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Anecho, 10. Januar
Meine liebe Frau!
Fast einen Monat lang bin ich nun wieder an der Küste, habe mein altes, mir liebgewordenes Krankenhaus wieder, und meine berufliche Tätigkeit könnte ebenso befriedigend sein wie ehemals, ich könnte angefangenes vollenden, neues hinzufügen; aber ich bin zu einem andern Entschlusse gekommen. Urteile selbst, was Du an meiner Stelle tun würdest. Du hast eine Überzeugung gewonnen, eine feste, vielleicht sogar richtige Überzeugung. Du bist gezwungen, diese zu äußern, mündlich und schriftlich und ziehst Dir dadurch die Abneigung derer zu, die eine gegenteilige Ansicht haben, und nicht nur Abneigung, sondern teilweise sogar bittere Feindschaft, denn die Menschen verzeihen viel eher, daß man sie belügt, als daß man die Wahrheit sagt. Du wirst deshalb angegriffen, schwer angegriffen, darfst aber die Angriffe nicht abwehren, sondern bekommst wie ein Schulknabe, der brav und artig sein soll, Deine Ansichten dekretiert und im übrigen sehr deutlich zu verstehen: entweder Maul halten oder ...
Was sollte ich wählen? Nun, ich habe den letzteren Weg gewählt und den festen Entschluß gefaßt, nicht länger hier zu bleiben. Die einliegenden Abschriften, die nur für Dich bestimmt sind, können Dir den näheren Zusammenhang beleuchten. Ich hoffte, während meiner Abwesenheit im Hinterlande würde das alte, mißtönige Lied vielleicht verstummt sein, aber es wird hier an der Küste noch genau so gesungen wie vor einem Jahre, und ein Ende des Tanzes ist gar nicht abzusehen. Ruhen die Geigen glücklich einmal, so erhebt gar bald wieder einmal irgendeine ungeschickte Hand den Taktstock zu neuem Beginnen. An sich brauchte mich der ganze Rummel ja gar nicht zu kümmern, aber ich habe nun einmal versäumt, genügend zurückzuhalten, zu schauspielern, sagen wir kurz: zu lügen. Ich hatte ferner gehofft, es würde wenigstens die Sache von der Person getrennt bleiben, und mit der Zeit ein nachbarlicher modus vivendi des roten Kreuzes mit dem schwarzen in Kleinpopo sich herstellen lassen. Aber auch diese Hoffnung scheint sich nicht zu erfüllen. Die Achtung des gegnerischen Standpunktes – und die versage ich einem ehrlichen Gegner nie, erwarte sie allerdings ebenso von ihm – ist ja schon die erste Brücke zu einer Verständigung. Und wenn es schon ein Kampf sein soll, dann mit offenem Visier, mit guten und gleichen und blanken Waffen. Aber so? Mit gebundenen Händen?
Interessant wird Dir sein zu sehen, welche Größe bei der ganzen Tragikomödie in Berlin im Souffleurkasten steckt! Kurz, ich bin unmöglich hier; und da ich sicher weiß, daß ich wie alle, die vor mir wider den Stachel zu lecken wagten, über kurz oder lang auch weichen muß, will ich wenigstens noch den kleinen Stolz haben, selbst zu sagen: laßt mich ziehen. Ich werde um meine Versetzung in ein anderes Schutzgebiet bitten. Daß mir dieser Schritt nicht leicht wird, wirst Du verstehen, wenn Du bedenkst, wie gern ich hier arbeitete. Dabei geht gerade jetzt Togo sicher einer rascheren Entwicklung entgegen als bisher. Z. fährt mit stärkerem Dampfe gerade aufs Ziel, es weht ein frischerer Zug unter ihm über dem ganzen Betriebe der Kolonie, und von seinem Urlaube, den er demnächst antreten will, wird er, wie wir alle erwarten, als Gouverneur zurückkehren. Er ist zwar kein Mann der starken Faust, aber der sicheren und geschickten Hand in planmäßiger Arbeit.
Ferner lebte ich ja in dem Wunsche, auch Dich noch hierherzuführen. Auch damit wird es nun nichts. Aber es gibt eine Grenze, die nicht zu überschreiten man seiner Selbstachtung schuldig ist. Der Klügere gibt nach, heißt es zwar; aber wenn die Klugheit mit diesem Preise bezahlt werden soll, will ich lieber der Dumme sein. Ich weiß, daß ich sehr viel aufgebe, aber was ich für mich behalte, ist mir mehr wert. Ich würde zudem ja doch nur ohne rechte Freude hier weiterleben, und verärgert sein ist gleichbedeutend mit Unlust zur Arbeit. Für den Arzt ist es eine schlechte Beigabe; auch die Kranken, die noch mehr als daheim hier in den Tropen auf ihn angewiesen sind, würden darunter zu leiden haben.
Die Antwort aus Deutschland auf mein Gesuch wird natürlich erst in einigen Monaten eintreffen; bis dahin mußt Du Dich gedulden. Auch die ganze Stimmung der Europäer hier ist nicht mehr die unbefangene, freimütige wie ehedem. Jeder hütet sich ängstlich aus Furcht vor Mißdeutungen vor dem andern, das gegenseitige Vertrauen hat schwer gelitten, und je weniger die Leute wagen, sich offen auszusprechen, um so üppiger wuchern die Blüten des Küstenklatsches.
Große Neuigkeiten sind sonst nicht zu berichten. Pr. ist noch als Patient im Hospitale; seine hartnäckigen Neuralgien scheinen endlich zu weichen, so daß er hoffentlich bald wieder seine Arbeiten aufnehmen kann. In den nächsten Wochen werden umfangreiche Renovationen am Krankenhause begonnen werden. Es sind ungefähr 5000 M. für diesen Zweck bewilligt worden, und ich freue mich trotz der damit verbundenen Mehrarbeit und Störungen, ihm vor meinem Weggange noch zu einem neuen, schmucken Gewande verhelfen zu können....