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Die Beziehungen zwischen Bruder Gantry und Bruder Shallard waren um die Weihnachtszeit nicht die glänzendsten, nicht einmal während des engen Beieinanderseins auf der Draisine.
Während sie sich nach der Kirche in Schoenheim auf der Strecke abmühten, klagte Frank:
»Hören Sie, Gantry, es muß etwas geschehen. Ich bin mit Ihnen und Lulu nicht zufrieden. Ich hab' euch dabei erwischt, wie ihr einander anseht. Außerdem hab' ich den Verdacht, daß Sie mit dem Dekan über Dr. Zechlin gesprochen haben. Ich fürchte, ich werde zum Dekan gehen müssen. Sie sind nicht geeignet ein Pastorat zu bekleiden.«
Elmer hörte auf zu pumpen, starrte vor sich hin, rieb sich die in Fäustlingen steckenden Hände an seinen Schenkeln und sagte ganz ruhig:
»Darauf hab' ich gewartet! Ich bin impulsiv – sicher; ich mach' böse Fehler – jedem Mann, der Blut in den Adern hat, geht's so. Aber wie steht's mit Ihnen? Ich weiß nicht, wie weit Sie in Ihren teuflischen Zweifeln gegangen sind, aber ich hab' gehört, wie vorsichtig zögernd Sie die Fragen in der Sonntagsschule beantworten, und weiß, daß Sie anfangen zu wanken. Sie werden recht bald ein Erzliberaler sein. Gott! Planen, die christliche Religion zu schwächen, kraftlosen, suchenden Seelen ihre einzige Hoffnung auf Erlösung zu stehlen! Der ärgste Mörder, den es je gegeben hat, ist kein solcher Verbrecher wie Sie!
»Das ist nicht wahr! Ich würde eher sterben als irgend jemand seinen Glauben nehmen, wenn er ihn nötig hat!«
»Dann haben Sie ganz einfach nicht genug Verstand, um zu wissen, was Sie tun, und keine christliche Kanzel hat Platz für Sie! Ich bin's, der zu Pop Trosper gehen und sich beschweren sollte! Erst heute, wie das Mädel zu Ihnen gekommen ist und darüber geklagt hat, daß ihr Pa die Familiengebete eingestellt hat, da haben Sie sich benommen, als ob nichts daran läge. Es ist möglich, daß Sie diese arme junge Dame auf die mit Zweifeln gepflasterte Straße geführt haben, die zur ewigen Hölle führt!«
Und den ganzen Weg nach Mizpah gab Frank sich Mühe und erklärte.
In Mizpah gestattete Elmer ihm huldvoll, auf sein Amt in Schoenheim zu verzichten, und gab ihm den Rat, zu bereuen und sich vom Heiligen Geist führen zu lassen, bevor er es je wieder mit einem Pastorat versuchen sollte.
Elmer saß in seinem Zimmer und flammte vor evangelistischem Triumph. Es war ihm so ernst damit, daß er sich erst nach einigen Minuten einfallen ließ, Frank bedeute jetzt in seinen Beziehungen zu Lulu Bains kein Hindernis mehr.
Bis zum März gelang es Elmer sehr oft, mit Lulu in ihrem Haus, in einem leerstehenden Holzschuppen oder in der Kirche zusammenzukommen. Aber er wurde ihres zutraulichen Geplappers müde. Sogar ihre Bewunderung begann ihn zu irritieren, weil sie immer von denselben Dingen auf dieselbe Weise schwärmte. In der Liebe war sie ebenso phantasielos. Sie küßte immer auf dieselbe Weise und erwartete immer auf dieselbe Weise geküßt zu werden. Schon vor dem März hatte er genug gehabt, aber sie war ihm so mit ganzer Seele ergeben, daß er darüber nachdachte, ob er nicht die Schoenheimer Kirche aufgeben müßte, um sie loszuwerden.
Er kam sich benachteiligt vor.
Kein Mensch konnte behaupten, daß er je unfreundlich zu Mädchen wäre oder sie verachtete, wie Jim Lefferts es zu tun pflegte. Er hatte Lulu sehr viel gelehrt, sie von ihren bäurischen Vorstellungen befreit, ihr gezeigt, wie man fromm sein und sich's doch gut gehen lassen könnte, wenn man die Sache nur richtig überlegte und einsähe, daß man wohl die höchsten Ideale lehren müßte, aber von keinem Menschen erwarten könnte, er solle jeden Tag strikte nach ihnen leben. Besonders wenn er jung sei. Und hatte er ihr nicht ein Armband geschenkt, das fünf gute Dollars kostete?
Aber sie war so eine vermaledeite dumme Gans. Nie konnte sie begreifen, daß ein Mann von einem gewissen Augenblick an mit den Liebespielen aufhören und seine nächste Sonntagspredigt vorbereiten oder sein verdammtes Griechisch büffeln wollte. Eigentlich, dachte er ärgerlich, hatte sie ihn enttäuscht. Er hatte sie für ein nettes, sicheres, ruhiges kleines Ding gehalten, das ja recht nett zum Spielen sein, ihn aber in Ruhe lassen würde, wenn er sich um ernsthaftere Dinge bekümmern müßte, und dann hatte sich herausgestellt, daß sie leidenschaftlich war. Sie wollte immer weiter geküßt und geküßt und geküßt werden, wenn es ihm schon über war. Ihre Lippen krochen immer herum, berührten seine Hand oder seine Wange, wenn er sprechen wollte.
