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Ich hörte die Bäume mit Orchesterbegleitung des Meeres rauschen; September war es, und der Tag legte sich mit mir zeitiger nieder, schwärmerisch zum Konzert. Ein neues Herbstlied blies der Herbststurm in die laubigen Dudelsäcke der Kastanien, und noch in der Frühe tanzten die kindlichen Wolkengebilde über den Rücken der Welt. Dann kam die kleine Sonne im goldpunktierten Spielkleidchen. Auf die Erde zu scheinen, bedeutet jedesmal für sie: Mit dem großen Erdball spielen!! Ach, es war ja soviel trübe gewesen im Sommer, aber nun hielt sie endlich wieder die liebesbedürftige Erde in ihren spiellustigen Strahlenhänden. Wir, die wir beisammen saßen, jahresmüde, froren auf einmal nicht mehr und dachten: Was das Goldkind doch vermag! Oft habe ich es brennend schreien hören nach seiner dunklen Erdfreundin hinter der Pforte seines himmlischen Spielzimmers. Das glaubt mir kein Mensch. Aber alle Wetterberichte scheitern am Fels der Offenbarung. Nur der Frosch hat das Talent mit auf die Welt gebracht. Seine Prognose, was Wetter anbetrifft, stimmt auf ein Froschschenkel! Und man sollte sich des grünen Professors Prophezeiungen ernster zu Gemüte ziehen. Ich bin verliebt in die Welt! Das gehört dazu, ihre Sprache zu verstehen, ihre Taten zu erkennen. Das Geheimnisvolle, die Mystik, wie der Mensch das Gewebe nennt, das er selbst, fremd der Dinge, über die Schöpfung webt und ihre Pore verstopft, entstand aus der Trägheit seines Denkens und Empfindens. Das kleinste Tier schüttelt darüber den Kopf. Die Welt – hört! Steht von Anbeginn für die Geschöpfe, für jedes Blatt, jeden Kiesel, jeden Tropfen der Gewässer, und für das winzigste Sandkorn des Strandes weit geöffnet zum Hineingucken – ins glitzernde Riesenei. Die Welt ist Ostern! Aber auch durch die Schale der Schöpfung vermögen wir zu sehen, allerdings nur mit keuschem Gesicht. »Wer reinen Herzens ist, wird Gott schauen.« Immer fallen Sterne auf die Erde, denn alles ist ausgebrütet, glühende Sterne, aber auch weiße kommen aus den Höhen und bedecken die müde Welt behütend zu. Der liebe Gott fragte mich einmal im Traum: »Gefällt dir meine Welt? Dann will ich sie dir schenken!« Seitdem gehört sie mir, und seitdem habe ich grenzenlos zu tun. Nämlich – sie immer anzublicken. Fiel mir doch die Schöpfung geradezu in den Schoß. Wie müdet sich dagegen das Geschöpf ab, sie einzuatmen, die überschäumende Welt zu leeren. Ich aber beginne von den hohen Bäumen, den laubigen Erzvätern, besonders den großblattohrigen, viel zu lernen. Mir hilft kein Sträuben; der strenge Frost holt mich, aber auch der tyrannische Sturm, genau wie der holde Julivogel in die Aula der Welt. Jeder Sonnenfleck huscht tänzelnd über meine Hände, und der Spätsommer sucht mit mir Kerne an den Sträuchern der Buchäcker. Die esse ich so gern! Wirklich, ich könnte keinen Zweig mehr vom Lenz pflücken, und doch goß jüngst ein junger Baum seine Pracht über mich, zauberte aus meinem dunklen Gewand ein weißes Kleid. Verwachsener mit dem Erdreich und kraftvoller im Mark ist der Baum, und gütiger und vernünftiger als der Mensch. Welche Sorgfalt alljährlich übt in ihrer Grundfarbe die Pflanze auf die anderen Lebewesen der Welt. Der kleinste Busch, das zierlichste Blatt – wir übersehen das nur gewohnheitsgemäß. In der frischen, lichtgrünen Nuance des Frühlings ebenso wie in der gedämpften Juli- und Augustschattierung stärkt sich unser Auge. Aber auch durch des Herbstes Mannigfaltigkeit erweitert sich aller Geschöpfe Geruchssinn am Narden der sich ablösenden lichten und dunklen Baumrinden – und alles beginnt zu atmen mit Andacht. Das ist es ja! Der Vogel erschrickt bei deinem Wort, ein fremder Laut im Testament seines Gezwitschers. Still sein im Walde, nur die Liebe ist erlaubt – wir küssen uns ... Der Leib, in dem die Seele wohnt, zerfiele vor der Zeit ohne des Herbstes Mörtel oder ohne das erwärmende Spiel der Sonne. Früher spielte die Seele mit dem Leib, wie die Sonne mit der Erde heute noch tut: Ball. Es ist ja alles Ebenbild Gottes – und darum sollte man sich vorsehen in der Welt, etwas zu beflecken – überall möchte ja von der Gottseele einströmen und vermag sich doch nur in den klaren Stellen widerzuspiegeln. Vielleicht begehe ich eine Indiskretion, da ich das Geheimnis des