Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Drittes Kapitel

Die zweite gute Handlung, die ich als Charakterzug von Seelberg zu erzählen habe, war eine Folge der erstern, insofern das Herz durch Ausübung Einer edeln That zum fernem Wohlthun gestimmt zu werden pflegt und es wahrlich nur darauf ankömmt, den Anfang mit Einem paar Schritten auf der Bahn der Tugend zu machen, um bald weiter hingezogen zu werden auf einem Wege, auf welchem der Fuß des Wanderers nicht ermüdet, sondern immer neue Kraft bekömmt.

Ludwig hatte es, wie wir wissen, übernommen, mit dem Herrn von Weidel zu reden, um denselben zu vermögen, Augustinens Briefe herauszugeben. Zugleich war es ihm interessant, einen Menschen wiederzusehn, mit dem er einst als Knabe einen abentheuerlichen Plan entworfen und schon den Anfang mit der Ausführung desselben gemacht hatteWie aus dem dritten Kapitel des ersten Theils bekannt ist.. Er ging aber oft vergebens in sein Quartier, denn wenn der junge Herr nicht auf der Wache noch auf der Parade war, so brachte er seine Zeit in den Kaffeehäusern oder andern lustigen Gesellschaften zu, so daß er den ganzen Tag über nicht zu finden war.

Endlich erfuhr Ludwig einmal, daß Jener des Nachmittags eine halbe Stunde von Berlin in einem Garten anzutreffen seyn würde, in welchem zugleich ein Wirthshaus war. Das Wetter war schön, Leuchtenburg andrer Orten versagt, und so beschloß dann unser Freund, einen Spaziergang nach dem Garten hin zu machen. Vorher sprach er bey der Bürgersfrau vor und freuete sich zu sehn, wie Augustine anfing gut und heiter zu werden und die Zuneigung ihrer Wirthin zu gewinnen. Das frohe Bewußtseyn, dies Mädchen vom Untergange errettet zu haben, und das Bild ihrer künftigen Glückseligkeit beschäftigten unterwegens seine Fantasie auf eine sehr wohlthätige Weise; und so schlenderte er, ohne sich viel umzusehn, zum Thore hinaus.

Der Weg nach dem Garten war ihm genau beschrieben worden. Er mußte unter andern durch einen engen Paß zwischen zwey Hecken hin. Als er nun eben daselbst fortwandelte, sprang von der einen Seite ein ziemlich wohlgekleideter Mann mit der Miene der Verzweiflung hervor, ergriff ihn bey der Kehle und forderte mit Ungestüm seinen Geldbeutel von ihm. Ludwig war nicht sehr stark, aber gelenkig, hurtig und behende, der Angreifer hingegen ein starker, aber steifer Mann, zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt. Beide waren ohne andre Waffen, als daß jeder von ihnen einen Spazierstock in der Hand trug. Nachdem Seelberg eine kurze Zeit mit dem Manne gerungen hatte, wurde er Meister über ihn und warf ihn zu Boden, da dann Dieser flehentlich bat: er möchte ihm nur das Leben nehmen, das ihm doch zur Last wäre, oder ihn wenigstens den Gerichten überantworten.

Seelberg sah wohl, daß die äußerste Verzweiflung aus dem Manne redete und ihn verleitet hatte, einen Schritt zu wagen, den er mit so wenig Geschick unternahm. Er sprach ihm also gelinde zu: »Was bewegt Sie«, sagte er, »mich hier mörderischer Weise zu überfallen? Warum fordern Sie nicht ein Almosen, wenn Sie arm sind? Ich würde es Ihnen gern gegeben haben.« – »O, mein Herr!« erwiderte der Fremde. »Wenn Sie meine Lage kennten – Ach! ich bitte Sie flehentlich, liefern Sie mich in die Hände der Justiz!«