Sie schickte ihm winselnde Briefchen nach Mizpah. Wenn jemand einen davon fände! Herr Gott! Sie schrieb ihm, sie lebe nur bis zu ihrem nächsten Beisammensein – legte es darauf an, ihn zu ärgern und seine Aufmerksamkeit abzulenken, wenn er Männerarbeit zu tun hatte. Sie himmelte mit ihren dummen, sanften, zärtlichen Augen die ganze Predigt hindurch zu ihm herauf – verpatzte ihm einfach den Stil. Er konnte es nicht mehr mit ihr aushalten, mußte sie loswerden.
Er tat es nur sehr ungern. Er war wirklich immer nett zu Mädchen gewesen – zu allen. Aber es war um ihretwillen ebensosehr wie seinetwegen. –
Er würde gemein zu ihr sein und ihr weh tun müssen.
Sie waren nach der Morgenandacht allein in der Schoenheimer Kirche. Sie hatte ihm an der Tür zugeflüstert: »Ich hab' was, was ich dir sagen muß.«
Er war erschrocken; er knurrte: »Wir sollten nicht so viel zusammen gesehen werden, aber – schleich zurück, wenn die anderen Leute gegangen sind.«
Er saß auf der vordersten Bank in der verlassenen Kirche und las, da er nichts Besseres hatte, Lieder, als sie hinter ihn schlich und ihn aufs Ohr küßte. Er fuhr auf.
»Du lieber Himmel, erschreck einen doch nicht so!« schnaubte er. »Also, was hast du mir alles zu sagen?«
Sie stammelte, war den Tränen nahe. »Ich dachte, es würde dir recht sein! Ich wollte nur ganz nah bei dir sein und dir sagen, daß ich dich lieb hab'!«
»Also, du guter Gott, du solltest dich wirklich nicht aufführen, als ob du schwanger wärst oder so was!«
»Elmer!« Sie war zu verletzt in ihrer heiteren Zärtlichkeit, zu empört in ihrem bäuerlichen Anstandsgefühl, um böse zu werden.
»Na ja, du benimmst dich ja genau so! Läßt mich hier warten, wenn ich in die Stadt zurück muß – wichtige Verabredung – und zwingst mich, ganz allein die Draisine zu bedienen! Ich wollte, du würdest dich nicht die ganze Zeit wie ein zehnjähriges Kind benehmen!«
»Elmer!«
»Ach, Elmer, Elmer, Elmer! Ist ja alles gut. Ich spiel' und mach' Witze ebenso gern wie sonst wer, aber dieses ganze – dieses ganze – die ganze Zeit.«
Sie eilte nach vorne, vor den Kirchenstuhl, kniete neben ihm nieder, ihre kindliche Hand auf seinem Knie, und plapperte in einer Kindersprache, die ihn wütend machte:
»Oh, so ein b'ummiger alter Bär! So ein b'ummiger alter Bär! So b'ummig mit Lulukins!«
»Lulukins! Himmel-Herrgott!«
»Aber, Elmer Gantry!« Es war die Sonntagsschullehrerin, die jetzt entsetzt war. Sie setzte sich auf ihre Knie.
»Lulukins! Von allem verdammten blöden Kindergeschwätz, das ich bis jetzt gehört hab', ist das der Gipfel. Das ist schlimmer als alles andere! Versuch doch um Gottes Willen wie ein menschliches Wesen zu sprechen! Und hock da nicht so herum. Wenn jemand hereinkommen sollte. Willst du mich denn absichtlich ruinieren? … Lulukins!«
Sie stand auf, mit gestrafften Fäusten. »Was hab' ich denn gemacht? Ich wollt' dir doch nicht weh tun! Oh, das wollt' ich nicht. Lieber! Bitte, verzeih mir! Ich bin doch nur reingekommen, um dich zu überraschen!«
»Hu! Überrascht hast du mich richtig!«
»Lieber! Bitte! Es tut mir so leid. Aber, aber du hast doch selber Lulukins zu mir gesagt!«
»Das hab' ich nie getan!«
Sie schwieg.
»Und wenn, so war's höchstens ein Witz.«
Geduldig suchte sie zu verstehen, sie saß neben ihm und bat: »Ich weiß nicht, was ich getan hab. Ich weiß es ganz einfach nicht. Bitte, sei doch so gut – ach, bitte, erklär mir's doch und gib mir Gelegenheit, es wieder gutzumachen!«
»Ach, zum Teufel!« Er sprang auf, den Hut in der Hand, und griff nach seinem Mantel. »Wenn du's nicht begreifst, kann ich nicht meine Zeit auf Erklärungen verschwenden!« Und er war gegangen, erleichtert, aber ganz und gar nicht stolz.
Doch am Dienstag bewunderte er sich wegen seines Entschlusses.
Dienstag abend kam ihre Entschuldigung; kein sehr guter Brief, etwas verwirrt, in zweifelhafter Orthographie, und, da sie keine Ahnung hatte, wofür sie sich entschuldigte, nicht sehr lichtvoll.
Er beantwortete ihn nicht.
Während seiner Predigt am nächsten Sonntag sah sie zu ihm auf und wartete auf ein Lächeln, aber er achtete darauf, ihrem Blick nicht zu begegnen.
