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Von Jaunde nach Akonelinga

Jaunde, 4. November

Meine Freude an Jaunde hat nicht lange gedauert. Wieder kann ich einpacken und zum Bambuswanderstabe greifen, um sieben Tagemärsche ostwärts nach Akonelinga zu ziehen. Zu Hause würde man die ganze Entfernung zwischen beiden Orten in zwei Stunden durchfahren können. Eben wurde mir eine Weisung des Gouvernements überbracht, die nach Edea telegraphiert und von dort durch Eilboten weiterbefördert worden war, daß ich auf Ansuchen der Südexpedition, die in der Nähe dieses Ortes ihr Operationsgebiet hat, die Behandlung der im Gefechte Verwundeten zu übernehmen habe. Ich weiß nicht, ob Dr. G., der vor einigen Monaten von Kribi aus zur Expedition gestoßen war, erkrankte, ob die Zahl der Verwundeten für einen Arzt zu groß geworden ist oder welcher Grund sonst zu diesem Auftrage vorliegt. Ich hoffe, bis morgen abend mit den Vorarbeiten fertig zu werden, um übermorgen schon abmarschieren zu können. Akonelinga ist zur Zeit mit einem weißen Feldwebel besetzt, alles Nähere werde ich dort hoffentlich erfahren. Ich freue mich auf das bevorstehende kriegschirurgische Handwerk und will den Marsch möglichst beschleunigen. Die Wege sind gut, und es ist teilweise Parklandschaft, die ich durchziehen muß; auch die Regenzeit hat hier bereits aufgehört.

 

Sensoge, 6. November

Heute früh bin ich mit 20 Trägern aufgebrochen, die außer meinem Zelt und dem notwendigsten persönlichen Gepäck einige Lasten Medikamente und Verbandzeug mit sich führen, um auf alle Fälle für den Anfang meiner voraussichtlichen Tätigkeit etwas zur Hand zu haben. Leider bin ich fast ohne Instrumente, aber ich hoffe, aus der Ausrüstung der Schutztruppenexpedition Ergänzung bekommen zu können. Außer den Lastträgern marschiert ein Aufgebot von 16 schwarzen Soldaten mit mir unter dem Befehle des Unteroffiziers Finboy, die Patronentaschen wohl gefüllt mit Munition, von der hoffentlich nichts in Gebrauch genommen werden muß. Doch Herr v. Kr. hat mir Vorsicht für den Marsch angeraten, da noch im Juni auf diesem selben Wege der Polizeimeister M. von der Station Jaunde ein recht ernstes Gefecht zu bestehen hatte, bei dem es 30 Gefallene gab. Für meine eigene Sicherheit habe ich einen Karabiner mitgenommen, den Malobe neben dem Schmetterlingsnetz mit sich schleppen muß. Die Landschaft ist leicht wellig, mit hohem Gras bewachsen, in dem überall Waldpartien eingestreut liegen. Der Charakter der Eingeborenen und die Bauart ihrer Hütten unterscheiden sich bisher in nichts von den Jaunde.

Bidemenga, 8. November

Mein heutiges Rastziel ist Bidemenga, ein für hiesige Verhältnisse sehr ansehnliches Dorf; ich zählte 53 Hütten; eine weitere Anzahl von ihnen steht im Bau, aber nicht als Zeichen der Ausdehnung des Ortes, sondern weil sie vor etwa zwei bis drei Jahren bei der ersten innigeren Bekanntschaft mit dem Europäer in Flammen aufgegangen waren. Da die Dörfer der hiesigen Eingeborenenstämme nicht wie in Togo dicht zusammengedrängt mit engen Gassen gebaut werden, sondern die ganze Anlage stets in zwei parallel laufenden, weit auseinanderstehenden Hüttenreihen erfolgt, so hat dieses Bidemenga eine Ausdehnung von gut einem Kilometer. Der Kameruner Waldneger braucht keine Runddörfer mit engen Wegen; er hat auch keine Gräben, Wälle oder sonstige Verteidigungsvorrichtungen; seine natürliche Festung, in die er sich im Notfalle jederzeit zurückziehen kann, ist der Busch, den er mit wenigen Schritten erreicht, und der ihn sicher jedem Feinde verbirgt. In ganz Südkamerun herrschen diese Reihendörfer vor.

