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Als ich vor einigen Jahren im »Berliner Tageblatt« vom Tode des berühmten Arztes erfuhr, fiel mir eine kleine Geschichte ein, die von dem herrlichen Doktor und mir und einem mexikanischen Indianer handelte, den ich bereits schon zweieinhalb Wochen – im – Magen mit mir herumtrug. Meinen Brief hielt der Geheimrat in der Hand, als er die Türe zum Wartezimmer öffnete, und es schien, er suchte – die Schreiberin, mich. »Hochzuverehrender Herr Geheimrat Bumm. Ich bin die Dichterin Else Lasker-Schüler, und möchte Sie konsultieren, aber ich lebe von Luft und Liebe, die noch dazu sehr rar vorhanden ist. Darf ich doch kommen?« »Else Lasker-Schüler« ... auf einmal erfaßte er meine Hand und führte mich in sein Sprechzimmer, vor das große helle Fenster.
»Erst lassen Sie sich mal anschauen, meine liebe Patientin, ich habe nämlich noch nie eine Dichterin gesehen!« Und der Geheimrat betrachtete meine Augen, meine Lippen, meine Nase, selbst meine Ohren und ihre kleinen, gedrehten Ringe, und dann meine Stirn, »den Leuchtturm, freilich«, meinte er. »Und nun, liebe Dichterin, erzählen Sie, über was Sie zu klagen haben?« Ich begann zunächst wie im Orchester der Geigenspieler die Saiten zu stimmen, ich meine, ich fabulierte; des Doktors Aufmerksamkeit aber beschleunigte die Harmonie meiner sich wirklich zugetragenen Ballade. »Herr Geheimrat, eigentlich bin ich ganz gesund, denn der Druck, den ich (ich drückte auf den Magen) seit zweieinhalb Wochen verspüre, hat seine natürliche Ursache. Ich habe ein Medaillon in Form eines kleinen Herzchens verschluckt.« »Wie kam das, liebe Dichterin?« »Ich schlenderte so für mich die Linden herauf und bemerkte, gerade im Begriff, in die große Passage einzubiegen, ein kleines Herzchen auf dem Trottoir liegen.« »Aus welchem Metall?« forschte der Professor ernst. » Mir schien es aus Fleisch und Blut geformt zu sein, hob es schnell auf, es vor Verwundung zu schützen. Und als ich seine halbgeöffneten Herzkammern«, betonte ich stolz, »behutsam auseinanderbog, blickte ich in ein Gesicht, Herr Geheimrat, wie ich im ganzen Leben nie eines je gesehen hatte. So klein auch die kolorierte Photographie im Rahmen lag, erkannte ich dennoch bezaubert die palmengrünen, langgeschweiften, tiefliegenden, düsteren Augen unter eckiger Stirn.« »Und von welcher Farbe waren seine Haare?« unterbrach mich der Arzt. »Schwarze Eidechsen, Herr Geheimrat.« »Und was fanden Sie in der anderen Herzkammer, liebe Dichterin?« »In der linken Herzkammer, Herr Geheimrat, stand sein Ehrenname: Königstiger der Pumas. Wie lange ich vom Anblick des Indianerhäuptlings besessen vor einem der Läden oder mitten auf dem Damm der Passage entrückt gestanden habe, weiß ich nicht; die Speere scharfer Augen trafen mich, ich erwachte und schrumpfte zusammen zur Haselnuß, darin nur ein einziger Gedanke steckte. Der Schutzmann hatte meinen edlen Diebstahl bemerkt, das kleine kostbare Herzchen pochte in meiner Hand mit meinem großen Herzen. Der Aufpasser bewegte sich. Im Nu verschluckte ich meinen teuren Fund, eifersüchtig, wie ich nun mal bin. Aber, Herr Geheimrat, ich habe eingesehen, eine Verbindung kann unmöglich im Magen gefeiert werden. Au!!« So oft mußte ich aufschreien in den letzten Tagen und Nächten vor Schmerz. Teilnehmend, verständnisvoll untersuchte mich der liebenswürdige Herr Professor – er wird's doch nicht zerdrücken –, und ich atmete auf, als er schon bei den Lungenspitzen angelangt war. Sein Recept trage ich in meiner Jackettasche, im Spitzentuch, als Talisman, einen wunderbar klingenden Vers:
Corde alieno vulnerata
atque oleo crotonis liberata.
(Durch fremdes Herz verwundet
und durch Krotonöl befreit.)