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Frank Shallard hatte im Mizpah-Seminar für Theologie promoviert und seine erste Stellung angetreten. Und nun, da er Geistlicher war, theoretisch ein anderer Mensch als die gewöhnlichen Leute, dachte er darüber nach, ob dem geistlichen Beruf denn überhaupt ein Wert zugesprochen werden könnte.
Was taugten schlecht gesungene, miserable Hymnen? Wozu waren Predigten gut, wenn die Gemeinde ganz genau so zu sein schien wie Leute, die nie in ihrem Leben eine Predigt gehört hatten? Waren alle Geistlichen und alle Kirchen, grübelte Frank, bloß abergläubische Überreste, bloß eine Art Feuerversicherung? Gesetzt, es gebe so etwas wie inspirierende Predigten, gesetzt, es könne ein so kurioses Amt wie das des Geistlichen, des professionellen Guten Mannes geben; so etwas wie ein Erlernen von Güte, genau so wie man Installation oder Zahnheilkunde lernen kann. Und selbst wenn es so wäre, was für eine Vorbildung hatten er und seine Klassenkameraden, oder seine Professoren – deren D. D. – Titel sie nicht vor Unpäßlichkeiten und schlechter Laune bewahrte – für dieses Geschäft professioneller Güte?
Man erwartete von ihm, er solle ein Übel heilen, das Laster heiße. Aber er hatte das Laster nie kennen gelernt; er wußte nicht einmal genau, was eigentlich diese interessanten Dinge waren, denen die Leute frönten, wenn sie lasterhaft waren. Wie lange würde ein Trunkenbold auf den Rat eines Menschen hören, der noch nie eine Kneipe von innen gesehen hatte?
Man erwartete von ihm, er solle der Menschheit den Frieden bringen. Aber was wußte er denn von den Gewalten, die Kriege verursachen, seien es persönliche, Klassen- oder Nationalkämpfe; was von berauschenden Giften, Leidenschaft, verbrecherischen Lüsten? Von Kapitalismus, Bankwesen, Arbeit, Lohn, Steuern; internationalen Handelskämpfen, Munitionstrusts, ehrgeizigen Soldaten?
Man erwartete von ihm, er solle die Kranken trösten. Aber was wußte er denn von Krankheit? Wie konnte er wissen, wann er beten, wann er Pulver empfehlen sollte?
Man erwartete von ihm, er solle der bekümmerten Menschheit die Absichten Gottes des Allmächtigen erklären, er solle mit ihm plaudern, ja, ihm Ratschläge betreffs seiner Pflichten in Regen- und Kirchenangelegenheiten erteilen. Aber welchem Gott dem Allmächtigen? Professor Bruno Zechlin hatte Frank mit hundert anderen Göttern außer dem jüdischen Jehova, oder Jahve, bekannt gemacht, der nur ein armer und ziemlich mürrischer Verwandter so heiterer Aristokraten, wie Zeus, gewesen war.
Man erwartete von ihm, er solle eine mystische Wandlung durchgemacht haben und infolge dieser die Fähigkeit besitzen, ohne die Normalappetite leben zu können. Man erwartete von ihm, er solle Mädchenbeine ohne jedes Interesse betrachten und, zur leichteren Zerstreuung, sich damit begnügen, Kirchenzeitungen zu lesen und Diakonen die Hand zu drücken. Aber er entdeckte ein höchst unbehagliches Interesse für anmutig bewegte Beine an sich, er wäre gern ins Theater gegangen, und keine Reue konnte ihn davon abhalten, Romane zu lesen, obgleich seine Professoren sie ihm als Zeitvergeudung und als frivol hingestellt hatten.
Was hatte er gelernt?
Gerade genug Hebräisch und Griechisch, um unter Zuhilfenahme von Wörterbüchern durch die Bibel kriechen zu können – was zur Folge hatte, daß er sie, wie alle seine Klassenkameraden, sobald sie einmal aus dem Seminar waren, immer englisch las. Eine ganze Menge der mehr verdammenden Bibelstellen – eigentlich weniger als der durchschnittliche Zimmermannsevangelist. Die Theorie, daß Indien und Afrika ihre Leiden haben, weil sie nicht christianisiert sind, das christianisierte Bangor und Des Moines aber, weil der Teufel, ein Wesen offenbar mächtiger als der Allmächtige Gott, umherschleicht und die Arbeit der Baptistenprediger untergräbt.
Er hatte gelernt, akademisch, wie man mittels Kirchenbazaren Geld erhebt; er hatte gelernt, was er bei Seelsorgerbesuchen zu sagen hatte. Er hatte gelernt, daß Rogers Williams, Adoniram Judson, Luther, Calvin, Jonathan Edwards und George Washington die größten Männer der Geschichte seien; daß Lincoln in allen Krisen voll glühender Frömmigkeit gebetet hätte; und daß Ingersoll seinen imaginären Sohn an sein Totenbett gerufen und ihn gebeten hätte, ein orthodoxer Christ zu werden. Er hatte gelernt, daß der Papst zu Rom plane, nach Amerika zu kommen und sich der Regierung zu bemächtigen, und lediglich durch die Drohungen der Baptistengeistlichkeit, mit ein klein wenig Unterstützung der Methodisten und Presbyterianer daran verhindert werde; daß die meisten Verbrechen ihre Ursache entweder im Alkohol hätten, oder in der Tatsache, daß die Leute den Baptistenpferch verlassen und zum Unitarianismus übergehen; und daß Geistliche nicht rote Krawatten tragen sollten.
