Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Neuntes Kapitel

Da Seelberg seit einiger Zeit in dem Rufe stand, sich mit höhern Wissenschaften abzugeben, so hatte er auch manchen Überlauf von reisenden, theils bettelnden, theils forschenden, theils anderweitige Pläne auf ihn machenden Handwerksliebhabern aushalten müssen, denn solche Menschen haben eine ganz eigene Witterung, eine feine Nase, und spüren leicht die Kunstverwandten auf. Obgleich nun unser Held sonst allen Umgang floh, so ließ er doch selten einen solchen Mystiker abweisen. Man erkannte aber diese Männer gewöhnlich an ihrer ziemlich zerlumpten Draperie und einem gewissen tölpelhaften, doch aber freundlichen, geheimnisvoll lächelndem, herablassendem Wesen. Durch solche Männer nun hatte Seelberg vielfältig die Namen Andrer erfahren, welche auch großen Ruf in diesem Fache hatten, und diese Namen nebst dem Orte des Aufenthalts hatte er sich sorgfältig aufgeschrieben. Jetzt, als er sein Verzeichnis nachsah, fand sich's, daß es über fünfzig solcher Apostel enthielt, welche Alle aufzusuchen er beschloß.

Ich mag das Publikum nicht mit weitläufiger Erzählung der getäuschten Erwartungen unsers Freundes aufhalten, doch so viel muß ich sagen, daß Alwerth, sooft sie einen hochgepriesenen Philosophen entweder besoffen wie ein Vieh oder einen Goldmacher, der in Schulden steckte bis über die Ohren, oder einen Weisen beschäftigt mit elenden Kleinigkeiten antrafen oder hörten, daß der Mann, der in großem Rufe der Heiligkeit stehn wollte und mit der Geisterwelt in Verbindung zu seyn vorgab, die Nächte in den Armen frecher, öffentlicher Buhldirnen zubrachte, oder wenn sie in einer andern Stadt erfuhren, daß gewisse Abendbetstunden, welche in dem Hause eines großen Lichts unter den Mystikern gehalten wurden, seit einiger Zeit dem Findelhause verschiedene lebendige Beiträge geliefert hatten; wenn sie Menschen, die den Geruch von heiliger Frömmigkeit hatten, lieblos und intolerant über Jeden herfallen und im bürgerlichen Leben Den tödlich verfolgen sahen, der nicht zu ihrer Fahne schwören wollte; daß dann Alwerth lächelte und sich heimlich freuete, nichts sagte, aber dafür sorgte, daß Seelbergen dergleichen Beobachtungen nicht entwischen durften.

