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Viele haben ihr Steckenpferd, ich meinen Spitz. Es sind die weitaus klügsten Hunde unter den Hundevölkern und ich kann von ihnen erzählen. Von unserem Nachbar der Spitz bellte wütend, wenn sich ein Bettler dem Tore seines Gartens näherte, die ganzen Leute auf die Straße heraus. Bis sein Herr selbst aus dem Hause trat, aus dessen Fenster des obersten Stockwerkes meiner Freundin Oberkörper balancierte, bis ihre munteren Augen mich vor der Hecke, die unsere Gärten trennte, entdeckte. Im Nu standen wir beieinander; zu uns gesellten sich meiner kleinen Busenfreundin rothaariger Bruder Fritz und der Lump. So hieß der Spitz. Und er schnupperte schon in meinen Taschen herum, darin die Würfelzucker für ihn steckten. Sein lautes Bellen machte mich nervös. Das wußte er und ohne jeglichen Anlaß sprang er mir ohrenzerreißend entgegen. Er war eben ein kluger Spitz, und wenn sich das kleine Geschwisterpaar ohne ihn fortgeschlichen, fehlte er mir doch. Er hatte lange, silbergraue Haare, von der Farbe des Haupthaars seines Herrn, des alten Herrn Springmayer, der uns Kinder immer von neuem belehrte, seinen Hund mit bezwungener Rührung betrachtend, er sei eine teure, echte Rasse! Es schmolzen schließlich seine starren, eisigen Augen, und der böse Friedrich kitzelte uns Mädchen heimlich die Nacken. Der Herr Springmayer sparte wohl darum auch nicht in der Ausgabe des Halsbandes seines bellenden Kleinods; aus rotem Saffianleder mit Schellen besetzt! So eins trug Lump. Und die kleinen Glocken begleiteten sein kluges Anschlagen. Der Hund gehörte zu Familie Springmayer; einfach: »Springmayers Spitz«. Im Sommer wurde er geschoren, gerade zu seinem Geburtstag, dem 17. August, und ich werde nie den denkwürdigen Tag vergessen, in meinem ganzen Leben nicht, – da zu Spitzens fünftem Wiegenfeste der Vater Springmayer, der seines verschlimmerten Stockschnupfens wegen verhindert war, seinem Sohne Friedrich die Schur des Lieblings anvertraute. Mit prüfendem Blick wurden auch wir zwei Freundinnen entlassen, die wir uns den Fritz zu begleiten anboten. Wohlgemut zogen wir mit Vater Springmayers Hund los, ihn scheren zu lassen nach genauem Befehl. Da geschah es, daß der übermütige junge Hundefriseur bitter Ernst machte, ihm, der nur am Hinterviertel gestutzt werden sollte, den ganzen Pelz radikal abrasierte. Uns, die wir vertieft waren, im Angucken der Instrumente und Flaschen und allerlei hinter dem Glas, entging die Untat, und wir bemerkten sie erst mit Schauern, als sie verübt war. Pudelnackt führten wir den geschändeten Spitz willenlos durch die Straßen der Stadt. Vor dem Schaufenster eines Metzgerladens blieb unser Lump energisch haften; weniger der Würste als der klargeputzten Scheibe wegen, in der er sich mit großen Augen spiegelte. Ihn, der sich nach der Schur wohlzubefinden schien, erfaßte eine Panik sondergleichen. Er ließ, wie wir vor ihm schon den Kopf, seinen Schwanz sinken, erhob zu jedem von uns stumm den klagenden Blick, beschnüffelte das blanke Glas, kläffte mich und Fritzens Schwester vorwurfsvoll an, sprang dem Fritz jammernd um den Hals und weigerte sich, uns weiter zu folgen. Er kannte wie wir den alten Herrn, der für seine sämtlichen Blagen, wie man an der Wupper die Göhren nennt, nicht seinen Spitz hergegeben hätte, zumal er sich zu Ruhe gesetzt hatte und die Kinder zu Familienphotographien nicht mehr benötigte. In seinem Photographenatelier im östlichen Teil des Gartens wohnten seitdem Kakteen, geläutert, wie in einem gläsernen Missionshaus. Morgens pflegte er sich mit der Bibel zu den heidnischen Gewächsen zu begeben, um ihnen die Schöpfungsgeschichte vorzulesen. Der Fritz schmockte in der Zeit den Tabak aus seines erbauten Vaters langer Pfeife, im buntgestickten Lehnstuhl gemütlich hingeflegelt. Wir Kinder erinnerten uns zur gleichen Zeit an die von ihm behüteten stacheligen Möpse und grünen Schlangen in Irdentöpfen – und wie liebte er den Spitz erst!! Den strengen Vater fürchtete Fritz allein auf der Welt; sein gelehrter Direktor war ein Schaf gegen die Autorität seines Papas. Kreideweiß, seine Knie schlotterten, trug er das Tier in seinen bebenden Armen. »Ich springe verdeck in die Wupper!