Er hatte gelernt, wie man aus jüdischen Texten, griechischer Philosophie und Evangelistenanekdoten vom Mittelwesten eine Predigt zusammenbraut. Und er hatte gelernt, daß die Armut gesegnet sei, daß aber Bankiers die besten Diakone abgäben.
Sonst schien Frank, als er niedergeschlagen seine Ausrüstung musterte und seine Laufbahn betrachtete, nicht das geringste gelernt zu haben.
Aus Elmers Gantrys Beziehungen zu Lulu Bains, aus Harry Zenz' Anspielungen auf seinen Atheismus schloß Frank, daß ein Geistlicher ein Schurke oder ein Heuchler sein, und doch von seiner Gemeinde akzeptiert werden könne. Aus dem Benehmen des Dekans Trosper, der Gott mit Essig diente, schloß er, daß man von allen routinierten Sünden frei sein, jedes Kirchengebot befolgen und doch seiner Herde nichts als Furcht bringen könne. Wenn er den berühmten Gottesgelehrten lauschte, die das Seminar besuchten und vor den heranwachsenden Propheten paradierten, schloß er, daß ein Mann gelehrte und heftige Geräusche machen könne, ohne etwas zu sagen, das auch nur sechs Minuten im Gedächtnis haftete.
Er kam endlich zu dem Schluß, wenn Kirchen und Priestertum überhaupt einen Wert haben sollten – und dessen war er durchaus nicht sicher – könnte er als Priester auf keinen Fall etwas wert sein.
Und doch war er ordiniert worden, hatte er eine Kanzel angenommen.
Ob er das unumgängliche Lügen ohne die Drohungen Dekan Trospers und die verwirrenden Beschwörungen seines Vaters ertragen hätte, steht dahin. Franks Vater war nicht gerade streng, doch er war schon seit so vielen Jahren Baptistengeistlicher, daß die Kirche ihm heilig war. Sehen zu müssen, daß sein Sohn sie verleugnete – das hätte ihn zerbrochen. Er wäre außer sich geraten, wenn man ihm gesagt hätte, er empfehle Frank zu lügen, aber er erklärte, die Antworten, die man im Ordinierungsexamen gäbe, seien schließlich doch nur poetische Symbole, durch einen generationenlangen liebevollen Brauch geheiligt; sie müßten nicht wörtlich genommen werden.
Und so sagte Frank Shallard, Schüler Bruno Zechlins, einem examinierenden Kleriker, ja, er glaube, daß die Taufe durch Untertauchen von Gott selbst als einzig gültiges Mittel zum Anfang eines gerechten Lebens bezeichnet sei; ja, Sünder, die nicht bereuten, kämen in eine wörtlich zu verstehende Hölle; ja, zu diesen Sündern, die nicht bereuten, gehörten alle Menschen, die in keiner evangelischen Kirche seien, obgleich sie die Möglichkeit dazu hätten; und, ja, der Schöpfer eines Universums mit Sternen, die hunderttausend Lichtjahre entfernt sind, interessiere sich dafür, und würde sehr böse, wenn ein kleiner Junge Sonntag nachmittags Baseball spiele.
Eine halbe Stunde nach der Weihe und der einigermaßen tröstlichen Begrüßung durch Veteranen des Priestertums faßte er sich und brannte darauf, zu fliehen, doch wieder hielt ihn der traditionelle Wunsch, »seinem Vater nicht weh tun zu wollen«, davon ab, ehrlich zu sein. Er blieb also in der Kirche … und fuhr fort, seinem Vater jahrelang weh zu tun, statt nur einen Tag.
Ein trauriger und bekümmerter junger Mann war der Frank Shallard, der sein erstes Pastorat an der Baptistenkirche in Catawba antrat, einem Flecken mit achtzehnhundert Einwohnern im gleichen Staat wie Zenith und das Mizpah-Seminar. Der Ort hatte ihn gern und nahm ihn nicht ernst. Man sagte, seine Predigten seien »wirklich poetisch«; man bewunderte ihn, weil er imstande war, bei der alten Mrs. Randall zu sitzen, die seit dreißig Jahren eine Invalide, seit sechzig Jahren ein Ekel, und in ihrem ganzen Leben noch nicht einen Tag krank gewesen war. Man bewunderte ihn, weil er einen Knabenclub ins Leben rief, ging aber mit der Unterstützung nicht so weit, auch nur das geringste beizusteuern. Alle nannten ihn »Reverend« und sagten ihm, er sei für einen unglückseligerweise gut erzogenen Menschen erstaunlich fest im Glauben; und er blieb weiter in einem Vacuum.
