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War je ein Plan aus guter edeln Herzensergießung, mit Uneigennützigkeit von Seiten der Erfinder und mit den besten Absichten zum Wohl der Welt angelegt, so war es dieser; und verdient irgendeine Art von Schwärmerey Schonung, Nachsicht, ja! vielleicht Bewunderung, so darf wohl diese moralisch-politische Schwärmerey zu Reformation der Welt darauf Anspruch machen – Ach! gäbe es nur zwölf engelreine Menschen auf der Erde, und Diese verbänden sich, gingen von den eben entwickelten Grundsätzen auch nicht um ein Haarbreit ab, und sie lebten dann Alle, an Leib und Seele gesund, hundert Jahre hindurch mit- und nebeneinander in Frieden und hätten durchaus keine andre Geschäfte, und hätten Vermögen, und hätten freie, von Menschen und Schicksalen unabhängige Existenz, dann würde dieser Plan auch gewiß realisiert werden – Aber so bleibt er Traum; doch immer ein schöner Traum.
Unsre beiden Herrn griffen nun, sobald das System gegründet war, ihr Werk ernstlich an. Noch acht andre, ganz wackre brave Männer von Alwerths Bekanntschaft, wurden von Allem unterrichtet, zur Hauptdirektion bestimmt und an die Spitze gestellt. Man fing die Sache mit brennend heißem Eifer an, und bey der Stimmung unsers Zeitalters, bey dem Hange des Publikums zu Allem, was wunderbar und geheim ist, und zu solchen Ankündigungen, in welchen die oft sehr doppelsinnigen Worte Aufklärung, Wohl der Menschheit, Freiheit, Weisheit u. dgl. erscheinen, konnte es unmöglich fehlen, daß die Sache schnellen Fortgang hatte.
Solange das Geschäft mit vier Augen zu übersehn war, ging alles vortrefflich. In manchem edeln Jünglinge wurde ein Keim zu hohen Tugenden und Aufopferungen gepflanzt; mancher mißkannte oder verfolgte Redliche wurde aus dem Staube hervorgezogen, aufgemuntert, unterstützt, empfohlen, geschätzt, befördert; mancher in Mißmuth und Schlafsucht Verfallene wurde zu neuer Thätigkeit für die Welt erweckt; manchem arbeitenden, suchenden Gelehrten wurde bey seinen mühsamen Nachforschungen nach Dokumenten und Hilfsmitteln die Hand gereicht, indem die unüberwindliche Beharrlichkeit unsrer beiden Helden bey ihrem ausgebreiteten Briefwechsel seinem Bestreben zu Hilfe kam. Auch Seelbergs persönlicher Charakter gewann dabey. Alle Hilfsquellen seines Verstandes, alle seine Fakultäten wurden in den Gang gebracht, aufgerührt, in Bewegung gesetzt, und manche neue Idee über Menschen und die Art, auf sie zu wirken, in ihm entwickelt. Er fing an, wo nicht die Menschen zu lieben, doch Interesse an ihnen zu nehmen, indem er sich als ihren ihnen ganz gewidmeten Wohlthäter ansah. Bey aller täglich wachsenden, unerhört großen, schweren Arbeit, bey allem Zwange, persönlich, mündlich und schriftlich Jedem vom frühen Morgen bis in die späte Nacht zu Gebote zu stehn und eines Jeden Anliegen zu seinem eigenen zu machen – kurz! bey dieser ununterbrochenen äußern Unruhe ging er dennoch fast immer mit heiterm, ruhigen Gemüthe, gestärkt durch das Bewußtsein eines nicht verlornen Tages, zu Bette. Indem er auf Menschen aller Art zum Guten wirken und diese Menschen studieren mußte, sah er nicht nur, welche Mängel hauptsächlich der Beförderung eigener und fremder Glückseligkeit im Wege stehen, sondern fühlte auch, wo es ihm selbst noch fehlte, warum er auf manche Menschen nicht Einfluß, nicht Gewicht genug hatte, und diese Selbstkenntnis bewog ihn, an sich zu arbeiten, sich der Wahrhaftigkeit, Mäßigkeit, Treue in Haltung des gegebenen Worts und in der Erfüllung der Versprechen zu befleißigen.
