Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Achtes Buch.

Im badischen Heere 1848 und 1849.

Mit Morgenrot und Lerchenschlag
Brach an im Lenz ein Blütentag,
Und als herniederstieg die Nacht,
Verhagelt war die ganze Pracht.

 


 

Die Heimreise von Prag im März 1848.

Der Postwagen brachte uns von Prag nach Aussig an der Elbe, das Dampfschiff von da nach Dresden. Wir verweilten hier zwei Tage und bewunderten die reichen Kunstschätze der sächsischen Königsstadt; sie war so ruhig, als säße Louis Philippe noch immer ganz sicher auf Frankreichs Throne.

Von Dresden fuhren wir mit der Eisenbahn nach Leipzig, wo wir gleich nach der Ankunft vormittags einen unserer Heidelberger Bekannten aufsuchten und zu Hause trafen, einen Rechtskandidaten namens Scharf aus dem sächsischen Voigtlande. Seine Freunde hielten große Stücke auf ihn, sein Charakter war fest und zuverlässig, an politischer Reife war er den meisten überlegen, er hatte ein bestimmtes Programm seines künftigen bürgerlichen Verhaltens und stand entschieden auf dem Boden des konstitutionell-monarchischen Systems. Von einem republikanischen Deutschland, wofür manche Brauseköpfe schwärmten, wollte er nichts wissen und versprach der eben zur Welt gekommenen französischen Republik keine Dauer. An der Wand seines Zimmers hingen zwei Glockenschläger und mehrere Büchsen, er war ein gewandter Fechter und guter Schütze.

Wir fragten unsern Freund nach dem Stande der Politik in Leipzig; halb ernst, halb scherzhaft gab er zur Antwort: »Es kann täglich losgehen, vielleicht heute schon!« Wir meinten: »Da kommen wir ja gerade recht und können gleich mitmachen!« »Gut!« erwiderte er, »ich kann euch mit zwei vorzüglichen Büchsen dienen.« – Wir sahen etwas verlegen drein, denn wir hatten uns nie auf dem 400 Schießstand geübt. Er lachte: »Ich merke wohl, wie es um euch steht, ihr seid von den Freiheitshelden, die nicht schießen können. Nun, da nehmt ihr eben, wenn es losgeht, die Glockenschläger und verteidigt damit die Barrikaden! – Na, Kinder,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »seid mir nicht böse! Ich denke, unser König läßt es nicht zum äußersten kommen und bewilligt die bescheidenen Wünsche seiner treuen Leipziger. Aber es ist Zeit zum Frühschoppen, ohne ihn geht es in diesen bewegten Zeiten nicht ab. Ich will euch mit unsrem sächsischen Mirabeau bekannt machen, Robert Blum, unsrem Volkstribunen; wir werden hören, was für neueste Nachrichten von Dresden eingelaufen sind, und was darauf weiter beschlossen wird.« – Er führte uns in ein Bierhaus, wo in einem Nebenzimmer ein Dutzend junger Bürger und Studenten Robert Blum erwarteten. Bald darauf kam dieser eilig herein, setzte sich zu uns und teilte die Parole aus. Sie lautete friedlich, die Glockenschläger durften ruhig hängen bleiben. Das ungewöhnlich häßliche, aber ausdrucksvolle Gesicht des großen Volksmanns und Patrioten ist mir unvergeßlich geblieben. – Wir verweilten zwei Tage in Leipzig, nahmen Abschied von Scharf und hörten nie wieder von ihm. Er litt an Gallensteinen, vielleicht ist er diesem Leiden früh erlegen.

Unser Heimweg führte über Halle weiter nach Weimar, wo wir den Manen unsrer größten Dichter und ihres edlen fürstlichen Freundes den Tribut frommer Verehrung darbrachten. Von da eilten wir nach Eisenach und feierten am 8. März ein angenehmes Wiedersehen mit unsrem Freunde Schwanitz, der hier in seiner Vaterstadt als »Stadtgerichts-Accessist« praktizierte, uns auf die Wartburg begleitete und abends in eine Bürgerversammlung mitnahm. Sie wurde in dem großen Saale der »Erholung« abgehalten, worin drei Monate später das von 1500–1800 Musensöhnen beschickte Studentenparlament tagte, das ebenso fruchtlos über eine Verfassung der deutschen Studentenschaft beriet, wie das Frankfurter in der Paulskirche über die deutsche Reichsverfassung. Die Bürgerversammlung beschloß einstimmig, eine von den angesehensten Bürgern der Stadt bereits gutgeheißene und von Schwanitz verlesene Adresse an den Großherzog von Weimar zu schicken, worin ihm 401 die Wünsche des Volkes vorgelegt wurden; es waren dieselben Forderungen, die damals die gebildeten Bürger allenthalben in Deutschland an ihre Regierungen stellten: Preßfreiheit, Schwurgerichte, öffentliches Gerichtsverfahren, deutsche Nationalvertretung und allgemeine Volksbewaffnung. Sie sind heute alle erfüllt, die letzte in Gestalt der allgemeinen Wehrpflicht. Daß es noch immer Leute gibt, die das Jahr 1848 in Bausch und Bogen verdammen, ist unbegreiflich, aber die Menschen, die mit Einsicht Geschichte lesen, sind dünn gesät. – An diese allgemeinen politischen Wünsche wurden noch besondere wirtschaftliche des sachsen-weimarischen Volkes geknüpft. Zuletzt verliefen die bisher ruhigen Verhandlungen durch die Taktlosigkeit eines Teilnehmers stürmisch. Die Nacht war längst eingebrochen, als wir im Eilwagen nach Frankfurt a. M. abfuhren.

Am folgenden Morgen, bei häßlichem, regnerischem Wetter überholten wir eine Kompagnie kurhessischen Fußvolks; die Leute sahen unlustig drein, sie marschierten nach Hanau. Was hatten die freisinnigen Hanauer dem Kurfürsten wieder für Aerger bereitet?

In Frankfurt musterten wir im Saale des Römers sinnend die lange Reihe der deutschen Kaiser von Karl dem Großen bis auf Franz II. Würden wir es erleben, daß eine starke Hand das Zepter des deutschen Reichs aufs neue aufnähme, oder sollte Deutschland nach wie vor das Aschenbrödel der Nationen bleiben?

Die Main-Neckarbahn war bereits am 1. August 1846 von Heidelberg bis Sachsenhausen dem Verkehr übergeben worden und wurde 1848 bis Frankfurt geführt. Als wir der Bergstraße entlang gen Heidelberg fuhren, lag die geliebte Landschaft noch halb im Winterschlafe. Ohne uns aufzuhalten, fuhren wir weiter nach Wiesloch, ungeduldig, die Unsrigen zu sehen. 402

 

 


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