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Der Uhu

Der Vorderseite der verrunzelten Wand, schräg vor meinem Fenster, habe ich nie ins Gesicht gesehen. Mit der Kehrseite aber bin ich vertraut geworden. Ich danke ihr sogar eine unvergleichliche Begebenheit. Da einige ihrer Backsteine gänzlich abbröckelten, auf den Gartenhof fielen, entstand sozusagen ein Grübchen im Körper des alten Baues, das bald ein heimatloser Vogel sich zu Nutzen machte und mit seiner Frau ein Nest auf dem geschützten gefundenen Bauplatz baute. Ich sah täglich, wie das Kohlmeisenpaar Halme, Spinngewebe sammelten und aus einem halben Kamm, den sie fanden, Haare herauszerrten, um das Innere ihres Nestes zu polstern. Durch die Drahtöffnungen drangen sie in den Hühnerstall im Nebengartenhofe, holten sich die molligen Federchen, die die Hühner sich gegenseitig ausgerupft hatten, und flogen davon. Ich sehe so gerne auf dem Gartenhof, wenn man genau schaut, begibt sich immer etwas frisch von der Natur, was man nicht auf der Straße erleben kann. Als es August wurde, kamen die beiden verheirateten Vögel nicht mehr, sich von meinem Fensterbrett Brot holen, das für sie gedeckte Mahl blieb unberührt. Und doch bewegten sich, wenn ich angestrengt um die Ecke in die Nische der Wand blickte, Flügel. Ich trinke immer meinen Tee nahe am Fenster und liebe grade die Kohlmeise, deren Urgroßeltern ich schon als Kind ihres bunten schimmernden Gefieders wegen bewunderte. Die aßen mit Vorliebe alle Arten Kohl. Auch waren es ebenso liebe Vögel gewesen, wie diese Enkel, denen meine Küche nicht mehr zu munden schien. Was konnte ich anders annehmen. In den letzten Nächten hörte ich einigemale Uhu schreien und dann wieder früh am Morgen, bis ich mich von dem wirklichen Vorhandensein des unheimlichen Vogels überzeugte.

Das geschah zur Imbißstunde. Ein viereckiger Mörderkopf spähte aus der Behausung meiner kleinen Freunde mit zwei runden, bösen, unbeweglichen Augen, gerade durch mein Fenster in mein Zimmer. Ich hatte schon mein Tüchelchen aus der Tasche geholt, um zu weinen, als ich in der Krone der Silberpappel die Kohlmeisen sah, wie sie mit leckeren Regenwürmern kleinen Meischen die Schnäbel stopften. Aber auch der Uhu betrachtete das sorgliche Spiel, trat vor sein Haus, schupperte sich, erprobte seine Flügel, da er die Reste meines Latschinkens auf dem Fensterbrett bemerkt hatte. Im Nu kam er knarrenden Flügelschlags herbeigeflogen, er war nicht mehr der Jüngste der Uhus, er litt an Gicht. Nichtsdestoweniger verschlang er die Delikatesse, ohne sich darüber mit einem Blick zu äußern, und zog sich zurück in seine steinerne Höhle; die verzärtelten Daunen hatte er herausgeschmissen. Als der Vogelbeerenbaum unten im Gartenhof voll Beeren stand, lehnte ich oft aus meinem Fenster und lächelte mit ihm und wünschte mir, solch einen blühenden Schmuck um den Hals zu tragen. Die Kohlmeisen verzichteten auch ferner, sich von mir ernähren zu lassen. Sie gruben nach weißem Fleisch, frisch aus dem Erdreich. Das bedurfte ihre Brut, um Vögel zu werden. Und nur mein Uhu ließ mich nicht im Stich. Er hatte Vertrauen zu meiner Küche. Ihn hätte ich ja auch niemals zum Vegetarismus gebeten. Eine Stunde hatte ich mich heute verschlafen; anzunehmen, daß der Uhu wohl schon eine Stunde vor meiner Fensterscheibe saß und wartete. Und wenn ich nie an Gedankenübertragungen von Mensch zum Menschen geglaubt hätte, so glaube ich nun auch noch an eine Bluttelegraphie zwischen Mensch und Tier. Bitte, nehmen Sie mich auf Eid! Sie alle, denen ich diese Begebenheit erzähle und in der Naturgeschichte bereichere. Im kurzgebogenen Schnabel des Uhus schaukelte ein kleiner Ast vom Vogelbeerenbaum mit sieben dunkelroten Korallen, in einer Dolde gefaßt. Durch das von mir schleunigst geöffnete Fenster flog der Raubvogel behutsam in mein Zimmer, legte ritterlich die herrliche Morgengabe auf meinen Teller und ohne viel Firlefanz verzehrte er die noch in der Büchse übrig gebliebenen Sardinen mit Kopf und Schwanz, schlürfte das aromatische Öl in seine alten, verrosteten Eingeweide, reinigte seinen Schnabel, fühlte sich behaglich und mit einem Uhuschrei sprang er sich strotzend und wie in jungen Jahren voll seliger Lust, ein beglückter Augustvogel, kaum seine lächerliche, enge Mietswohnung im Souterrain seiner Welt verächtlich streifend, über die Dächer der Häuser hinweg, würdig auf seinen Kirchturm, dessen Spitze ich genau sehen kann von meinem Fenster aus.


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