Die Bevölkerung betrachtet den Europäer immer noch mit großer Scheu. Dabei ist es zunächst nicht Feindseligkeit, die sie dem Weißen entgegenbringt, ich bin vielmehr sicher, daß alle Stämme bei der ersten Begegnung mit ihm, die zeitlich übrigens noch gar nicht so sehr weit zurückliegt, nichts anderes getan haben, als schleunigst auszureißen. So halte ich es durchaus für kein Kunststück, gerade auf diese Eigenschaft des Urwaldnegers bauend, mit geringer Bedeckung ruhig das Gebiet zu durchqueren, vorausgesetzt, daß man nichts von ihm will, weder Arbeitsleistung noch Verpflegung der Träger noch sonst etwas. Doch ich möchte nicht mißverstanden sein. Mit einem solchen Durchzuge ist dem Interesse der Kolonisation natürlich in nichts gedient. Ebensowenig kann uns daran liegen, daß der Neger dauernd vor uns in den Busch flüchtet. Wir brauchen ihn, er soll uns gehorchen, wir wollen ihn beherrschen und zur Arbeit für uns heranziehen. Dabei werden wir ihn unvermeidlich aus seinem bisherigen, ungestörten Gleichgewicht herausbringen müssen, wenn anders wir überhaupt kolonisieren, das heißt, ein bis dahin unzugängliches Land erschließen wollen.

Der Häuptling von Bidemenga, der außer über seinen Stammsitz noch über viele in der Nachbarschaft zerstreut liegende Dörfer zu gebieten hat, hatte noch vor wenigen Jahren, ich glaube noch 1903, das Ansinnen der deutschen Schutzherrschaft rundweg abgeschlagen. Ich schickte am Nachmittage in seine Hütte und bestellte ihn zu mir, um gerade darüber mir von ihm erzählen zu lassen. In einer Art Hängematte, einem großen Fischnetz, das an einer schwarz geräucherten Stange befestigt war, ließ er sich herantragen. Sehr bedächtig stieg er aus dem Gestell; auf einem Auge infolge einer ehemals beim Holzfällen erlittenen Verletzung erblindet, sonst aber trotz des hohen Alters rüstig und hoch gewachsen. Dann steckte er die unvermeidliche kurze Pfeife in den zahnlosen Mund und ließ sich einen Schemel bringen. Seine erste Frage war die, ob ich einen Schnaps für ihn hätte. Diese Bitte war mir auffällig, weil die eigentlichen Jaundeleute sonst noch nicht dem Branntwein verfallen sind. Er hat bei ihnen noch wenig Anklang gefunden, sei es, daß sie fühlen, wie er sie bei ihrer Leistungsfähigkeit im Tragen von Lasten beeinträchtigt – denn der Jaunde ist wohl der beste, willigste und kräftigste Lastenträger Kameruns –, sei es auch, daß nur die Verlockung zum Trunk noch nicht lange und stark genug an sie herangetreten ist.

Anstatt durch den Alkohol setzte ich mich durch einige Blätter Tabak in seine Gunst. Ohne daß ich es merkte, hatten sich bald an 150 Leute des Dorfes zu uns gesellt, um unserer Unterhaltung zu lauschen. Ich fragte ihn einleitend zunächst nach allen möglichen gleichgültigen Dingen und kam erst allmählich auf die Zeit seiner näheren Bekanntschaft mit den Deutschen. Er gab ruhig zu, daß er beim Anblick des ersten weißen Mannes mit seinem ganzen Dorfe geflüchtet sei. Wenn später wieder Europäer durchgezogen seien, habe man sich nicht mehr vor ihnen gefürchtet, dann aber hätte eines Tages ein weißer »Governer«, der in Kamerun für jeden Beamten übliche Ausdruck, zu ihm geschickt und ihm sagen lassen, daß er von jetzt an auch für ihn arbeiten müsse, Wege bauen, Essen bringen, wenn er durchreise, und daß sie zu ihm mit ihren Streitigkeiten kommen sollten. Dies habe er abgelehnt. Dann sei der weiße Governer gekommen und habe mit ihm gefochten. Sie hätten dabei gesehen, daß der Weiße der Stärkere sei, und er habe einen seiner Söhne zu ihm geschickt, um Frieden zu erbitten, und Arbeiter zur Station entsandt, und getan, was von ihm verlangt wurde.

