchen, Ansprachen von Schauspielergästen und von politischen Dunkelmännern gegen die Anerkennung Rußlands zu hören, Girltruppen in exzentrischen Tänzen anzusehen und sich in leidenschaftlichen Tiraden über ihre »Aufgabe« und Geschäftsethik zu ergehen. Sie erklärten, sie hätten in ihren verschiedenen Berufen durchaus nicht den Wunsch, Geld zu verdienen, sondern ließen sich nur von einer Absicht leiten: einem Etwas zu dienen und zu nützen, das Öffentlichkeit hieß. Es war ihnen ebenso ernst damit, wie dem Reverend Elmer Gantry mit dem Laster.
Er fühlte sich bei den Rotarianern sehr zu Hause; es beglückte ihn, ein guter Kerl bei so guten Kerlen zu sein und kurze Ansprachen zu halten, die darauf hinausliefen:
»Jesus Christus wäre ein Rotarianer, wenn er heute lebte – Lincoln wäre heute Rotarianer – William McKinley wäre heute Rotarianer. Alle diese Männer predigten die Prinzipien des Rotary: einer für alle und alle für einen; hilfreich gegen seine Gemeinschaft sein und Gott fürchten.«
Zu den Gesetzen dieser Organisation, die zwischen ihren begeisternden Ansprachen sehr fröhlich und gastfreundlich war, gehörte es, daß jedermann beim Lunch bei seinem Vornamen genannt werden mußte. Sie nannten den Reverend Mr. Gantry »Elmer« oder »Elm«, und er nannte seinen Krawattenhändler »Ike« und seinen Schuhlieferanten »Rudy«. Noch vor einigen Jahren hätte diese Intimität ihn zu Entgleisungen gebracht, er hätte sich verleiten lassen, vulgäre Reden zu führen oder sogar trinken zu wollen. Aber jetzt kannte er seine würdige Rolle, und wenn er auch sagte: »Blendender Tag, Shorty!« war er imstande, sogleich darauf wohlklingend zu sagen: »Ich hoffe, Sie sind in der Lage gewesen, sich in dieser Woche an der Schönheit des Lenzlaubs im Lande zu erfreuen.« Das hatte zur Folge, daß Shorty und seine Freundchen hin- und herliefen und der Bürgerschaft erzählten, der Reverend Gantry sei ein »netter Junge, einfach ein Prachtkerl, aber ein kolossal tiefer Denker und ein richtiger gottesfürchtiger Redner.«
Als Elmer T. J. Rigg von den Rotaryfreuden berichtete, kratzte der Anwalt sich am Kinn und meinte: »Sehr schön. Aber passen Sie mal auf, Bruder Elmer. Eines vernachlässigen Sie: die wirklich großen Jungens mit den langen Taschen. Die müssen Sie kennen. Es sind nicht viele davon Methodisten – sie gehen zu den Episkopalisten, den Presbyterianern, den Kongregationalisten oder zur Christian Science, oder sie wollen von der Kirche überhaupt nichts wissen. Aber das ist kein Grund, daß wir nicht ihr Geld methodistisch machen könnten. Sie würden nicht viel von diesen Rotarianern im Tonawanda Country Club finden – in den ich mir durch Erpressung eines Weizenmaklers, könnt' man sagen, den Weg erkauft hab'.«
»Aber – aber – wieso, T. J., die Rotarianer – aber da sind doch Leute drin wie Ira Runyon, der Chefredakteur vom Advocate, und Win Grant, der vereidigte Gütermakler –«
»Ja, aber der Besitzer des Advocate, der Bankier, der Win Grant weitermachen läßt, bis er bankrott ist, und der juristische Beirat, der sie alle vor dem Kittchen bewahrt, von den Gaunern werden Sie nie sehen, daß sie in irgend 'nen Lunchklub gehen und über ihre »Aufgabe« faseln! Die sitzen an kleinen Tischen im alten Union Club und lachen sich halb tot über das Aufgabegetue. Und wenn sie Golf spielen wollen, gehen sie in den Tonawanda. In den Unionclub könnt ich Sie nicht reinbringen. Die wollen keinen Prediger haben, der über Laster redet – die Art Prediger, die zum Union gehört, redet über das neue Cadillacmodell und darüber, wie schwer es ist, echten italienischen Vermouth zu kriegen. Aber der Tonawanda – die könnten Sie reinlassen. Des Ansehens wegen. Um zu beweisen, daß sie unmöglich den Gin in ihren Schränken haben können, den sie in ihren Schränken haben.«
Es wurde erreicht, obwohl es sechs Monate dauerte und viel Geheimpolitik von seiten T. J. Riggs erforderte.