Frank war zufrieden mit seiner fünften Predigt in Catawba; er war überzeugt, alles Zaudern hinter sich zu haben. Er hatte beschlossen, alle theologische Polemik, alles Dogmatische zu vermeiden und sich auf die Führerschaft Jesu zu konzentrieren. Das war sein Thema, in der Kapelle mit den leuchtend blauen Wänden – er war ein Junge mit eifrigen Augen und Lockenhaar, seine etwas schrille Stimme sang wie eine Geige, als er seinen Jesus schilderte, den gütigen Freund, die nimmer versagende Zuflucht, den mutigen Führer.
Er war sicher, gut getan zu haben; seine Gedanken beschäftigten sich damit, als er am Montagvormittag von seiner Pension zur Post ging.
Er sah einen gewissen Lem Staples, einen freundlichen Pferdearzt, der als Dorfatheist bekannt war, auf einem zerbrochenen Wagensitz vor dem Mietswagenschuppen sitzen. Doc Staples war Abonnent des Wahrheitssuchers, einer Zeitschrift, die für ungläubig galt, und zitierte Robert Ingersoll, Ed Howe, Colonel Watterson, Elbert Hubbard und andere Schriftsteller, die im Geruch standen zu glauben, ein Katholik sei ebenso gut wie ein Methodist oder Baptist. Der Doc war Junggeselle, er lebte allein in einem kleinen gelben Häuschen, und Frank hatte gehört, daß er weiß Gott wie lange aufsitze, bis Elf und sogar noch später, und in Mart Blums Saloon Karten spiele.
Frank konnte ihn nicht leiden und kannte ihn nicht. Er war darauf vorbereitet, ehrliche Feindschaft willkommen zu heißen – aber ein Mensch, der sich offen als Atheist bekannte, na, raste Frank, der mußte ein Narr sein! Wer schuf die Blumen, die Schmetterlinge, die Sonnenuntergänge, das Lachen kleiner Kinder? Solche Dinge geschahen doch nicht nur einfach! Überdies: warum konnte der Mann seine Zweifel nicht für sich behalten und auf den Versuch verzichten, anderen Leuten die Religion wegzunehmen, die ihr einziger Trost und Stärke in Krankheit, Kummer und Not war? Das war doch nicht einmal eine Sache der Moral, sondern des Respekts vor dem Glauben anderer Leute, ja, eine Sache des guten Geschmacks –
An diesem Morgen, als Frank schnell die Vermont Street entlang ging, rief Lem Staples ihm zu: »Schöner Tag, Reverend. Sagen Sie! Haben Sie's eilig?«
»Ich hab' – nein, nicht gerade besonders.«
»Setzen Sie sich mal zu mir. Ich hab' paar Fragen, die mir Kopfzerbrechen machen.«
Frank setzte sich, vor Verlegenheit überlief es ihn kalt.
»Hören Sie, Reverend, Mutter Gherkins hat mir von Ihrer gestrigen Predigt erzählt. Sie meinen, es ist ganz egal, was für 'n Bekenntnis einer hat, das einzige, worauf wir uns alle verlassen können, mit Sicherheit, ist die Lehre Jesu?«
»Nun, ja, das ist es so ungefähr, Doktor.«
»Und Sie sind überzeugt davon, daß jeder vernünftige Mensch seiner Lehre folgen wird?«
»Ja doch, selbstverständlich.«
»Und Sie sind überzeugt davon, daß die Kirchen, was für Fehler sie auch sonst haben, diese Wahrheit Jesu besser überliefern, als wenn wir überhaupt keine Kirchen hätten?«
»Natürlich. Sonst wär' ich ja nicht in der Kirche!«
»Dann können Sie mir vielleicht sagen, woher es kommt, daß neun Zehntel der ganz sicheren und einwandfreien Mitgliederschaft der Kirche aus zwei Gruppen bestehen: den ganz einfach Unwissenden, die Angst vor der Hölle haben und jede dumme Lehre fressen, und, zweitens, den fürchterlich anständigen Leuten, die Kirche spielen, um noch anständiger auszusehen? Wie kommt das? Warum sind's gerade die geschicktesten Arbeiter und die tüchtigsten Handwerker, die sich gewöhnlich über die Kirche lustig machen und ihr nicht einmal im Monat in die Nähe kommen? Wie kommt das?«
»Das ist nicht wahr, vielleicht kommt es daher!«
Frank verspürte ein Gefühl des Triumphs. Er sah hinüber zu dem Haufen verrosteter Hufeisen und Pflugscharen, die neben der Schmiedewerkstatt lagen; er dachte daran, daß er diesen Ort säubern, eine Macht zum Guten sein würde. Weniger schnippisch erläuterte er: »Natürlich, ich hab' keine Statistiken darüber, aber Tatsache ist, daß fast jeder intelligente und einflußreiche Mann im Lande der einen oder anderen Kirche angehört.«
»Ja – angehört. Aber geht er auch hinein?«
Frank ging geärgert davon. Er suchte sich zu trösten, indem er sich sagte, Doc Staples sei ein Lümmel, recht amüsant, wenn er seine bäuerische Sprache mit halb verdauten Worten aus seiner Lektüre mischte. Aber er war beunruhigt. Das war der gewöhnliche Mann, den die Kirche, wie man von ihr erwartete, überzeugen sollte.
