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Wie unbegreiflich es auch dem heutigen Geschlecht erscheinen mag, in meiner Jugend gab es in Baden und den Ländern am Rhein überhaupt Franzosenfreunde in großer Zahl; mein Vater, dessen Franzosenliebe ich bereits erwähnte, stand somit nicht allein. – Wie war dies möglich? Konnten sich deutsche Männer den Lehren der vaterländischen Geschichte so ganz verschließen? – Hatte nicht Frankreich seit Jahrhunderten Heer auf Heer über die Grenze geschickt, Deutschland verwüstet und ausgeplündert, seine Städte verbrannt und große Provinzen vom Reiche gerissen? – Was im Osten der Türke, war im Westen der Franzose, ja schlimmer als der Erbfeind der Christenheit hatte der allerchristlichste König auf dem deutschen Boden gehaust, und in den Trümmern des Heidelberger Schlosses hallte es immer noch wieder von dem Rufe der welschen Mordbrenner: »Brulez le Palatinat!«
In den neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts hatten unsere Nachbarn das Lilienbanner mit der Trikolore vertauscht. Unter dem Feldgeschrei: »Krieg den Palästen!« »Friede den Hütten!« zogen sie über den Rhein. Aber die Beutegier war die alte, und sie schonten ebensowenig die Hütte des Bauers, wie das Schloß des Edelmanns. Kamen wir Schüler in die Ferien nach Wiesloch, so erzählte uns der alte Posthalter Greif, der noch die Kriege der Republik erlebt hatte, Abends in den drei Königen, ehe er am Wirtstische müde einnickte, Geschichten aus den Tagen, da die Sansculottes bald siegend, bald geschlagen durch die Pfalz 84 zogen. »Changez! changez!« riefen sie auf der Landstraße den Begegnenden zu, die besseres Schuhwerk trugen, und »tout de suite! tout de suite!« in Stadt und Dorf, wenn sie Kisten und Kasten leerten, Wurst und Schinken aus dem Rauchfang holten, Hühner und Gänse aus den Ställen mitgehen hießen. Seitdem, so belehrte uns der alte Posthalter, rufen die Wieslocher: »Dutzwitt! Dutzwitt!« wenn es gilt, rasch in Haus und Hof aufzuräumen. – Wie die Unterländer wußten die Oberländer von dem Uebermute der ungebetenen Gäste zu erzählen. Besser als der Griffel der Gelehrten zeigte mir eine Geschichte aus dem Munde eines Landwirts im Kanderer Tale, wie es damals in den Bergen des Schwarzwalds zuging. – In einem der Bauernhöfe hatte sich ein Kürassier einquartiert und drangsalierte das Haus mit tonnerre de dieu! und sacre du bleu! Die Frau mußte ihm aufwarten mit Schweinefleisch und Nudeln und der Bauer dienstbereit zur Seite stehen bei Tisch, mit der Schere in der Hand, und die Nudeln abschneiden, die ihm beim Schmausen zu lange über die Lippen herabhingen.
Nur selten wagte das gequälte Volk offenen Widerstand. So im Kapplertal bei Achern, wo sich die Bauern unter kriegserfahrenen Führern tapfer zur Wehre setzten und den Feind verhinderten, in das Tal einzudringen.
Mitunter trotzten auch einzelne unerschrocken der Gewalt. Meine Mutter erzählte mir oft von ihrem Vater, seinem Mut und seiner Stärke. Als württembergischer Reiter hatte er den Pallasch geführt, ehe er die Buhlbacher Glashütte bei Freudenstadt im Schwarzwald in seinen Besitz brachte. Die Hütte liegt am östlichen Fuße des Kniebis. Die Franzosen hielten im Winter die Schanzen auf dem Rücken des Berges besetzt. An einem sonnigen Tage kam ein Trupp zur Glashütte herab, mein Großvater bewirtete sie gastfrei, sie fingen aber bald an, Unfug zu treiben und die Herren zu spielen. Da holte er seinen langen Reitersäbel und jagte sie aus dem Hause. – Einige Tage nachher kam ein Holzfäller gelaufen: »O Herr, es wimmelt von Franzosen den Berg herab, sie haben es auf Euch abgesehen!« Der tapfere Mann bewaffnete sich und seine Leute und verrammelte das Haus. Sie kamen und verlangten Einlaß. Er 85 weigerte sich zu öffnen und drohte, als sie sich anschickten, die Türe einzustoßen, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Sie wagten es nicht, ernstlich vorzugehen, vermutlich weil der Herzog von Württemberg mit Frankreich einen Separatfrieden abgeschlossen hatte; sie unterhandelten deshalb mit freundlichem Zuspruch: er möge getrost herauskommen, sie wollten ihm kein Leid antun und möchten nur den alten Soldaten sehen, der ihre Kameraden mit dem Säbel aus dem Hause gejagt hätte. Er trat unerschrocken unter sie, sie drückten ihm die Hand und zogen darauf von dannen.