Die Wellspringkirche, mitsamt dem Pastor von Wellspring, strahlte vor Stolz darüber, daß Elmer eine gesellschaftliche Höhe erklommen hatte, die ihm gestattete, mit Bankiers Golf zu spielen.
Nur konnte er nicht Golf spielen.
Vom April bis zum Juli erschien Elmer nicht auf dem Spielgrund bei den andern Spielern, er nahm Unterricht beim Professional des Tonawanda, an drei Morgen in der Woche, dazu fuhr er in dem smarten neuen Buick hinaus, den er gekauft und schon nahezu bezahlt hatte.
Der Professional war, wie die Tradition es verlangte, ein kleiner, knorriger, rothaariger Schotte (aus Indiana), und er war so traditionsgemäß grob, daß Elmer demütig wurde.
»Zurück mit Ihren Divots. Glauben Sie, daß Sie in 'ner Kirche sind?« belferte der Professional.
»Verdammt noch einmal, immer vergeß ich dran, Scotty«, klagte Elmer. »Muß wohl schwer für Sie sein, diese Prediger ausbilden zu müssen.«
»Prediger sind nichts für mich, und Millionäre sind nichts für mich, aber Golf 'ne ganze Menge«, grunzte Scotty. (Er war ein eifriger Presbyterianer, und schön grob mit Christenmenschen umzugehen, fiel ihm ebenso schwer, wie sich den schottischen Akzent zu erhalten, den er von einem echten Liverpooler Iren gelernt hatte.)
Elmer war stark, er war ruhig im Freien, und sein Auge war schnell. Als er das erstemal öffentlich im Tonawanda auftrat, in einem Vierer mit T. J. Rigg und zwei höchst respektablen Ärzten, wurden er und sein Spiel beobachtet und gelobt. Als er sich im Schrankraum umzog und die viereckige Flasche, die zehn Fuß von ihm in Gebrauch war, nicht zu bemerken schien, wurde er als Mann von Welt anerkannt.
William Dollinger Styles, Mitglied des Tonawanda Hauskomitees, Präsident der Eisenwaren Engros Company – der Mann, der die »Beiskantenaxt« im ganzen Land von Louisville bis Detroit, und weiße Knickerbockers im Tonawanda Club eingeführt hatte – dieser Baron, dieser Bischof des Geschäfts stellte sich Elmer tatsächlich selbst vor und hieß ihn willkommen.
»Freut mich, Sie hier zu sehen, Pastor. Viel Golf gespielt?«
»Nein, ich hab' erst vor kurzem damit angefangen, aber Sie können sich drauf verlassen, daß ich von jetzt an 'n richtiger Golfnarr sein werd.«
»Das ist schön. Ich will Ihnen sagen, was ich drüber denke, Reverend. Wir Menschen, die wir an unseren Schreibtischen kleben und Entscheidungen treffen müssen, um die gewöhnlichen Leute zu führen, Sie in der Religion und ich im Handel, für uns ist es 'ne gute Sache, und dadurch indirekt für sie, rauszukommen, in die Nähe der Natur, und uns in Form zu bringen, um unsere komplizierten Probleme bewältigen zu können (wie ich unlängst in einer Ansprache nach dem Handelskammerbankett gesagt habe) und uns ein gutes, gesundes Aussehen zu bewahren, damit wir nicht jedesmal durch die Wankelmütigkeit und Unbeständigkeit der öffentlichen Meinung weggefegt werden und so unvermeidlich –«
Er sei, sagte Mr. William Dollinger Styles, in der Tat ein Freund des Golfs.
