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Am 11. Mai, einige Wochen nachdem ich die Heimat verlassen, nahm die Meuterei des badischen Heeres in Rastatt ihren Anfang, verbreitete sich von da wie eine ansteckende Seuche über alle Standorte im Großherzogtum und verhalf der Umsturzpartei zum Siege. Sie ergriff fast sämtliche Truppenteile, der Großherzog und die meisten Offiziere verließen das Land. Der Triumph der Revolution währte nicht lange, die Niederlage der Aufständischen bei Waghäusel am 21. Juni bereitete ihr ein Ende mit Schrecken.
Wie konnte es kommen, daß die badische Armee, wie auf einen Schlag, Pflicht und Eid vergaß, alle Mannszucht abwarf und mit Sack und Pack ins Umsturzlager überlief, nachdem sie doch noch im Jahr zuvor bei den Aufständen von Hecker und Struve sich völlig zuverlässig erwiesen hatte? Der Ursachen waren es mehrere und es verlohnt sich, sie genau zu kennen.
In Baden bestand die Konskription, die Wohlhabenden konnten sich vom Militärdienste loskaufen, sog. Einsteher traten für sie ein. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht machte dem Einstandswesen ein Ende; die badische Regierung schaffte es ab, nachdem sie die deutschen Grundrechte anerkannt hatte, die vom Parlament in Frankfurt aufgestellt und von der Reichsregierung verkündet worden waren. Bisher waren es fast nur gediente Soldaten gewesen, die Einstandsverträge abgeschlossen hatten, die meisten Unteroffiziere waren Einsteher, sie konnten, wenn sie aus dem Heere schieden, mit dem erworbenen Kapital bürgerliche Geschäfte gründen. Die Aenderung 426 schädigte die Unteroffiziere und erregte große Unzufriedenheit, die Regierung versprach Entschädigung durch Löhnungszulagen, säumte aber zu lange mit der Erfüllung ihres Versprechens.
Ein zweiter Grund lag gleichfalls in einer Verfügung der Reichsregierung, der die badische nachkam: die Aushebungsziffer war von 1% auf 2% erhöht worden. Dadurch kamen auf einmal zu viele Rekruten ins Heer, Leute, der Mannszucht ungewohnt und der Verführung leicht zugänglich. In vielen Köpfen gärte es von unverdauten Freiheits- und Gleichheitsideen, manche eben eingestellte Rekruten hatten sich schon an den Aufständen von 1848 beteiligt.
Schlimmer noch als diese Verhältnisse, mußte das ewige Umherziehen und Wechseln der Quartiere in dem aufgewühlten Lande den soldatischen Geist der Truppen schädigen. Da die allgemeine Wehrpflicht noch nicht ausgleichend gewirkt hatte, war die soziale Kluft zwischen Befehlenden und Untergebenen ohnehin weit größer als heute, jetzt gewannen die Offiziere die Fühlung mit ihren Leuten noch schwieriger. Aufsicht und Unterweisung der Mannschaft litten Not. Ueberall winkten in dem Weinlande die Wirtsschilder und lauerten gefährliche Verführer, die schlimme Lehren vom bedingten Soldatengehorsam und der freien Wahl der Offiziere predigten, und goldne Berge verhießen als Lohn für den Abfall.
Das Schlimmste endlich verschuldete die Regierung, als sie, auf die Grundrechte hin, den Soldaten das Recht bewilligte, Versammlungen unter sich abzuhalten und über ihre Angelegenheiten frei zu beraten. Damit brach der Boden der Disziplin ganz zusammen.
Dies waren die wirklichen Ursachen der badischen Soldatenmeuterei, nicht aber, wie die Aufwiegler behaupteten, die harte Behandlung der Untergebenen durch die Vorgesetzten. Das Offizierkorps war human, Ausnahmen waren selten. In den drei Bataillonen, denen ich angehörte, schien es nur ein einziger Offizier, ein Kompagnieführer darauf angelegt zu haben, das Ehrgefühl seiner Leute zu töten, allen andern Offizieren konnte nicht der leiseste Vorwurf gemacht werden.