Drey Jahre lang widmete sich auf diese Art Seelberg, und zwar, seinem feurigen Temperamente gemäß, wärmer als die Übrigen, die beinahe, selbst Alwerth nicht ausgenommen, alle Last auf ihn wälzten, dem Dienste Andrer. Jeder machte Ansprüche, verlangte; wenige wollten geben; er ließ sich aber nicht abschrecken. Mit dem uneigennützigsten Eifer gab er sich Jedem preis, arbeitete ohne Unterlaß an der Beförderung und dem Glücke seiner Mitverbundenen, die oft nur Befriedigung elender Fantasien von ihm forderten und gewaltig murrten, wenn ihnen nicht sogleich geholfen wurde, da hingegen Ludwigs Name, der doch die Seele des Ganzen war, nicht einmal genennt wurde, wenn so Mancher seine ganze zeitliche Glückseligkeit der Verbindung zu verdanken hatte. Zwar forderte er auch wirklich keinen Dank, keinen Ruhm, sondern wahre Liebe zum Guten erfüllte itzt sein Herz; aber was ihn schmerzte, war, daß er auch schon nach Verlauf des ersten Jahrs so wenig Erfolg sah, von dem er sich hätte irgendein dauerhaftes Glück für die Menschheit versprechen können, welches durch den weitaussehenden Plan wäre bewirkt worden; vielmehr erlebte er nur zu bald die allen menschlichen Anstalten so unvermeidlich nachfolgende Ausartung desjenigen Guten, wozu er nebst seinen Freunden die Grundlage gelegt hatte.
Ich habe gesagt, daß Alwerth und Seelberg noch acht Mitverbündete gleich Anfangs sich zugesellten. Nun gibt es vielleicht nicht auf Gottes Erdboden zehn verschieden erzogene Menschen, die so glücklicher Weise gleich gestimmt und gleich organisiert wären, daß sie ein System, einen Plan gänzlich von der nämlichen Seite ansähen und alle ihre Leidenschaften, ihr ganzes Privatinteresse auf diesen Plan zu konzentrieren bereit wären. So ging es auch hier; über Worte und Sachen waren sie schriftlich und mündlich höchst einig; aber als es an die Ausführung ging, da sah wenigstens ein Jeder durch Seine Augen, wenn auch nicht ein Jeder nach eigenen Trieben zu handeln glaubte. Und hätten sie auch einen Einzigen zum unumschränkten Befehlshaber gewählt, so würden sie doch dabey nichts gewonnen haben. Dieser konnte doch nicht alles mit eigenen Augen sehn, und was also zu seiner Wissenschaft kam, war doch erst durch andre Hände gegangen. Aber alle diese Ungemächlichkeiten bey einem so komponierten Plane nahmen fürchterlich zu, je mehr sich die Gesellschaft ausbreitete. Jeder von diesen zehn Personen warb neue Mitglieder an, und bey der Auswahl derselben sowohl als bey den nachherigen so strenge vorgeschriebenen Prüfungen mischte sich, obgleich in der Form alles pünktlich beobachtet wurde, dennoch unendlich viel Menschlichkeit hinein. Das Urtheil auch der verständigsten Menschen über andre Menschen modifiziert sich nach unsern eigenen geheimen Neigungen und nach unsrer Weise, die Sachen anzusehn. Wir lieben Denjenigen, der ungefähr so denkt als wir, und die höchste Tugend und Weisheit, die nicht unsre Livree trägt, wird von uns, wo nicht geringgeschätzt, doch – übersehn. So wie nun nach und nach die Auswahl neuer Mitglieder von noch mehr Menschen in der zweiten und dritten Folge der Adoption abhing, kam immer mehr fremder Ton, immer mehr Willkür, Verschiedenheit hinein, um so mehr, da dies Gebäude unmerklich wie ein Schneeball, der von einem Berge herabrollt, größer wurde, sosehr auch Alwerth und Seelberg zurückzuhalten suchten. Es war also auch nicht einmal Zeit genug da, die Leute gehörig zu bilden, vorausgesetzt, daß dies sonst möglich gewesen wäre.