Elmer stimmte freudig zu, indem er sagte: »Ja, das ist mal 'ne Tatsache, ganz entschieden 'ne Tatsache. 's wär recht gut für 'ne Menge Prediger, wenn sie rauskämen und bißchen mehr trainierten, statt immer zu lesen.«
»Ja, ich wollte, Sie würden das meinem Pastor sagen – nicht, daß ich so oft in die Kirche ginge, aber ich bin Kirchenschatzmeister und habe ein gewisses Interesse – Dorchester-Kongregationalisten – Reverend Shallard.«
»Ah! Frank Shallard! Ja, ich hab' ihn ja im Theologieseminar gekannt! 'n prächtiger, aufrechter, intelligenter Bursche, der Frank.«
»Na ja, aber mir gefällt's nicht recht, wie er sich immer aufführt und fast ganz offen alle möglichen von den verbrecherischen Gewerkschaften verteidigt. Deshalb hör' ich ja auch kaum mal eine Predigt von ihm, aber ich kann die Diakone nicht dazu bringen, das einzusehen. Und wie ich schon gesagt habe, 's wär besser für ihn, wenn er mehr an die Luft käme. Na, freut mich, Sie kennen gelernt zu haben, Reverend. Sie müssen mal zu einem von unseren Vierern kommen – wenn Sie eventuell bißchen Fluchen ertragen können.«
»Na, ich werd's probieren! Freut mich außerordentlich, Sie kennen gelernt zu haben!«
»Hm!« überlegte Elmer. »So, Frank, der winselnde Obergescheite, hat 'nen so reichen Mann wie den Styles in seiner Kirche, und Styles kann ihn nicht leiden. Ob der Styles wohl Methodist werden könnte – ob ich ihn Frank abspenstig machen könnt'? Muß mal Rigg fragen.«
Aber der Zauber des Ortes, der Tag, die dazu gehörige soziale Stellung, das alles war so überwältigend, daß Elmer sich nicht länger mit diesen rein religiösen Überlegungen befaßte, sondern mehr ästhetische Betrachtungen anstellte.
Rigg war heimgefahren. Elmer saß allein auf der riesigen Veranda des Tonawanda Clubs, eines langen grauen Landhauses auf einem Hügel am Appleseed River, an dessen jenseitigem Ufer sich braungelbe Gerstenfelder zwischen Obstgärten einschoben. Der Golfplatz war übersät mit Männern in hellen Anzügen, und Mädchen, denen die kurzen Röcke um die Beine flatterten. Ein Mann in weißem Flanell fuhr in einem Rolls-Royce-Roadster heran – vorläufig dem einzigen in Zenith – und Elmer fühlte sich geadelt dadurch, daß er demselben Klub angehörte wie ein Rolls-Royce. Auf dem Rasen vor der Veranda tranken Herren mit englischen Offiziersschnurrbärten und hübsche Frauen in hellen Kleidern an Tischen unter gestreiften Gartenschirmen Tee.
Elmer kannte niemand von ihnen persönlich, aber einige vom Sehen.
»Herrgott, eines Tages werd ich auch richtig zu allen den ganz Feinen gehören! Muß vorsichtig sein, nicht zu hastig, darf mich nicht zu schnell an sie ranmachen.«
Eine Gruppe gewichtig aussehender fünfzigjähriger Männer in seiner Nähe unterhielt sich über Kunst und öffentliche Politik. Während Elmer zuhörte, kam er zu dem Schluß: »Ja, Rigg hat recht gehabt. Sind ja feine Kerls im Rotaryclub – feine, erstklassige, gebildete Gentlemen, die sicherlich das Geld nur so schaufeln; kolossal tüchtig im Geschäft, aber mit den höchsten Idealen. Aber die Klasse von den wirklich großen Tieren da haben sie nicht.«
Bezaubert achtete er auf das Gespräch der Magnaten – eines Börseaners, eines Bergwerksbesitzers, eines Rechtsanwalts und eines Holzmillionärs:
»Ja, Verehrtester, was das Land im großen ganz einfach nicht versteht, das ist die Tatsache, daß die Stabilisierung des Pfunds eine gute Auswirkung auf unseren Handel mit England hat –«
»Ich habe ihnen gesagt, daß ich, fern davon, eine Anerkennung der Rechte der Arbeit abzulehnen, selbst von der Pike auf gedient habe, gewissermaßen, und daß ich alles täte, was in meiner Macht steht, um ihnen zu helfen, daß ich mich aber ganz entschieden weigern muß, mir das Geschrei einer Unmenge bezahlter Agitatoren von den sogenannten Gewerkschaften anzuhören, und daß ich, wenn ihnen meine Methode, die Dinge zu regeln, nicht recht wäre –«
»Ja, Sie haben mit 73½ eingesetzt; als aber bekannt wurde, was mit Saracen Common –«
»Ja, Pierce Arrow ist sicher, Sie können ganz bestimmt –«
Kindlich, aufgeregt, bebend seufzte Elmer tief auf, daß er in so nahe Berührung mit den Mächten sein durfte, die Zenith regierten und für Zenith dachten, die Amerika regierten und für Amerika dachten. Er wäre gern geblieben, aber er hatte die Pflicht – unwürdig seiner hohen sozialen Auszeichnung – eine kurze geschickte Ansprache über Missionen unter den verarmten Indianern vorzubereiten.
