Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Anatomen Kobelt und Bischoff.

Es traf sich unglücklich, daß die Anatomen, die sich Tiedemann zugesellt hatte, der Prosektor und Professor Ludwig Kobelt und der Professor Theodor Bischoff, einander nicht ausstehen konnten. Einen größeren Gegensatz, als ihn die beiden schon im Aeußeren darboten, konnte es nicht leicht geben: der Prosektor war ein dünnes, schwächliches Männchen, äußerst reizbar, ein kleiner Topf, der rasch überschäumte, der Professor Bischoff dagegen ein starker, massiver Mann, der lieber verschlossene Türen aufstieß, als sachte aufschloß. Im Alter waren sie fast gleich; Kobelt war 1804 in Kork bei Kehl geboren, Dozent seit 1832, a. o. Professor seit 1835; Bischoff, 1807 in Hannover geboren, war 1835 von Bonn als Dozent gekommen und 1837 a. o. Professor geworden.

Kobelt präparierte ausgezeichnet, hielt Kollegium über Knochen- und Bänderlehre und demonstrierte diesen toten Stoff recht lebendig. Seine Entdeckung des Nebeneierstocks hat ihm einen Ehrenplatz in der anatomischen Wissenschaft gesichert.

Bischoff trug frei vor über Physiologie und pathologische Anatomie; die beiden Kollegia bedeuteten wenig, der physiologischen Vorlesung fehlten die Versuche, der anatomischen die Präparate, einige in Weingeist aufbewahrte Schaustücke, namentlich Mißgeburten, mußten hier aushelfen. Dagegen hielt er uns ganz ausgezeichnete, stark besuchte, obwohl in der Studienordnung nicht vorgesehene, Vorträge über Entwicklungsgeschichte mit Demonstrationen. Die Brutmaschine war stets im Gang, die Vorlesung kostete vielen 201 weiblichen Kaninchen das Leben, mit einem Eifer ohnegleichen erklärte er uns die Vorgänge am bebrüteten Ei des Huhns und dem befruchteten des Säugetiers.

Kobelt und Bischoff konnten sich so wenig vertragen, daß es schließlich zu einem öffentlichen Aergernis kam, was dem Ansehen der beiden Gelehrten in Heidelberg schadete.

Wir waren eines Morgens in fleißigem Präparieren begriffen, als einer der Präparanten an den Muskeln, die er eben bloßgelegt hatte, etwas Merkwürdiges entdeckte. Er rief uns an seinen Tisch, wir sahen das Fleisch weiß punktiert, und die unzähligen Punkte entsprachen winzigen, steinharten Knötchen, die darin fest eingebettet steckten. Kobelt wurde herbeigeholt. Er schnitt ein Stückchen aus dem Muskel und eilte damit auf sein Arbeitszimmer, um es mikroskopisch zu untersuchen. Bald darauf kam Bischoff in den Saal, man erzählte ihm von dem seltsamen Befund, worauf er sich gleichfalls etwas von dem punktierten Fleische zur Untersuchung mitnahm. Beide fanden, daß es sich um verkalkte Trichinen handle. Owen in London hatte 1805 diesen Wurm entdeckt und Trichina spiralis getauft. Die große pathologische Bedeutung des Parasiten hat aber erst mein späterer Erlanger Kollege, der Professor der pathologischen Anatomie, Friedrich Albert Zenker, 1860 als Prosektor im Dresdener Krankenhaus erkannt, bis dahin ist Owens Trichine nur ein Kuriosum gewesen. Ihre Beschreibung durch Kobelt und Bischoff brachte nichts Neues, aber die beiden Anatomen gerieten über die Berechtigung, den Fund zu veröffentlichen, einander in die Haare und trugen ihren Streit zum allgemeinen Aergernis in die öffentlichen Blätter.

Die Regierung mußte eingreifen, sie versetzte Kobelt 1841 als Prosektor nach Freiburg, und der dortige Prosektor Alexander Ecker mußte seine Stelle mit der in Heidelberg vertauschen. Bischoff erhielt 1843 einen Ruf als ordentlicher Professor nach Gießen, die badische Regierung hielt ihn nicht zurück und berief, um seine Stelle auszufüllen, Henle von Zürich als zweiten Ordinarius für Anatomie und Physiologie, neben Tiedemann. 202

 

 


 << zurück weiter >>