Frank erinnerte sich, aus der Tätigkeit seines Vaters, wie viele theoretische Kirchenmitglieder munter und lustig imstande zu sein schienen, Monat für Monat den Predigten fernzubleiben; er erinnerte sich der Kaufleute, die recht imponierend den Sammelteller weitergehen ließen, nachher aber, wenn sie mit seinem Vater sprachen, herzlich wenig davon zu wissen schienen, wovon die Predigt gehandelt hatte.
Er studierte seine eigene Gemeinde. Da waren sie: die Ortshonoratioren mit steifen Kragen, und die einfältige, gutmütige, bäuerische Masse, die ihn nur verstand, wenn er ihnen den Himmel als Belohnung für ein Leben der Monogamie und der ehrbaren Hühnerzucht versprach oder die Hölle als Strafe für das Trinken von gegorenem Apfelwein androhte.
Catawba hatte – als einzigen großstädtischen Zug – eine Möbelfabrik mit hervorragend tüchtigen Arbeitern, von denen nur wenige der Kirche angehörten. Nun war Frank Shallard sein ganzes Leben lang von einer Schicht isoliert gewesen, die er in aller Freundlichkeit als »arbeitende Klasse« verachtete. Die Mädchen im Hause seines Vaters und die älteren, frommen und untüchtigen Neger, welche die Heizung bedienten; Installateure oder Elektrotechniker, die zu Reparaturen ins Pfarrhaus kamen, Eisenbahner, mit denen er auf Reisen Gespräche anzuknüpfen versuchte; nur diese hatte er gekannt, immer voll unbewußter Überlegenheit.
Jetzt suchte er schüchtern mit den Kunsttischlern bekannt zu werden, wenn sie beim Essen auf dem Fabrikgrundstück saßen. Sie nahmen ihn gutmütig auf, aber wenn er fort ging, hatte er das Gefühl, daß sie hinter ihm herlachten.
Das erstemal in seinem Leben schämte er sich, Geistlicher, Christ zu sein. Er sehnte sich danach, zu beweisen, daß er trotzdem ein »richtiger Mann« sei, und wußte nicht, wie er es beweisen solle. Er fand, daß alle Kunsttischler, außer den Katholiken, über die Kirche lachten und dem Gott, an den sie nicht glaubten, dankten, daß sie am Sonntagmorgen nicht Predigten anhören mußten, wenn es so schöne Hinterveranden gab, auf denen man sitzen, schöne Sportnachrichten, die man lesen, schönes Bier, das man trinken konnte. Sogar die Katholiken schienen einigermaßen zu bezweifeln, daß eine bezahlte Messe die Macht habe, ihren verstorbenen Verwandten aus dem Fegefeuer herauszuhelfen. Einige von ihnen gestanden, daß sie lediglich »ihrer Osterpflicht genügten« – nur einmal im Jahr zur Beichte und zur Messe gingen.
Es fiel ihm auf, daß er nie gewußt hatte, eine wie große Schicht intelligenter und unabhängiger Arbeiter zwischen den Herren und den menschlichen Lasttieren stand. Er hatte nie gewußt, wie beiläufig diese Aristokraten der Handarbeit die Kirche verachteten; wie sie sich über ihre eigenen Führer, die Beamten der A.F.L., lustig machten, die sich sicherten, indem sie sich an einem schwulstigen Lippenchristentum anschlossen. Über diese Entdeckungen konnte er nicht hinwegkommen. Sie machten ihn unsicher, wenn er durch die Dorfstraßen ging, auszusehen versuchte wie ein kleiner Prophet und sich vorkam wie ein Maskierter.
Er hätte vielleicht den Dienst verlassen, wäre nicht der Reverend Andrew Pengilly, der Pastor der Catawba-Methodistenkirche gewesen.
Wenn man Andrew Pengilly aufgeschnitten hätte, würde man gefunden haben, daß er durch und durch weiß war. Er war der Typus des Geistlichen, der in frommen Romanen so beliebt ist, und doch existierte er wirklich.
Jeder Gemeinde, der er diese vierzig Jahre gedient hatte, war er ein guter Hirte gewesen. Sie hatten ihn geliebt, auf ihn gehört und ihn unterzahlt. Im Jahre 1906, als Frank nach Catawba kam, war Mr. Pengilly ein sanfter, gebeugter Veteran mit silberweißem Haar, dünnem, silberweißem Schnurrbart und einem sanften Lächeln, das die ganze Welt umarmte.