Zuweilen rächten sich die Bauern grausam für erlittene Unbill. Im Herbst 1831 hatte mich mein Vater zu einer Fußreise von Boxberg nach dem Breisgau mitgenommen, auf dem Rückweg wanderten mir durch das Schapbacher Tal. Da schloß sich ein alter Schwarzwälder meinem Vater an und erzählte ihm aus den Kriegszeiten, von den Untaten der welschen Marodeure in den einsamen Weilern und Höfen der Berge, und wie die Bauern furchtbare Rache nahmen, wenn sie die Räuber fingen. Meinem Vater grauste, als ihm der Alte schilderte, wie sie eines Tags einen Brandstifter in den Backofen schoben und lebendig verbrannten. Mit grimmigem Behagen malte der Unhold die Scene, wie er mithalf den Franzosen hineinschieben in die Glut, wie das Opfer sich wehrte und um Erbarmen flehte. Er schloß mit den Worten: »Das Französle hat im Backofe pfiffe wie 'ne Mus« (gepfiffen wie eine Maus).
Auf die Kriege der Republik folgten die des Kaiserreichs mit der Gründung des Rheinbunds auf den Trümmern des deutschen Reichs. Die badische Markgrafschaft unter Karl Friedrich wuchs zum Großherzogtum, den Königstitel lehnte der Fürst mit weisem Bedacht ab. Dem alliierten Lande blieben jetzt die Kriegsgreuel auf dem eigenen Boden erspart, aber seine Söhne starben und verdarben in dem Dienste des welschen Imperators unter der brennenden Sonne Spaniens und auf den Eisfeldern Rußlands. Wenn die junge Mannschaft ausgehoben wurde, ging der Schrecken durch alle Mutterherzen; dem Tode geweiht zogen die Söhne in die weite Ferne, und wenige kehrten in die Heimat zurück. Ein Augenzeuge erzählte mir: »An dem Tage, wo die Rekruten ihr Dorf verließen, schlugen 86 sie in sinnloser Wut alles kurz und klein. – Es waren die Aermsten und Rohsten, die zur Schlachtbank geliefert wurden, die Wohlhabenden kauften sich los.
Die vereinte Macht Europas stürzte den Titanen. Die Glorie des Besiegten strahlte fast noch blendender von der einsamen Insel im fernen Weltmeer über den Erdball, als von dem Kaiserthron. Sein tragisches Geschick, einzig groß in der Weltgeschichte, erschütterte das wandelbare Herz des Volks. Als er in die Gruft stieg, leuchtete sein Bild wie die versinkende Sonne in die hereinbrechende Nacht der politischen Reaktion. Der tote Cäsar hob sich gewaltig ab von dem Pygmäengeschlechte, das nach seinem Sturze die Zügel der Welt führte, ohne die Stimme der Zeit und das Sehnen ihrer Völker zu begreifen. Kein Wunder, daß die Geschichte des Kaiserreichs zur ruhmreichen Legende ward, zur Epopöe, wie die des großen Alexander, ja, auch der Liberalismus verklärte den glücklichen und klugen Erben der Revolution zu dem weisen und getreuen Hüter seiner errungenen Schätze, die blinde Masse sah sogar in dem Menschenverächter einen Märtyrer im Kampfe für die Freiheit wider den Absolutismus, einen Völkerheiland, den die Despotie an den Felsen im Meere geschmiedet hätte. Am üppigsten wucherte die tolle Legende bei den Franzosen, und weil sie ihren Abgott nicht mehr lebendig erlangen konnten, holten sie seine Leiche.
In Deutschland sangen Heine, »der Tambourmajor der Revolution«, und Freiherr von Zedlitz, Metternichs Freund, den Ruhm des Kaisers um die Wette. Mit den Grenadieren, die aus Rußland heimkehrten, jammerte der eine:
»Daß Frankreich verloren gegangen, Besiegt und zerschlagen das große Heer, – Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.« |
Der andere ließ in glühender Begeisterung den toten Cäsar in den elysäischen Feldern Heerschau halten über die tapferen Scharen, deren Gebeine die Sonne Aegyptens und der russische Schnee bleichten.
Ich hörte noch 1848 die badischen Soldaten auf dem Marsche Lieder zum Ruhme Napoleons singen, freilich hatten die braven 87 Burschen keine Ahnung, wem die Verse galten. Ihr Lobgesang erschallte »dem Sohne des Ruhmes und der Ehre«, aber sie sangen beharrlich, man mochte sie noch so oft korrigieren: »dem Sohne des Mondes und der Erde«.
Wie im Gedichte feierte die Kunst auch im Bilde den toten Kaiser und schmückte die Wände der Gasthöfe und Privathäuser bis zu den Hütten der Dörfer herab mit den Großtaten Napoleons als General Bonaparte und als Kaiser. Die Bilder haben heute fast überall denen von Kaiser Wilhelm und seinen Paladinen Platz gemacht.
Auch humoristische Legenden heftete das Volk an die große historische Erscheinung. In Schwaben war die beliebteste die vom Roehrle; im Norden blieb sie vermutlich unbekannt und im Süden wird sie auch bald ganz vergessen sein. Nur selten sieht man noch den Steindruck, worauf die Geschichte von Roehrle und Napoleon gezeichnet ist, drum will ich versuchen, sie aufzubewahren.