Menschen und seiner Welt verrate. Der Leib ist nur Illusion. Und auch den Körper der Welt erdichtete die erste Menschenseele. Der ist zähe und jedem Stoß gefeit. Aber wenn du einmal ein Erdbeben verspüren solltest, ein vorübergehender Zweifel der Seele an ihrer Weltillusion, denke an mich und verschlingt dich auch der Erdleib, um dich nach Augenblicken wieder auszuspeien. Das kindliche Wechselspiel der noch jungen Seele hieß: Sich verkörpern und entkernen! Der lallende Reim wurde blutiger Ernst. Aber so erklärt sich das Wunder der Fakire, überhaupt aller Heiligen, des Balchem und der anderen Wunderrabbiner, die durch Enthaltsamkeit den bezwungenen Leib zu entbrennen vermochten. Die Kabala sagt: »Der erste Mensch lag ein Schein über die Welt gebreitet.« Die Kabala ist der geistige Garten, etwa der göttliche Plan des Paradieses. Darin wir heute auch noch leben, von leiblicher Vorspiegelung dunkel umfangen in Gestalt angenommener Edenwelt. Das ist die Urtragik der Menschenseele, daß sein erdichteter Koloß sie gefährdet. Ihn abzuwälzen, zögert selbst oft lange der Tod. Hüte deinen Palast aus wachsender Illusion pochendem Fleische gut! Aber auch der Dichter vermag schon bei Lebzeiten die hartnäckige Strophe von seiner Seele zu streichen. Diesen Zustand nennt man: Inspiration: Platzmachen für Gott! Vor allen Dingen aber hebt das inbrünstige Gebet, Beten macht stark, die sehnsüchtige Seele aus ihrer nächtlichen Illusion und hüllt sie in ein sabbatliches Flügelkleid. Das Gebet soll dich befreien. Dein Glauben sei ein fröhlicher! König David tanzte voran im Zuge vor der Bundeslade. – Genau wie mein Körper mir im Licht steht, so steht der Weltseele erdichteter Weltkörper ihr im Wege. Man könnte ein drittes Testament darüber schreiben. Vielleicht weinte dann wieder einmal ein Geschöpf über das verlorene Paradies. Gibt es etwa noch einen kleinen Paradiesfleck, der sich nicht der Illusion Verdichtung unterwarf? Vielleicht wartet ein Eden auf dich hinter der Hecke der Erleuchtung dieser hellseherischen Stunde. Schon im Traume der Liebe von Stiefempfindungen befreit, lösen sich süßschmerzend die Horizonte um deine Seele; doch ihren Leib als willkürliche Dichtung zu begreifen, hieße ihn ebenso fahrlässig dichten, als ihn zu verwerfen. Die Körperwerdung beweist das Vorhandensein der Seele, da nicht einmal ein Weizenkorn Gestalt annehmen kann, ohne der Seele Vorhandensein. Was sich von Gottseele ablöst, wird Geschöpf, will wohnen. So sucht die abgestoßene Seele Heimat in der Schale ihrer Illusion. – Wieder schreitet das Meer über mich. Ich eile in mein Haus, zünde die Kerze an auf meinem Tisch, denn ich zittere vor der dämmernden Abendstunde. Ich glaubte eher zu sterben als mein Kind und hinterließ ihm der Reliquie Vers:
Es brennt ein feierlicher Stern ...
Ein Engel hat ihn für mich angezündet.
Ich sah nie unsere heilige Stadt im Herrn,
Sie rief mich oft im Traum des Windes.
Ich bin gestorben, meine Augen schimmern fern,
Mein Leib zerfällt und meine Seele mündet
In die Träne meines nun verwaisten Kindes,
Wieder neu gesät in seinem weichen Kern.
Ich träume – Wellen dringen durch die Wände meines Zimmers, durch den Spalt der Türe. Ich eile an das Gewässer. Ein Seevögelpaar nimmt mich in seine Mitte – denn – ich habe keine Eltern mehr. Wir schweben über den brausenden Champagner in die weite, weite Welt. März ist es geworden. Der große Schneemann steht schwer beleidigt vor der Frühlingstür. Manchmal schneit er, noch mit Krokodilstränenreif vermischt, die Welt zu ärgern, doch der Lenz läßt sich nicht von ihm einschüchtern. Auf dem Beerenbaum vor meinem Fenster sind die Korallen eingeschrumpft. Nur eine wartet noch auf eine weiße Dohle zur Hochzeitsgabe. Die Korallen der Bäume, die Nadeln der Fichte und die wenigen noch silberbraunen Blätter der Pappel waren im Winter meiner Augen Spielfreude. Die Spatzen weckten mich in aller Frühe, kamen nur deswegen vom Himmel herab. Ich bin verliebt in die Welt. Auch in ihre Illusion, die hat ihre Berechtigung. Frage Gott selbst! Mich verlangte es nur, meine Gedanken und Gefühle zu inkarnieren, sie in Wort zu kleiden. Darum zerstöre nicht meine Illusion, »ich komme sonst aus dem Häuschen«, und ich möchte doch den Sommer von Körper zu Körper erleben in seiner ganzen verschwenderischen Gestalt.