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Herr Benazet war der weltbekannte Spielpächter, der in Baden residierte. In den prächtigen Sälen des Konversationshauses zogen seine Kroupiers mit immer gleicher Miene die Goldrollen der Millionäre, wie die Silberlinge leichtsinniger Studenten ein. Wer die berühmte Bäderstadt besuchte, machte Herrn Benazet seine Aufwartung und ging leichter von dannen, als er gekommen.
Im Herbst 1842 erhielt ich von meinem Vater Geld zu einer Ferienreise in den Schwarzwald, bei dieser Gelegenheit machte auch ich die Bekanntschaft des vielgenannten Franzosen und teilte das Los der unzähligen Gimpel, die sich von ihm rupfen ließen. Da man heute bis Monte Carlo reisen muß, um sein Geld an einer öffentlichen Spielbank los zu werden, so befriedigt es vielleicht die Neugierde unerfahrener Leser, wenn sie vernehmen, wie ich es anfing, um in Baden gründlich aufs Trockene gesetzt zu werden.
Das Reisegeld hatte ich mir durch Abfassung einer naturwissenschaftlichen Topographie des Amtsbezirks Wiesloch verdient, ich hatte sie auf den Wunsch meines Vaters ausgearbeitet, der sie der obersten Sanitätsbehörde des Landes einsandte. Sie hatte mir viel Vergnügen gemacht, denn ich war im Laufe der Jahre mit der botanisch und geologisch interessanten Gegend gut bekannt geworden. Mit 24 fl., gleich 41 Mark 28 Pf., in der Tasche, konnte damals ein anspruchsloser Student weit reisen, namentlich wenn er den größten Teil des Wegs zu Fuße zurücklegte und da und dort bei Freunden und Verwandten gastliche Aufnahme fand.
135 Ich reiste über Heilbronn, Stuttgart und Tübingen zunächst in den württembergischen Schwarzwald und besuchte den ältesten Bruder meiner Mutter auf der Glashütte Buhlbach bei Freudenstadt. Von da stieg ich über den Kniebis nach Allerheiligen, besah mir die Renchbäder und Rippoldsau, kehrte über den Kniebis nach Buhlbach zurück und wanderte dann das Murgtal hinab zu den Hüttenwerken von Gaggenau, wo einer meiner Korpsbrüder wohnte. Seine Familie lud mich ein, über den nächsten Tag, einen Sonntag, bei meinem Freunde zu verweilen, was ich dankend annahm. Am Montag gedachte ich dann meine Fußreise über die Berge nach Baden und weiter in den Schwarzwald hinauf fortzusetzen. Zu meiner Freude teilte mir am nächsten Tag mein Freund mit, daß er mich einige Tage begleiten werde; sein Vater habe ihn bereits mit dem nötigen Reisegeld versehen; auch füge es sich geschickt, daß ein Bekannter morgen mit eigener Kutsche in Geschäften nach Baden fahre und uns einlade, mit ihm den Wagen zu teilen.
Mein Freund war einer der angesehensten Burschen der Verbindung, eine distinguierte Erscheinung, ein schöner Jüngling, mutig wie Achill und gut talentiert, aber nicht wenig exzentrisch. Sein Vorname war Anton, er fand den Namen plebejisch und häßlich und nannte sich Antonin; die Freunde freilich hießen ihn nach dem französischen Schneider in Baden, der ihm seinen höchst eleganten Anzug lieferte, Chevard.
Am Morgen vor der Abfahrt überraschte mich Antonin mit der Frage, wieviel Geld ich in Baden bei Herrn Benazet aufs Spiel setzen wolle? Ich gestand ihm fast beschämt, daß ich daran noch nicht gedacht hätte, worauf er mich belehrte, noble junge Leute wie wir dürften unter keinen Umständen Baden besuchen, ohne die Bekanntschaft mit den Salons des Herrn Benazet zu machen. Man müsse sich aber vorher mit guten Grundsätzen wappnen und fest vornehmen, wieviel man riskieren und gewinnen wolle. Er werde streng nach diesem Prinzip handeln und 10 fl. riskieren, um 60 zu gewinnen. Verwundert fragte ich: »Warum gerade 60 fl.?« – »Meine Rechnung,« erwiderte er, »ist klar und einfach. Wir brauchen 60 fl., um vierspännig nach Straßburg zu fahren, dort als feine Leute im Hotel 136 de Paris abzusteigen und ein gutes Diner einzunehmen.« – Die Rechnung leuchtete mir ein, ich wollte, seinem Beispiele folgend, gleichfalls 10 fl. wagen, um 60 zu gewinnen.
