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Durchimpfung des Atakpamebezirks

Atakpame, 19. August

Am Vormittage bekam ich den Besuch des Häuptlings von Atakpame und der Frauenkönigin Maria. Letztere ist nicht etwa die Frau des Häuptlings, sondern eine selbständige Herrscherin, die ich schon im vorigen Jahre vorübergehend hier gesehen habe. Sie soll einen großen Einfluß unter ihren Getreuen besitzen. Im feierlichen Festgewande, umgeben von ihren schwarzen Hofdamen, erschien sie auf der Station, um mich zu begrüßen. Ihr königliches Haupt, das sie kokett zur Seite geneigt trägt, läßt sie bei solchen feierlichen Gelegenheiten dauernd von einem riesigen Sonnenschirme beschatten, den einer ihrer schwarzen Pagen tragen muß.

Am Nachmittage unternahm ich eine kleine Kletterpartie in die benachbarten Berge, auf denen versteckt einzelne Negerdörfer liegen. In einem von ihnen, Tschapalu, sollten nach Erzählung der Eingeborenen gerade jetzt die Pocken herrschen. Mit Bergtouren ist es in Afrika eine eigene Sache. Die schönen Wege hören natürlich bald auf, mühsam muß man einen schmalen Pfad aufwärtssteigen, zu beiden Seiten überhängendes Gebüsch oder hohes Gras, das einem keine drei Schritt weit Ausblick gewährt. Meint es dann die Tropensonne noch besonders gut mit dem Bergsteiger, so schwindet bald das Verständnis für alle Reize des Bergsportes. Glücklicherweise hatte ich das Dorf Tschapalu bald erreicht. Es fanden sich auch wirklich vier frische Pockenfälle vor.

Die Eingeborenen, denen ihre Ansteckungsgefahr wohl bekannt ist, hatten sie aus eigenem Antriebe bereits isoliert. Ungefähr zwei Kilometer vom Orte entfernt war in einer engen Schlucht aus einigen Baumstämmen mit übergedecktem Schilfdach eine Isolierbaracke errichtet, in der die vier Unglücklichen, drei Erwachsene und ein Kind, lagen. Ein alter Neger, der selbst schon die Pocken überstanden hatte, hockte vor dem Eingange, um den kranken Insassen Essen, Trinken und sonstige Bedürfnisse zu besorgen. Zwei glimmende Feuer, die den vor Fieberfrost Frierenden Wärme spenden sollten, erfüllten den niedrigen Raum mit dickem Rauch, der mir beim Versuche hineinzukriechen die Kehle zuschnürte. Den Patienten schienen die Wärme und der Qualm ganz behaglich zu sein.

Ich ließ zwei von ihnen, die sich im Beginn der Erkrankung befanden und deren ganzer Körper dicht mit frischen Pockenblasen bedeckt war, herauskriechen. Ihre Haut war überall mit einer gelblichen Palmölschmiere, die irgendeine Eingeborenenmedizin enthalten mochte, bestrichen, wohl um die entzündliche Spannung zu lindern. Ich stach die größten der Bläschen vorsichtig an und saugte ihren Inhalt in Glaskapillaren auf, um morgen mit diesem Material ein Kalb zu impfen. Gelingt diese Aufimpfung aufs Kalb, so habe ich damit eine starke Stammlymphe gewonnen. Von dieser ausgehend will ich als weiteres Material zur Aufimpfung der Kälber immer den Inhalt menschlicher Impfbläschen verwenden, da sich bei den Versuchen an der Küste gezeigt hat, daß diese humanisierte Lymphe bei der Übertragung aufs Kalb die besten Resultate gibt. Bis ich sie gezüchtet habe, will ich den Rest der von Dr. Kr. in Lome erhaltenen Lymphe weiter verimpfen. Einige andere Ortschaften, die ich noch absuchte, waren pockenfrei. Damit aber diese bisher verschont gebliebenen Dörfer gegen die nahe, ihnen drohende Gefahr gesichert werden, will ich sie als erste morgen durchimpfen.