Ludwig suchte den Mann zu beruhigen, bat ihn um Mittheilung der Geschichte seiner unglücklichen Begebenheiten und versprach ihm alsdann, so viel nur irgend in seinen Kräften stehen würde, Hilfe zu leisten. Mit einiger Mühe beredete er ihn darauf, mit nach dem Garten zu gehn, und ließ, als sie dort ankamen, sich ein besonders Zimmer anweisen, bekümmerte sich vorerst nicht um den Herrn von Weidel, sondern forderte eine Flasche Wein, setzte sich mit seinem neuen Bekannten hin und ließ sich erzählen, was folgt:

 

»Ich bin in *** geboren, habe meine Jugend den Wissenschaften gewidmet, mein väterliches Erbe größtentheils auf Universitäten verzehrt, den Rest aber in den ersten Dienstjahren zugesetzt, binnen welchen ich bey der Rentcammer des *** von *** angestellt war, ohne Besoldung zu erhalten. Es schien indessen, als wenn endlich mein Fürst mich für einen brauchbaren Diener hielte, denn er gab mir eine einträgliche Stelle, und ich widmete mich treu und emsig seinen Geschäften. Kurz nachher lernte ich in *** bey Gelegenheit einer kleinen Reise in herrschaftlichen Angelegenheiten ein Frauenzimmer kennen, die mir und ich ihr gefiel. Ich erhielt von meinem Herrn die Erlaubnis, mich mit derselben zu verheirathen, holte sie ab und lebte ein Jahr lang sehr glücklich und vergnügt mit ihr. Wir hatten unser mäßiges Auskommen, liebten uns zärtlich und genossen viel Freundschaft unter Hohen und Niedern. Nun wohnte aber in dieser Stadt ein verabscheuungswürdiges Weib, eine gewisse Madam Brinkler« – »In aller Welt!« rief hier Seelberg. »Kennen Sie dies Frauenzimmer auchDie Leser werden sich dieser Person als der nämlichen erinnern, welche auf der Maskarade in *** Ludwigs Lehrmeisterin in schönen Künsten wurde. [Siehe Teil 1, Kap. 10]?« – »Leider kenne ich sie«, antwortete der Fremde. »Sie hat viel Unglück über mein Haupt gezogen. Freilich hat die Vorsehung sie dafür gestraft, denn sie ist im vorigen Monate unter den grausamsten Schmerzen an einem Krebsschaden gestorben, den sie lange heimlich mit sich herumgetragen; aber mein Unglück ist dadurch nicht gemindert worden. Dies schändliche Geschöpf war ehemals des Fürsten Maitresse gewesen, und da derselbe Ihrer müde geworden, so suchte sie dadurch sich in einiger Gunst zu erhalten und Gewinnst zu ziehen, daß sie mit Hilfe eines Kammerdieners die Unterhändlerin bey neuen Liebeshändeln des Fürsten machte und junge Mädchen und Weiber in das Garn der Verführung zu locken suchte. Meine ehrliche Frau war schön; sie gefiel dem fürstlichen Wollüstlinge, und Frau Brinkler bekam Auftrag, ihre Verhandlungen bey derselben anzufangen. Sie besuchte uns. Ich bin nicht gern unhöflich; folglich wies ich ihr nicht sogleich die Thür, ungeachtet dies Weib in der ganzen Stadt in sehr schlechtem Rufe stand, so daß man keine Ehre davon hatte, mit ihr umzugehn. Als sie aber öfter kam, ließ ich ihr nicht undeutlich merken, daß sie uns zur Last wäre, und da beschleunigte sie dann die Ausführung ihres Vorhabens und machte meiner Frau im Namen des Fürsten den schändlichsten Antrag. Mein tugendhaftes, treues Weib nahm diesen Antrag so auf, wie es Ihrer würdig war; sie antwortete nämlich: Madam möchte nur einen Augenblick verzeihen, damit sie die Sache gemeinschaftlich mit mir überlegen könnten, hüpfte dann zum Zimmer hinaus und holte mich, und ich führte die Dame Brinkler auf eine Art aus dem Hause hinaus, die sie zur äußersten Rache reizte. Indessen