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Kleinpopo, 7. März
Sehr geehrter Herr Kollege!
Ihre Zeilen vom vorigen Monat habe ich kürzlich erhalten. Ich bin einigermaßen in Verlegenheit, Ihnen zu antworten, da ich selbst erst 3/4 Jahr im Lande weile. Doch so gut ich kann, will ich Ihnen gern die gewünschte Auskunft geben. Wenn Sie als Arzt in die deutschen Kolonien gehen wollen, so stehen Ihnen zwei Möglichkeiten offen, entweder als Schutztruppenarzt, das heißt also in militärischer oder als Regierungsarzt in zivilärztlicher Stellung. Da Sie schon längere Jahre als praktischer Arzt tätig sind, würde es Ihnen wahrscheinlich nicht leicht werden, sich reaktivieren zu lassen, Uniform anzuziehen und sich in die äußeren Formen des Dienstbetriebes zu gewöhnen. Freilich haben die Schutztruppenärzte den großen Vorteil einer genau geregelten Laufbahn. Für Regierungsärzte ist nur eine ganz beschränkte Anzahl von Stellen in unseren Schutzgebieten offen, und von diesen wenigen erlangen wieder nur einzelne nach langjährigen Diensten eine etatsmäßige Anstellung, so daß Sie im Falle einer Invalidität völlig in der Luft schweben und keinerlei Ansprüche auf Pension oder sonstige Entschädigung erheben können. Sie bekommen einen zunächst auf 1½ Jahre lautenden Kontrakt zur Unterschrift vorgelegt. Dieser enthält für Sie die Pflichten, die Sie übernehmen, für das Auswärtige Amt die Rechte, die es Ihnen gegenüber hat. Nach 1½ Jahren haben Sie Anspruch auf vier Monate Heimatsurlaub.
Sie tun am besten, Ihre Dienste der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes anzubieten. Aber Sie können bei der geringen Anzahl ärztlicher Stellen nicht darauf rechnen, in kurzer Zeit Verwendung zu finden. Über die Aussichten, die sich Ihnen zur Zeit bieten, erhalten Sie am besten Auskunft beim Medizinalreferenten der Kolonialabteilung, Oberstabsarzt Dr. St., der selbst längere Jahre in Ostafrika war. Er wird Ihnen sicher gern jede gewünschte Auskunft erteilen. Ich rate Ihnen, diesen Herrn persönlich aufzusuchen. Innerhalb der einzelnen Schutzgebiete können Sie sich kein bestimmtes Feld der Tätigkeit wählen, sondern Sie müssen sich rundweg dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stellen. So können Sie je nach Laune des Zufalles ebensogut nach Kamerun wie nach Herbertshöhe geschickt werden.
Beim Einreichen Ihres formellen Gesuches gebe ich Ihnen den wohlgemeinten Rat zu verschweigen, daß Sie verheiratet sind; wenigstens so lange, bis Sie sicher sind, angenommen zu werden. Ihre Gattin wird Ihnen diese in Ihrem Interesse begangene Unterlassungssünde gewiß verzeihen. Es besteht leider in Berlin vorläufig eine prinzipielle Abneigung gegen verheiratete Beamte. Warum, ist mir nicht verständlich. Wahrscheinlich aber deshalb, weil die Wohnungsverhältnisse in den Tropen meist derartig mangelhafte sind, daß die Unterbringung eines verheirateten Beamten auf große Schwierigkeiten stößt. Anstatt diesem Mangel energisch abzuhelfen, wie es wohl das Nächstliegende wäre, hilft man sich damit, Unverheiratete zu bevorzugen. Meine feste Überzeugung ist die, daß die Kolonien in jeder Beziehung nur Nutzen davon haben würden, wenn man möglichst viel Beamte mit ihren Frauen dort ansiedeln könnte. Es soll von einer in kolonialen Fragen in Berlin maßgebenden Persönlichkeit in Berlin das Wort gefallen sein, verheiratete Beamte seien nur halbe Beamte. Ich wäre neugierig, die Begründung dieser Behauptung kennenzulernen. Wahrscheinlich ist es ein eingefleischter Junggeselle, der dieses Wort gesprochen hat. Es würde wohl kaum schwerfallen zu beweisen, daß sie doppelte Beamte sind! Jedenfalls kann ich Ihnen nur raten, Ihre Frau mitzunehmen, wenn es die äußeren Verhältnisse des Ortes, für den Sie bestimmt werden, irgend gestatten. Ich zweifle nicht, daß man an maßgebender Stelle auch allmählich die jetzige Ansicht aufgeben wird.