Hierzu kam noch, daß gleich die ersten Stifter sich nach wirklich schiefen Grundsätzen verleiten ließen, viel solcher Leute anzuwerben, die unzufrieden mit der Welt und mit ihrer Lage waren. Nun ist selten jemand unzufrieden mit der Welt, er habe denn erst vorher der Welt durch unruhige Gemüthsart oder auf andre Art Gelegenheit gegeben, Unzufriedenheit mit ihm zu zeigen, und ein Solcher taugt so wenig in öffentliche als in geheime Verbindungen, wirft sich auch gewöhnlich nur in die letzteren hinein, um sich einen Anhang zu verschaffen und kleine, mehrentheils niedrige Privatabsichten im bürgerlichen Leben zu erreichen. Männer, die, an den Staat oder an ihre Familien gebunden, einen nützlichen Wirkungskreis haben, finden da genug zu thun und lassen sich selten auf Nebenverbindungen ein, einige gutmüthige edle Enthusiasten ausgenommen, die gern alles thun, zu allem die Hände bieten wollen, was erhaben scheintZimmermann sagt ganz vortrefflich in seinem herrlichen Buche über die Einsamkeit, im 4ten Theile, Seite 292: »Prediger der Geselligkeit stellen sich zwar immer an, als wären allenthalben in der Welt sehr große Dinge zu thun; aber etwas Großes geschähe erst alsdann, wenn jeder in seinem Fache etwas mehr thäte als seine Pflicht; und leider! thun wir Alle weniger« –, deren Vernunft von einem zu warmen Herzen, das liebevoll Gutes wünscht, übereilt wird, und Solche taugen doch auch in der Folge zu keinen Geschäften, die kaltes, abwiegendes Raisonnement erfordern, und treten zurück, wenn sie sich in ihren schönen Hoffnungen getäuscht sehn. Folglich bekamen Seelberg und Alwerth in ihren Bund außer den eben beschriebenen Unzufriedenen größtentheils nur geschäftige Müßiggänger, Menschen von unbestimmter Thätigkeit, die, weil sie im Staate eine kleine oder gar keine Rolle spielten, sich eine andre künstliche Existenz schaffen wollten, kurz! solche Menschen, wie wir deren leider! auch an der Spitze mancher Freimaurersysteme gesehn habenUnd die heut zu Tage, damit sie uns erinnern, daß sie noch in der Welt sind, zuweilen in Journalen und anderswo einen solchen Zeterlärm anschlagen, um das Publikum aufmerksam auf die kleinen unbedeutenden Dinge zu machen, die in dem Zirkel geheimer Gesellschaften und in den schiefen Köpfen mancher Menschen außerordentlich wichtige Dinge sind. . Da es aber diesen Leuten zum Theil nicht an Verstande und Talenten fehlte, so wußten sie so lange, bis sie ihren Endzweck, weit oben zu stehn, erreicht hatten, sich schlau zu verstellen und in ihren schriftlichen Aufsätzen eine Denkungsart auszukramen, die ihnen sehr fremd war, wodurch sie aber den rechten Ton der Gesellschaft trafen. Sie führten Aufklärung, Glück der Welt, Unterstützung edler Menschen und Widerstand gegen die Bösen im Munde. Aber kaum hatte man ihnen freie Hand gelassen zum Wirken, so hieß bey ihnen Aufklärung befördern – wenn sie den Zöglingen ihre Privatmeinungen für Weisheit aufdrungen; Glück der Welt – der Sieg ihrer Parthey über alle übrigen im Staate und das Durchsetzen ihrer ehrgeizigen Pläne durch schiefe und niedrige Wege, mit Einem Worte! die Befriedigung ihrer Leidenschaften; Unterstützung der Edeln – wenn sie bis an den Himmel jeden Tölpel erhoben, der ihnen huldigte und der, was geistiger Weise von ihnen ging, als heilsame Seelenspeise bewunderungsvoll aufzufangen bereit war; endlich Widerstand gegen die Bösen – wenn sie jeden frei denkenden, graden Mann, der ihnen die Wahrheit schriftlich oder mündlich sagte oder mit ihnen nicht gemeinschaftliche Sache bey ihren ränkevollen Operationen machen wollte, verfolgten.
Es verlor sich also nicht nur sehr früh alle Einförmigkeit im Plane, so daß die nämliche Gesellschaft in Einer Gegend die edelsten, reinsten Zwecke beförderte, Vorurtheile bestritt, das Gute unterstützte, alle Arten Tugenden beförderte und das Böse hinderte, in einer andern hingegen Aufruhr und Kabale begünstigte, Irreligiosität predigte und Unsittlichkeit durch Beispiel ausbreitete, je nachdem hier und dort Männer an der Spitze standen, die entweder jenes Gute oder dieses Böse ohnehin würden gethan haben; allein in den Berichten, die formularmäßig eingerichtet wurden, sah alles sehr einförmig und herrlich aus.