Während er ausführlich das Verbrechen erklärte, das Nadab und Abihu begangen hatten, indem sie fremdes Feuer in ihre Weihrauchfässer taten, dachte er in Selbstbewunderung: »Armes kleines Ding. Sie tut mir leid. Tut mir wirklich leid.«
Er sah, daß sie nach dem Gottesdienst an der Tür hinter ihren Eltern herumzögerte, ließ aber seine halbe Gemeinde zurück, ohne ihnen die Hände zu drücken oder ihre Bekenntnisse anzuhören, murmelte Diakon Bains zu: »Tut mir leid, daß ich so schnell weg muß«, und floh zur Eisenbahnstrecke.
»Wenn du dich so aufführen und mich absichtlich verfolgen willst,« raste er, »werd' ich ein ernstes Wort mit dir zu reden haben, meine schöne junge Dame!«
Er wartete an diesem zweiten Sonntag auf einen anderen Entschuldigungsbrief. Es kam keiner, aber am Donnerstag, als er in aller Unschuld beim Drogisten Bombery, in der Nähe des Seminars, eine Vanillemilch-Soda trank, als er sich gerade besonders gut, edel und männlich vorkam, mit seinem fertigen Missionsaufsatz und zwei prächtigen Fünfcentzigarren in der Tasche, sah er sie draußen stehen und zu ihm hereinstarren.
Er erschrak. Sie sah aus, als ob sie nicht ganz bei sich wäre.
»Wenn sie's ihrem Vater gesagt hat!« stöhnte er.
Er haßte sie.
Er stolzierte mutig hinaus, er redete bombastisch von seinem Entzücken, sie hier in der Stadt zu treffen.
»Nanu, nanu, nanu, Lulu, das ist aber mal 'ne angenehme Überraschung! Und wo ist Papa?«
»Er ist mit Ma drüben beim Doktor – wegen Mas Ohrenweh. Ich hab' ihnen gesagt, daß ich mich mit Ihnen im Boston Bazar treff'. Elmer!« Ihre Stimme klang wie ein vibrierender gespannter Draht. »Ich muß mit dir reden! Du mußt – geh mit mir die Straße hinunter.«
Er sah, daß sie versucht hatte, sich die Wangen zu schminken. Das war 1906 im ländlichen Mittelwesten nicht üblich. Sie hatte es schlecht gemacht.
Es war im Anfang des Frühjahrs. Diese ersten Märztage waren die Tage der zarten Knospen, und Elmer seufzte: wenn sie nicht eine so tyrannische Nörglerin wäre, hätte er romantische Gefühle für sie haben können, während sie auf die Gerichtswiese und das Denkmal des Generals Sherman zuschritten.
Er hatte ihre Erziehung im Freimut der Rede ebenso vervollkommnet wie ihren Wortschatz; und mit einem nur kleinen Zaudern, einem kurzen Aufblicken zu ihm, einem kleinen Versuch, ihre Finger auf seinen Arm zu legen, bis er sie abschüttelte, kam sie damit heraus:
»Wir müssen was tun. Weil ich glaube, ich werd' ein Baby bekommen.«
»Du allmächtiger Gott! Teufel!« sagte der Reverend Elmer Gantry. »Und du hast wohl bei deinen Alten darüber getratscht!«
»Nein, das hab' ich nicht.« Sie war still und würdevoll – so würdevoll ein beschmutztes graues Kätzchen eben sein konnte.
»Na, das ist wenigstens noch gut. Na, da werd' ich wohl was unternehmen müssen. Verdammt noch einmal!«
Er dachte mit rasender Geschwindigkeit. Von den Damen der Freude, die er in der Stadt Monarch kannte, konnte er Informationen bekommen – aber –
»Du, paß jetzt mal auf!« schnaubte er. »Das ist nicht möglich!« Er sah ihr in die Augen, auf dem Ziegelweg durch die Gerichtswiese, unter den gußeisernen Schwingen der verrosteten Justitia. »Auf was willst du hinaus? Gott ist mein Zeuge, daß ich dir in jeder Weise beistehen will. Aber ich will mich nicht reinlegen lassen, von niemand! Woraus schließt du, daß du schwanger bist?«
»Bitte, Lieber! Sag' nicht dieses Wort!«
»Hu! Das ist allerhand! Also, jetzt red' mal. Woraus schließt du das?«
Sie konnte ihn nicht ansehen; sie sah lediglich zu Boden; und seine tugendhafte Entrüstung stieß auf sie herab, während sie ihre Gründe stammelte. Nun hatte Lulu Bains von niemand viel Physiologie lernen können, und es war klar, daß sie zusammenkratzte, was sie für richtige Symptome hielt. Sie konnte nur immer wieder murmeln, während die Tränen Schmutzrinnen in ihre plumpe Schminke gruben, während ihre gekrümmten Finger an ihrem Kinn zitterten: »Ach, es ist – ich fühl' mich so schlecht – ach, bitte, Lieber, laß mich nicht weiter erklären.«
Er hatte genug davon. Er griff nach ihrer Schulter, nichts weniger als zärtlich.
