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Der Inkas

Mein Oheim Sebastinos kam plötzlich nach Europa zurückgereist. Seitdem er wieder da ist, riecht es überall, namentlich in unserem Hause, nach Meer und nach Teer und nach allerlei fremdländischen Gewächsen. Aus Großmutters Nase hängen stets zwei Wattebausche mit kölnischem Wasser beträufelt. Aber ich erfrische mich geradezu an dem Extrakt der großen »Urwasser«, wie Oheim die Meere zu nennen pflegt. Manchmal schwinge ich mich auf sein breites Knie, auf mein südamerikanisches Steppenpferd. – »So ein großer Junge!« Wer meint da was? Großmutter wahrscheinlich – bin aber in Oheims Sebastinos fernen Welt angelangt, aus der er eigentlich niemals heimgekehrt ist. Am meisten interessiert es mich, vom Leben der unvergleichlich herrlichen Schmetterlinge des Landes zu hören, vom schwarzen Inkas mit den grünen Borden an den Flügeln, dem heiligen Falter der gesamten Indianerstämme. Ganz verrückt sind die nach ihm; Bruder tötet den Bruder, kann der ihm eines Leides nachweisen dem Götterschmetterling angetan zu haben. Ja, scharf sind sie auf die schwarzen Inkas und die Teeplantagen bewachen die Indianer mit Indianertreue. Mit Vorliebe hält sich der schwebende Götze in den Teeplantagen die längste Zeit des Tages auf. Und zwar wegen der Teerose, die dort ihren Fife-o'clock-teapunch aus der Blüte der Teestauden einnimmt. Der Teerosenschmetterling trägt seinen Namen nicht nach seiner goldbraunen Farbe graziöser Schwingen, doch seines Aufenthaltes wegen im Bereich der Teefelder Mexikos. Wörtlich erklärte mir der Oheim Sebastianos so: »Überhaupt das Liebesleben der Schmetterlinge hat etwas Zartes an sich, kein Mensch macht sich einen Begriff davon.« Um besser erzählen und nach Herzenslust ausspeien zu können, kaute Oheim tüchtig seinen Kaugummi; ich biß abwechselnd mit ihm von der dicken Stange ab, erst weigerte ich mich, im Glauben, er kaue Stockfarbe, bis ich mutig probierte. Eines Tages war's ihm gelungen, tatsächlich einen Inkas zu erhaschen. »Mit der bloßen Hand«, betonte er. Die überwölbte ihn liebevoll kühlend – ein Schatten –, schon aus Ehrfurcht behutsam vor dem alten Indianerkult. Der mächtige Falter hatte sich nämlich auf den großen Lapislazuli an seinem Finger gesetzt und Oheim benutzte die wohl nie wiederkehrende Gelegenheit. Hohe Stelzen trugen Oheim Sebastinos Haus in Mexiko wegen der Gefahr der wilden Tiere in der Nacht und der Schlangen, die sich in der nahenden Dunkelheit vom Urwald ins Dorf sich schlängelten, und namentlich war es eine giftige Klapperschlange, die immer wieder kam und nicht auszurotten war, sich die Pellen der Würste holte, die die heimkehrenden Cowboys von ihren Sweet hearts aus der Hauptstadt allwöchentlich zum Abendbrot und Gedenken dediziert bekamen. Oheim Sebastinos erzählte, er habe vor Freude ordentlich Funken geschlagen auf dem Heimweg mit seiner seltenen Jagdbeute im Verließ seiner Hand. Hatte ihm auch immer schon geahnt, mal so einen Inkas mit heimzubringen. Und er darum auch eine luftige Behausung sich angelegt hatte, einen wahren Schmetterlingspalast gastlich auf alle Fälle. Durch seine begrenzten Weiten schwebte nun das gefangene heilige Tier, manchmal leider prallte es an die Horizonte der verklebten Welt grausam ab, um immer wieder von neuem zu versuchen, einen Ausweg zu finden. So wüst und gewalttätig Oheim auch ausschaute, schmerzte ihn die Gefangenschaft, die er allerdings sofort in Freiheit hätte verwandeln können, bis ins tiefste Mark. Auch machte ihm die eintretende Melancholie seines heiligen Gefangenen große Sorge. Eines Morgens, Oheim war gerade dabei, mit frischen Teeblättern den Boden des Inkasbauers zu tapezieren, ereignete sich etwas Wundervolles. Mindestens hundertfünfzig Teerosen zählte Oheim, die teils das Portal belagerten, teils sich schmiegten, beflügelte goldschimmernde Blumen an der Vorderfront des Inkaspalastes. Aber noch viel gefährlichere Aufständige hatten sich gegen ihn verbündet, schlichen um seines Gartens Zaun, etliche von jedem der drohendsten Indianerstämme. Pampeia, die Häuptlingstochter der Pampas, beobachtete schon lange heimlich das goldbraune Amazonenheer der Teerosen. Schöpfte Verdacht ... Meinem Oheim Sebastinos rannen zwei durchsichtige Glaskugeln über die Backe, aber als ich genau hinsah, waren es zwei runde, dicke Tränen. Denn die Pampeia hatte bis dahin immer mit ihm geflirtet von der Krone einer Urwaldpappel; er war der kupferroten Indianerjungfrau von Herzen gut gewesen. Ach, es erfüllte ihn mit Schmerz noch beim Erzählen der Dinge, daß sie ihn gerade verraten habe, sie! Die Pampeia nämlich hinterbrachte den Aufenthalt des heiligen Tieres den Pampas und die den anderen Stämmen Mexikos. Manchmal erweckte schon im Morgengrauen ein altes Indianervolkslied, das vom heiligen Inkas und der Teerose handelt, meinen armen Oheim. Wenn ich es doch noch wiederholen könnte!! Ich platzte vor Erwartung. Schließlich platzten wir alle, denn meine ganzen Schulkameraden waren unterdessen gekommen, saßen auf seinen Schultern; neben mir schnellte mein Freund Peter auf dem anderen Knie meines Oheims spurlos dahin und kam wieder; an seine starken Arme hangen sie sich paarweise. Wahnsinnig nah ging ihm das Lied. Er zwitscherte es immer wieder hell, ganz hell, eins, zwei, dreimal hintereinander so in den Raum. Wir fühlten alle mit einem Mal, er dachte an seine Flamme: Pampeia. Pampeia hatte ihn verraten – als er von der Plantage heimkehrend über die Stiege seines Hauses heraufkletterte, sah er ihren Schatten eilend verschwinden und über den Zaun klettern. Sie hatte mit ihrem Gurtmesser die Seidenfaser der Wände des Inkasbau durchschnitten. Und mein Oheim gewahrte dann auch noch, was ihn im Grunde am tiefsten schmerzte, seinen angebeteten Inkas begleitet von einer braungoldenen Wolke, einem Heer von Teerosen, hoch über die Beete seines Gartens schweben, fort, fort in die weite, weite Welt Mexikos. »Ich habe nie geweint«, behauptete er, »aber nun heulte ich bitterlich und merkte in meinem Gram nicht den Stich der giftigen Klapperschlange, die die Häuptlingstochter rächend heimlich wie eine Ranke um die Lehne meines Stuhles gewunden hatte, von dem ich den Inkas zu beobachten pflegte.« Oheim zeigte auf seinen linken, bewegungslosen starren Arm, den wir umklammerten wie eine standhaltende Säule.


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