Während er heimfuhr, frohlockte er: »Eines Tages werd' ich imstande sein, es mit den besten von denen gesellschaftlich aufzunehmen. Wenn ich mal Bischof bin, dann werd' ich bestimmt nicht rumlaufen und über Sonntagsschulmethoden schwatzen! Ich werd' die Haute volée, Senatoren und so weiter empfangen … Cleo würde bei 'nem großen Diner fein aussehen, im richtigen Kleid … Wenn sie bloß nicht so eingebildet wär. Ach, vielleicht stirbt sie noch vorher … Ich denk', ich werd' 'ne Anglikanerin heiraten … Ob ich anglikanischer Bischof werden könnt', wenn ich zu den Nachthemdfritzen übergeh? Mehr Klasse. Nein; die Methodistenkirche ist größer; und dann glaub' ich auch, die Anglikaner würden keine richtige herzhafte Predigt über Laster und so vertragen.«
Die Gilfeather Chautauqua-Gesellschaft, die wochenlange Chautauqua-Meetingsserien in kleineren Orten abhält, war nicht interessiert gewesen, als Elmer vor drei Jahren zu verstehen gegeben hatte, daß er für die Jugend Amerikas eine Botschaft habe, die mindestens hundert Dollars in der Woche wert sei, und daß es ihm ein Vergnügen sein würde, sich sofort an die Jugend heranzumachen und diese Botschaft zu bringen. Aber als Elmer durch seine Ausrottung allen Lasters in Zenith Ruhm gewonnen und es als zu Felde ziehender Pfarrer sogar zu ein oder zwei Notizen in New York und Chicago gebracht hatte, änderte die Gilfeather-Gesellschaft ihre Ansicht. Sie kamen zu ihm, belagerten ihn, boten ihm zweihundert Dollars wöchentlich und besonders großen Druck in den Anschlägen für eine Dreimonatstournee.
Aber Elmer wollte die Kuratoren nicht um einen dreimonatlichen Urlaub bitten. Er dachte daran, nach ein oder zwei Jahren eine Sommerreise nach Europa zu machen. Dieses ausgedehnte Studium europäischer Kultur würde ihm vor allem eben jenen letzten Schliff geben, der ihn befähigen sollte, jede Kanzel im Lande auszufüllen.
Er sprang jedoch für Ende August und Anfang September als Ersatz für einen Gilfeather-Prominenten ein – für den bekannten J. Thurston Wallett, M. D., D. O., D. M., der mit seinem witzigen und lehrreichen Vortrag: »Richtiges Brot oder Tod, Natur oder Nichts« Tausende entzückt hatte, bis er unglückseligerweise in Powassie, Iowa, krank wurde, weil er zuviel grüne Melonen gegessen hatte.
Elmer hatte vorgehabt, den August mit seiner Familie in Nord-Michigan zu verbringen – es voller Unbehagen vorgehabt, denn wenn es auch denkbar war, Cleo in der Stadt zu ertragen, wo er seine Arbeit, seine Clubs und Lulu hatte, ein Monat ohne Möglichkeit, sich von ihrem ewig langen Gesicht und ihrer Wickelkindstimme zu erholen, würde sogar einen professionellen Guten Mann auf die Probe stellen.
