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Stadt, Buch und Läden

Ich schreibe so selten über Bücher oder Städte, durch die ich spaziere und die mich einladen zu bleiben. Bücher bedeuten für mich Städte, Städte Bücher, leere und lebensreiche. Und da das Buch mir eine ganze Stadt entfalten kann, mit Straßen und Läden und Menschen, die vor ihrem Schaufenster stehenbleiben, genügt mir schon das Buchhändlerlexikon mit der Anzeige neuerschienener Bücher. Genau wie die Stadt veranlaßt oft das Buch noch zu bleiben, alle seine mannigfachen Seiten zu durchstreifen. Nicht der Handel allein lockt den Menschen in die Großstadt oder gar die vielerlei Vergnügungen, aber der mächtige Atemschlag, die gewaltige Bewegungsmöglichkeit, der Austausch des spannenden Gaukelspiels seiner pulsierenden Gedanken und Gefühle. Wie jede Stadt einem Gulliver ein Riesenspielzimmer bedeutet, enthält selbst das wissenschaftlichste Buch seines Autors Spielsachen. Er stellt gedruckte Schau aus. Doch nicht bei jedem Buche trifft es zu, daß es sich um des Schreibers erwachsene, gereifte Spielsachen handelt, oft leider nur um übertünchte, zurückgebliebene. Darum begeistern sich gerade die bedeutenden Dichter an der noch ungefälschten, schlichten Kindlichkeit des Volksliedes. Heiliger Präsente Herzschau. Ein Zwischending der Stadt und dem Buch ist der Laden. Im Grunde ist jeder Laden ein Spielzimmer. Sein Schaufenster, das große Guckloch, sein spielerisch dekoriertes Willkommen. Nie hört, solange wir leben, das Spiel der Gedanken und der Gefühle auf, und die blutrote Spielkammer des Herzens barg wohl das allererste Spiel. Und schon der Mitteilende – legt aus, ausbreitet seine Habseligkeiten. In einem Buche allerdings befleißigt sich der Niederschreibende, methodisch die Dinge und Undinge nebeneinander zu vereinen. Steht auch kein Preis auf jedem seiner Worte, so fordert er für seine Hingabe – Verständnis. Er legt seine Produktion, manchmal aber auch die aus fremder Bezugsquelle, im Buchhändlerdeutsch angezeigt, auf den Spielplatz des Marktes. Ja, die Spielsachen sind wohl die Hauptsachen der Welt, die faßbaren und die unberührbaren. Die Honorare sind es nicht, die man meist nicht einmal erhält. Die Flut des Talentes ist es, die die Muscheln und Korallen über den Rand unserer Lippen schleudert. Der angestellte Vermittler der Spielläden unserer Spielsachen ist der Verleger – – – bei uns klingelt es nur. Für mich bedeutete schon als Kind jedes Buch, ob es von Max und Moritz oder vom Struwelpeter handelte, einen Spielraum, wie jeder Laden unserer Stadt. Und trotzdem ich nun so wenig Zeit habe, überall bleib ich vor dem Schaufenster stehen, mir die vielen Dinge anzusehen. Selten möchte ich dieses oder jenes mir erstehen, denn – ich habe es ja, habe ich es angesehen. Und wie man gerne ab und zu einen Schmöker liest, so liebe ich auch, die anspruchslosesten Ladenfenster primitiver Läden klirrend umzublättern. Wie amüsant sind doch die Seifenfilialen, Wasservogel, ein Schwarm davon in jedem Viertel:

Rosen, Nelkenseifen, weiß und lila Flieder
Liegen waschgerecht in sauberen Schachteln immer wieder.
Zwischen Kitschodeuren und Lavendel
Pflegt man zu verpacken allerhändl
Für den Schauenden zum Zeitvertreib.
In den Tagen unserer Osterzeit,
Schäumen Osterhasen gar nicht teuer.
Besen, Scheuertücher, »Liebgeruch«, für Tante Meier,
Pinsel mit und ohne Stiel
Und zur Seite ihnen Lux und auch Persil,
Soda, Wichse, beinah viel zu viel.
Nippes sind mir all die primitiven Dinge –
Ich wand're weiter und ich singe:

»Es gibt ja so viel Läden, was brauch' ich einen Bücherschrank!« Zerstreuung bietet mir der Straßen mannigfaches Leben. Obendrein ich eine Spiellust geerbt hab' sondergleichen; wahrscheinlich nur meinem Vater zum Vorwand geboren bin, noch in seinen weißen Jahren die Spielware der Läden, mich vorschiebend, unauffällig betrachten zu können. Daß er sich Kreisel, Murmeln, blecherne Enten, die watscheln konnten und schnattern, zur Morgenimbißfreude kaufte, aber ebenso in den Weinhandlungen die Flaschen und kleinen Fäßchen Mosel, seine beschwipsten Kasperlefiguren jauchzend tanzen ließ, daran waren die fröhlich Zechenden schon gewöhnt. Könnte man wie Bücher die Läden auf Regalen ordnen oder irgendwo auf Marmor legen, so würde man, wie bei Büchern, von Romanläden und Gedichtläden, wertvollen und tiefen Läden, Schmöker- und Hintertreppenläden sprechen und sie so unterscheiden. Gestern, es war am Sonntag, bekam ich einen lyrischen Laden, einen Erstklassiker, in mein Haus gesandt, zwischen silberrauschenden Bucheinbänden: 100 Jahre Gebrüder Friedländer. Der Senior des kostbar verbrämten Spielladens Unter den Linden grub einst selbst das Material zu den edlen Spielsachen – in Australien.


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