« Seine Schwester hielt Spitzens rechte, ich seine linke Pfote. Auf einmal befreite sich der Hund von unseren Händen, sprang über Fritzens Schulter gerade einer Bulldoggin auf den Rücken, die, wahrscheinlich im Glauben an einen ihr drohenden Lustmord, unseren geliebten Lump in die bloßgelegte Kehle biß, so heftig, daß er verendete – unser lieber, lieber Spitz! – aber wir Hinterbliebenen waren gerettet. Spitzbub im Mundwinkel, doch traurigen Herzens traten wir den Leichenzug an – heimwärts. Als ob er es ahnte – trotz herannahenden Wetters erwartete uns der alte Herr Springmayer niesend vor der Pforte seines Gartens und wir im Chor begannen unter Tränen dem entsetzten Mann die Ballade zu deklamieren, die der Fritz unterwegs erdichtet und uns einstudiert hatte, welche der Vater Springmayer ergeben entgegennahm. Ja, er versuchte sogar, uns schluchzende Kinder nach Möglichkeit zu trösten, und lobte unsere Geistesgegenwart, den verwundeten Spitz zum Tierarzt getragen zu haben; der ihm zur Hinterschur noch den Oberkörper enthaarte, der Wunde besser Herr zu werden. Aber während der Behandlung starb der liebe, liebe Lump ... Am Nachmittag trafen wir Kinder uns auf der Farrersbeck, einem nahen Ausflugsort, an Farren und leckeren Blaubeeren vorbei im Wald, an dessen Niederung unsere Häuser lagen. Wir kicherten vertraulich, bis der Fritz uns drohte, falls wir ihn je bei seinem Vater verklatschen sollten, er uns durchbläuen werde. Dazu brach er vom Rosenstrauch einen Ast ab, säuberte ihn mit seinem Taschenmesser und bog ein Kreuz daraus. Noch am Abend holten mich meine kleinen Freunde zum Begräbnis. Der alte Herr Springmayer war eifrig dabei, Spitzens Grab zu graben mit seiner großen Schaufel. Eine Träne kroch ab und zu über seine Augenlider die morsche Backe herab; jedesmal nahm er seine Brille von seinem Gesicht, wischte sie mit seinem rotpunktierten Taschentuch wieder klar. Wir pufften uns und hatten Mühe, nicht auszuplatzen. Ein strenger Blick traf namentlich den Sohn Friedrich, aber der nahm sein Kreuzchen, drehte die braunen Augäpfel zum Himmel, in der Zeit seine Schwester die Hände faltete, ihr Abendgebet sagte: »Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen; wie Spitz allein« ... Und ich, mächtig ergriffen, holte ein paar Vergißmeinnicht aus dem Gras, blaue und rosa, legte sie schüchtern auf Lumps Hügel. Der Vater Springmayer aber hatte aus einem Zigarrenkistendeckel eine Gedenktafel geschnitzt, auf die er mit dem Pinsel unauslöschlich pechschwarz geschrieben hatte: »Hier ruht mein treuer Wächter Lump in Frieden.«
Dessen Bekanntschaft ich machte in einer kleinen Gauklerbude in der Passage im Zentrum Berlins. Ich wußte damals noch nicht, was ich den Tag über tun sollte, und verbrachte den ganzen Vormittag hinter plakatbeklebter Brettertür. Sah der bunten Geschäftigkeit der summenden Chansonetten zu, ersetzte dem Zauberer den Gehilfen; Berlin hatte es ihm angetan. Bald verstand ich wie der Hexenmeister im schwarzen Holunderbart, aus den magischen Eiern mysteriöse Lachtauben zu zaubern. Ich ordnete außerdem auf einem großen Tablett die flitternden kleinen Sträußchen aus zierlichen farbigen Federn und künstlichen Blümlein, die zum Schluß der Vorstellung der Magier aus einer Serviette elegant hervorzulocken verstand und den Damen ins Parkett zuwarf. Ernstes Interesse hegte ich allerdings nur für den mit einem Kartenhut bekleideten Spitz. Er war ein 66-Künstler, ein Kartenchampion. Noch nie