»Lulu, du lügst! Du bist eine schmutzige, verlogene, falsche Seele! Ich hab' schon darüber nachgedacht, was denn eigentlich an dir ist, das mich gestört und davon abgehalten hat, dich zu heiraten. Jetzt weiß ich's! Gott sei Dank, hab' ich's noch zu rechter Zeit herausgefunden. Du lügst!«
»Ach, Lieber, ich lüg' nicht. Ach, bitte!«
»Paß mal auf. Ich werd' dich zu einem Doktor bringen. Gleich jetzt. Da werden wir die Wahrheit hören.«
»Ach, nein, nein, nein! Bitte, nein! Ich kann nicht.«
»Warum kannst du nicht?«
»Ach, bitte!«
»Huhu! Und das ist alles, was du für dich zu sagen hast! Komm mal her! Schau rauf zu mir!«
Sie mußten weh tun, seine kräftigen Finger, die sich in ihr Fleisch bohrten, er aber fühlte sich dabei als Gerechter, er kam sich vor wie die alttestamentarischen Propheten, die seine Sekte bewunderte. Und er hatte etwas gefunden, worüber er wirklich mit ihr streiten konnte.
Sie sah nicht zu ihm auf, trotz allem Kneifen. Sie konnte nur hoffnungslos weinen.
»Du hast also gelogen?«
»Ach, ja! Ach, Liebster, wie kannst du mir so weh tun?« Er lockerte seinen Griff und schaute höflich drein. »Ach, ich meine nicht, daß du mir an der Schulter weh tust. Das macht nichts. Ich meine, daß du mir weh tust! So kalt zu mir! Und ich dachte, wenn wir verheiratet sein würden, könnte es vielleicht – ich würde alles tun, um dich glücklich zu machen. Ich würde überallhin mit dir gehen. Es würde mir nichts ausmachen, auch wenn wir ein ganz, ganz kleines, winzig kleines Haus hätten –«
»Und du – du – erwartest, daß ein Diener des Evangeliums überhaupt ein Haus mit einer Lügnerin teilen kann! Ach, du Schlange, die – ach, zum Teufel, ich will nicht wie ein Prediger reden. Ich bild' mir nicht ein, daß ich immer recht getan hab', kann schon sein. Obwohl ich bemerkt hab', daß es dir ganz ordentlich Spaß gemacht hat, rauszuschlüpfen und dich mit mir zu treffen! Aber wenn eine Frau, eine Christin, wohlüberlegt lügt und einen Mann in seinen heiligsten Empfindungen zu täuschen versucht – das ist zu viel, ganz egal, was ich auch getan hab'! Daß du's nicht noch einmal wagst, mit mir zu reden! Und wenn du deinem Vater davon erzählst und mich zur Heirat zwingst, dann – dann – dann bring ich mich um!«
»Oh, das werd' ich nicht tun! Wirklich, ich werd's nicht tun!«
»Ich werde meine eigene Schuld unter bitteren Tränen bereuen, und was dich angeht, junges Weib – gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!«
Er schwang sich herum, ging von ihr weg, taub für ihre Klagen. Sie trabte eine Zeit lang hinter seinen Riesenschritten nach, dann lehnte sie sich an einen Ahornstamm; ein vorübergehender Kommis kicherte.
Am nächsten Sonntag erschien sie nicht in der Kirche. Elmer freute sich so darüber, daß er daran dachte, sich noch einmal mit ihr zu verabreden.
Diakon Bains und seine gute Frau hatten bemerkt, wie bleich und geistesabwesend ihre sonst gesunde Tochter war.
»Wahrscheinlich ist sie in den neuen Prediger verliebt. Na, wir wollen unsere Finger da nicht reinstecken. Das wäre eine hübsche Partie für sie. Ich hab' noch nie einen jungen Prediger gekannt, der so die Kraft gehabt hat. Er redet wie besessen, weiß Gott,« sagte der Diakon, während sie in ihrem ungeheuren, hohen alten Bett gähnten und sich streckten.
Dann kam Floyd Naylor aufgeregt zum Diakon.
Floyd war ein Verwandter der Familie; ein unbeholfen gehender Mann von fünfundzwanzig Jahren, riesenstark, ziemlich beschränkt, ein armer, sehr zuverlässiger Bauer. Seit vielen Jahren umschwärmte er Lulu. Es wäre übertrieben romantisch, wollte man sagen, daß er sich in einsamer Verehrung verzehrt hätte. Doch immer war Lulu für ihn das schönste, sprühendste und tiefsinnigste Mädchen der ganzen Welt gewesen. Lulu hielt ihn für einen steifen Besen, und Diakon Bains waren seine Ansichten über Luzerne zuwider. Man rechnete ihn halb zum Haushalt, etwa so wie einen Nachbarshund.
