Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Sechzehntes Kapitel

Die Leser werden leicht begreifen, daß meine gute Dame alle diese schönen Sachen nicht in Einem Odem fort also hererzählte, sondern daß dies nur der Hauptinhalt ihrer Gespräche mit Seelberg zu verschiedenen Zeiten war. Ja! die Grundsätze, welche ich hier entwickelt habe, kamen nicht einmal alle aus der Gräfin Kopfe, sondern ich habe mit ihren Meinungen dasjenige verbunden, was unser Freund aus seinem Vorrathe von Ideen hinzufügte, die aber freilich durch die sanfte Philosophie der edeln Frau berichtigt und zu einem festen Systeme für den Rest seines Lebens wurden. Und dies System, nach welchem er ernstlich beschloß, von nun an zu handeln, und auch diesem Vorsatze treu blieb, dies System, welches weder zu strenge noch zu leicht, nicht überspannt, sondern auf Vernunft und Liebe gegründet war, gab dann endlich seinem Herzen die Ruhe, nach welcher er sich so lange vergebens gesehnt hatte. Es nährte in ihm die edelsten Tugenden, zu welchen der Keim in seinem Herzen immer gelegen hatte, von ihm aber nicht immer gehörig war gewartet worden. Die strengste Wahrhaftigkeit herrschte in seinen Worten, Einfalt in seinen Sitten. Er entsagte allem falschen Glanze und aller thörichten Pracht. Er hielt, weil er reich war, ziemlich viel Gesinde, aber weniger zu seiner Bedienung, als um Menschen glücklich zu machen. Desfalls sorgte er dafür, daß sie immer auf nützliche Art beschäftigt waren, daß sie moralisch besser wurden und sich bildeten, nach dem Grade der Aufklärung, den er für ihr intellektuelles Bedürfnis für zweckmäßig hielt. Er widmete sich eifrig und mit fortgesetzter Aufmerksamkeit der bis jetzt ziemlich vernachlässigten Erziehung seines Sohnes, und so wie er sich nach und nach diesen süßen häuslichen Sorgen ergab, verschwanden auch närrischer Ehrgeiz und unruhiges Streben, zu wirken und in Allem seine Hände zu haben, aus seinem Gemüthe. Allein er war nicht unthätig, nicht faul, wenn er Gelegenheit fand, auf gradem offenen Wege seinem Nebenmenschen zu dienen und etwas zur Freude und zum zeitlichen und geistigen Heil seiner Brüder beizutragen. Er war unermüdet dienstfertig, ohne sich zuzudrängen, ohne sich aufzuopfern und ohne sich in Verlegenheit zu stürzen. Er war ein guter Wirth, ohne geizig, ein freigebiger Wohlthäter, ohne Verschwender zu seyn. Er wendete Sorgfalt auf seine Gesundheit ohne Ängstlichkeit, auf seine Figur und auf seine Kleidung mit Geschmack, aber ohne Eitelkeit. Er ehrte sich ohne Egoismus und Andre ohne Partheilichkeit. Er war verschwiegen, verschlossen und vorsichtig ohne ungerechtes Mißtrauen, offen und treuherzig ohne Geschwätzigkeit und Kompromittierung. Er war mäßig, nüchtern und keusch, und statt daß so viel Menschen sich schämen, einfacher und ärmlicher zu leben als Andre ihres Gleichen, so machte er sich eine Ehre daraus, von Einem Gerichte satt werden zu können und nur zwey Röcke in seiner Garderobe zu haben – Ich sage, so war itzt Seelberg, aber ich hätte vielmehr sagen sollen: er bemühete sich, also zu seyn, täglich mehr zu werden und in Vollkommenheit zu wachsen, denn immer noch kämpfte er mit Temperamentsfehlern und übeln Gewohnheiten; aber der Kampf dagegen wurde ihm stündlich leichter, angenehmer und siegvoller. Seine zu große Lebhaftigkeit spielte ihm manchen Schelmenstreich, lief zuweilen mit der kaltblütigen Überlegung davon und verleitete ihn zu kleinen Übereilungen. Sein schwächlicher, reizbarer Körper verstimmte oft seine Laune, und diese umwölkte dann seine Vernunft. Im Gedränge von Gefühlen und fremden Gedanken, die ihn zerstreueten, das Gleichgewicht seines Gemüths störten und ihm die Gegenwart des Geistes raubten, redete und handelte er oft verworren und unbestimmt, besonders wenn er überrascht wurde. Besser ging es, wenn er sich vorher in seinem Kämmerlein sammlen und einen Entschluß fassen konnte; deswegen schrieb er auch besser, als er sprach. Er war voll Gefühl für alles Gute, Große und für fremde Leiden und Freuden, ohne närrische Empfindsamkeit und fantastischen Schwung. Er war ein treuer, herzlicher Freund, und es that ihm wehe, einen Menschen um sich sehn zu müssen, der ihm ganz gleichgültig, der ihm gar nichts gewesen wäre; aber er war kälter als ehemals, doch nicht frostig. Er konnte sich von geliebten Gegenständen trennen, ohne zu verzweifeln, ohne daß sein Herz grausam erschüttert wurde, indem auch die entferntere Hoffnung zur Wiedervereinigung Trost und wohlthätige Empfindungen in ihm erweckte. Er schwärmte auch nicht mehr um alle Zweige der Wissenschaften herum, sondern nahm sich vor, zu einer Zeit immer ernsthaft Ein Hauptstudium zu treiben, und da er das einfachste, für den Menschen so interessante Studium der Natur bis itzt verabsäumt hatte, nun aber sein Geschmack sich durch Einfalt veredelte, so fing er auch an, das große Buch voll unerschöpflicher Weisheit, das Buch der Natur zu studieren und immer mehr Wonne daraus zu ziehn. Aber in den Erholungsstunden von wichtigern Geschäften verstieß er auch die schönen Künste nicht, unter denen er der Musik den Vorzug gab.