Für den Fall, daß es von Berlin aus nicht verlangt wird, gebe ich Ihnen den Rat, sich vor Ihrer Abreise einige Wochen im tropenhygienischen Institut in Hamburg umzusehen. Es steht unter Leitung des Hafenarztes Dr. N. Ein früher in Ostafrika tätig gewesener Stabsarzt Dr. F. hält dort für Schiffs- und Kolonialärzte einen tropenhygienischen Kurs mit besonderer Berücksichtigung der Malaria ab. Ich verdanke einem kurzen Aufenthalte dort sehr viel. Dr. F. ist mit großem Geschick bemüht, denen, die noch nicht in den Tropen waren, die wissenschaftlichen und praktischen Forschungsergebnisse dieses Gebietes zu vermitteln. Für den viel beschäftigten praktischen Arzt in Deutschland ist ja erklärlicherweise gerade das Kapitel der Tropenhygiene eine terra incognita. Im Hamburger Tropenkrankenhause haben Sie auch Gelegenheit, Patienten zu sehen, die mit tropischen Krankheiten behaftet heimkehren.
Was das Leben in den Tropen anbelangt, so habe ich selbst bisher nur über die Togoküste eigene Erfahrungen sammeln können. Gesundheitlich und beruflich fühle ich mich hier außerordentlich wohl. Die Gewöhnung an das Klima hat sich bei mir rasch vollzogen.
Gegen die gefürchtete Malaria habe ich mich bisher mit vollem Erfolg durch prophylaktisches Chininnehmen geschützt. Die Art und Weise es zu nehmen, unterliegt noch der Kontroverse. Ich habe mich zunächst an die Empfehlung Kochs gehalten und nehme jeden 8. und 9. Tag 1 Gramm, ohne andere als ganz vorübergehende Beschwerden davon zu haben. Ich rate Ihnen, vor der Ausreise auf jeden Fall zur Probe ein Gramm Chinin zu schlucken, auch Ihre Frau Gemahlin dazu zu veranlassen, um zu sehen, daß keine Idiosynkrasie gegen dasselbe besteht. Denn ein Mensch, der kein Chinin verträgt, ist leider vorläufig in den Tropen unmöglich.
Meine ärztliche Tätigkeit unter Europäern wie Schwarzen ist eine ungleich befriedigendere als diejenige, die ich in mehrjähriger Landpraxis daheim ausübte. Die Schattenseiten unseres ärztlichen Berufes in der Heimat werden Sie ja am eigenen Leibe zur Genüge erfahren haben. Hier habe ich ein hübsches, kleines Hospital, das Nachtigal-Krankenhaus; für Schwarze besteht eine gut besuchte Poliklinik, da die Eingeborenen für ärztliche Hilfe sehr empfänglich und auch dankbar sind. Die ärztliche Ausrüstung in Kleinpopo übertraf weit meine Erwartungen. Instrumentarium, Apotheke, Laboratorium sind für afrikanische Verhältnisse sehr gut ausgestattet, außerdem steht eine reichhaltige ärztliche Bibliothek zur Verfügung, und monatlich werden für sie fast alle wichtigen medizinischen Zeitschriften, auch einige ausländische, geliefert. Bei Bestellung von Desideraten wird, wenn sie einigermaßen berechtigt sind, wohl ausnahmslos der Wunsch des Arztes erfüllt. Freilich weiß ich nicht, ob in den übrigen Schutzgebieten gleich günstige Verhältnisse für den Arzt obwalten. Ich will Ihnen deshalb nicht allzuviel von meinen Freuden hier vorschwärmen und Sie in Illusionen und Träume wiegen, aus denen Sie vielleicht enttäuscht in Neuguinea oder sonst irgendwo erwachen.
Indessen bin ich jederzeit gern bereit, Ihnen weitere spezielle Fragen zu beantworten und würde mich freuen, gelegentlich wieder von Ihnen zu hören.
Ihr ergebenster
Dr. K.