Man kann sich denken, daß die Vorgänge in der Heimat große Bestürzung bei dem Bataillon in Holstein hervorriefen und viel 427 besprochen wurden. Das Los der Angehörigen und Freunde zu Hause gab Grund genug zu Befürchtungen und Sorge. Auch war es klar, daß die unsinnige Erhebung ein schlimmes Ende nehmen und die Aussicht auf die Erfüllung der patriotischen Hoffnungen des Frühjahrs 1848 immer trüber werden mußte.
Bald nachdem der Großherzog das badische Land verlassen hatte, begab sich eine wunderliche Geschichte im Bataillon Porbeck, die sogar in den Denkwürdigkeiten des Herzogs Ernst von Sachsen-Koburg (Bd. 1 S. 44) Aufnahme fand. Einer der Hauptleute, namens Schwartz, war durch die Vorgänge daheim aus Rand und Band gekommen, wozu es bei ihm freilich nicht viel brauchte. Er war ein braver Soldat und bei den Kameraden wohl gelitten, galt auch für einen guten Mathematiker und hatte in der Kriegsschule Unterricht erteilt, aber er war ein närrischer Kauz, ein konfuser und, wie mir schien, im Kopf nicht ganz richtiger Mensch. Wie der Herzog erzählt, brachte ihm der Hauptmann die Gage, die ihm eben ausbezahlt worden war, mit der Erklärung, er nehme das Geld nicht an, weil es ihm nicht von der badischen provisorischen Regierung ausbezahlt worden sei. Einen Großherzog habe er nicht mehr, und von Preußen, das mit seinem Vaterlande Krieg führe, wolle er nicht einen Groschen haben, er sei daher genötigt, ohne Gage zu dienen. – Es ist merkwürdig, daß der Herzog nicht erkannte, wessen Geistes Kind der Hauptmann war, merkwürdiger noch, daß Oberstlentnant v. Porbeck darüber im Dunkeln blieb, er kam eben, bei seinem kühlen, vornehmen Wesen, seinen Offizieren nicht nahe genug. Ein Demokrat, wie v. Porbeck meinte, war der arme Schwartz nicht. Erst wenige Tage vorher hatte er mich ins Vertrauen gezogen: er wolle seine Entlassung nehmen, nach Baden gehen und im Schwarzwald für den Großherzog einen Guerillakrieg entzünden!
Von dem Herzog ging Schwartz in Begleitung von zwei befreundeten Hauptleuten, die sich ihm anschlossen, um ihn zu beruhigen, zu dem Oberstleutnant und meldete ihm, was er dem Herzog vorgetragen hatte. Es kam zu einer lebhaften Verhandlung, und weil es darüber Mittag wurde, speisten die drei Herren mit dem Stabe. Außer ihnen nahmen der Adjutant des Bataillons, 428 zwei bis drei andre Offiziere und ich an dem Mahle teil. Ich hatte keine Ahnung von dem Vorgefallenen und war erstaunt über die eigentümliche Tischunterhaltung, die unser Vorgesetzter mit Schwartz führte. Sie bewegte sich ganz auf politischem Gebiet, er nahm ihn, wie man zu sagen pflegt, ins Gebet, verwickelte ihn in lächerliche Widersprüche und brachte den aufgeregten Mann zu den unsinnigsten Behauptungen. Die Szene war peinlich, man mußte den Hauptmann bemitleiden.
Unerwartet richtete der Oberstleutnant das Wort an mich, ich hatte still unten an der Tafel gesessen, und rief: »Was ist Ihre Meinung, Herr Oberarzt? Sie sind wohl auch ein versteckter Demokrat!« Obgleich mich diese Anrede unangenehm berührte, erwiderte ich ganz ruhig: »Was ich bin, bin ich offen, aber ich rede bei Tische nicht gerne über Politik.« Er schwieg und hob gleich nachher die Tafel auf.