Andrew Pengilly war als Trommeljunge in den Bürgerkrieg gegangen, hatte ohne Decke barfuß und verwundet im Frost der Tennesseeberge geschlafen, war noch als Kind zurückgekommen, hatte dann in einem Laden gearbeitet und in der Sonntagsschule unterrichtet. Mit zehn Jahren war er bekehrt worden, aber mit fünfundzwanzig Jahren wurde er von den Predigten Osage Joes, des Indianerevangelisten, überwältigt, wurde Methodistengeistlicher und zweifelte von da an nie mehr am Frieden Gottes. Mit dreißig Jahren verheiratete er sich mit einem leidenschaftlichen, singenden Mädchen, das freundliche Lippen hatte. Er liebte sie so romantisch – schon die Flickendecke über ihr zurechtzuziehen, war Poesie, und ihre dicksohligen Schuhe aus derbem Leder waren für ihn Märchenpantoffel – er liebte sie so hingebungsvoll, daß in ihm nichts mehr für andere Frauen zurückblieb, als sie im Kindbett, noch im ersten Jahr nach der Hochzeit, starb. Er lebte allein und hatte immer eine Vision von ihr vor sich. Auch das verleumderischeste Klatschmaul hatte nie davon geredet, daß Mr. Pengilly den Witwen in seiner Herde brünstige Blicke zugeworfen hätte.
Andrew Pengilly lernte in seiner Jugend wenig aus Büchern, und bis zum heutigen Tage wußte er nichts von Bibelkritik, vom Ursprung der Religionen, von der Soziologie, die anfing, die Kirchenführer zu beschäftigen; aber seine Bibel kannte er, glaubte an sie, Wort für Wort, und ein Etwas hatte ihn dazu getrieben, ekstatisch-mystische Bücher zu lesen. Er war ganz und gar Mystiker; die Welt der Pflüge und des Hasses bedeutete ihm weniger als die Welt der Engel, deren silberne Gewänder um ihn in der Luft zu leuchten schienen, wenn er einsam in seinem Häuschen Betrachtungen anstellte. Er wußte ebensowenig von modernen Sonntagsschulmethoden wie von Bodensteuern oder lithauischen Finanzen; aber nur wenige Protestanten hatten mehr in den frühen Kirchenvätern gelesen.
Als Frank Shallard den ersten Tag in Catawba war, als er seine Bücher in dem Zimmer auspackte, das er bei Diakon Halter, dem Drogisten, hatte, wurde ihm der Reverend Mr. Pengilly gemeldet. Frank ging hinunter in das Wohnzimmer (vergoldete Schilfkolben, Laterna-magica-Bilder in einem Körbchen), und in seiner Einsamkeit erwärmte ihn Mr. Pengillys umfassendes Lächeln und langsames Sprechen:
»Willkommen, Bruder! Ich bin Pengilly, von der Methodistenkirche. Ich hab's nie recht fertiggebracht, Unterschiede zwischen den einzelnen Sekten zu sehen, und ich hoffe, wir werden imstande sein, gemeinsam zum Ruhme Gottes zu arbeiten. Ich hoffe sehr fest darauf! Und hoffentlich werden Sie auch mit mir fischen gehen. Ich weiß«, enthusiastisch, »einen Teich, wo's paar feine Hechte gibt.«
Viele Abende verbrachten sie in Mr. Pengillys Häuschen, das weniger unordentlich und besser gelüftet war, als das des Dorfatheisten Doc Lem Staples, ganz einfach deshalb, weil die wackeren Damen von Mr. Pengillys Gemeinde miteinander wetteiferten, für ihn zu fegen, abzustauben, seine Bücher und gekrakelten Predigtnotizen durcheinander zu bringen und ihn mit Galoschen und Flanellwäsche für den Winter zu quälen. Sie ließen nicht zu, daß er sich sein Essen selbst kochte – sie zwangen ihn, die einzelnen Pensionstiche der Reihe nach durchzumachen – aber öfters kochte er des Abends Rühreier für Frank. Er war sehr stolz auf sein Kochen. Er hatte nie versucht, etwas anderes zu kochen als Rühreier.
Sein Wohnzimmer war voller Porträts und Kohlendrucke. Obgleich jeder geistliche Ortsausschuß ihn deshalb bestürmte, bestand er darauf, Madonnen, Auferstehungen aus dem Cinquecento, Bilder des St. Franciscus von Assisi und sogar ein Heiliges Herz seinen methodistischen Würdenträgern, dem Leonidas Hamline und dem geheimnisvollen, romantischen Francis Asbury zu gesellen. Im Erkerfenster stand eine Pyramide mit Geranien. Mr. Pengilly war ein eifriger Gärtner, abgesehen von den Wochen, in denen er in Träume fiel und nicht ans Jäten und Begießen dachte; und im Winter achtete er darauf, die Geranienblätter genügend verwelken zu lassen, um sie abpflücken und sich rührig vorkommen zu können.
Im Zimmer dominierten der bejahrte Hund und die alte Katze, die einander verachteten, nie aufhörten, einander anzuknurren, und nachts friedlich ineinandergerollt schliefen.
In einem alten, schlecht bezogenen Schaukelstuhl, der mit Kattunkissen gepolstert war, lauschte Frank Mr. Pengillys Schwärmereien. Eine Zeitlang redeten sie nur über Gebräuche; Klatsch aus ihren Kirchspielen; über den Mann, der Heiterkeit erregte, indem er »Hallelujah« rufend von Kirche zu Kirche ging und die ehrbaren Leute beunruhigte; Lokaltratsch, nicht ohne gesunde und erfreuliche Bosheit. Frank hatte zuerst Angst davor, seine jugendlichen Bedenken einem so gelassen heiteren alten Heiligen vorzutragen, schließlich aber gestand er seine Zweifel ein.