gelang es einem einzigen aus dem Publikum, mit ihm siegreich zu spielen, die Partie zu gewinnen. Seine Freundin Grete, ein weiblicher koketter, aber aufopfernder Pudel, sprang durch Reifen und tanzte auf einer Silberkugel vor den Zuschauern, außerdem aber bemühte sie sich, dem Freund das Leben zu erleichtern; Oskar war ehrgeizig, wie nie ein Spitz vor ihm auf der Bühne stand, und er wäre am liebsten jedem Clown oder jeder weiblichen Nummer, die sich überproduzierte, einfach an die Kehle gesprungen. Alles verhinderte die Pudeline, wenn sie auch ab und zu vorsichtig mit ihrer gelockten Seidenpfote dem Spitz den Vorhang zur Kontrolle zurückbog, der das Künstlerzimmer von dem Zuschauerraum trennte und zu gleicher Zeit für etwaige Bedürfnisse den Leuten die Toilette ersetzte. Namentlich das Weaner Madl war's, die jeden Abend, ob ihr Beifall gespendet wurde oder nicht, ein Liedel beizugeben sich anschickte. Der Spitz kannte die Storchenmär in blöden Trillern nun schon auswendig, sie beleidigte ihn, zumal er mit Störchen groß geworden war und aus Erfahrung behauptete, daß der Storch kein besonderes Interesse hege, zur Vermehrung der Menschheit beizutragen. Ich war nun mal in Oskar verliebt, ließ mir immer wieder seine Lebensgeschichte erzählen. Geboren ward der Spitz in einem märkischen Städtchen, ebenfalls im August, wie der Lump meiner ersten Erzählung. Und zwar zur selben Zeit mit zwei Störchen, die alsbald nach Würmern klapperten auf dem Dach im Nest eines drallen Bauernhauses. Endlich kam Spitzens Nummer: Professor Oskar, der erste 66-Meisterspieler der Welt. Große Neugierde im Publikum und Lärm. Er aber betrat mit vollendeter Kinderstube die Bretter, die die Welt bedeuten. Ich bemühe mich, folgenden Vorgang kühl und sachlich wiederzugeben. Mir liegt daran, den Lesern das Bewußtsein der Tiere zu beweisen, ihnen ans Herz zu legen. Mit dem Instinkt ist's nämlich nicht abgetan, verehrte Herrschaften. Attention! – Professor Oskar springt auf den erhöhten Stuhl vor seinem kleinen Spieltischchen, das, auf gelbgestrichenen hohen Beinen, dem Publikum freien Durchblick gewährt. Also ein jeder von den Zuschauern ist imstande festzustellen: Weder der Direktor noch jemand von der Truppe hat die Hand im Spiel. Auch ich meldete mich, da 66-kundig, mit dem Maestro zu spielen. Der Spitz blickte forschend über das Publikum; ich saß an seiner rechten Seite, beide von der Menge streng kontrolliert. Ich mischte die Karten, legte meinem Partner die seinen vor ihm offen auf den Tisch; die meinen hielt ich in der Hand, sonst genau wie ich mit einem zweihändigen Geschöpf zu spielen pflegte: Professor Oskar befand sich also demnach im Nachteil, und dennoch entwickelte sich ein Kartenspiel, wie es sich zwischen zwei erstklassigen Spielern in seltensten Fällen ereignet. Ich vergaß tatsächlich, einem Hunde gegenüberzusitzen, begann mich anzustrengen, glaubte ihn schon in die Falle gelockt zu haben mit meiner vorletzten Pik-Zehn, aber der Meister klopfte mit seiner schwarzen Pfote erregt auf seinen Pik-König, den ich für ihn auf meine Karte legte. Es ging um die Wurst nun, und wie sich Spitzens Stirn angestrengt in Falten legte, seine klugen Augen erwägend in die Höhlen zurücksanken. Er kalkulierte, beobachtete mich listig, bis seine letzte Karte: Cœur-Dame, über meinen Cœur-Buben siegte. Das war die dritte Partie 66 in derselben Abendvorstellung, die mein Partner gewonnen hatte. Den Kopf vorgestreckt, erwartete er den Lorbeer aus Zucker. Bald kamen alle Berliner, mit Spitz »66« spielen. Das kleine Theater aus Brettern und perlgenähten Gardinen avancierte zum Hofvarieté. Ich durfte vormittags den Spitz und die Pudeline verwarten. Die Hunde wurden mir mit Haut und Haaren anvertraut, in der Zeit der Direktor und die Komödianten im Piratenkeller saßen und die abendlichen Einnahmen versauften.