Roehrle war ein Schenkwirt in Schwaben, der als Jäger in der napoleonischen Armee gedient hatte, und ein großer Aufschneider. Noch heute bezeichnet man in Südwestdeutschland einen unterhaltenden Aufschneider mit seinem Namen.
Auf dem Bilde präsentiert Roehrle in der Jägeruniform das Gewehr vor Napoleon, der mit verschränkten Armen, im kleinen Hut, grünen Frack und weißen Lederhosen vor ihm steht, darunter das Zwiegespräch:
Napoleon: Ist Roehrle von HäfnersneuhausenIm Volksmund heißt das Dörfchen Neuenhaus im württembergischen Oberamt Nürtingen Häfner-Nenhausen, weil es fast nur von Häfnern bewohnt wird. (Vgl. die Biographie des Dichters Friedrich Geßler von B. Bartels, Lahr 1892, S. 84.) nicht da?
Roehrle: Hier, Eure Majestät.
Napoleon: Er hat sich bei der gestrigen Affäre brav gehalten. Bitt' Er sich eine Gnade aus.
Roehrle: Brauch' keine Gnade, Majestät. Hab' nur meine Schuldigkeit getan. 88
Napoleon: Roehrle! Roehrle! Er ist ein Himmel-Herrgott-Sakermenter! –
Wir Lyceisten teilten den Napoleonkultus nicht. Wir sangen begeistert die Lieder von Arndt und Körner, unsre Helden waren die Blücher, Schill und Hofer, und das deutsche Vaterland war uns kein geographischer Begriff, wie den Staatsmännern und Diplomaten jener Zeit.
Es kam wohl vor, daß ich mit meinem Vater politisierte und die Schale meines patriotischen Zorns über den korsischen Abenteurer und den welschen Erbfeind im Westen ergoß; bei einer solchen Gelegenheit hielt er mir folgende Standrede:
»Wie gut ist es doch, daß du nicht vor 50 oder 60 Jahren zur Welt gekommen bist! Hättest du mit eigenen Augen das unglaubliche politische und wirtschaftliche Elend gesehen, worin wir damals steckten, so würdest du über Napoleon anders urteilen. Das heilige römische Reich war aus tausend Lappen und Läppchen zusammengeflickt, am buntesten und abscheulichsten am Oberrhein. Hier saßen, hohl aufgeblasen im stolzen Gefühle ihrer Reichsunmittelbarkeit, aber in jämmerlich zerlumpten Gewändern, die Glieder und Stände des Reichs durcheinander: Herzöge und Fürsten, Grafen und Freiherrn, gefürstete und ungefürstete Aebte und Bischöfe samt dem deutschen Ritterorden, freie Städte und Städtchen, das reichsunmittelbare Dörfchen Hammersbach nicht zu vergessen! Sollten sie aber für des Reichs Ehre und Sicherheit eintreten, so kargten sie schimpflich mit Hellern und Pfennigen, pochten auf ihre Gerechtsame und Freiheiten, und hielten mit den ganzen und halben Soldaten zurück, die sie zur Reichsarmee zu stellen hatten. – Lange vor dem Rheinbund, der deine Galle überfließen macht, öffneten geistliche und weltliche Kurfürsten den Franzosen als Alliierte die Tore des Reichs.«
»Aus dem politischen Elend floß das wirtschaftliche. Jedes Gebiet hielt fest an seinen Schlagbäumen, am eigenen Gericht und Galgen, am eigenen Maß und Gewicht, und legte Verkehr, Handel und Industrie des Nachbars lahm, in dem Wahne, so das eigene Interesse zu fördern. – Lies doch in Hebels Hausfreund, wie der Adjunkt die Leute belehren mußte, als es galt, sie mit dem einheitlichen 89 neuen Maß und Gewicht in dem neu geschaffenen Großherzogtum zu versöhnen!«
»In jeder Herrschaft, in jedem Städtlein war's anders: andere Ellen, andere Schoppen, andere Simri oder Sester, anderes Gewicht. In dem nämlichen Orte, in der nämlichen Mühle, im nämlichen Wirtshaus, im nämlichen Kaufladen hatte man für verschiedene Waren verschiedenerlei Maß und zwar herkömmlich, nicht ungerechter Weise: ein anderes Maß für Bier, ein anderes für Oel, ein anderes für Branntwein, einen anderen Sester für glatte Frucht, einen anderen für rauhe.«
»Ich bin kein schlechterer Patriot als du, aber wir Alten bewahren Napoleon ein dankbares Andenken. Nur seine eiserne Hand vermochte den Besen zu führen, der den Augiasstall des heiligen römischen Reiches ausfegte. Ich lasse mir ihn nicht schelten, auch nicht die Franzosen; ohne sie gäbe es in Süddeutschland keine Verfassungen, auch die badische nicht, die Großherzog Karl mit klugem Verständnis 1818 seinen Untertanen verlieh.«
Es war mit meinem Vater in diesem Punkte nichts auszurichten. 90