Er erklärte ihr, daß die Pflicht rief, und reiste in aller Eile ab, hielt sich nur so lange auf, um sich aus der öffentlichen Bibliothek einige Bücher mit erleuchtenden Essays zu besorgen, mit deren Hilfe er seine Chautauqua-Vorträge vorbereiten wollte.
Er war entzückt von dem ihm bevorstehenden Abenteuer – Geld, Ruhm in neuen Gegenden, Menschenmengen, für die er nicht neue persönliche Erlebnisse ausdenken müßte. Und vielleicht würde er auch eine Freundin finden, die ihn verstehen und seinen eigenen soliden Gaben jenen leichteren Hauch des Weiblichen geben könnte. Er war, gestand er sich, Lulus fast ebenso müde wie Cleos. Er träumte von einer Chautauqua-Pianistin, Sängerin, Bauchrednerin oder einer Solistin auf der musikalischen Säge – er träumte von einem überraschten, entzückten Zusammentreffen im bernsteingelben Licht unter dem Leinendach – einem Erkennen zwischen verwandten, schönen und einsamen Seelen –
Und natürlich fand er es auch.
Elmers metaphysischer Vortrag, »Ho, brr, Jugend!« betitelt, mit Ratschlägen hinsichtlich Abstinenz, Keuschheit, Fleiß und Ehrlichkeit, mit seiner himmelstürmend poetischen Stelle von der Liebe (dem einzigen Regenbogen auf der dunklen Wolke des Lebens, dem Morgen- und dem Abendstern) und der Anekdote von seinem Kampf zur Errettung eines Kommilitonen namens Jim vom Trinken und vom Atheismus, wurde eines der klassischen Chautauqua-Meisterstücke.
Und Elmer verstand es besser als alle anderen unter den Berufenen (abgesehen vielleicht von dem Herrn, der Nationalhymnen auf Wassergläsern spielte, einem lettischen Herrn, der des Englischen nicht mächtig war), die K. K. K.-Frage zu streifen.
Der neue Ku Klux Klan, eine Organisation der Väter, jüngeren Brüder und Angestellten der Männer, die Erfolg gehabt hatten und Rotarianer geworden waren, hatte eben begonnen, eine politische Schwierigkeit zu werden. Viele der würdigsten Methodisten- und Baptistengeistlichen unterstützten ihn und wurden von ihm unterstützt; und persönlich bewunderte Elmer seinen Grundsatz – alle Fremden, Juden, Katholiken und Neger haben dort zu bleiben, wo sie hingehören, nämlich nirgends, und das Land solle von eingeborenen Protestanten, wie Elmer Gantry, geführt werden.
Aber er sah ein, daß es in den Städten hervorragende Menschen gab, nette Menschen, reiche Menschen, sogar unter den Methodisten und Baptisten, die meinten, ein Mensch könne Jude und doch amerikanischer Bürger sein. Es erschien ihm echter amerikanisch, auch bedeutend sicherer, das Problem zu vermeiden. Er brachte also überallhin eine Botschaft der Versöhnung, die besagte:
»Was religiöse, politische und soziale Organisationen betrifft, so verteidige ich das Recht jedermanns in unserem freien Amerika, sich mit seinen Gesinnungsgenossen zu organisieren, wann und wie es ihm beliebt, zu jedem Ziel, das ihm beliebt, aber ich verteidige auch das Recht jedes anderen freien amerikanischen Bürgers, zu fordern, daß eine solche Organisation ihm nicht seine Art zu denken, oder, solange es moralisch ist, seine Art der Lebensführung vorschreiben darf.«
Das gefiel sowohl dem K. K. K. wie den Gegnern des K. K. K., und alles bewunderte Elmers Gedankenmacht.
Er kam mit großem Trara und Getöse in den Ort Blackfoot Creek, Indiana, und dort gestattete der Lokalausschuß dem Methodistengeistlichen, einem gewissen Andrew Pengilly, den berühmten Bruderpriester bei sich aufzunehmen.
Immer ein wenig einsam, in die endlose Entwicklung seines Mystizismus verloren, war der alte Andrew Pengilly nur um so einsamer gewesen, seitdem Frank Shallard ihn verlassen hatte.
