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Anecho, im März
An der Fertigstellung der Küstenbahn wird eifrig gearbeitet, täglich werden bis zu 700 m Schienen gelegt, und in einigen Wochen wird hoffentlich schon der erste Zug in Anecho einlaufen. Soweit die Strecke fertig ist, wird sie bereits jetzt dem interimistischen Personenverkehr auch für Eingeborene freigegeben. Man hat bei den Vorberatungen in der Kolonie und namentlich zu Hause vielfach, ja ganz allgemein die Ansicht geäußert, daß die Bahn eine Luxusbahn werden würde, und daß sie neben der Güterbeförderung zur Landungsbrücke, die kostenlos für die Firmen Anechos erfolgt, nur der Bequemlichkeit des Reiseverkehrs der Europäer zwischen den beiden Küstenplätzen dienen werde. Vielleicht erleben wir hierin einmal eine kleine Enttäuschung im guten Sinne. Ich bin überzeugt, daß die Bahn vom Neger sehr fleißig benutzt werden wird, falls man den Tarif für ihn nicht zu hoch bemißt. Der Verdienst, den er auch im Kleinhandel mit seinen Marktprodukten, die er nach Lome schafft, erzielt, muß ausreichen, um die Kosten der Eisenbahnfahrt abzuwerfen. Die Bequemlichkeit und Anpassungsfähigkeit des Negers an alles, was ihm handgreifliche Vorteile bringt, wird bald genug dahin führen, daß er eine mühelose Bahnfahrt von 1 ½ Stunden Dauer einem zehnstündigen Marsche durch den Küstensand mit einer Last auf dem Kopfe vorziehen wird.
Ferner ist zu bedenken, daß die Strecke von 50 km selbst für heimische Begriffe recht dicht bevölkert ist. Außer den beiden Endpunkten Lome und Anecho, die wir unter Einschluß der unmittelbaren Umgebung mit je 5000 Einwohnern ansetzen dürfen, liegen das ansehnliche Porteseguro und Bagida, die als Haltestellen geplant sind, direkt an ihr. Berücksichtigen wir ferner noch die bis zu einer Entfernung von 10 km landeinwärts dieser Haltepunkte ansässige Bevölkerung, so kommen wir auf mindestens 25 000 Schwarze, die an dem regelmäßigen Personenverkehr der Küstenbahn teilnehmen werden. Angenommen, es verkehrte täglich ein Zug hin und zurück, der Fahrpreis würde auf höchstens 1 M. festgesetzt, was ungefähr unserer vierten Wagenklasse in Deutschland entspräche, so würde bei einer täglichen Gesamtfrequenz von 150 schwarzen Passagieren eine monatliche Einnahme von 4500 M. oder ein Jahresertrag von 54 000 M. allein aus dem Personenverkehr der Schwarzen erzielt werden, dem die Bausumme der Bahn von rund 1 Million als zu verzinsendes bzw. amortisierendes Kapital gegenübersteht. Das ist natürlich nur eine ungefähre Schätzung, und die Zukunft wird zeigen müssen, wie weit sie zutrifft. Aber ich glaube, man hat allgemein die Beteiligung des Küstennegers am Eisenbahnverkehr unterschätzt, wie früher auch seine Beteiligung am Post- und Telephonverkehr unterschätzt worden ist.
Leider wird nach der Eröffnung des Bahnbetriebes die Sperrung der Reede von Anecho nicht lange auf sich warten lassen. Die juristische Berechtigung des Gouvernements zu diesem Schritte entzieht sich meiner Beurteilung. Sicher aber ist, daß nach vollendeter Küstenbahn keine Dampfer mehr unsern Ort anlaufen werden, sondern alle Güter der hiesigen Firmen mit der Bahn nach Lome zu gehen haben. Dort werden sie für die gleiche Gebühr wie die Güter der Firmen Lomes über die Landungsbrücke verladen. Ebenso werden alle für Anecho bestimmten Importwaren über die Landungsbrücke in Lome gelandet und von dort mit kostenloser Bahnfahrt hierhergebracht. Die Faktoreien haben dabei den Vorteil, das Risiko der Brandung bei der Verschiffung zu umgehen, auf der andern Seite aber den Nachteil, für ihre Waren einen Umweg über Land nehmen zu müssen. Der Grund zu dieser ganzen Maßnahme ist natürlich der, die Landungsbrücke rentabel zu machen, da nun die Gebühren für die Verschiffung und Löschung der Güter Anechos auf dem Einnahmekonto der Landungsbrücke von Lome erscheinen. Für unsern Ort wird sie leider nicht ohne nachteilige Folgen bleiben können. Er wird dadurch von der Höhe eines regen Exportplatzes – Anecho exportiert bedeutend mehr als Lome! – zu einem Einkaufsplatze und einer Durchgangsstation für Lome herabgedrückt. Natürlich hört auch jeder Personenverkehr von und zu den Dampfern sowie die direkte Postverbindung auf.
