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12.Juli
Am 8. Juli brachten sie ihn an, nachts drei Uhr, in der Hängematte, denselben Mann, der kaum ein Jahr zuvor in voller Frische manchen fröhlichen Jagdzug mit mir unternommen, mit dem ich noch vor wenigen Wochen in Lome heitere Stunden verplaudert hatte; jetzt eine Ruine, zusammengebrochen unter der schwersten aller Tropenkrankheiten, dem Schwarzwasserfieber. Vor 15 Monaten kam er in frischem Lebensmute heraus ins afrikanische Leben, jung an Jahren, mit kräftiger Gesundheit; jetzt so geschwächt, so leicht an Körpergewicht, daß ich ihn bequem auf meinen Armen die Treppe des Hospitals hinauf in sein Bett tragen konnte. Seine Sinne waren umflort, dennoch schien er mich wenigstens in seinen Phantasien wiederzuerkennen. Hoffnung, ihn zu retten, war kaum vorhanden. Daheim zwei betagte Eltern, sechs Geschwister und hier in der Ferne der Sohn, der Bruder dem Tode nahe. Bei der Untersuchung ergab sich eine schwere Komplikation, ein Leberabszeß.
Was tun? Ohne operativen Eingriff alles Bemühen von vornherein verloren. Eine Operation möglicherweise die letzte Rettung. Ein Zögern erhöhte nur die Gefahr. Nach wenigen Stunden der Ruhe für den Kranken ist der Eingriff beendet. Er hat ihn gut überstanden. Aber die Hoffnung ist noch gering, obschon die Besinnung wiederkehrt und er selbst sich auf die baldige Heimkehr zu den Seinen freut. Er hat sie nicht erlebt. Zwei Tage hielt die Besserung an, am dritten setzte zu allem Vorhergegangenen ein schwerer Malariaanfall ein. Auf der Höhe desselben schlief er ohne Todesahnung ruhig hinüber.
Er hatte mir während des Lebens ein wenig näher gestanden als mancher andere. Nun lag er als Opfer des Tropenklimas vor mir. Hätte ich ihn doch vielleicht retten können? Hatte ich seine Krankheit in allen Einzelheiten richtig erkannt? War nichts übersehen, nichts versäumt worden? Diese und ähnliche Gedanken quälten mich. Nur das Sektionsmesser konnte mir Gewißheit darüber geb^n. Es war Nacht geworden, am nächsten Morgen mußte er bestattet werden. Sollte ich's tun und nach wenigen Stunden Zwischenzeit vom Bette des Kranken an den Sektionstisch treten? Ich rief Max, den schwarzen Gehilfen, er trug verschlafen und schweigend eine Laterne voran, stumm gingen wir unter den Palmen des Gartens entlang den kurzen Weg zur Leichenhalle. »Leuchte mir!« Ein kurzes Zaudern, und die mitternächtliche Sektion war begonnen. Er war nicht zu retten gewesen....
Heute an einem Sonntage begruben wir ihn, drüben auf der stillen Halbinsel Adjido. Die Flaggen der Europäer und die des Dampfers auf der Reede wehten halbmast. Die uniformierten schwarzen Träger senkten den Sarg ins Grab. Der Missionar hielt seine Rede, jeder von uns warf ihm den Abschiedsgruß auf den Sarg, und schweigend fuhren wir wieder hinüber, ein jeder ans gewohnte Tagewerk. Feminis lugere, viris meminisse honestum.
14. Juli
Außer dem Todesfalle im Krankenhaus haben wir in letzter Zeit noch zwei weitere in Togo zu beklagen gehabt. Der nähere Zusammenhang eines von ihnen sei kurz geschildert, weil er als typisches Beispiel für eine Reihe ähnlicher Fälle gelten kann, die mit gleich traurigen Ausgange endeten. Vorher will ich zu seiner Beleuchtung zwei von den sanitären Anträgen anführen, die ich seit meinem Hiersein hoffentlich nicht vergeblich gestellt habe: 1. Jeder Beamte ist vor der Ausreise in den Tropen von einem in Tropenhygiene erfahrenen Arzte zu untersuchen und über das Tropenklima zu unterweisen. 2. Jeder, der zum ersten Male in die Tropen kommt, hat, wenn er fürs Hinterland bestimmt ist, vor seiner Abreise dorthin einen Regierungsarzt der Kolonie aufzusuchen, der mit ihm eingehend die gesundheitliehen Gefahren seines zukünftigen Arbeitsfeldes bespricht.
Nun unser Fall. Ende Mai kommt ein neuer Beamter B. heraus ins Schutzgebiet. Zwei Tage nach seiner Ankunft muß er bereits die Reise ins Hinterland antreten nach einer etwa drei Wochen entfernten Station. In jugendlichem Feuereifer zieht er los, ein Hüne von Gestalt, im Vertrauen auf seine gesunde Kraft. Proviant nimmt er nur notdürftig mit, keinen Koch, keinen Dolmetscher, kein Chinin führt er mit sich, geschweige daß er es regelmäßig nähme, gerade jetzt in der gefährlichen Zeit. Zwei Wochen ist er unterwegs, da packt ihn schon das Fieber. Schwerkrank mitten im fremden Lande, keine ordentliche Ernährung, keine Pflege, keine Arzenei, keine weiße oder schwarze Seele zur Verständigung, nur auf seine Hängemattenträger angewiesen. Noch sieben Tage vom Endziel entfernt, kehrt er in Eilmärschen zur Küste zurück, um hier Rettung zu suchen. Über eine Woche dauert es, ehe die Eingeborenen den Bewußtlosen in der Hängematte nach Lome bringen. Hoffnungslos kommt er an der Küste an, am folgenden Tage ist er tot, einen Monat nach der Ankunft im Schutzgebiete.
Auch ein Opfer des Tropenklimas?