Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Komfort und Lebensgenuß.

Man hat es uns in der Jugend lange nicht so bequem gemacht, wie unsern Kindern und Enkeln.

    »Mußten als Knaben uns täglich plagen
Mit Stein und Zunder und Feuerschlagen,
Was ein Zündholz der Welt bedeute,
Wissen nur wir, die alten Leute.

    »Mußten verlieren der Stunden viele
Mit Richten und Schneiden der Federkiele,
Wie man geschickt die Spitze muß spalten,
Lernten am Schreibtisch wir nur, die Alten.

    »Mußten an schlecht gedruckten Dichtern
Quälen die Augen bei Unschlittlichtern,
Putzten, damit es hell genug wäre,
Fleißig den Docht mit der Lichtputzschere.«

Die Ansprüche unserer Väter in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts an Komfort waren sehr gering. Baukunst und Kunstgewerbe waren tief heruntergekommen, der Sinn für behagliches Wohnen und bequemes Hausgeräte schien verloren gegangen. – Man erschrickt, wenn man in Weimar die Wohnungen unserer größten Dichter aufsucht. Wie dürftig ist das Gartenhaus im Schloßpark, wo Goethe sieben Jahre zubrachte; scherzend gestand er selbst:

»Uebermütig sieht's nicht aus,
Hohes Dach und niedres Haus.«

94 Das geräumige Wohnhaus, daß er nachher in der Stadt für seine Sammlungen und sich einrichten ließ, ist weder gefällig von außen noch innen bequem, sein Schlafgemach enge, das Arbeitszimmer des weltumspannenden Geistes von rührender Bescheidenheit. – Geradezu entsetzlich ist in Schillers Hause die Dachkammer, worin der brustkranke Dichter schlief, ehe er sein Bett in das Arbeitszimmer nebenan bringen ließ, wo er starb.

Die schmalen und kurzen deutschen Betten mit den dicken Federdecken, die herabfallen, wenn der Unglückliche, der darunter schlafen soll, sich umdreht, waren die stehende Klage der reisenden Engländer und Franzosen. Ebenso die kleinen Wasserbecken auf den armseligen Waschtischen. Man trifft solche Einrichtungen heute nur noch da und dort in den Gasthäusern kleiner Landorte.

    »Schlafen Sie wohl! geruhsame Nacht!« –
Habe gedankt und ins Bett mich gemacht.
Ach! es war eine Nacht voll Schrecken,
Durfte die Beine nicht biegen und strecken,
Hörte die Mäuslein rascheln und tanzen,
Doch am schlimmsten waren die Wanzen.
Hab' es nicht aus den Ohren gebracht:
    »Schlafen Sie wohl, geruhsame Nacht!«

Wie traurig es mit den Gewandstoffen aussah, zeigen die Kleidungsstücke im Münchner Nationalmuseum, die König Ludwig I. von Bayern sowohl von sich als seiner Gemahlin Therese aufbewahren ließ. Der König hat sie der Nachwelt nicht zur Bewunderung, sondern zu lehrreicher Vergleichung vermacht. Die Färbung der Gewebe verdankt der modernen Chemie solche Fortschritte, daß König Davids sidonischer Purpur mit der Anilinpracht unserer geputzten Dienstmädchen schwerlich zu wetteifern vermöchte.

Die letzte Hungersnot hat unser Vaterland 1816 und 1817 heimgesucht. Seither gab es wohl einzelne Mißjahre, aber der erleichterte Weltverkehr ließ es nicht mehr zu wirklicher Hungersnot kommen. Als Lyceist sah ich noch kleine Weißbrote, bei uns Wasser- oder Kreuzerwecke, im Elsaß Soubrötle, in Norddeutschland Semmeln genannt, die man aus den Hungerjahren aufbewahrt hatte, sie waren nicht größer als Walnüsse.

95 Die Früchte des Meeres, die man als Seefische und Schaltiere aus seinen Tiefen holt, erhält man heute mit Eilzügen allenthalben im Binnenland auf Eis frisch zugeführt. Wir kannten sie als Studenten nur mariniert, gesalzen und geräuchert, als großes Labsal nach durchzechten Nächten, frische Hummern und Austern lernte ich erst in Hamburg 1848 schätzen. Viele meiner Bekannten vermochten sich mit diesen leckeren Bissen zeitlebens nicht zu befreunden, weil sie ihre Bekanntschaft nicht in der Jugend gemacht hatten.

Ich hätte diese Tatsache als Professor der Medizin in Straßburg beherzigen und in den siebziger Jahren zwei alte Studienfreunde nicht mit solchen ungewohnten Genüssen überraschen sollen, als sie meiner Einladung folgend aus Offenburg zu mir herüberkamen. Sie hatten mir eine Jagdbeute geschickt, ein junges Reh, ich beschloß dankbar, sie mit Austern und Hummern zu regalieren. Der Markt in Straßburg ist mit Erzeugnissen der See vorzüglich versehen, und ich freute mich im voraus an dem Vergnügen, das ich dem Gaumen der lieben Freunde bereiten würde. Leider erging es den Armen wie der Landmaus in der äsopischen Fabel bei der Stadtmaus. Sie saßen hungrig vor ihren Tellern und rührten nicht Austern noch Hummern an, erst der Rehbraten brachte sie und mich aus großer Verlegenheit.

Sogar die Genußmittel Kaffee und Tee, die heute schon den Kindern – sicherlich nicht zu ihrem Vorteil – zum Frühstück vorgesetzt werden, spielten damals bei weitem nicht die Rolle wie heute. Suppen aus Hafermehl, auch Kartoffelsuppe und solche aus geröstetem Mehl, waren noch in vielen bürgerlichen Familien der Städte und besonders beim Landvolk das gebräuchliche erste Frühstück. In dem Freiburger Krankenhause wurde bis 1864 Suppe zum Frühstück verabreicht; die Kranken, namentlich die kranken Köchinnen, rebellierten aber von Jahr zu Jahr mit größerer Heftigkeit und blieben lieber nüchtern, als daß sie Suppe aßen; man sah sich zuletzt gezwungen, Kaffee zu geben.

Der chinesische Tee war noch in den fünfziger Jahren beim Landvolk kaum bekannt. – Als Arzt in Kandern ritt ich 1852 an einem schönen Sommerabend nach Bürgeln auf der Höh', einer 96 ehemaligen Propstei der Aebte von St. Blasien mit einer berühmten Aussicht. Zwei Damen aus Hamburg, Kurgäste von Badenweiler, kamen gerade heraufgewandert und bestellten bei der Wirtin Tee mit Milch und Butterbrot. Die Markgräflerin in der schwarzen Flügelhaube machte ein verwundertes Gesicht und brachte bald nachher Butter, Brot, Milch und einen heißen Aufguß von Lindenblüten. Nun war die Reihe sich zu verwundern an den Hamburgerinnen, und sie bemühten sich vergeblich, der guten Frau begreiflich zu machen, was chinesischer Tee sei. 97

 

 


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