Als er hörte, daß der Reverend Elmer Gantry käme, sagte Mr. Pengilly dem Lokalausschuß, daß es ihm ein Vergnügen sein werde, Mr. Gantry bei sich aufzunehmen und vor dem schäbigen Dorfgasthof zu bewahren.
Er hatte von Mr. Gantry als imponierendem Redner, als tapferem Kämpfer gegen die Sünde gelesen. Mr. Pengilly seufzte. Er selbst war aus irgendeinem Grunde nie imstande gewesen, so sehr viel Sündhaftigkeit zu finden. Seine Schuld. Törichter alter Träumer. Er frohlockte, daß er, der bescheidene Dorfcuré, bald zur Verherrlichung seiner Hütte einen St. Michael in schimmernder Rüstung bei sich haben sollte.
Nach dem Chautauqua-Abend saß Elmer in Mr. Pengillys armseliger Bude, er war voll huldreicher Herablassung.
»Sie sagen, Bruder Pengilly, Sie hätten von unserer Arbeit in Wellspring gehört? Aber kommen wir den Herzen der Schwachen und Unglücklichen so nahe, wie Sie hier? Ach nein; manchmal denke ich, daß mein erstes Pastorat, in einem Ort, der noch kleiner ist als dieser hier, in mancher Hinsicht gesegneter war, als unsere schreckliche Geschäftigkeit in der Stadt. Und was dort auch wirklich erzielt wird, mir gereicht es nicht zur Ehre. Ich habe so glänzende, so ergreifend treue Mitarbeiter: da ist Mr. Webster, der Hilfspastor – ein wahrhaft heiliger Arbeiter, und doch so geschäftstüchtig – und Mr. Wink, und Miss Weeziger, die Diakonissin, und die liebe Miss Bundle, die Sekretärin – eine so treue Seele, so eifrig. Ach ja, ich bin ganz besonders gesegnet! Aber, äh, aber – mit diesen Leuten, die wirklich am Gotteswerk arbeiten, sind wir in der Lage gewesen, einiges recht Gutes zu tun – unter Gottes Führung. Ja, hören Sie, wir haben einen Kurs für Schaufensterdekoration gegründet, den einzigen an allen Kirchen der Vereinigten Staaten – und ich glaube fast, Englands und Frankreichs! Wir haben auch schon die wunderbarsten Resultate gesehen, nicht nur in Gehaltserhöhungen bei einigen der prächtigen jungen Männer in unserer Kirche, sondern auch im Zunehmen des Geschäfts in der ganzen Stadt und in der Verbesserung des Aussehens der Schaufenster, und Sie wissen doch, wieviel das zur Schönheit der Straßen im Geschäftsviertel beiträgt! Und die Mengen scheinen ständig zuzunehmen. An meinem letzten Sonntagabend in Zenith hatten wir elfhundert in der Kirche, im Sommer noch dazu! Und während der Saison haben wir oft fast achtzehnhundert, in einem Auditorium, das eigentlich nur sechzehnhundert fassen soll! Und in aller Bescheidenheit – es ist nicht meine Leistung, sondern die der Methoden, nach denen wir arbeiten – ich glaube, ich kann sagen, daß jeder Mann, jede Frau und jedes Kind glücklich weggeht, und doch mit einer Botschaft, die sie die ganze Woche durch aufrecht erhält. Sie müssen wissen – ja, natürlich geb' ich ihnen das richtige alte Evangelium in meiner Predigt – ich hab' nicht die geringste Angst davor, frei von der Leber weg mit ihnen zu reden und ihnen die fürchterlichen Folgen von Sünde, Unwissenheit und geistiger Trägheit vor Augen zu halten. Jawohl, mein Bester! Kein Augenverschließen vor den Entsetzen der alten erwiesenen Hölle, in keiner Kirche, die ich führe! Aber wir bringen sie auch zueinander, und ihr Pastor ist ganz einfach einer von ihren Kameraden, und wir singen muntere, tröstliche Lieder, und ist ihnen das recht? Und ob! Das zeigt sich an den Sammlungen!«
»Mr. Gantry,« fragte Andrew Pengilly, »warum glauben Sie nicht an Gott?«