Seelberg wurde, innigst betrübt, als die Gräfin Storrmann sich nach einem sechswöchigen Aufenthalte zu ihrer Abreise rüstete, eben da er noch kaum, mit diesen guten Vorsätzen, deren Schöpferin sie zum Theil war, ausgerüstet, seine neue Lebensart angefangen hatte. Ihr Umgang, ihre seelenvollen Gespräche und der Anblick ihrer guten Kinder (Seelberg liebte die kleinen Geschöpfe ungemein), das alles war ihm zu einem süßen Bedürfnisse geworden. Er bat um die Erlaubnis, sie auf ihrem Gute zu besuchen; diese wurde ihm willig zugestanden. Er reisete hin, blieb drey Monate dort, trennte sich dann noch einmal mit schwerem Herzen von der lieben Familie, reisete im folgenden Sommer noch einmal hin, und – denn meine Leser werden doch wohl erwarten, daß dieser Roman so wie die mehrsten seiner Brüder mit einer Heirath endigen solle – die wärmste Freundschaft unter diesen beiden Leuten, die auf gegenseitige Hochachtung, Gleichheit von Denkungsart und Sympathie gegründet war, verwandelte sich unvermerkt in eine Zuneigung von zärtlicherer Art; Seelberg bat seine Schwägerin im folgenden Jahre um ihre Hand und erhielt dieselbe; das Herz hatte er schon. Sie vereinigten ihr Schicksal und leben jetzt in dem glücklichsten, friedenvollsten Zustande, von allen Guten geliebt und verehrt. Sie sind der Trost ihrer Kinder, deren Erziehung ihr wichtigstes Geschäft ist, die Wohlthäter ihrer Dienstboten, denen sie das Joch der Abhängigkeit so leicht machen, die Hilfe der Armen und Leidenden, die Rathgeber der Nachbarn, und die Vorsehung segnet und belohnt ihre Tugend durch Wohlstand, Freude und Gesundheit.

Noch muß ich etwas von den Schicksalen einiger Personen nachholen, deren Geschichte in diesem Buche nicht fortgeführt worden. Der jetzigen Frau von Seelberg Eltern, Herr und Frau von Wallenholz, sind gestorben. Auch der alte Obrist von Grätz, Juliens Vater, lebt nicht mehr; diese aber hat den Hofdamenstand verlassen und einen Offizier geheirathet; ihre sittliche Aufführung ist jetzt ohne Tadel, aber da sie eine schlechte Wirthin ist und der Mann nicht viel Vermögen hat, so lebt dies Paar in sehr eingeschränkten Umständen, wovon alle Unannehmlichkeiten durch die bösen Launen ihres rauhen Mannes auf sie fallen. Der ehemalige Herr Hofmeister Wasserhorn hat als Beamter eine reiche Witwe geheirathet, aus heißer Liebe zu ihren Geldsäcken. Das Weib aber macht ihm das Leben zur Hölle, denn sie ist ausschweifend und boshaft und hat ihn so sehr in ihrer Gewalt, daß er sich keiner frohen Stunde erfreuen darf. Von den beiden Livländern, die Seelbergen auf Universitäten so betrogen hatten, ist Einer in Aachen über Betrug im Spiele ertappt und von einem Engländer erstochen worden; der Andre hat in äußerster Armuth und Kränklichkeit, in welche ihn seine Ausschweifungen gestürzt hatten, das Leben geendigt. Endlich, was die Bürgermeisterin betrifft, welche Augustinen verführt hatte, so war sie nun alt und garstig, und kein Liebhaber mehr, der nur irgend anderswo mit seinen Seufzern nicht abgewiesen wurde, näherte sich ihr. Um dennoch galante Welt um sich her zu versammlen, bewog sie ihren schwachen Mann, großen Aufwand zu machen und Gastgebote zu geben. Er kam dadurch in seinen häuslichen Umständen zurück, griff öffentliche Kassen an, wurde abgesetzt und lebt jetzt mit seinem schändlichen Weibe in der drückendsten Dürftigkeit und, besonders da Beide sich dem Trunke ergeben haben, in allgemeiner Verachtung.

 
Ende des zweiten und letzten Theils.


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