Wie, fragte er, lasse sich ein liebender Gott vereinen mit einem, der einen Usa schlug, für die lobenswerte Handlung, die Bundeslade vor dem Fall bewahren zu wollen, der zweiundvierzig Kinder tötete (auf eine etwas possierliche Weise noch dazu), weil sie Elisa etwas zugerufen hätten, was noch heute jeder kleine Junge in Catawba rufen würde? War das vernünftig? Und, wenn nicht, wenn irgendein Teil der Bibel mythisch war, wo sollte man aufhören? Woher konnte man wissen, ob irgend etwas in der Bibel »geoffenbart« sei?
Mr. Pengilly war nicht entsetzt, noch war er sehr aufgeregt. Seine mageren Finger aneinandergelegt, ganz unten in seinem abgenützten Plüschsessel, fing er an zu reden:
»Ja, ich hab' gehört, daß die höheren Kritiker solche Sachen fragen. Ich glaub', es ärgert die Leute. Aber ich weiß nicht, ob Gott diese Steine des Anstoßes nicht vielleicht in die Bibel gebracht hat als Probe auf unseren Glauben, auf unsere Bereitschaft, von ganzem Herzen und von ganzer Seele etwas anzunehmen, was unserem Verstand vielleicht lächerlich erscheint? Sehen Sie, unser Verstand reicht nicht weit. Denken Sie mal – wieviel weiß denn sogar ein Astronom von den Menschen auf dem Mars, wenn's überhaupt dort Menschen gibt? Ist es nicht unser Herz, unser Glaube, mit dem wir Jesus Christus aufnehmen sollen, und nicht unsere historischen Tabellen? Fühlen wir nicht seinen Einfluß auf unser Leben? Sind es nicht gerade die größten Männer, die ihn am stärksten empfinden? Vielleicht will Gott der Priesterschaft alle Leute fernhalten, die in ihren armseligen Verstand so verliebt sind, daß sie nicht demütig sein und die große, überwältigende Wahrheit von Christi Barmherzigkeit ganz einfach annehmen können. Sind sie – wann fühlen Sie sich Gott am nächsten? Wenn Sie fürchterlich obergescheite Bücher lesen, die an der Bibel Kritik üben, oder wenn Sie im Gebet auf den Knien liegen, wenn Ihr Geist sich ganz einfach ergießt und Sie wissen, daß Sie mit Gott vereint sind?«
»Ach, natürlich –«
»Meinen Sie nicht, daß er alle diese verwirrenden Dinge vielleicht einmal erklären wird, wenn es ihm selbst gut erscheint? Und möchten Sie bis dahin nicht lieber eine Hilfe für die armen, kranken, leidenden Menschen sein, als ein feines kleines Buch, das Fehler aufdeckt, schreiben?«
»Oh, also –«
»Und hat es je etwas gegeben, das dem Buch der Bücher darin gleichgekommen wäre, verlorene Seelen zur Seligkeit heimzuführen? Hat es nicht gewirkt?«
In Andrew Pengillys trostreicher Gegenwart schienen das überzeugende Argumente, regelrechte Offenbarungen zu sein; Bruno Zechlin war weit weg und verschwommen; und Frank war zufrieden.
Ebenso tröstete Mr. Pengilly ihn wegen der intelligenten Arbeiter, die nichts von der Kirche wissen wollten. Der alte Mann lachte ganz einfach.
»Ja, um Gottes willen, Junge! Was erwarten Sie sich denn als Prediger? Eine ganze Welt, die gerettet ist, in der nichts für Sie zu tun bleibt? Ich vermute, Ihr Gehalt ist nicht sehr hoch, aber wie wollen Sie denn auch nur das verdienen? Die Leute gehören zu keiner christlichen Kirche? Huh! Als der Herr begann, hat überhaupt niemand zu einer christlichen Kirche gehört! Machen Sie sich auf den Weg und holen Sie sie!«
Das klang dem beschämten Frank fürchterlich vernünftig; er machte sich auf den Weg und holte sie, und holte sie nicht, und blieb weiter im Dienst.
Im Theologieseminar hatte er von der »Übung der göttlichen Anwesenheit« als einem papistischen Mysterium gehört. Nun erlebte er es. Mr. Pengilly lehrte ihn knien, seinen Geist von allem Kummer, allem Stolz, allem Begehren befreien, seine Lippen immer wieder sagen lassen: »Sei mir sichtbar gegenwärtig« – nicht als Zauber, sondern damit seine Lippen nicht von irdischeren Phrasen befleckt würden – und, sobald er abgespannt, müde und exaltiert war, etwas Schimmerndes und fast Erschreckendes um sich fühlen und darin, dessen war er sicher, die wirkliche, liebende, erwiesene Nähe der Göttlichkeit erleben.
Er begann seinen Mentor Vater Pengilly zu nennen, und der alte Mann schalt ihn nur ein wenig aus … bald schalt er gar nicht mehr.