In Baden angelangt, stiegen wir im Hotel de France ab, verabschiedeten uns von dem Herrn, der uns mitgenommen hatte, legten unsere Reisetäschchen im Gasthof ab und eilten, um nicht unsere Zeit nutzlos zu verlieren, sofort zu den Spielsälen. Da ich vom Spiele nichts verstand, händigte ich Antonin meine 10 fl. ein und bat ihn, für mich zu spielen. Er beabsichtigte, zuerst mit den seinigen und dann mit den meinigen um Fortunas Gunst zu werben, – nur dem Wagenden winkt das Glück.
Wir gingen zunächst zu den Karten, und Antonin verfolgte den Gang des rouge et noir mit aufmerksamen Blicken. Eine Zeitlang kam mit merkwürdiger Regelmäßigkeit Schwarz heraus, mein Freund hielt es für geraten, weil endlich wieder Rot kommen müsse, auf diese Farbe zu setzen, aber er rechnete falsch; plötzlich fragte er mich, ob ich noch gesonnen sei, mein Glück zu versuchen, seine 10 fl. seien dahin, und meine an der Reihe. Bei dem aufregenden Klang der Münzen hatte der Spielteufel mich ganz gefangen, ich erwiderte rasch: »Gewiß, aber setzen wir auf Schwarz, denn Schwarz ist die Grundfarbe unserer Schwabenmützen und bringt uns sicher Glück.« – In der Tat, im Nu hatte ich 40 fl. gewonnen. Durch den Verlust Antonins gewitzigt, schlug ich ihm vor, das Spiel abzubrechen und mit einer Spazierfahrt in nächster Umgebung der Stadt vorlieb zu nehmen. – Entrüstet verwies er mir meine Schwäche und wandte sich mit dem Rufe: »Aut Caesar aut nihil!« zur Roulette in dem anstoßenden Saal. Hier teilte er die 40 fl. in zwei Häufchen, setzte sie auf die höchsten Ziffern, der Würfel rollte, und der Kroupier strich beide ein. – Unmutig führte ich Antonin zu rouge et noir zurück, wo meine zehn Gulden den andern eiligst nachflogen, obwohl ich aufs neue der Grundfarbe unserer Mützen vertraute.
Sehr verstimmt kehrte ich mit Antonin in den Gasthof zurück und setzte mich mit ihm an die Mittagstafel, aber mir mundete weder Speise noch Trank. In meinen Ohren hallte es unablässig: »Messieurs, faites votre jeu!« – Nach Tisch bestand ich darauf, ungeachtet der 137 ernsten Abmahnung meines Freundes, das verlorene Geld wieder zu gewinnen, verlor abermals, und wollte das letzte, was ich besaß, daran wagen, aber Antonin ergriff mich am Arm und führte mich ins Freie. – Besorgt fragte er: »Was bleibt dir übrig?« – »Mein ganzer Besitz ist noch ein Taler,« klagte ich, »du mußt mir mit Reisegeld aushelfen.« – »Unmöglich!« gab er zur Antwort, »ich besitze keinen Pfennig mehr.« – »Aber, um des Himmels willen!« rief ich außer mir, »wie kann das sein? Du hast doch grundsätzlich nur 10 fl. eingesetzt?« – »Ganz richtig, aber diese zehn waren all mein Reisegeld.«
Bestürzt sahen wir uns an. Wir waren beide abgebrannt. Auf Schusters Rappen angewiesen, holten wir zunächst unsre Reisetäschchen aus dem Gasthof, hängten sie um und marschierten
»Arm am Beutel, krank am Herzen«