Floyd traf Diakon Bains im Scheunenhof beim Reparieren eines Ortscheits und grunzte:
»Hör mal, Vetter Barney, ich bin bißchen besorgt wegen Lulu.«
»Ach, wahrscheinlich ist sie in diesen neuen Prediger verliebt. Ich weiß nicht; vielleicht werden sie 'n Paar.«
»Ja, aber liebt Bruder Gantry sie? Ich mag den Kerl nicht.«
»Unsinn, du hast nichts für Prediger übrig. Du warst nie in einem wirklichen Gnadenzustand. Du bist nie richtig vom Geist wiedergeboren worden.«
»Einen Dreck bin ich nicht! Ich bin genau so gut wiedergeboren wie du! Mit den Predigern ist schon alles gut und schön, mit den meisten. Aber der Kerl, der Gantry – weißt du, jetzt so vor zwei Monaten hab' ich ihn mit Lulu den Schulweg herunterkommen gesehen, und die beiden haben sich auf Deibel komm raus geknutscht und geküßt, und er hat Schatz zu ihr gesagt.«
»He? Bist du sicher, daß sie's waren?«
»Totsicher. Ich war, äh – also, Tatsache, noch ein anderer und ich –«
»Wer war sie?«
»Das ist ja jetzt ganz egal. Auf jeden Fall sind wir unter dem großen Ahornbaum vor dem Schulhaus gesessen, im Schatten, aber der Mond hat hell geschienen, und Lulu und dieser Prediger sind vorbeigekommen, so nah, wie ich jetzt vor dir steh', hübsch nah. Na, denk' ich, wahrscheinlich werden sie sich bald verloben. Dann bin ich ein- oder zweimal nach der Andacht in der Nähe von der Kirche geblieben, und einmal guck' ich so bißchen ins Fenster rein und da seh' ich sie richtig im vordersten Kirchstuhl, ganz zärtlich miteinander, so als ob sie sich sicher heiraten würden. Ich hab' nichts gesagt – ich hab abwarten wollen und sehen, ob er sie heiratet. Es geht mich weiter nichts an, Barney, aber du weißt, ich hab' Lulu immer gern gehabt, und ich mein', wir sollten wissen, ob der Bibelkaffer ehrliches Spiel gegen sie vorhat.«
»Das wird wohl richtig sein, glaub's schon. Ich werd' mal mit ihr reden.«
Bains hatte seine Tochter nie genau beobachtet, aber Floyd Naylor war kein Lügner; mit geöffneten Augen stapfte der Diakon ins Haus und fand sie am Butterfaß, mit schlaff herabhängenden Armen.
»Sag mal, äh, sag mal, äh, Lu, wie steht's zwischen dir und Bruder Gantry?«
»Wieso, was meinst du?«
»Seid ihr zwei verlobt? Wollt Ihr euch verloben? Will er dich heiraten?«
»Aber woher denn.«
»Hat er dir die Cour geschnitten, was?«
»Oh, nie.«
»Dich nie gestreichelt oder geküßt?«
»Nie!«
»Wie weit ist er gegangen?«
»Ach, gar nicht!«
»Warum siehst du in der letzten Zeit so bißchen spitzig aus?«
»Ach, ich fühl' mich ganz einfach nicht recht wohl. Oh, ich fühl' mich ausgezeichnet. Es ist nur der Frühling, der kommt, glaub' ich –« Sie fiel zu Boden, mit dem Kopf gegen das Butterfaß, ihre dünnen Finger schlugen einen hysterischen Trommelwirbel auf dem Boden, sie weinte würgend.
»Na, na, Lu! Dein Vater wird schon was machen.«
Floyd wartete im Farmhof.
Damals gab es in jenen Gegenden eine nicht seltene Zeremonie, die als »Schießeisenhochzeit« bekannt war.
Der Reverend Elmer Gantry las in seinem Zimmer in der Elizabeth J. Schmutz-Hall am späten Nachmittag eine munter illustrierte Zeitschrift, die Preisboxern und Chormädchen gewidmet war, als zwei große Männer ohne anzuklopfen hereinkamen.
»Nanu, guten Abend, Bruder Bains – Bruder Naylor! Das ist eine angenehme Überraschung. Ich hab' eben, äh – haben Sie schon mal diesen fürchterlichen Fetzen gesehen? Über Schauspielerinnen. Eine Erfindung des Teufels selber. Ich wollt's am nächsten Sonntag brandmarken. Ich hoffe, daß Sie's nie gelesen haben – wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Herren? – Ich hoffe, daß Sie's nie gelesen haben, Bruder Floyd, weil die Schritte des –«
»Gantry«, explodierte Diakon Bains, »ich möchte, daß Sie Ihre Schritte gleich jetzt zu meinem Haus lenken! Sie haben mit meiner Tochter rumgespielt, und entweder heiraten Sie sie, oder Floyd und ich rechnen mit Ihnen ab, und so wie mir jetzt zumut ist, ist mir's ziemlich egal, welches von beiden geschieht.«
»Sie wollen sagen, daß Lulu behauptet hat –«
»Nein, Lulu hat gar nichts gesagt. Gott, ich weiß nicht einmal, ob ich das Mädel einen Kerl wie Sie überhaupt heiraten lassen soll. Aber ich muß auf ihren guten Namen schauen, und ich glaub', Floyd und ich werden schon sehen können, ob Sie sie nach der Hochzeit anständig behandeln. Also, ich hab' rumsagen lassen, daß alle Nachbarn heute abend in mein Haus zu 'ner kleinen Geselligkeit eingeladen sind, bei der ihnen gesagt werden soll, daß Sie und Lulu verlobt sind, und Sie werden sich Ihren Sonntagskirchganganzug anziehen und mit uns kommen, gleich jetzt.«
»Sie können mich zu gar nichts zwingen –«
»Nimm die Seite von ihm, Floyd, aber ich hab' den ersten Schlag. Du kriegst, was übrigbleibt.«
Sie stellten sich neben ihm auf. Sie waren kleiner, weniger breit, aber sie hatten Gesichter wie gegerbtes zähes Leder, harte Augen –
»Sie sind 'n großer Kerl, Bruder Gantry, aber ich glaub', Sie sind nicht mehr recht in Übung. Ziemlich weich«, meinte Diakon Bains.