 

Atakpame, 27. August

Hauptmann v. D, und Leutnant R. sind inzwischen zur Station zurückgekehrt. Mit Hilfe v. D.s habe ich für die weitere Durchimpfung des Bezirkes ein bestimmtes Programm festgelegt, in dessen Ausführung ich bereits stehe, und nach dem ich bis Anfang Oktober im Atakpamelande arbeiten will. Ich werde die Lymphe hier auf der Station herstellen, da bequeme Stallungen für Kälber vorhanden sind. Die nötigen Tiere überlassen mir gegen eine geringe Entschädigung die Häuptlinge der Umgegend, die alle über kleinere oder größere Rinderherden verfügen. Stets mit frischer. Lymphe ausgerüstet, ziehe ich dann von Atakpame aus nach den verschiedenen Himmelsrichtungen ins Land, um Impftage abzuhalten. Einige Tage vor meinem Erscheinen lasse ich immer am größten Orte der betreffenden Gegend mein Kommen ankündigen und auch die Bewohner der Nachbardörfer auffordern, sich dort zur Impfung einzustellen. Von Zeit zu Zeit kehre ich zur Station zurück, um neue Kälber aufzuimpfen oder bereits geimpfte abzuernten.

Das Reisen in dem vortrefflich verwalteten Atakpamebezirke bietet keine Schwierigkeiten. Die gute Beschaffenheit der Wege gestattet mir überall die Benutzung des Rades. In jedem größeren Orte findet sich ein Rasthaus für Weiße. Die Schwarzen zeigen allerorten großes Entgegenkommen. Als ständige Trabanten auf meinen Zügen begleiten mich zwei schwarze Polizeisoldaten: Zedu und Njau, die beide bereits früher als Lazarettgehilfen an der Küste ausgebildet wurden und mir jetzt beim Impfgeschäfte helfen werden. Später nach meiner Abreise werden sie hoffentlich imstande sein, die Durchimpfung des Bezirkes weiter fortzusetzen.

Die ersten Impftouren liegen bereits hinter mir, und ich kann mit der Anzahl der Impflinge zufrieden sein. Nachdem die nächste Nachbarschaft des Pockenherdes abgeimpft war, zog ich einige Stunden südwärts, wo gerade ein Trupp Akposso beim Wegebau beschäftigt war, mit Frauen und Kindern zusammen 340 Köpfe. Alle zwei Wochen wird die eine Quote dieser Steuerarbeiter von einer neuen in der Arbeit abgelöst. Ehe sie nach Ableistung dieser Arbeitszeit in ihre Dörfer zurückkehrten, wollte ich ihnen noch den Impfschutz mit in die Heimat geben und ihnen auftragen, daß sie ihre Landsleute auf mein baldiges Erscheinen in ihrer Landschaft vorbereiten sollten. Dieser Stamm der Akposso ist ein kräftiger Menschenschlag, ein Bergvolk, meist schön gewachsene, hohe und kraftvolle Gestalten, von denen leider viele durch einen Kropf entstellt sind. Dieses Leiden scheint stark unter ihnen verbreitet zu sein; wohl der vierte Teil war mit einem Kropf, oft von enormer Größe, behaftet. Wenn ich einem von ihnen beim Impfen sagte, er könne später nach Kleinpopo kommen, wo ich ihm den Kropf wegoperieren wollte, antwortete mir immer ein ungläubiges Lachen der Umstehenden; eine solche Operation ist für sie etwas Undenkbares.

Einen anderen Zug unternahm ich westwärts über Kutukpa nach Amelame, wo mich über tausend Impflinge erwarteten. Als ich mich dem Dorfe nahte, kam mir die ganze Gesellschaft in wildem Aufzuge entgegen: Trommeln wurden geschlagen, Hörner geblasen, es wurde gepfiffen, gebrüllt, gesungen, über dem Kopfe des Häuptlings wurden Pferdeschweife geschwungen, dem ganzen Zuge voran wehte eine alte deutsche Flagge. Während der letzten 500 Meter Entfernung rannten sie mir im vollen Laufschritt entgegen. Wäre ich nicht sicher gewesen, daß es eine Begrüßung sein sollte, so hätte es ebenso für einen Kriegstanz gelten können, und unwillkürlich kam mir der Gedanke, ob nicht ein Europäer, der vielleicht vor zehn Jahren als erster hier durchreiste, hinter dem gleichen Empfange Kriegsgeschrei gewittert haben würde. Erst als sie mich in ihrer Mitte bis zum Marktplatz geleitet hatten, beruhigte sich der Tumult.

Seit gestern weile ich zur Erneuerung meiner Lymphvorräte in Atakpame. Soviel mir freie Zeit dabei bleibt, leiste ich in den Vormittagsstunden auf der Station ärztliche Hilfe. Eingeborene, Soldaten, deren Weiber und Kinder, Gefangene und alle, die sich von morgens 9 Uhr an hilfesuchend einfinden – oft eine ganz stattliche Zahl – versorge ich, so gut es bei der primitiven Hausapotheke der Station und meinen eigenen Vorräten möglich ist, mit Arzenei oder lasse sie von August verbinden.