Im ganzen berührt es mich seltsam, daß die Firmen gezwungen werden sollen, diesen Weg für ihre Waren zu wählen. Denn bietet dieser ihnen wirklich Vorteile, so wird, sollte man annehmen, jeder Kaufmann ihn sehr bald von selbst wählen. Es scheint mir fast so, als wenn sich die Regierung doch nicht ganz sicher darüber wäre, daß die ausschließliche Vermittlung allen Verkehres in Togo über die Brücke in Lome von allen Firmen als Vorteil empfunden werden wird. Eine schwache Hoffnung, daß diese Degradierung Anechos später wieder ausgeglichen wird und auch seine Reede für den Dampferverkehr wieder eröffnet werden muß, besteht doch noch. Sie würde sich dann erfüllen, wenn im Laufe der Jahre die Exportmengen Togos so anwachsen, daß Eisenbahn bzw. die Landungsbrücke in ihrer jetzigen Verfassung sich nicht als genügend erweisen, den Betrieb zu bewältigen.
Anstatt des Projektes: Landungsbrücke in Lome mit anschließender Küstenbahn nach Anecho, wie es jetzt zur Ausführung gekommen ist, wäre die Verwirklichung eines anderen mit etwa gleichem Kostenaufwande möglich gewesen. Ich weiß nicht, ob es überhaupt jemals ernstlich zur Diskussion gestanden hat; jedenfalls hätte seine Verwirklichung für den Gesamthandelsverkehr mindestens die gleichen Vorteile, wahrscheinlich aber noch größere geboten, und vielleicht wird die weitere Entwicklung Togos dahin führen, daß man ihm in der Zukunft wenigstens teilweise nähertritt.
Dies Projekt wäre folgendes gewesen: die Landungsbrücke in Lome zu bauen, die Küstenbahn aber fallen zu lassen. Für ihre Bausumme (1 Million) aber erstens eine für Fuhrwerke aller Art, also auch Automobile befahrbare Straße zwischen Lome und Anecho herzustellen, die bei den günstigen Arbeiter- und Terrainverhältnissen (Fehlen jeglicher Brücken) höchstens 200 000 M. gekostet haben würde, und ferner für den Rest von 800 000 M. eine zweite Landungsbrücke in Anecho. Wir hätten dann an jedem der beiden Haupthandelsplätze eine Landungsbrücke, und eine unbeschränkte Konkurrenz beider hätte einsetzen können. Sie würde auf das Gesamtergebnis des Handels nur belebend und hebend haben wirken können. Wenn schon die Kolonie dann die Unterhaltungskosten zweier Brücken zu tragen gehabt hätte, würden dafür auf der andern Seite die Betriebskosten für die Küstenbahn in Wegfall gekommen sein. Vielleicht bringt die Zukunft noch diese zweite Landungsbrücke für Anecho.
Ein weiteres, für die Entwicklung unseres Ortes ebenfalls sehr wichtiges und nicht gerade fernliegendes Projekt, dessen Verwirklichung hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten läßt, ist das einer kurzen Bahn nach dem Mono. Ihre Vorteile sind zu augenfällig, als daß nicht früher oder später zu ihrem Bau geschritten werden müßte. Ich glaube sogar, daß ohne Risiko für sie leicht das erforderliche Kapital von privaten Interessenten aufgebracht werden könnte. Nehmen wir an, es ginge eine Bahn von Anecho nach Agomeseva oder Agomeklossu (40–45 km).
Was würde sie für Vorteile bieten? Bei der dichten Bevölkerung dieses Gebietes würde auch hier der Personenverkehr zweifellos sehr lebhaft sein. Weiter aber würden alle Produkte dieser an Ölpalmen besonders reichen Gegend, die bisher den langen, mehrtägigen Weg auf dem Mono und auf der Lagune nach Anecho nehmen müssen, in 1 ½ Stunden in die Faktoreien unseres Ortes gelangen können. Gleichzeitig ist dann die Möglichkeit geboten, einen großen Teil aller Produkte, die jetzt, an der Mündung des Monoflusses angekommen, den Franzosen in Grandpopo in die Hände fallen, dem deutschen Gebiete zu erhalten. Ferner würde die Rentabilitätsgrenze für die Ölpalmenprodukte, die bei den jetzigen umständlichen Verkehrsverhältnissen in etwa 60–70 km Entfernung von der Küste liegt, um ein beträchtliches Stück nach Norden, den Mono aufwärts, hinausgerückt werden. Es würde aber nicht nur für Palmkerne und Palmöl, sondern auch für Mais, für dessen Anbau ebenfalls gerade diese wasserreiche Gegend die günstigsten Bedingungen bietet, ein neues Gebiet erschlossen werden. Wird die Bahn in absehbarer Zeit nicht gebaut, so wäre schon viel gewonnen, wenn der Bezirk sich dazu entschlösse, eine für Lastwagenverkehr geeignete Straße dorthin anzulegen.