Trotz seiner Unschuld und seinen mystischen Neigungen war Vater Pengilly weder ein Narr noch ein Schwächling. Er redete frei von der Leber weg mit einem neu angesiedelten, großmäuligen Kaufmann, der den Patriarchen für einen Gegenstand seiner – wie er sagte – »Scherze« hielt und rief: »Na, ich hab's satt, drauf zu warten, daß ihr Prediger um Regen betet. Wahrscheinlich glaubt ihr selber nicht viel von dem Zeugs!« Er sagte der alten Miss Udell Bescheid, der Keuschheitsspezialistin des Ortes, als sie kam und näselte, daß Amy Dove sich in der Dämmerung mit den jungen Burschen herumtreibe. »Ich weiß, wieviel Spaß Ihnen das Klatschen macht, Schwester«, sagte er. »Vielleicht ist's nicht christlich, Sie dran zu verhindern. Aber zufällig weiß ich alles über Amy. Und wenn Sie sich jetzt aufmachen und der armen, alten, verkrüppelten Schwester Eckstein beim Waschen helfen wollten, dann würden Sie vielleicht genug zu tun haben, um ohne Ihren täglichen Skandal auskommen zu können.«
Er hatte auch Humor, der Vater Pengilly. Er konnte über die Verschrobenen in seiner Gemeinde lächeln. Und den Dorfatheisten Doc Lem Staples hatte er gern. Er hieß ihn oft zu sich kommen, und Frank tat es wohl, zu hören, mit welch beseligender Ruhe Vater Pengilly den Späßen des Doktors über die Pfennigfuchser und Sünder in der Kirche lauschte.
»Lem,« sagte Vater Pengilly, »'s wird Sie ja sehr überraschen, aber ich muß Ihnen sagen, daß Sie in Ihrer Herde auch zwei Drittel Sünder haben. Ja, ich hab' sogar schon von Pferdedieben gehört, die in keiner Kirche sind. Das muß doch was beweisen, glaub' ich. Ja, mein Lieber, ich hör' Ihnen voller Bewunderung zu, wie Sie von den herzensguten Atheisten reden, nachdem ich grad' von den Kannibalen gelesen hab', die recht wenig von uns Methodisten und Baptisten heimgesucht sind.«
Nicht nur in seinem Garten, auch in den Wäldern, am Fluß fand Vater Pengilly Gott in der Natur. Mit dem Fischen war er verrückt – obgleich ihm gar nichts daran lag, wirklich einen Fisch zu fangen. Frank trieb mit ihm auf einer verfaulten Plätte in einem toten Seitenarm unter den Weiden dahin. Er hörte das Gurgeln des Wassers zwischen den Wurzeln und betrachtete die Kreise, die ein springender Barsch hinterließ. Der alte Mann (das rötliche Gesicht mit dem silberigen Schnurrbart von einem entsetzlichen Bauernstrohhut beschattet) summte: »In Gottes Barmherzigkeit ist eine Größe, wie die Größe der Meere.« Wenn Vater Pengilly ihn hänselte: »Und Sie müssen Ihre Zuflucht zu Büchern nehmen, um Gott zu finden, junger Mann«, dann war Frank es zufrieden, ihm zu folgen, Pfarrer zu sein wie er, Pengillys langer Erfahrung mehr zu trauen als beunruhigenden Untersuchungen, jede Erklärung über die Gültigkeit der Bibel anzunehmen, über die Mission der Kirche, die Führerschaft Christi, welche diesem Soldaten des Kreuzes Befriedigung zu gewähren vermochte.
Frank gewann Einfluß als Prediger. Er verließ Catawba und kam nach Pastoraten in zwei oder drei größeren Städten nach Eureka, einem Lager von vierzigtausend energischen Industriemenschen; hier nahm ihn die liebenswürdige Bess und heiratete ihn.
Bess Needham, die später Bess Shallard werden sollte, hatte außerordentliche Ähnlichkeit mit einem Rotkehlchen. Sie besaß dieselbe Freudigkeit, dieselbe frohe Rötlichkeit und dieselbe Überzeugung, daß Frühaufstehen, Zwitschern, Liebe zur Nachkommenschaft und strengste Sorgfalt in der Ernährung die Ziele des Daseins seien. Sie hatte Frank bei einer »Geselligen Kirchenzusammenkunft« kennengelernt, bemitleidet, was sie für seine unterernährte Blaßheit hielt, und ihren Vater, einen freundlichen, tüchtigen Dentisten, veranlaßt, Frank zu sich einzuladen, zu »einem richtigen Essen« und herrlicher Grammophonmusik. Sie lauschte zärtlich seinen Reden – sie hatte keine Ahnung, worum es sich handelte, aber sie hörte gern den Klang davon.
Ihn erregten ihr schlanker Hals, ihr behäbiger Busen, ihre Finger mit den Grübchen, die sein Haar streichelten, bevor er noch wußte, daß er sich danach sehnte. Es tat ihm wohl, daß sie sagte, »er sei viel besser« als der Rev. Dr. Seager, der ältere Baptistenpfarrer in Eureka. Sie konnte ihn also ohne Kampf heiraten; sie hatten drei Kinder, so schnell es überhaupt ging.