Der schwerste und interessanteste Patient der letzten Tage ist ein Soldat, der bei der Jagd auf einen Leoparden verunglückte. Er schoß das Tier mit einem guten Treffer in den Hals, aber es hatte bei der geringen Entfernung doch noch die Kraft, mit einem Sprunge seine Pranke dem Schützen auf die Schulter zu schlagen und ihm schwere Fleisch- und Knochenverletzungen beizubringen. Erst nachdem es ihm noch mit einem zweiten Schlage gerade über dem Ellenbogengelenk eine zweite schwere Verletzung, einen komplizierten Gelenksplitterbruch, beigebracht hatte, sank es verendet zu Boden. Die Wunde ist dank der sachgemäßen Pflege, die ihr bis zu meinem Kommen der Pater M. angedeihen ließ, in guter Heilung, aber ein steifes Ellenbogengelenk wird er dauernd behalten. Die freien Nachmittagsstunden der Stationstage benutze ich dazu, um die nächste Umgebung abzujagen auf Buschhühner, Perlhühner, Antilopen und – Hasen. Der brave Lampe ist also auch in Afrika vertreten; an Wuchs zwar kleiner als sein europäischer Bruder, aber an Geschmack ihm sehr ähnlich.

Die Mahlzeiten und Abende verlebe ich gemeinsam mit v. D. und R. Ersterem bin ich für viele Ratschläge, die er mir aus seiner mehr als zehnjährigen afrikanischen Erfahrung heraus geben kann, zu großem Dank verpflichtet. Trotz umfangreicher Tagesarbeit ist er immer lebhaft, immer voller Humor, ein unübertrefflicher Erzähler, ausgestattet mit der beneidenswerten Gabe, auch den unangenehmsten Dingen die helle Seite abzugewinnen, eine Gabe, die in den Tropen doppelt hohen Wert besitzt.

 

Atakpame, 5. September

Gestern morgen brach v. D. zur Küste auf. R. und ich gaben ihm bis Gley das Geleit. Ich hatte die Gelegenheit wahrgenommen, für Amutsu, einem größeren Dorfe am gleichnamigen Flusse, und die umliegenden Ortschaften Impftage anzusetzen.

Gegen 7 Uhr früh zogen wir den Berg der Station hinab, durchs Dorf Atakpame, v. D. und R. zu Pferde, ich mit dem Rade. Vorweg ein Trupp schwarzer Soldaten mit einem Hornisten an der Spitze, hinter uns von sechs Schwarzen geschoben und gezogen ein großer zweiräderiger Lastkarren mit unserem Gepäck. Hunderte von Eingeborenen strömten aus allen Gassen herbei und wünschten dem scheidenden Hauptmann glückliche Reise und baldige Rückkehr. Wohl über eine halbe Stunde weit folgten sie unter dauernden Zurufen. In Amutsu, 20 km von Atakpame entfernt, war Rast angesetzt.

Der Ort lag für uns jenseits des Flusses. Bei unserem Kommen hatte sich die Schar der Impflinge bereits zu beiden Seiten der Straße aufgestellt und trommelte und schrie ihr Willkommen. Es waren über tausend Mann. Leider ging der Übergang über den Fluß nicht ohne ein kleines Malheur für uns ab. Da eine massive Brücke über ihn erst im Bau ist, muß man ihn an einer Furt überschreiten. Seine Ufer fallen steil ab. Die Schwarzen, die den Wagen zogen, hatten vergessen, rechtzeitig zu bremsen, so daß er ihnen durchging, die Böschung herabsauste, sich überschlug, die Deichsel zerbrach und Kisten und Koffer im bunten Durcheinander ins Wasser rollten. Das stolze Gefährt selbst lag schließlich bis auf den Deichselbruch unversehrt, die Räder zum Himmel streckend, im Fluß. Auf seiner Unterseite hatte eine fürsorgliche Hand versteckt ein gewisses Geschirr befestigt, das einst ein alter Afrikaner einem nach den notwendigsten Reiserequisiten fragenden Neuling als das unentbehrlichste Afrikas bezeichnete. Dieses hatte alle Evolutionen des Wagens glücklich überstanden und gab jetzt dem umgestülpten Karren seine Krönung.