Zum Schlusse unserer Unterhaltung fragte er mich, wer ich sei, und weshalb ich gekommen wäre, und als ich ihm verriet, daß ich Medikamente bei mir hätte und mich bereit erklärte, allen Kranken des Dorfes davon zu geben, schickte er einen der Umstehenden in den Hütten herum und ließ eine ganze Schar Kranker holen, so daß ich Mühe hatte, sie bis zum Einbruch der Dunkelheit alle mit Arzenei zu versehen oder zu verbinden.

Besala, 10. November

Während der gestrigen Nacht brach in die Bananenbestände, die sich dicht an die Negerhütten unseres Rastortes anschlossen, eine Elefantenherde ein und benahm sich sehr ungeniert und lärmend bei ihrem nächtlichen Besuche. Peter kam gegen 5 Uhr morgens in mein Zelt und beklagte sich bitter: »Doktor, ich kann nicht schlafen, Elefanten fressen Bäume.« Eine Stunde später, beim Sonnenaufgang, ließ ich den Unteroffizier Finboy seine drei besten Schützen aussuchen und ging mit den vier Schwarzen den frischen Fährten nach, oder eigentlich mehr nach der von ihnen im dichten Gebüsch gebrochenen Gasse. Gegen 10 Uhr kamen wir an ein Gewässer, hier mußten sie sein. Finboy stutzte, zeigte mit dem Finger: kaum 50 Schritt von uns entfernt, durch Gras und Gestrüpp fast ganz verdeckt, stand der Koloß vor uns, fast unbeweglich, nur der lange Rüssel schlug hin und her.

Ich muß gestehen, daß das Gefühl, welches mich im Momente des Anblickes beschlich, weder das des Staunens, noch der Jagdlust, sondern das eines großen Unbehagens war. Die Phrasen poetischer Schilderungen anderer Jäger gehen wohl sämtlich darüber hinweg, aber ich glaube, es wird gar manchem von ihnen beim ersten Begegnen nicht erspart geblieben sein, dieses Gefühl der Ohnmacht und des Zweifelns, ob es nicht geratener sei, das Gewehr in Ruh zu lassen. Einen Moment dachte ich daran umzukehren. Aber das Ziel war zu nahe und zu verlockend, nach einigen Augenblicken des Zögerns schoß ich, dicht oberhalb des Rüsselansatzes; dieser Schuß wird als sicherster, wenn man ihm von vorn gegenübersteht, empfohlen. Er brach zusammen, und das zu gleicher Zeit rechts und links vor uns brechende Geäst verriet, daß noch mehr Elefanten in nächster Nähe gewesen waren. Ich freute mich schon meines Treffers; aber bereits nach wenigen Sekunden erhob sich der Riese wieder und trottete von dannen, gefolgt von einem wahren Schnellfeuer meiner Schwarzen, das ihm leider wenig Eindruck zu machen schien. Mit großer Bestimmtheit behauptete Finboy zwar, er werde noch an demselben Tage verenden. Aber, gleichviel ob er recht hatte oder nicht, ich wollte meine Reise nicht länger unterbrechen und gab einem der Soldaten die Weisung, am Flusse entlang die nächste Negerniederlassung zu suchen, um die Eingeborenen für die weitere Verfolgung zu interessieren und ihnen für den Fall, daß sie ihn fänden, den Auftrag zu geben, die Stoßzähne und den Schwanz in Jaunde abzuliefern.

Ich selbst kehrte mit den anderen drei Schwarzen auf meine Reiseroute zurück, die ich erst am Spätnachmittage todmüde wieder erreichte. Auch der heutige Marsch ist nicht sehr ausgiebig ausgefallen, Morgen will ich versuchen, den verlorenen Tag wieder einzuholen.

