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Der leuchtende Baum

Er war mir wie ein Mensch, so lieb – und noch heute. Er hat keine leuchtenden Wangen mehr, ist gelb geworden, gallengelb. Noch im vorigen Monat hingen Granaten an ihm, und seine zarten Blätter waren lauter blühende grüne Spitzenjabots. Wie schnell er dahinsiechte! Über das unausstehliche Krähen der Hähne ärgerte er sich mit mir in taktloser Frühe, denn er war ein kleiner, vornehmer, chevaleresker Baum, ich glaube, er war ein Marquis. Wie oft hörte ich ihn »mais donc« rufen, wenn der Hahn mit seinen watschelnden Frauen auch gerade unter seinen adeligen blutbehangenen Zweigen einherspazierte. Niedere Mauer trennt in den Höfen der Gartenhäuser Hahn von Hahn. Auch Ziegen meckern, was aber eher belustigend auf meinen leuchtenden Baum zu wirken schien, denn seine Zweige bewegten sich erheitert. Ich mag nicht mehr durch mein Fenster auf den Gartenhof sehen. Auch die beiden Freundinnen meines vornehmen Baumes sind nicht mehr. Wohl besteht ihr Gerippe, zwei Gespenster, auf deren dürren Armen ahnungslos die Spatzen sitzen, auf ihr Mannah vom Himmel herab warten. Zwischen den entblößten Bäumen friert der November, der Totengräber, er lauert auf den dritten Baum, »auf meinen zarten Baum«. Täglich vergilbt matter sein mageres Blatt, und die letzten verschrumpften Beeren fielen auf die Erde ins spärliche Gras: Granaten, Blutstropfen, Liebe, Abschied.


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