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In Kandern.
Wollt Ihr werben beim Glück um Gunst, Lernet die edle Schmiedekunst, Schwinget den Hammer mit großem Fleiß, Formet das Eisen, so lang es heiß, Und verbrennt ihr die Finger dabei, Machet nicht gleich ein groß Geschrei! |
Bald nachdem ich die Armee verlassen hatte, speiste ich eines Tages an der Tafel des Badischen Hofs in Baden-Baden und kam einem biederen Ehepaar gegenüber zu sitzen, das aus Holland den Rhein heraufgefahren war, um sich ein wenig in der Welt umzusehen. Einige Schüsseln, die der Kellner auftrug, waren den guten Leuten fremd, und der Gatte tat sein Möglichstes, die teure Ehehälfte über die Natur der unbekannten Gerichte zu belehren. – »Was sind das für Fische?« fragte er, als ihm Forellen gereicht wurden. »Forellen, mein Herr!« Er fand sie gut und erklärte der Gattin: »Die Forelle ist ein Fisch, den wir in Holland nicht kennen, aber es ist doch ein guter Fisch!« – Es kamen Artischocken. »Was ist das für ein Gemüse?« – »Es sind Artischocken.« – Mit Messer und Gabel machte er sich daran, die äußeren stacheligen Blättchen zu zerteilen, brachte wirklich ein Stück davon in den Mund und zerstach sich die Zunge. Darauf legte er die Gabel nieder und belehrte die Gattin, die abwartend zugeschaut hatte: »Artischocken sind ein italienisches Gemüse, nicht angenehm, aber interessant zu essen.«
Die Scene gemahnte mich an meine militärischen Erfahrungen. Ich hatte Stacheln im Heerdienst gefunden, doch Interessantes erlebt. Ohne mich zu grämen, hatte ich den Degen abgelegt, meinen Schiffhut verwahrte ich als kostbare Reliquie einer glänzenden Vergangenheit in sicherem Schrein und bewegte mich wieder in bürgerlichem Gewand, das mich weniger schön, aber bequemer kleidete.
An der Schlei und der Eider hatte ich oft sehnsüchtig der herrlichen Landschaft in der badischen Heimat oben bei Basel gedacht, 452 wo der Rheinstrom nach dem Norden sich wendet und Wiese und Kander, die munteren Töchter des Schwarzwalds, sich mit ihm vermählen. Der gesegnete Winkel umschließt die Aemter Lörrach, Schopfheim und Müllheim, den südlichsten Teil der altbadischen oberen Markgrafschaft, das Heimatland Hebels, verklärt von dem Schimmer der Poesie. Ein Volk alemannischen Stammes, regen und betriebsamen Geistes, bewohnt die schönen Gauen.
Ein Jahr war gerade verflossen, seit ich mich in dem Städtchen Kandern von dem Bataillon Holtz, mit dem ich innig verbunden gewesen, verabschiedet hatte, um nach den nordischen Marken aufzubrechen. Inzwischen war einer der beiden Aerzte, die in Kandern praktiziert hatten, weggezogen, man gedachte meiner und forderte mich auf, die Stelle des Abgegangenen einzunehmen. In den ersten Tagen des März folgte ich dem willkommenen Rufe. Es gelang mir rasch, Vertrauen und Praxis zu erwerben. Mit rührender Geduld hatte meine Braut des Bräutigams, des fahrenden Doktors, geharrt, jetzt war der feste Boden gefunden, worauf ich den eigenen Herd errichten konnte. Im August wollte ich mein geliebtes Weib heimführen, da starb plötzlich mein Vater, wir mußten die Hochzeit verschieben, bis der Herbst ins Land zog.
Auf das brausende Epos der Revolution mit dem tragischen Abschluß hinter den Mauern Rastatts folgte ein friedliches Idyll häuslichen Glücks. Meine ärztliche Tätigkeit gewährte mir volle Befriedigung und ein mehr als ausreichendes Einkommen. Ein erstgebornes Töchterchen, natürlich ein Wunderkind, lachte den glückseligen Eltern im zweiten Jahre des Kanderer Aufenthalts, aus der Wiege entgegen. Kein Wunder ist größer, kein Schauspiel entzückender, als die Entwicklung einer Menschenseele.
Eine Sache war freilich schlimm bestellt in Kandern. Die gesellschaftlichen Verhältnisse waren greulich zerrüttet, die Bürgerschaft tief gespalten, selbst in dem Schoße der Familien hauste die Zwietracht. In den kleinen Gemeinden des Großherzogtums hatte die Revolution den bürgerlichen und häuslichen Frieden noch tiefer untergraben, als in den großen. In den Landstädten wohnten die Leute zu nahe beisammen, die steten Berührungen wurden zur dauernden Reibung, 453 die politische Gegnerschaft zur Todfeindschaft. Die nächsten Verwandten haßten sich oft am grimmigsten. Seit der Aufstand niedergeschlagen war, hatte sich die Stellung der Parteien von Grund aus verändert. Die oben gewesen, lagen jetzt unten, besiegt, schwer getroffen, unzählige Hochverratsprozesse gingen den unbarmherzigen Gang des Gesetzes.
Ein furchtbarer Abend ist mir unvergeßlich. Einer der angesehensten Männer, das Haupt der unterlegenen Partei, der Bürgermeister der Stadt, war, des Hochverrats angeklagt, in die Schweiz entflohen. Die mit den Kindern zurückgebliebene Gattin, eine treffliche Frau, hatte mich zum Arzte genommen. Der Entflohene, schwer leidend, kehrte zurück. Nach einigen Tagen kamen die Gendarmen, das Hofgericht hatte sein Urteil gesprochen, er sollte aus den Armen von Frau und Kindern in das Zuchthaus abgeholt werden. Ich wurde hinzugerufen und mußte die bittere Verzweiflung der Familie mit durchmachen: der Mann, der das höchste Ehrenamt der Gemeinde bekleidet hatte, wurde jetzt schimpflich in das Zuchthaus geführt!
Die ersten Jahre nach der Revolution waren im ganzen Lande schrecklich. Allmählich glätteten sich die Wogen. Unter dem milden Zepter des Fürsten, dem heute ganz Deutschland Liebe und Verehrung zollt, kamen wieder bessere Tage, es wurde vergeben und vergessen. Auch dem Hochverräter von 1849 ist noch ein schöner Lebensabend geworden, seinen Mitbürgern ward es vergönnt, ihn nochmals an die Spitze ihres Gemeinwesens zu stellen.
Ungefähr zu derselben Zeit, wie ich, war ein junger Geistlicher, Hermann Strübe aus Schopfheim, als Vikar nach Kandern gekommen, ein kluger, klarer Kopf, ein warmes, heiteres Herz, ohne die Voreingenommenheit vieler seiner Amtsbrüder, ein ausgezeichneter Kanzelredner und trefflicher Prediger christlicher Liebe und Versöhnung. Seiner Jugend ungeachtet schenkten ihm bald beide Parteien Vertrauen. Die düstere Stimmung im Städtchen hellte sich auf, das gesellschaftliche Leben gestaltete sich freundlicher. Mir wurde der gleichaltrige Mann ein treuer Freund und ist einer der wenigen aus der Jugend, die mir der Schnitter, der uns alle mäht, übrig gelassen hat. 454