Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Nach 33 Jahren.

Eine lange Zeit war dahingegangen, 33 Jahre, ohne daß ich je ein Wort vernommen, was aus unsern Reisegefährten, dem Onkel und der Nichte, geworden war. Nach menschlichem Ermessen war er nicht mehr am Leben, von ihr hatte uns der Onkel anvertraut, daß sie bereits mit einem Notar in Köln verlobt wäre, wir hatten keine Ursache, ihm nicht zu glauben, und so mußte sie wohl längst eine sorgliche Hausfrau und Mutter, vielleicht schon Großmutter sein.

Ich war bereits seit mehreren Jahren Professor der Medizin in Straßburg an der neu errichteten Universität, als mich ein Brief von der Hand der Nichte überraschte. Sie wohnte, wie ich daraus ersah, in einer Stadt am Rheine, jedoch nicht in Köln, war auch nicht verheiratet, sondern war Nonne, ein englisches Fräulein, geworden und hatte den Namen Josephine abgelegt. Der längst zu seinen Vätern heimgegangene Onkel hatte geglaubt, daß ihr lebhaftes Temperament sie für den Ehestand nicht geeignet mache, und sie ins Kloster gebracht. Sie fühlte sich glücklich in ihrem Berufe als Lehrschwester. – Es war klar, der Onkel hatte uns in München hinters Licht geführt und in frommer Absicht eine irdische Brautschaft vorgeschoben, um eine himmlische für die Zukunft zu sichern. Er hätte bei der Wahrheit bleiben dürfen, ich hatte meinen Brautstand nicht verheimlicht und Freund Eduard nicht die geringste Lust gezeigt, sich zu binden.

Wie war sie dazu gekommen, mir zu schreiben? Sie hatte 346 meinen Namen oft nennen hören, als konsultierender Arzt war ich viel in die Stadt gekommen, wo sie lebte, bei der Seltenheit meines Namens lag der Gedanke nahe, ich möchte ihr ehemaliger Reisegefährte sein. Sie war neugierig, zu erfahren, was aus mir und meinen Freunden geworden sei, und ob ich meine Luise heimgeführt hätte; der Name meiner Braut war ihr in Erinnerung geblieben.

Gerne gab ich ihr die gewünschten Aufschlüsse und sie wunderte sich, wie sie mir dankend für meine Zeilen schrieb, welche Lose das Geschick uns bestimmt hatte. Ihr Schleißheimer Tänzer hatte es zum bayerischen Minister gebracht; der andre, der mit ihr zum Schandl über die Brücke chassierte, war Freischärler geworden, 1849 ins Ausland geflüchtet und hatte sich in der Fremde als hochgeachteter Arzt ein glückliches Heim geschaffen.

Sie lud mich ein, sie zu besuchen, und ich war entschlossen, bei nächster Gelegenheit der Einladung zu folgen; aber als ich nicht lange nachher mein Vorhaben ausführen wollte, war Schwester Beate aus dem Leben geschieden. 347

 

 


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