Seine Faust fiel herab, an sein Knie; seine Schulter beugte sich vor; seine Faust kam hoch – und Floyd hatte plötzlich Elmers Arme gepackt.
»Ich werd's machen! Ist recht! Ist recht!« schrie Elmer.
Er würde schon eine Möglichkeit finden, das Verlöbnis zum Bruch zu bringen. Schon fand er sein Gleichgewicht wieder.
»Jetzt hört mich mal an! Ich liebe Lulu und hatte vor, um sie anzuhalten, sobald ich hier fertig sein – von jetzt in nicht ganz drei Monaten – und meine erste Kirche haben würde. Und da platzt ihr zwei rein und wollt den Roman verpatzen!«
»Hm, ja, wird schon so sein«, sagte Bains langsam, mit unbeschreiblicher Verachtung im schleppenden Ton. »Die hübschen Worte heben Sie sich alle für Lulu auf. Sie werden Mitte Mai heiraten – da bleibt genug Zeit nach der Verlobung, daß die Nachbarn nicht denken, es stimmt irgendwas nicht. Und jetzt rein in die Kleider. Der Einspänner wartet draußen. Wir werden Sie schon richtig behandeln. Wenn Sie mit Lulu sind, wie Sie sein müssen, und sie trösten und wieder glücklich machen, dann werden Floyd und ich Sie in der Hochzeitsnacht vielleicht nicht umbringen. Wollen sehen. Und in der Öffentlichkeit werden wir immer anständig zu Ihnen sein – nicht mal lachen, wenn wir Sie predigen hören. Jetzt los, verstanden?«
Während Elmer sich umkleidete, konnte er sein Gesicht von ihnen abgewendet halten, sich sammeln, so daß er imstande war, sich plötzlich mit seinem hübschesten, seinem männlichsten und gewinnendsten Lächeln zu ihnen umzudrehen.
»Bruder Bains, ich möchte Vetter Floyd und Ihnen danken. Sie haben vollkommen unrecht, wenn Sie denken, daß ich an Lulu nicht gut gehandelt hätte. Aber ich frohlocke, ich frohlocke,daß sie mit so treuen Verwandten gesegnet ist!« Das verwirrte die beiden zwar mehr als es sie gewann, aber er fing sie völlig mit einem herzlichen: »Und solche Bullen! Ich bin selber ziemlich stark – bin noch mehr im Training, als Sie glauben – aber mit euch könnt' ich wohl nicht eins zwei drei machen! Ein Glück für den alten Elmer, daß Sie Ihren verdammten Mordsschlag nicht losgelassen haben, Bruder Bains! Und Sie haben recht. 'S hätte gar keinen Sinn, die Hochzeit zu verschieben. Der fünfzehnte Mai wird ausgezeichnet passen. Jetzt möcht' ich aber um eins bitten: Lassen Sie mich zehn Minuten allein mit Lu, bevor Sie die Mitteilung machen. Ich möcht' sie trösten – sie glücklich machen. Oh, Sie werden schon wissen, ob ich die Treue halte – das Adlerauge des Vaters wird es sehen.«
»Na, mein väterliches Adlerauge hat in der letzten Zeit nicht grad' besonders gut gearbeitet, aber ich glaub', 's wird schon gut sein, wenn Sie vorher mit ihr reden.«
»Wollen wir uns jetzt die Hände geben? Bitte!«
Er war so groß, so strahlend, so voll dreister Zuversicht. Sie sahen albern drein, grinsten wie Bauern, denen ein Politiker schmeichelt, und schüttelten ihm die Hand.
Bei den Bains' waren eine Menge Menschen, es gab Brathuhn und eingemachte Wassermelonen.
Der Diakon brachte Lulu zu Elmer ins Gastzimmer und ließ sie dort.
Elmer saß behaglich auf dem Sofa; sie stand vor ihm, zitternd, mit roten Augen.
»Komm, du armes Kind«, sagte er in freundlicher Herablassung. Schluchzend rückte sie näher. »Wirklich, Lieber, ich hab' Pa kein Wort gesagt – ich hab' ihn nicht gebeten, es zu tun – oh, ich will's nicht, wenn's dir nicht recht ist.«
»Na, na, Kind. Ist ja alles gut. Ich bin sicher, daß du eine gute Frau sein wirst. Setz dich.« Und er gestattete ihr, ihm die Hand zu küssen, so daß sie sehr glücklich wurde, schrecklich weinte und freudestrahlend zu ihrem Vater hinausging.
Er überlegte unterdessen: »Damit hab' ich dich, der Teufel soll dich holen! Jetzt muß ich noch was finden, wie ich aus dem Dreck da rauskommen kann.«
Bei der Mitteilung, daß Lulu mit einem Gottesmann verlobt sei, brach die Menge in heisere, fromme Jubelrufe aus.
Elmer hielt eine ziemlich lange Rede, in die er alles hineinstopfte, was die Heilige Schrift über die Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu sagen hatte – das heißt, alles, worauf er sich besann, und was in Damengesellschaft zitiert werden konnte.