Schon waren sie durch einen großen Theil von Deutschland gereiset; Seelbergs finstre Laune hatte sich um ein Beträchtliches aufgeheitert, aber Alwerth übereilte seine Kur nicht. Er sah indessen mit Vergnügen, daß es ihm schon leichter wurde, seinen Freund zu bewegen, an irgendeiner öffentlichen Lustbarkeit Theil zu nehmen. So gelung es ihm unter anderm, ihm wieder Geschmack an Musik beizubringen, ja! sogar ihn in Frankfurt am Main zu der Vorstellung der komischen Oper, die der Alchymist betitelt ist, zu führen. Da nicht aller Orten, wohin sie kamen, hermetische Philosophen oder seltene Bücher und Manuskripte in diesem Fache zu finden waren, so mußte man doch auch mit andern Unterhaltungen vorliebnehmen, während man in einer Stadt ausruhete oder auf etwas wartete, und da verstand sich dann Alwerth darauf, seinen Reisegefährten unvermerkt in Gesellschaft mit witzigen und wahrhaftig verständigen Männern zu bringen. Hierdurch erwachte Ludwigs lebhafter Geist wieder, erquickte sich an der lange nicht genossenen Seelennahrung, und schon hoffte der Arzt, dem Augenblicke nahe zu seyn, wo er offenherzig mit ihm würde reden und seine Verstandes- und Gemüthskrankheit durch vernünftige Gründe bekämpfen können, als Seelberg, in einer Stadt in Schwaben, plötzlich von einem hitzigen Fieber befallen wurde. Hier hatte er Bekanntschaft gemacht mit einem reichen Kaufmanne Namens Odenfeld, dem er empfohlen worden und der auch ein enthusiastischer Liebhaber von höhern Wissenschaften war. Doch gab sich derselbe nicht mit der edeln Goldmacherey ab, sondern las nur fleißig die Bücher der wahren Philosophen, plauderte gern über solche Gegenstände mit Kennern und gehörte nebst seinem ganzen Hause zu der Sekte der Separatisten, deren es in dortiger Gegend eine große Menge gab. Er selbst, ein Mann von mehr als sechzig Jahren, war Witwer und Vater eines artigen dreyundzwanzigjährigen Mädchens. Er hatte schon seit langer Zeit die Handlung aufgegeben, da er für sein einziges Kind Vermögen genug erworben zu haben glaubte. Seelberg gefiel dem Herrn Odenfeld ungemein; es war ihm etwas Seltenes, wie er sagte, einen Cavalier kennenzulernen, der so tiefe, gründliche Kenntnisse und so solide und fromme Gesinnungen äußerte. Sobald nun Dieser krank wurde, nahm ihn der Kaufmann in sein Haus, damit er in demselben bessere Pflege als im Wirthshause haben möchte. Hier ließ man es an keiner Art von Aufmerksamkeit fehlen; der Kranke war zwar durch Alwerths Hilfe bald außer Lebensgefahr; allein das Fieber wollte noch immer nicht gänzlich nachlassen, und seine Kräfte waren grausam mitgenommen. Es vergingen daher mehr als sechs Wochen, bevor Seelberg das Zimmer verlassen konnte.

Binnen dieser Zeit bekam Alwerth Nachricht von dem Absterben eines reichen Verwandten, dessen Erbe er war, und das nöthigte ihn, eilig nach Hause zu reisen, wobey er um so weniger Bedenken fand, da sein Freund außer dem Abgange seiner Kräfte kein Übel mehr litt und diese nur durch gute Wartung ersetzt werden konnten, woran es ihm in Odenfelds Hause nicht fehlte.