Bei Ndumbu, 11. November

Das Äußere der kleinen Ortschaften am Wege nimmt insofern ein verändertes Aussehen an, als sie sämtlich von den Bewohnern verlassen sind. Keine Seele ist mehr zu finden, auch nicht in oder bei den Hütten, in deren Nähe ich raste. Wir sind allerdings in der Gegend, wo vor vier Monaten das schon erwähnte Gefecht stattfand, und passierten vor einigen Stunden das Gefechtsfeld von Ndumbu, an dem aber nichts Auffälliges mehr zu bemerken war als leere, halbverfallene Hütten. Da kein Mensch zu sehen ist, von dem ich Nahrungsmittel kaufen oder eintauschen könnte, kann ich meine Leute nicht anders verpflegen, als daß ich ihren Bedarf aus den Plantagenbeständen des Dorfes abschlagen lasse. Die Soldaten selbst scheinen die Gegend für nicht ganz sicher zu halten, denn sie baten, zum Wasserholen nach einem nahen Flüßchen mit Gewehr und Patronentasche gehen zu dürfen. Deshalb will ich auch heute nacht zum ersten Male einen Posten vor meinem Zelte aufziehen lassen und meinen Karabiner neben dem Feldbett bereitstellen.

Akonelinga, 15. November

Vorgestern wohlbehalten hier in Akonelinga eingerückt. Die Station ist ohne Europäer. Feldwebel L., der sonst hier an der Spitze von 30-40 Mann herrscht, war kurz zuvor nach Jaunde aufgebrochen, um dort über verschiedene Angelegenheiten Bericht zu erstatten. Wir waren also offenbar auf verschiedenen Routen, ohne uns zu treffen, aneinander vorbeimarschiert.

Das Stationshaus sowie die anderen Gebäude dieses erst seit ungefähr Jahresfrist von Jaunde aus vorgeschobenen Postens sind vorläufig nur aus dem Baumaterial der Eingeborenen: Palmrippen und Matten, aber in riesigen räumlichen Dimensionen, erbaut. So enthält das Hauptgebäude neben einer Mittelhalle vier geräumige Zimmer, von denen L. zwei zu bewohnen scheint; in einem der beiden leerstehenden habe ich mich selbst eingenistet. Außer einem Dolmetscher und den schwarzen Soldaten vervollständigen die auf dem weiten Hofe arbeitenden Gefangenen das Stationspersonal. Hinter dem Hofe fällt das Gebäude leicht ab bis zu dem dicht vorüberfließenden Njong. Auf seinen beiden Ufern zieht sich nur ein schmaler Streifen sumpfigen Graslandes entlang, an den sich wieder weite, unabsehbare Waldflächen anschließen.

Das Gefechtsgebiet der Südexpedition liegt auf dem südlichen Ufer des Flusses, etwa noch zwei Tagereisen von hier entfernt. Irgendeine Nachricht für mich fand ich hier nicht vor. Um Fühlung mit der Truppe zu gewinnen, habe ich eine Patrouille ausgeschickt, die meine Ankunft melden und mir gleichzeitig weiteren Bescheid bringen soll.

Die Eingeborenenbevölkerung der hiesigen Gegend scheint sprachlich noch den Jaundes verwandt zu sein, ist sonst aber weit hinter ihnen zurückgeblieben und steht noch in den ersten Jahren ihrer Bekanntschaft mit dem Europäer. Ebenso wie viele andere Stämme am Oberlaufe des Njong, sind sie auch heute noch Kannibalen; freilich nicht in der Art des wüsten Jahrmarkts- und Panoptikumskannibalismus, sondern so, daß der in Kriegszeiten beim Gefecht getötete Angehörige des feindlichen Stammes aufgefressen werden darf. Wir haben darin gewissermaßen eine Unterstufe der Sklaverei zu erblicken, in der man den schwächeren Feind noch nicht besser zu verwerten weiß, als ihn zu töten und als animalisches Nahrungsmittel auszubeuten, wobei man nicht übersehen darf, daß die Vorstellung oder der Glaube, daß durch das Verzehren des Gegners oder zumindest seiner wichtigen Körperteile, wie Herz, Gehirn usw., dessen Kraft auf den Sieger übergeht, mit eine Rolle spielt.

Zwei Firmen haben in der Nähe des Postens eine Zweigniederlassung gegründet; eine von ihnen ist augenblicklich mit einem Europäer besetzt, der einzigen weißen Seeje, die außer mir hier noch haust.


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