»Vorwärts, Bruder! gib ihr 'nen Kuß!« riefen sie.
Er tat es, herzlich, so herzlich, daß er eine merkwürdige Erregung verspürte.
Er verbrachte die Nacht dort und war so voll heiliger Zärtlichkeit, daß er in Lulus Schlafzimmer schlich, als die Familie schlafen gegangen war. Sie stützte sich auf das Kissen und flüsterte: »Oh, mein Herz! Und du hast mir verziehen! Ach! ich hab' dich ja so lieb«, als er ihr duftendes Haar küßte.
Es war gebräuchlich, daß die Studenten in Mizpah, wenn sie sich verlobten, den Dekan Trosper davon verständigten. Der Dekan empfahl sie für Predigerposten, und dabei war der Ehestand ausschlaggebend. Junggesellen wurden eher Hilfsgeistliche in Großstadtkirchen; verheiratete Männer, besonders diejenigen, deren Frauen lebendige Frömmigkeit hatten und kochen konnten, wurden gewöhnlich in kleine, eigene Kirchen gesandt.
Der Dekan ließ Elmer in sein unfreundliches Haus am Rande des Collegehofes kommen – es war ein Haus, das ständig nach Kohl und feuchter Asche roch – und erkundigte sich:
»Gantry, was ist denn das für eine Sache mit Ihnen und einem Mädel in Schoenheim?«
»Ja, Dekan,« in verletzter Redlichkeit, »ich bin mit einer prächtigen jungen Dame dort verlobt – es ist die Tochter von einem meiner Diakone.«
»Na, das ist schön. Es ist besser zu heiraten, als sich zu verzehren – oder wenigstens heißt es in der Schrift so. Jetzt wünsch' ich aber keine Dummheiten bei der Sache. Ein Prediger muß vorsichtig gehen. Sie müssen sogar den Anschein des Bösen vermeiden. Ich hoffe, Sie werden sie lieb haben und gut behandeln, und außerdem glaub' ich, wird es gut sein, wenn Sie nicht nur mit ihr verlobt sind, sondern sie auch heiraten. Ist gut.«
»Jetzt, verdammt noch einmal, was hat er damit gemeint?« protestierte Parzival auf dem Heimwege.
Er mußte schnell arbeiten. Er hatte nicht ganz zwei Monate bis zur drohenden Hochzeit vor sich.
Ob er Lulu mit jemand zusammenbringen und erwischen könnte? Wie wär's mit Floyd Naylor? Der Idiot liebte sie.
Er verbrachte so viel Zeit in Schoenheim, wie ihm nur möglich war, nicht nur mit Lulu, auch mit Floyd. Er ließ alle strahlende Wärme, die er aufbringen konnte, auf Floyd wirken und machte diesen vertrauensseligen Bauerntölpel aus einem Feind zu einem bewundernden Freund. Eines Tages, als Floyd und er zusammen zur Draisine gingen, schnurrte er:
»Weißt du, Floyd, eigentlich ist es ja 'ne Schande, daß Lu mich heiratet, und nicht dich. Du bist so ruhig und arbeitsam und geduldig. Ich komm' so leicht in Hitze.«
»Ach Gott, nein, ich bin nicht gescheit genug für sie, Elmer. Sie muß schon einen Menschen mit Bücherwissen heiraten, wie dich, einen, der sich auch fein anzieht, damit sie in die Gesellschaft und das alles kommen kann.«
»Aber ich glaub', du hast sie selber recht gern gehabt, was? Mußt du ja auch! Das süßeste Mädel auf der ganzen Welt. Du hast sie bißchen gern gehabt?
»Ja, ich glaub' schon. Ich – ach, also, verflixt, ich bin nicht gut genug für sie, Gottes Segen mit ihr!«
Elmer machte kein Hehl aus seiner zärtlichen Zuneigung für Floyd und aus seiner Bewunderung für die guten Eigenschaften und das schöne Singen des jungen Manns. (Floyd Naylor sang ungefähr so, wie man es eben von Floyd Naylor erwarten konnte.) Elmer sprach von ihm als seinem künftigen Vetter und wollte viel mit ihm zusammen sein.
Er pries Lulu und Floyd einander an und ließ sie zusammen, so oft er es bewerkstelligen konnte, schlich aber zurück, um sie durchs Fenster zu beobachten. Doch zu seiner Entrüstung saßen sie ganz einfach da und unterhielten sich.
Dann hatte er eine Woche in Schoenheim, die ganze Woche vor Ostern. Die Schoenheimer Baptisten machten in ihrem Abscheu vor allem Papismus von Ostern nicht viel als Ostern her; sie nannten es »Christi Auferstehungsfest«, hielten aber in der Zeit, welche die Ketzerwelt als Karwoche kennt, gern täglich Meetings ab. Elmer wohnte bei den Bains' und arbeitete mächtig sowohl gegen die Sünde wie gegen seine Ehe. Er war so außerordentlich rührig und beredt, daß er zwei sechzehnjährige Mädchen aus ihren Sünden führte und das abschreckende Beispiel der Nachbarschaft bekehrte, einen Patriarchen, der gegorenen Apfelmost trank und seit zwei ganzen Jahren nicht bekehrt worden war.