Nun lag Seelberg ganze Tage hindurch auf dem Ruhebette, und der alte Kaufmann oder seine Tochter saßen vor seinem Bette und redeten mit ihm oder lasen ihm vor aus mystischen und religiösen Büchern. Ernestine, so hieß das junge Frauenzimmer, hatte ein wahres Madonnengesicht, einen andächtigen, bescheidenen Blick voll Sanftmuth, war hübsch von Gestalt, strenge tugendhaft und bezeugte unserm Kranken so viel Theilnehmung, kam seinen geringsten Wünschen zuvor, bereitete ihm kühlende Getränke, brachte sein Bette in Ordnung, sorgte dafür, daß er nicht versäumte, zu rechter Zeit die Arzeney einzunehmen, las ihm aus geistlichen und andern erhabenen Schriften mit so viel Wärme und mit so harmonisch klingender Stimme vor, daß er hätte von Stahl und Stein seyn müssen, wenn ihn das nicht gerührt, wenn das nicht Empfindungen wohlwollender Art in ihm erregt hätte, besonders jetzt, da seine Nerven stärker gespannt wurden durch die wiederkehrende Gesundheit. Nun war aber unser Mann gar nicht von Stahl und Stein, sondern im Gegentheil von Jugend auf sehr empfindlich für die Reize junger Frauenzimmer gewesen, und wenngleich dies Geschlecht nicht eben sehr sanft und gutmüthig mit ihm umgegangen zu seyn schien und er oft feierlich betheuert hatte, er wolle kein Frauenzimmer je wieder anders als mit Abscheu ansehn, so ging es ihm doch mit seinem Weiberhasse wie beinahe mit allen seinen übrigen Grundsätzen, nämlich, daß sie mit seinen Gefühlen und Empfindungen in ewigem Widerspruche standen und daß sehr oft Jene Diesen weichen mußten. Zwey Dinge aber kamen bey Ernestinen hauptsächlich noch in Betracht und machten, daß er derselben gewogen wurde: zuerst die Dankbarkeit, welche sie ihm einflößte durch ihre treue, wahrhaftig schwesterliche Sorgfalt während seiner Krankheit, und dann ihre warme Tugendliebe, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Da er diese Eigenschaften, welche sein Herz mehr als alles andre rührten, noch nie in dem Grade bey einem weiblichen Geschöpfe angetroffen hatte, so zweifelte er auch nicht daran, Odenfelds Tochter werde in eben dem Grade auch von allen dem Geschlechte so eigenen Fehlern befreiet seyn. Indem er sie nun täglich aus diesem Gesichtspunkte betrachtete, so wurde auch seine Achtung für sie immer zärtlicher und verwandelte sich endlich in Liebe, die aber freilich wieder ganz andre Symptome zeigte als sowohl die, welche er für Julien von Grätz, als die er für Luisen von Wallenholz empfunden hatte. Statt daß die erstere ihn abwechselnd schmelzend, schüchtern, feierlich, launig, wohlwollend, menschenliebend, die zweite aber großmüthig, fröhlich, gefällig und thätig machte, so war seine jetzige Neigung zu Ernestinen Odenfeld von sehr viel ruhigerer Art; auch dürfen wir nicht vergessen, daß er nun kein Jüngling mehr war. Seine ganze religiöse Stimmung blieb die nämliche; er freuete sich, endlich ein Geschöpf gefunden zu haben, das mit ihm die Prüfungen dieses Erdenlebens gemeinschaftlich tragen, sie überwinden helfen und seine höhern Gefühle und Freuden mit ihm würde theilen können (denn er war fest entschlossen, trotz seiner sechzehn Ahnen um die Hand dieser Kaufmannstochter anzuhalten, und zweifelte nicht an einer günstigen Antwort). Er söhnte sich insoweit wieder mit der bösen Welt aus, daß er sich nicht mehr den Tod wünschte, sondern hoffte, die Widerwärtigkeiten auf dieser Pilgerreise an der Hand einer so frommen Gefährtin ertragen zu können. Dazu kam denn auch die Betrachtung, daß das Frauenzimmer, wie wir gesehn haben, die einzige Erbin eines sehr reichen Mannes, und endlich, daß sie so hübsch war, daß Mancher alle Betrachtungen darüber vergessen haben würde – Mit Einem Worte! Seelberg ließ, als er nun bald wieder das Zimmer verlassen konnte, gegen Ernestinen ein Wörtchen von seiner Absicht fallen, wurde von ihr, wie sich's versteht, züchtiglich an ihren Vater gewiesen und wendete sich, sobald er vollkommen hergestellt war, an denselben.

Nun können, wie man behaupten will, mit großer Frömmigkeit dennoch ein wenig Stolz und Eitelkeit recht gut bestehn; man dürfte also vielleicht annehmen, den alten Odenfeld habe die Idee, einen so vornehmen Tochtermann zu bekommen, ein wenig gekitzelt. Ohne indessen die Sache auf eine so lieblose Art zu erklären, brauchen wir nur zu bedenken, daß er Seelbergen hochschätzte, daß ihre Denkungsart übereinstimmte und daß auch von der ökonomischen Seite diese Parthie nicht zu verachten war – Genug, er gab sehr bald seine Einwilligung, das Verlöbnis wurde, so wie bald nachher die Hochzeit, ohne Lärm, doch anständig, in Gegenwart einiger Verwandten und andrer Stillen im Lande gefeiert, Odenfeld gab seine Haushaltung auf und zog mit seiner Tochter auf Seelbergs Güter, entschlossen, da den Rest seines Lebens sorgenlos und in frommen Übungen hinzubringen.

An Alwerth schrieb Seelberg und gab ihm Nachricht von dem Schritte, sobald er das Jawort hatte. Derselbe sah nun wohl, daß hiermit seine Pläne zum Besten seines Freundes scheiterten. Er hatte große Absichten mit ihm gehabt, wie wir in der Folge hören werden; daran war nun aber vorerst nicht zu denken. Er wünschte ihm also herzlich Glück und bekümmerte sich dann ein paar Jahre hindurch wenig oder gar nicht um unsern Helden.


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