Es war mir unbegreiflich, was meinen Vorgesetzten dazu vermocht hatte, mich über meine politische Gesinnung so auffallend und verletzend zu inquirieren. Ich hatte in meinem ganzen Verhalten dazu keinen Grund gegeben, im Kreise der Offiziere zwar meine liberalen und patriotischen Gesinnungen nicht verleugnet, wenn es die Ehre gebot, sie freimütig zu bekennen, mit Untergebenen aber grundsätzlich nie politisiert. Mit dem Oberstleutnant selbst zu politisieren hatte ich bisher weder für schicklich noch für notwendig erachtet: mißtraute er mir, so konnte er mich unter vier Augen vernehmen. Dies tat er nicht, wohl aber hielt er mich von diesem Tag an für einen entschiedenen Demokraten, dem man nicht über den Weg trauen dürfe, und erging sich, wenn ich, wie es so oft vorkam, mit ihm speiste, gerne in scharfen politischen Bemerkungen, die ihre Spitze mitunter sehr deutlich gegen mich kehrten. Meine Stellung wurde unangenehm, so daß ich beschloß, sobald wir nach Baden heimgekehrt wären, meinen Abschied einzureichen, um meine Freiheit wieder zu gewinnen.
Ich hatte in der Regel bei seinen Aeußerungen geschwiegen, aber einmal, es war in Windeby am Mittagstisch, ging er mir zu weit, ich konnte mein junges Blut nicht bemeistern. Er war an diesem 429 Tage, vielleicht infolge unangenehmer Nachrichten von Hause, ungemein aufgeregt und verstieg sich zu dem Ausspruch: in seinen Augen sei jedermann, der sich in den Dienst einer Insurrektion begebe, ein Schurke. Ich sah in dem Schurken eine Herausforderung und bemerkte trocken: wenn diese Ansicht richtig wäre, so stände es schlimm um uns alle, da wir für die holsteinische Insurrektion kämpften. Es folgte eine tiefe Stille. Ich erwartete, für meine Bemerkung in Arrest geschickt zu werden, und dies war auch die Meinung des Adjutanten, wie er mir nach Tisch sagte, aber der Oberstleutnant verschob die Sache auf spätere Zeit, bis zur Rückfahrt des Bataillons nach der Heimat. Der Befehl dazu kam, nachdem der badische Aufstand mit der Uebergabe der Festung Rastatt an die Preußen am 23. Juli seinen Abschluß gefunden hatte.
Wir zogen in kleinen Märschen, die von vielen Rasttagen unterbrochen wurden, durch Holstein zur Elbe, und in den ersten Tagen des August durch einen großen Teil von Hannover nach Preußisch-Minden. In Holstein konnte ich einen Ausflug nach Plön und seinem schönen, schwermütigen See machen, von Verden aus Bremen und seinen Ratskeller besuchen. Preußisch-Minden war damals noch Festung. Vor ihren Toren machte das Bataillon halt. Zu unserm Erstaunen kam uns hier der badische Hauptmann v. Davans entgegen. Er überbrachte dem Oberstleutnant Befehle des Kriegsministers aus Karlsruhe, einer dieser Befehle betraf den Hauptmann Schwartz und mich. Wir hatten uns unverzüglich nach Hause zu begeben und bei dem Kriegsminister zu melden.