Sie war eine bewundernswerte Frau und Mutter. Sie füllte die Wärmflasche für sein Bett, sie kochte vollendet Pökelfleisch mit Kohl, sie war höflich zu den aufreizendsten Pfarrkindern, sie sparte Geld, und wenn er mit geistlichen Kollegen zusammensaß und sich über die Sakramente den Kopf zerbrach, lauschte sie ihm, ihm allein, in strahlender Mütterlichkeit.
Er sah ein, daß er mit Frau und drei Kindern nicht daran denken könne, die Kirche zu verlassen, und im Augenblick, da er das einsah, begann er, sich eingefangen zu fühlen und sich nur um so mehr von seinem Gewissen plagen zu lassen.
In Eureka, mit seinen Walzwerken, seinem Betrieb, seinen Konflikten zwischen knickerigen Fabrikherren und schlauen Sozialisten gab es nichts von der Beschaulichkeit Catawbas, wo die Gedanken ferne Sterne zu sein schienen, die durch den Dunst leuchteten. Hier gab es ein heftiges Jagen von Ideen, und daraus entstand der »Liberale Predigerklub«, in den Frank gezogen wurde, bevor er noch vierzehn Tage in Eureka war.
Der Anführer dieser Liberalen war Herrmann Kassebaum, der modernistische Rabbi – jung, hübsch, mit schwarzen Augen und noch schwärzerem Haar, lachlustig, von den Auserlesenen der Stadt für einen flachen Charlatan und gefährlichen Burschen gehalten, und tatsächlich der gelehrteste Mann, den Frank, außer Bruno Zechlin, je kennengelernt hatte. Zu ihm gesellte sich ein beschaulich atheistischer Unitarianergeistlicher, ein Presbyterianer, der an Sonntagen orthodox und an Montagen revolutionär war, ein schwankender Kongregationalist und ein anglokatholischer Episkopalist, der von den Schönheiten des Rituals und seiner Herkunft vom Mithraskult schwärmte.
Und Franks Plagen begannen von neuem. Er las zum zweitenmal Harnacks »Was ist das Christentum?«, Sunderlands »Ursprung und Natur der Bibel«, James' »Abarten der religiösen Erweckung«, Frasers »Goldzweig«.
Er war in der lieblichen Situation, in der alles, was er tat, falsch war. Er konnte sich nicht mit den Diskussionen im liberalen Klub zufriedengeben. »Wenn ihr das glaubt, warum geht ihr dann nicht aus der Kirche raus?« fragte er ununterbrochen. Doch er konnte sie nicht verlassen; konnte deshalb unter den Baptistenbrüdern nicht großen Erfolg haben. Wenn er schüchterne Andeutungen über seine Zweifel fallen ließ, protestierte seine gute Frau Bess: »Du kannst den Leuten nicht durch den Verstand beikommen. Übrigens, sie würden dich ja gar nicht verstehen, wenn du richtig aus dir rausreden und ihnen die Wahrheit sagen würdest wie du sie siehst. Sie sind nicht weit genug dafür.«
Sein schlimmster Zweifel war der Zweifel an sich selbst. Und bei diesem ganz würdelosen Schwanken blieb er, beneidete sowohl Rabbi Kassebaum um sein öffentliches Höhnen über alle Religion, wie die buchstabengläubigen Protestanten um ihre von keinem Bedenken angekränkelten Donnerreden. Er, der jeden Sonntagmorgen seiner Gemeinde geschickt den Weg zum Himmel zeigte, war selbst in ein Fegefeuer selbstverachtender Zweifel geworfen, in dem jede seiner häuslichen Tugenden Feigheit war, all sein mystisches Streben abergläubisches Blendwerk, und sein ganzes Sehnen nach Ehrlichkeit eine Grausamkeit, die er Bess und ihren vielgeliebten Jungen ersparen mußte.
In dieser Stimmung war er, als der Reverend Elmer Gantry plötzlich zu ihm ins Arbeitszimmer trat, strahlend und zuversichtlich, groß, hübsch und glatt, und auseinandersetzte, wenn Frank ihm hundert Dollars zukommen lassen könnte, würde Elmer, und voraussichtlich auch der Herr, dankbar sein und ihm das Geld in zwei Wochen zurückgeben.
Der Anblick Elmers als geistlichen Kollegen war zu viel für Frank. Um Elmer loszuwerden, gab er ihm hastig die hundert Dollars, die er für die Bezahlung der letzten beiden Entbindungsrechnungen gespart hatte; dann saß er an seinem Tisch, den Kopf zwischen den flachen Händen, und betete: »O Herr, führe mich!«
Er sprang auf. »Nein! Elmer sagte, ihn hätte der Herr geführt! Ich will mir die Möglichkeit schaffen, mich selbst zu führen – ich will –« Dann wieder schwach: »Aber wie kann ich Bess weh tun, meinem Vater weh tun, Vater Pengilly weh tun? Ach, ich werd' weitermachen!«