Elmer wußte jetzt, daß Floyd Naylor, wenn er auch nicht mehr gerade eine Jungfrau war, in seinen Taten und seinem Mut weit hinter seinen Wünschen zurückblieb, und machte sich an die Arbeit, diesen Mut anzustacheln. Er ging mit Floyd auf die Weide hinaus und erzählte, nachdem er huldvoll zugegeben hatte, daß ein Prediger von solchen Dingen vielleicht nicht reden sollte, von seinen amourösen Eroberungen, bis Floyds Augen hungrig hervorquollen. Dann führte Elmer unter gekicherten Entschuldigungen die Sammlung vor, die er seine Künstlerphotographien nannte.
Floyd verschlang sie. Elmer mußte sie ihm leihen. Das war an einem Donnerstag.
Gleichzeitig entzog Elmer Lulu die ganze Woche hindurch die Zärtlichkeiten, nach denen es sie verlangte, bis sie verzweifelt war.
Am Freitag hielt Elmer anstatt der Abendandacht eine Morgenandacht ab und richtete es so ein, daß Lulu, Floyd und er ein Picknickabendbrot im Ahornwäldchen nahe beim Bainshaus haben konnten. Er schlug es idyllisch scherzend vor, und Lulu strahlte auf. Als sie mit ihren Körben zum Wäldchen gingen, seufzte sie ihm hinter Floyd zu: »Oh, warum bist du so kalt gegen mich gewesen? Hab' ich dich wieder geärgert, Lieber?«
Brutal schnauzte er sie an: »Ach, winsel doch nicht immer so verdammt herum! Kannst du dich denn nicht benehmen, als ob du etwas Verstand hättest, wenigstens einmal?«
Als sie das Abendbrot auspackten, konnte sie sich kaum vor Schluchzen halten.
In der Dämmerung wurden sie mit dem Essen fertig. Sie saßen still da, Floyd sah Lulu an, wunderte sich über ihre Bekümmertheit und schielte nervös auf ihre hübschen Fesseln.
»Ich muß reingehen und paar Notizen für meine morgige Predigt machen. Nein, ihr zwei wartet hier auf mich. Angenehmer draußen in der frischen Luft. In 'ner halben Stunde bin ich wieder zurück«, sagte Elmer.
Unter großem Lärm entfernte er sich durch das Gebüsch; dann kroch er leise zurück und stellte sich hinter einen Ahornbaum in ihrer Nähe. Er war stolz auf sich. Es klappte. Schon schluchzte Lulu ganz offen, während Floyd sie tröstete: »Was ist denn, Kind? Was ist denn, Liebe? Sag mir's.«
Floyd hatte sich näher an sie herangeschoben (Elmer konnte die beiden gerade noch sehen) und sie legte ihren Kopf an seine vetterliche Schulter.
Bald war Floyd dabei, ihr die Tränen wegzuküssen, sie schien sich näher an ihn zu schmiegen. Elmer hörte ihr gemurmeltes: »Oh, du solltest mich nicht küssen!«
»Elmer hat gesagt, ich soll von dir wie von einer Schwester denken, und ich kann dich küssen – ach du lieber Gott, Lulu, ich hab' dich ja so schrecklich lieb!«
»Oh, wir dürfen nicht –« Dann Schweigen.
Elmer jagte in den Scheunenhof, fand Diakon Bains und forderte barsch: »Kommen Sie! Sie sollen sehen, was Floyd und Lulu machen! Stellen Sie die Laterne weg. Ich hab' eins von den elektrischen Dingern da.«
Er hatte eines. Er hatte es eigens für diesen Zweck gekauft. Er hatte auch einen Revolver in der Tasche.
Als Elmer und der entsetzte Mr. Bains über sie kamen, sie im Lichtkreis der elektrischen Taschenlampe sahen, waren Lulu und Floyd in einen endlosen Kuß vertieft.
»Dal« heulte der beschimpfte Elmer. »Jetzt sehen Sie, warum ich gezögert habe, mich mit diesem Weib zu verloben! Ich hab' schon lange den Verdacht gehabt! Oh, Greuel – Greuel, und die ihn begeht, soll vertilget werden!«
Floyd sprang hoch, ein bissiger Hund. Elmer hätte zweifellos mit ihm fertigwerden können, aber es war Diakon Bains, der Floyd mit einem rasenden Hieb zu Boden schlug. Dann wandte sich der Diakon zu Elmer um, mit den ersten Tränen, die er seit seiner Knabenzeit kannte: »Vergeben Sie mir und den Meinen, Bruder! Wir haben gegen Sie gesündigt. Das Weib da soll immer dafür leiden. Sie wird mir nie wieder ins Haus kommen. Sie wird, bei Gott, Floyd heiraten. Und der ist der hilfloseste, verdammt blödeste Bauer in zehn Provinzen!«
»Ich gehe. Ich kann das nicht ertragen. Ich werd' Ihnen einen anderen Prediger schicken. Ich will nie einen von Euch wiedersehen.«
»Ich kann Ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Versuchen Sie uns zu vergeben, Bruder.« Der Diakon schluchzte jetzt, es war ein mühsames qualvolles Schluchzen, ein empörtes Schluchzen der Wut.
Das letzte, was Elmer im Licht seiner elektrischen Lampe sah, war Lulu, außer sich, mit hochgezogenen Schultern, im Gesicht entsetzten Wahnsinn.