Die Eingeborenen sprangen hilfbereit hinzu und schleppten unsere Gepäckstücke und den Wagen aus dem Fluß zum nahen Marktplatze des Dorfes. Während v. D. und R. eine neue Deichsel anfertigen ließen und fürs Mittagessen sorgten, machte ich mich mit August, Zedu und Njau ans Impfen. Ein Hasenbraten mit Yams tröstete uns über das erlittene Mißgeschick. Bis gegen 5 Uhr hielten uns die Impfungen noch auf, dann vollendeten wir den kurzen Rest des Tagemarsches bis zum Rasthause von Gley.

Heute früh verabschiedete ich mich von v. D. und radelte zur Station zurück. R. reist noch bis zur Grenze des Bezirkes mit ihm.

 

Atakpame, 6. September

Wie an der Küste, so sind auch im Atakpamelande die Spuren einer bis in die neueste Zeit hineinreichenden Völkerverschiebung bemerkbar. Der große Ort Atakpame selbst beherbergt Angehörige verschiedener Stämme mit verschiedener Sprache und verschiedenen Sitten. Vier Stadtteile sind in ihm zu unterscheiden. Zwei von ihnen: Njanja und Gjaman werden von einer Bevölkerung bewohnt, die ursprünglich weiter ostwärts, auf dem linken Monoufer wohnte und unter dem Druck der Dahomeleute hierher auswanderte. In einem dritten, kleineren Stadtteil Wudu haust ein der Sprache nach den Ewenegern verwandter Stamm, und als vierter Komplex liegt etwas abseits von den übrigen Wohnungen die Hausaniederlassung mit dem »Songo«, der Herberge, in deren Hütten alle die auf ihren Handelsreisen von und nach der Küste hier durchziehenden Schwarzen Gelegenheit zum Rasten und Übernachten finden. Für das Nachtquartier sind an den »Serkinsongo«, den Herbergsvater, 5 Pfennig pro Kopf zu entrichten. Auf den seit dem Eingreifen der Deutschen gesicherten Straßen kommen täglich Hunderte in Atakpame an, sei es, um dann von hier weiter zur Küste zu ziehen, sei es, um schon hier an die Händler der Firmen, die bis hierher ihre Zweigniederlassungen vorgeschoben haben, ihre Produkte zu verkaufen und dafür Salz, Pulver, Gewehre oder Stoffe mit in ihre Heimat zurücknehmen. Die Größe dieses Handelsverkehrs läßt sich annähernd daraus ermessen, daß der Serkinsongo von seinen Einnahmen jährlich 800 Mark an den Häuptling von Atakpame abzuliefern hat.

Die Grenzen der einzelnen Stadtteile sind unter der deutschen Verwaltung verwischt. Viele der alten, baufälligen, verlassenen Hütten sind weggeräumt worden, und sauber gehaltene, gerade Straßen durchqueren den Ort nach allen Richtungen. An Sauberkeit steht Atakpame weit über Kleinpopo. Auch die Arbeiten im Bezirke sind denen an der Küste weit voraus. Überall sieht man einen planmäßigen und energischen Fortschritt. Der Respekt vor dem Weißen ist noch unverfälscht, und während im Küstengebiet nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung ihren jeweiligen kurzlebigen Bezirksamtmann überhaupt zu Gesicht bekommt, ist v. D. jedem einzelnen Schwarzen im ganzen Atakpamelande wohl bekannt. Ich glaube, daß die geschickte Art und Weise, die Leute richtig zu behandeln, die genaue Kenntnis seines Landes und der dadurch bedingte große Einfluß seiner Persönlichkeit das Hauptgeheimnis der raschen Entwicklung dieses jungen Bezirkes sind. Erst spätere Jahre, die eine Fortsetzung der nach Kpalime begonnenen Inlandbahn bringen werden, und zwar selbstverständlich über das Atakpameland nach dem Norden des Schutzgebietes, werden erkennen lassen, was jetzt hier geleistet wird. Zwar hört der dichte Ölpalmengürtel der Küstenregion hier auf, dafür setzt aber das Gebiet des Kautschuks, der Viehzucht und das für den Baumwollbau geeignete Land sowie – das beste Kapital einer Kolonie – eine in der Arbeit geschulte und in der Hand des Europäers disziplinierte Bevölkerung ein.