Wie wollte es indessen auch möglich gewesen seyn, bey diesem Systeme aller Orten nach einerley Grundsätzen zu handeln und einerley Mittel zu wählen, da an der Elbe vielleicht für Vorurtheil gehalten wird, was an der Donau Glaubensartikel ist und auch vorerst ohne Umsturz der ganzen Staatsverfassung hier nicht anders angesehn werden kann; da ein Schritt, den an der Spree jeder frei denkende Mann ohne Gefahr thun könnte, uns am Rhein in das Gefängnis führen würde; da am Main manche Wahrheit noch ganz neu, vielleicht auch zu kühn ist, die an der Leine schon unter dem gemeinen Volke kursiert? – Und doch beruhete der ganze Plan auf dieser Einförmigkeit in Grundsätzen und Operationen. Wollte man nun mit Gewalt diese Einförmigkeit durchsetzen, so entstanden Inkonsequenzen, Klagen, Kompromittierungen, Übereilungen, Unvorsichtigkeiten, Plaudereien, Verlegenheiten, Mißverständnisse, Uneinigkeiten, Kabalen; die Forderungen und Wünsche der Leute durchkreuzten sich; die Verschiedenheiten der Meinungen veranlaßten Krieg, und alles dies Ungemach fiel auf Alwerth und Seelberg zurück, die für die besten Absichten nichts als Verdruß, Sorgen und Undank einernteten; auch wurde die Gesellschaft immer größer und schwerer zu übersehn.
Durch diese unangenehmen Erfahrungen wurde Seelberg früher muthlos als Alwerth; er ließ die Hände sinken und hatte nicht Festigkeit genug, auszudauern, oder vielmehr (denn ich möchte doch das nicht Festigkeit nennen, wenn man bloß aus Eigensinn, weil man eine Sache angefangen hat, und aus falscher Scham, um nicht bekennen zu dürfen, man habe geirrt, wider seine Überzeugung einen Weg fortwandelt, von welchem man weiß, daß er zu nichts führt) er zog sich auf eine gute Art von diesen Geschäften zurück und bat Alwerthen und die übrigen Freunde, auch fernerhin mit ihm nicht mehr davon zu reden. Alwerth, der noch gegenwärtig in ***, seiner Vaterstadt lebt, setzt vermuthlich den Plan noch fort. Mit welchem Erfolge, das weiß ich nicht, da Seelberg nachher zu fein gedacht hat, je wieder darnach zu fragen – auch gehört ja das nicht zu dieser Geschichte.
Seelberg blieb vor wie nach Alwerths Freund, arbeitete auch keineswegs der Gesellschaft entgegen; nur behielt er sich das Recht vor, das jedermann haben muß, das Recht, über die mögliche Ausführbarkeit eines philosophischen Menschen-Erziehungssystems so wie über jeden andern Gegenstand, welcher der Menschheit wichtig seyn kann, frey und offen seine Meinung zu sagen.
Bey den ehemaligen widrigen Schicksalen, die unsern Helden fast gänzlich durch eigene Schuld betroffen hatten, haben wir ihn mehrentheils mit feindseliger oder wenigstens finstrer, mürrischer Laune und mit Erbitterung gegen das Menschengeschlecht nach Hause gehn sehn – Nicht also diesmal! Er hatte gewiß in dieser Verbindung so viel unangenehme Scenen erlebt und so viel Verdruß und Sorge durch schlechte und schwache Menschen gehabt, als man nur möglicher Weise in drey Jahren haben kann; aber dennoch waren ihm die Menschen jetzt nicht weniger werth, obgleich er mehr wandelbare Seiten an ihnen entdeckt hatte; vielmehr war er toleranter geworden, seitdem er eine größere Summe von Erfahrungen über die Schwäche unsrer Natur gesammlet hatte. Was ihn aber vor allen Dingen aufrecht erhielt, war: – und das schien vormals beinahe nie der Fall bey ihm gewesen zu seyn – war: daß er sich der redlichsten Absichten bewußt und überzeugt war, er habe wissentlich nichts versehn, habe in den letztern drey Jahren viel Gutes gestiftet, wenn er auch nicht alles gestiftet hätte, was er hätte stiften wollen, und sein Charakter sey in der Thal dadurch veredelt worden.
Er blieb in der Stadt wohnen, fing aber an, ein sehr einsames Leben zu führen; denn sein Körper und seine Seele bedurften Ruhe.