hinter dem Konversationshaus zur Iburg empor, um von da herab, über Steinbach, Bühl zu erreichen, wo wir hofften, daß uns ein guter Freund den nötigen Mammon zur Weiterreise vorstrecken werde. Sein Vater, der Apotheker des Orts, war ein wohlhabender Mann, kein Zweifel, er würde den bedrängten Freunden seines lieben Sohnes gerne in der Not aushelfen. Wir langten in dem hübsch gelegenen Städtchen voll Zuversicht an, traten in die Apotheke und fanden den Alten mit seinem Provisor in der Offizin eifrig beschäftigt, Pillen zu drehen. Er empfing uns auffallend kühl und gab uns, auf unsre Erkundigungen nach seinem Herrn Sohne, den kurzen Bescheid, er liege leidend zu Bette. Wir verlangten teilnehmend, ihn zu besuchen, und wurden in sein Zimmer geführt. Es sah greulich darin aus, keine liebende Hand schien sich des armen Goliath, wie ihn seine Freunde nannten, und seiner Stube zu erbarmen, – wir wären am liebsten gleich wieder umgekehrt; aber er war unsre Hoffnung, unser Stab und Stecken, gern oder ungern mußten wir in der drückenden Atmosphäre bleiben. Leider verhieß uns sein Empfang wenig Tröstliches. Er streckte seinen dicken Kopf mit dem roten Gesicht und der leuchtenden Karfunkelnase aus dem Bette und grüßte uns verwundert mit den Worten: »Was führt euch zu mir?« – Ruhig vernahm er unser Anliegen: »Ihr trefft es schlecht. Ich habe keinen roten Heller, nichts 138 als mein rotes Gesicht, und dieses hat mich um die Gunst meinem soliden Alten gebracht. Laßt jede Hoffnung fahren! Bei mir ist nichts zu holen.« – Antonin wandte ein, sein edler Vater werde sich doch wohl erweichen lassen, wenn er ihm beweglich zu Gemüte führe, aus welch guten Familien seine Freunde stammten. – »Ihr kennt meinen Alten schlecht,« erwiderte er, »ich weiß ganz genau, was er jetzt schon denkt: »»Das sind Freunde meines saubern Sohnes, die nur ankehren, um ihn anzupumpen, weil sie ihr Geld bei Benazet gelassen haben.««
Wir schieden unverrichteter Sache aus der ungastlichen Apotheke und wanderten weiter nach dem Flecken Renchen, wo einst der Verfasser des Simplicissimus als Amtmann des Bischofs von Straßburg haus gehalten hat. Auch Renchen hatte eine Apotheke, und ihr Besitzer war ein Vetter von mir, er konnte uns nicht im Stiche lassen. Der Gute empfing mich herzlich, und Antonin tat sein bestes, um ihn uns geneigt und möglichst freigebig zu stimmen. Der Apothekerstand, behauptete er, sei wie kein anderer berufen, der Menschheit in ihren vielen Nöten zu helfen. Ich hielt es für besser, nicht zu lange, wie die Katze um den heißen Brei, zu gehen, nahm den Herrn Vetter zur Seite und erhielt, was wir brauchten. Er hätte uns sogar gerne einige Tage bei sich behalten, aber es trieb uns, noch an demselben Abend Offenburg zu erreichen, wo uns liebe Freunde erwarteten. Wir mieteten ein »Berner Wägelchen« und fuhren von dannen.
Nachdem wir einen Tag in Offenburg verweilt hatten, wanderten wir zusammen ins Kinzigtal. In Hausach trennten wir uns, er ging nach Gaggenau zurück, ich nach Triberg, stieg von da in das Elztal hinüber und ging über Waldkirch und Emmendingen nach Freiburg, wo ich acht Tage lang bei meinem Freunde Beck zu Gaste war.
Zum Schlusse die Versicherung, daß ich die Lehre, die mir Herr Benazet erteilte, nicht zu teuer erkauft habe. Die kleine Schröpfkur hat mich zeitlebens vor der Spielwut geschützt. 139