 

Atakpame, 14. September

So ziehe ich als fahrender »Medizinmann« im Lande umher. In der verflossenen Woche habe ich den Nordwesten des Bezirkes bereist. Durch die eingeschobenen Ruhetage auf der Station werden auch die unvermeidlichen körperlichen Anstrengungen und Entbehrungen, die das Reisen im afrikanischen Busch mit sich bringt, erträglich. Je näher ich den Bezirk kennenlerne, um so mehr bin ich erstaunt, mit welchen Erfolgen hier im Vergleiche zur Küstengegend in kurzer Zeit gearbeitet worden ist. Für die gute Beschaffenheit der Wege spricht besser als alle Worte des Lobes die Tatsache, daß ich selbst auf den Nebenstraßen überall das Rad benutzen kann. Sie sind von den Eingeborenen der anliegenden Dörfer ausnahmslos vorzüglich instand gehalten; für die Tropen eine Aufgabe, die ebenso schwierig wie die Anlage des Weges selbst ist, da in jeder Regenzeit das Wasser viele Lücken reißt, und üppig überwucherndes Gras und Gebüsch immer wieder beseitigt werden müssen. Die Brücken über Flüsse und Bäche fehlen zwar auf den meisten Nebenstraßen noch, wodurch das Fortkommen mit dem Rade vielfach erschwert wird. Sind die zu passierenden Wasserläufe klein, so ziehe ich Schuh und Strümpfe aus, nehme mein Rad auf den Rücken und trage es durch. Auf größeren findet sich meist ein Kanu mit einem Fährmann in der Nähe, der mich übersetzt. Meine Träger mit dem notwendigsten Reisegepäck lasse ich bei solchen Radtouren unter Führung von August, Zedu und Njau einige Stunden vorausmarschieren und habe dann selbst nichts bei mir als eine Feldflasche voll kalten Tees. In vielen der Dörfer, durch die ich jetzt komme, ist den Schwarzen das Fahrrad noch ein unbekanntes Ding, das sie zum ersten Male zu sehen bekommen. Häufig bleiben sie staunend bei dem ungewohnten Anblick stehen; Frauen und Kinder flüchten oft vor der ihnen unerklärlichen Erscheinung ins Gebüsch. Die häufigste Frage, die von den herzhafteren der Neger über das Rad gestellt wird, ist die, was ich diesem »eisernen Pferd«, wie sie es nennen, zu fressen und zu saufen gebe. Der Erklärung des richtigen Sachverhaltes folgt zunächst immer ein ungläubiges Schütteln des Kopfes, erst die Demonstration der Luftpumpe und der Ölkanne vermögen sie einigermaßen zu überzeugen.

Im ganzen ist der Empfang in den einzelnen Ortschaften immer derselbe: eine Strecke weit kommen mir die Häuptlinge und ihr Gefolge mit »klingendem Spiel« entgegen und holen mich ein. Im Dorfe allgemeine Begrüßung, darauf wieder Musik des Stadtmusikorchesters (mit starker Betonung der Trommeln), wechselnd mit dem Gesang aus hunderten kräftiger Negerkehlen und dem Tanz der festlich geschmückten Dorfschönen. Nach eingetretener Beruhigung folgt meinerseits eine kurze Ansprache ans Volk, in der ich den Zweck meines Kommens noch einmal klarmache und kurz die wichtigsten Verhaltungsmaßregeln für die Nachbehandlung ihrer geimpften Arme gebe. Darauf treten die Erschienenen in langer Reihe an, und ich durchmustere sie zunächst auf Lepra und alle die zahlreichen Erkrankungen, die man mit einiger Sicherheit auf den ersten Blick erkennen kann, und über deren Ausbreitung mir ein Bild zu verschaffen ich hier die schönste Gelegenheit habe: Ringwurm, Krätze, sonstige Hautkrankheiten, Geschwüre, Blindheit, Lähmungen usw. Ich wollte, es stünde mir gerade für diese Ermittlungen noch mehr Zeit zur Verfügung. Nachdem ich mir die wichtigsten Notizen gemacht habe und Leute mit ansteckenden Krankheiten ausgeschieden sind, folgt die Massenimpfung. Beim Abschied wieder Geleit mit Musik und Tanz zum Dorfe hinaus. Setze ich mich dann auf das Rad, um weiteren rauschenden Ovationen zu entfliehen, so versucht noch die große Schar der Dorfjugend einen Wettlauf mit dem Rade, den sie mit großer Ausdauer und viel Geschrei so lange fortsetzt, bis das eiserne Pferd endlich den Sieg über ihre Lungen davonträgt. Ein 14jähriger Bengel blieb mir unlängst mindestens eine halbe Stunde lang auf den Fersen.