Es stand gerade ein Bahnzug nach Köln zur Abfahrt bereit, wir brauchten nur einzusteigen. Unterwegs auf der Bahn und auf dem Dampfschiff bei der Rheinfahrt von Köln nach Mannheim war, wie man sich denken kann, der unerwartete Befehl zur schleunigsten Heimreise wiederholt Gegenstand unserer Unterhaltung. Was mochte der Oberstleutnant nach Hause berichtet haben? Wir waren uns keiner Schuld bewußt, und der Hauptmann wurde nicht müde, mich zu versichern: »Sie können uns nichts anhaben und müssen uns für die Heimreise Extradiäten bezahlen!«
Gleich nach der Ankunft in Karlsruhe meldeten wir uns beim 430 Kriegsminister, General von Roggenbach. Der Hauptmann trat zuerst ein, kam bald vergnügt wieder heraus und eilte auf mich zu: »Ich hab' es Ihnen ja gleich gesagt, sie können uns nichts anhaben, ich hole mir jetzt meine Diäten!«
Hauptmann Schwartz ist derselbe Offizier, dessen Johannes Proelß in seinem »Dichten und Leben Scheffels« (S. 157–163) gedenkt, weil er dem Dichter unbegreifliche Widerwärtigkeiten bereitete, als dieser in der Stelle eines Rechtspraktikanten in Säckingen verweilte. Es war kurz nach der Revolution, und man versteht seine auffallenden Handlungen 1849 in Schleswig und 1850 in Säckingen nur, wenn man weiß, daß der Hauptmann in der Irrenanstalt Illenau endete. Im Herbste 1855 machte ich dort psychiatrische Studien, traf meinen alten Kriegskameraden Schwartz und habe manchen Spaziergang mit ihm ausgeführt. Er war unheilbar krank, doch fand ich ihn kaum konfuser, als im Sommer 1849 in Schleswig-Holstein.
Nach dem Hauptmann trat ich bei dem Minister ein. Er war ein Herr, der in allgemeinem Ansehen stand und dessen würdige Art meine Sympathie gewann. Er empfing mich mit den Worten: »Sie sind mir als Erzdemokrat bezeichnet.« Ich fragte, ob man mir das leiseste Vergehen zur Last legen könne? Ich wolle meine politische Ueberzeugung nicht verheimlichen und betrachte die Ablehnung der Reichsverfassung von Seiten Preußens als ein Unglück. Er hörte mich ruhig an und meinte, meine Ueberzeugung teilten ganz loyale Leute. Er wolle die Unterredung kurz machen. Er sei entschlossen gewesen, mir den Abschied zu geben, habe aber Erkundigungen eingezogen, die so zu meinen Gunsten lauteten, daß er seinen Entschluß ändere, ich könne somit weiter dienen. Ich dankte und bat um acht Tage Urlaub, den er mir ohne weiteres gewährte.
Die Freude des Wiedersehens mit meiner Familie und meiner Braut war groß. Das Gerücht hatte die auffallend beschleunigte Heimkehr zu der Erzählung aufgebauscht, Schwartz und ich seien wegen Aufruhrs in Schleswig verhaftet und in Ketten nach Rastatt in die Kasematten verbracht worden.
Nach abgelaufenem Urlaub erhielt ich zuerst den Befehl, mich 431 in Kehl, und acht Tage später den, mich in Rastatt zum Dienste zu melden. Hier, in Rastatt wurde mir unvermutet klar, weshalb mir Oberstleutnant v. Porbeck nach dem Ausbruch der Revolution in Baden mit einem Male so mißtrauisch und verletzend entgegengetreten war. Den Aufschluß erteilte mir in überraschender Weise ein kriegsgefangener Kollege, Dr. Welcker, ein Sohn des berühmten Rechtslehrers, Volksmanns und Bundestagsgesandten von 1848. Wir kannten uns von den Heidelberger Kliniken her, doch waren wir uns nicht näher getreten. Er war in der aufständischen Armee Generalstabsarzt geworden und hatte mir eine besondere Anerkennung zu erweisen gedacht, indem er mir ein Patent als Regimentsarzt ausfertigen ließ und dieses an das Kommando des Bataillons in Schleswig amtlich abschickte. Davon hatte ich keine Ahnung. Er hatte mir die schlimme Suppe eingebrockt und wunderte sich noch, daß ich ihm den Dank dafür schuldig blieb. 432