Nach alter Sitte bringt der Häuptling eines jeden Dorfes, in dem gerastet wird, seine Geschenke an, die hierzulande meist in Naturalien: Hühnern und Yams bestehen. Wenn ich alle Geschenkshühner behalten wollte, so würde allmählich ein ansehnlicher Hühnerhof dabei herauskommen, und von dem mir zugedachten Yams hätte ich wohl schon ein ganzes Bataillon eine Woche lang verpflegen können. Da auf der einen Seite der Neger die Zurückweisung seiner Gaben als schwere Kränkung empfinden würde, andererseits den Kolonialbeamten von Berlin aus die Annahme von Geschenken verboten ist, so befinde ich mich oft in einer schwierigen Lage. Einen Teil des Yams benutze ich zur Verpflegung meiner Trabanten, den Rest lasse ich liegen. Die Hühner nehme ich zwar dankend an, entledige mich ihrer aber wieder durch eine kleine List. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde weit von meinen Trägern mitgeschleppt worden sind, befreit sie August auf meine Anweisung von ihren Fesseln, so daß sie friedlich wieder in ihr Heimatdorf zurückkehren können, wo der Häuptling annehmen wird, daß sie uns ausgerissen sind. Daß sie tatsächlich den Heimweg finden, konnte ich kürzlich daraus ersehen, daß ein Neger den von mir losgelassenen und von ihm wieder eingefangenen Gockel in atemlosem Laufe mir bis zum nächsten Dorfe nachbrachte! Außer dem Federvieh und den Feldfrüchten schleppen sie auch sonst noch allerhand an: Antilopenhörner, Felle, Tierschädel, Armringe usw. Was mir davon des Mitnehmens wert erscheint, erstehe ich für einen geringen Preis.

Eine kleine originelle Szene erlebte ich gestern nachmittag. Wieder gab mir eine Schar Geimpfter das Abschiedsgeleit. Hinter mir marschierte der Häuptling, gefolgt von dem Haufen seiner singenden und tanzenden Untertanen. Dicht beim Dorfe war ein Bach zu überschreiten, kaum 5 Meter breit; ich konnte ihn bequem durchwaten und stand schon am jenseitigen Ufer. Da plötzlich ein fürchterliches Geschrei der ganzen Gesellschaft. Wie ich mich umsehe, liegt der Häuptling, der eben noch stolz hinter mir herschritt, im Wasser, und von dannen schwimmt in rasender Geschwindigkeit den Bach hinab ein Krokodil. Es war nur mäßig groß, hatte aber doch den braven Dorfschulzen umgeworfen, zum Glück ohne ihm das geringste zuleide zu tun. Es war vermutlich aus einem größeren Gewässer in diesen Nebenfluß auf Beute gezogen, hatte hier geschlafen, war durch den Lärm aufgeschreckt worden und schleunigst geflüchtet. Die Schwarzen zogen sich zurück, nur der unfreiwillig gebadete Häuptling kam zu mir herüber und erhob von hier aus seine Stimme zu einer Ansprache an die geflüchteten Getreuen. Die Situation, in der sie ihn eben gesehen hatten, war ihm offenbar peinlich; mit großer Ruhe und sicher ohne böse Nebenabsicht erklärte er, das Krokodil habe nicht ihn gemeint, sondern den weißen Mann, den es wahrscheinlich nicht leiden könne. Trotz dieser Beruhigung zogen es seine Leute vor, auf dem anderen Ufer zu bleiben, ihr Bedenken vor dem Wasser war doch zu groß, die Illusion war dahin. Ich reichte dem tapfern Häuptling die Hand und radelte von dannen.

 

Atakpame, 17. September

Für die nächsten Tage habe ich den Südosten bis zur französischen Grenze aufs Programm gesetzt und in den Orten Chra, Sagada, Tetetu Impftage angesagt. Heute morgen hatte ich meine Träger vorausgeschickt mit der Weisung, bis nach Amuno zu gehen und mich dort zu erwarten. Nachmittags gegen 3 Uhr wollte ich ihnen nachradeln. Nach einer halben Stunde überraschte mich ein Gewitterregen, der mich, ehe das nächste Dorf zu erreichen war, bis auf die Haut durchnäßte. Ich fuhr weiter bis zur nächsten Niederlassung und kroch in die erste beste Hütte. Dabei erwischte ich einen Ziegenstall, dessen Bewohner vor dem ungewohnten Gaste meckernd das Weite suchten. Aufmerksam gemacht durch die flüchtenden Ziegen kam der Besitzer der Nachbarhütte herbei, begrüßte mich und versicherte mir, diese Hütte sei nicht gut, ich solle lieber in sein Haus kommen. Da ich annahm, daß er nur den Ziegenstall nicht für eine standesgemäße Unterkunft für einen Europäer hielt, dieser aber bequem Platz für mich und mein Rad bot, blieb ich und bat den Schwarzen, mein Rad zu trocknen. Zögernd machte er sich daran, mit der Innenseite seiner gestrickten Zipfelmütze das Werk der Säuberung zu vollziehen, betonte aber dabei noch mehrmals: »dieses Haus ist nicht gut«. Plötzlich ließ ein heftiger Windstoß das alte, morsche Dach in allen Fugen krachen, der Neger kam mit einem großen Satze heraus, der Weiße hinterher, und unmittelbar danach begrub der herunterbrechende Schutt unter sich das Rad. Nun mußte ich doch zur Hütte des Schwarzen gehen, der mir stolz, mit triumphierendem Lächeln, weil er recht behalten hatte, voranschritt. Seine Hütte war voller Qualm, so daß ich, um atmen zu können, die schwelenden Holzstücke heraustragen lassen mußte und nur die Glut zurückließ. Dann breitete er mir ein großes Antilopenfell zurecht, auf dem ich mich am Feuer ausstreckte, brachte eine Kalabasse voll Maisbier mit zahlreichen selbstmörderischen Fliegen darin und hockte selbst auf einen niedrigen Schemel. Die in der Ecke stehende Steinschloßflinte und sonstige Jagdutensilien verrieten mir, daß er ein »adelá«, ein Jäger, sei. Ich ließ mir von ihm erzählen und kam mir ungefähr vor wie Tacitus bei einem alten Germanen.

Leider verstand ich nur die Hälfte seiner ausführlichen Reden. Er war in früheren Jahren Soldat bei Dr. G. gewesen und hatte dessen Expeditionen nach dem Sudan mitgemacht. Später war er in seine Heimat zurückgekehrt und betrieb hier das edle Waidwerk. Jedes größere Dorf dieser wildreichen Gegend scheint seinen Berufsjäger zu haben. Teils schießen sie mit Pfeil und Bogen, teils mit ihren kaum 30 Meter weit treffenden Donnerbüchsen, die sie mit gehacktem Eisen, mitunter auch Steinen, zu laden pflegen. An der Wasserstelle oder im Lager lauern sie dem Wilde auf, sei es Antilope, Büffel oder Leopard. Solange, bis sie ein Tier erlegt haben, bleiben sie dem Dorfe fern. Haben sie eine Beute gemacht, so wird sie im Busch zerwirkt, und die einzelnen Stücke werden zum Verkauf ins Dorf gebracht. Fetischpriester und Häuptling bekommen ihre Gratisabgabe davon; also auch hier ein Zehnter an die Geistlichkeit und den Fürsten. Gelegenheitsjäger sind indessen die Eingeborenen alle. Besonders wenn die großen Grasbrände in der höchsten Trockenzeit im Dezember und Januar vorüber sind und das neu hervorsprießende Gras die Tiere zum Äsen lockt, ziehen sie zur Jagd und schießen erbarmungslos nieder, was ihnen vor den Lauf kommt.

Als der Regen vorüber war, machte ich mich auf, nach dem Rade zu sehen. Mit Hilfe einiger Nachbarn gelang auch das Werk seiner Ausgrabung. Glücklicherweise hatte es außer einigen kleinen Verbeulungen keinen Schaden genommen. Ich hielt es für das beste, nach Atakpame zurückzukehren, mich dort wieder menschlich zu machen und morgen in aller Frühe das heute Versäumte nachzuholen.

Atakpame, 25. September

Meine für das Atakpameland bestimmte Zeit geht zu Ende. Nachdem ich in der verflossenen Woche den Südosten des Gebietes bis zum Mono hin bereist habe, breche ich morgen auf, um den Norden und Nordosten noch aufzusuchen und mich dann weiter nach dem Sokodebezirke zu wenden. In den großen Ortschaften Agnä, Njamassilä, Pessi, Sikita und Kamina habe ich mich für die kommenden Tage noch angesagt. Von da aus will ich bei Akbandi die nach Sokode führende Hauptstraße erreichen.

Heute traf Dr. Sch. von Lome kommend mit dem Rade in Atakpame ein, um zunächst einige Tage hier zu bleiben. In Akbandi, dem Grenzorte des Atakpame- und Sokodebezirkes werden wir uns am 1. Oktober treffen, um von da aus gemeinsam weiterzureisen.

Blita, 2. Oktober

In den letzten Tagen ging es heiß her. Die Strecken, die ich programmäßig bis zu dem an der Ostgrenze gelegenen Kamina abzuradeln hatte, waren lang und die unterwegs durchzuimpfenden Dörfer groß. Ich nahm den Weg von Atakpame zunächst nordwärts über Agnä und Njamassilä und zweigte dann nordöstlich nach Pessi, das am Mono liegt, ab. Schon dicht hinter Atakpame beginnt die Landschaft ihren Charakter wieder zu ändern, an Stelle der waldreichen Gebirgslandschaft breitet sich eine nur von leichten Terrainwellen durchzogene Ebene mit Steppencharakter nordwärts aus. Jedes der genannten Dörfer hat mehrere hundert Hütten; große, wohlgepflege Farmen sind in ihrem Umkreise angelegt, die nur in der Nähe der Wasserläufe von dichteren Waldbeständen unterbrochen werden. Von Kamina ging ich nordwestlich zurück nach Sikita und erreichte von dort nach einer recht anstrengenden Radtour gestern nachmittag Akbandi an der Hauptstraße von Atakpame nach Sokode.

Die Wege von Dorf zu Dorf waren überall auf die Kunde vom Kommen eines Europäers hin frisch gereinigt, die Dorfplätze und die Rasthäuser sorgfältig gesäubert (im Küstenbezirke denkt die Bevölkerung gar nicht daran, einem durchreisenden Europäer zuliebe diese Arbeit unaufgefordert zu leisten), und in allen Ortschaften wurde ich von hunderten impflustiger Eingeborenen erwartet, lärmend empfangen und ebenso lärmend verabschiedet. Gerade die Landschaft Pessi soll nach den Erzählungen der Leute vor nicht zu langer Zeit große Verluste durch Pocken gehabt haben und früher noch viel dichter bevölkert gewesen sein als jetzt. Die Dankbarkeit der Schwarzen scheint an Unmittelbarkeit und Urwüchsigkeit mit zunehmender Entfernung von der Küste zu wachsen. Im Weißen sehen sie noch ein ihnen überlegenes höheres Wesen, während im Küstengebiete der Europäer durch eigene Schuld viel von diesem Nimbus eingebüßt hat.

Im Rasthause von Akbandi traf ich außer 200 auf mich wartenden Impflingen zu meiner großen Freude Dr. Sch. an, der unserer Verabredung gemäß seit dem Vormittage mich dort erwartete. Am Abend fühlte ich mich zum ersten Male seit Beginn der Reise körperlich unbehaglich, und als ich meine Temperatur nachprüfte, ergab sich zu meiner großen Überraschung eine sehr hohe Fiebersteigerung. Eine Blutprobe, die ich gemeinsam mit Sch. unter dem Mikroskope durchmusterte, bestätigte unsern Verdacht auf eine beginnende Malaria glücklicherweise nicht, so daß wohl nur eine körperliche Überanstrengung der letzten Zeit und die etwas forcierte gestrige Radtour in der glühenden Mittagshitze die Ursache waren. Heute morgen fühlte ich mich wieder vollkommen wohl, so daß ich mit Sch. zusammen die Reise wenigstens die kleine Strecke bis Blita fortsetzen konnte. Hier rasten wir und wollen morgen in aller Frühe gegen 4 Uhr beim Mondschein weiterradeln, um während der kühlen Stunden unsere Tagesleistung zu erledigen.

Mit Blita, dem ersten zum Sokodebezirke gehörigen Orte, haben wir gleichzeitig das Gebiet des deutschen Sudans erreicht. Abgesehen von Körperbau, Sprache, Kleidung und Lebensgewohnheiten der Bewohner zeigt sich dem Auge der Unterschied schon in der äußeren Bauart der Hütten. An Stelle der bisherigen Wohnungen mit länglich viereckigem Grundriß treten von hier an die Rundhütten des Sudans mit dem hohen kegelförmigen Schilfdache, dessen Spitze meist von einem umgestülpten Tontopfe gekrönt ist. Auch das Rasthaus von Blita ist im gleichen Stile gebaut. Mehrere solcher Hütten sind immer durch eine Lehmmauer zu einem Gehöft zusammengeschlossen, geschlossen, und diese wieder vereinigen sich dicht aneinandergedrängt zu einem labyrinthisch kommunizierenden Dorfe.


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