verstellte sich der Fürst doch noch gegen mich und schien gar keinen Antheil an dieser Sache zu nehmen; ich bekam vielmehr noch mehr und wichtigere, aber auch freilich solche Geschäfte unter die Hände, die mich größerer Verantwortung aussetzten; doch erfüllte ich meine Pflicht redlich und eifrig und hatte beinahe die vorige Scene vergessen, als der Antrag des Fürsten (der nun wirklich, durch Widerstand gereizt, eine heftige Leidenschaft oder vielmehr Gierigkeit zu meiner Frau gefaßt zu haben schien) nochmals, aber durch einen andern Geschäftsträger und auf feinere Weise wiederholt wurde. Allein auch diesmal wies meine liebe Gattin alle Anträge und alle glänzenden vortheilhaften Versprechungen für sie und mich, die sie mit unsrer Schande erkaufen sollte, bestimmt und mit Würde zurück und verschwieg die Sache mir, dem sie keine neue Unruhe machen wollte. Nun wurde aber von allen Seiten die Rache geschäftig, meinen Untergang zu befördern. In meinen Händen war die Direktion über einige Zweige der Finanzen des Fürsten; nichts ist leichter, als dabey in Verantwortung zu kommen, wenn es einmal beschlossen ist, einen Mann zu stürzen und Dinge aufzusuchen, die dem Chef zur Last gelegt werden sollen, schriebe man auch nur die Nachlässigkeit der Unterbedienten auf seine Rechnung! An Unzufriedenen kann es überhaupt bey dergleichen Gelegenheiten nicht fehlen, wenn man solche Menschen aufruft, deren Forderungen man nicht immer billig gefunden, deren Fantasien man nicht jedesmal befriedigt hat. Man warb unter der Hand Leute, die Klagen gegen mich anzubringen hätten, ermunterte sie, alles dreist zu entdecken, und schrieb auf, was ihnen auf diese Weise abgelockt oder vielmehr war erpreßt worden. Um jedoch eine Art von Formalität zu beobachten, wurde mir ein ordentlicher Prozeß gemacht. Man setzte mich in das Gefängnis, und meine beiden ärgsten Feinde wurden zu Kommissarien bey dieser Untersuchung ernannt. Da die Sache schon so gut als entschieden war, ehe die Untersuchung anfing, so war auch das Urtheil bald gesprochen. Man schrieb nämlich statt meiner Aussagen nur das nieder, was man zum bösen Zwecke dienlich fand. Es wurde mir nicht gestattet, die nöthigen Urkunden zu meiner Vertheidigung herbeizuschaffen, denn meine eigenen Papiere hatte man mir geraubt, als man mich festsetzte, und allen herrschaftlichen Bedienten wurde verboten, mit mir Gemeinschaft zu haben. Nachdem ich auf diese gerechte Manier der schwärzesten Verbrechen war überwiesen worden, schickte man die Akten auf eine benachbarte Universität zum Spruche, fügte die Bitte hinzu: die Sache möchte dem Herrn Professor *** in die Hände gegeben werden, und sendete diesem niederträchtigen Schurken fünfzig Dukaten zum Geschenke. – Das Urtheil verdammte mich zur Kassation und Landesverweisung.

Mein liebes Weib war indes zu ihrem einzigen Bruder entflohen. (Alle übrigen Verwandten und Freunde dreheten uns den Rücken, sobald mein Unglück anfing.) Als ein Bettler, und was noch mehr ist, als ein verunehrter, beschimpfter Mensch reisete ich zu ihr dahin. Wir nahmen ihr sehr geringes Vermögen auf und gingen mit dieser kleinen Summe nach Wien, fest entschlossen, bey dem Reichshofrathe Gerechtigkeit gegen meinen Tyrannen zu suchen. Hier blieben wir vier Jahre lang, ehe meine Sache beendigt wurde. Ich mußte mit allen Chikanen der schwärzesten Bosheit und mit allen Ungemächlichkeiten, die man empfindet, wenn man einen mächtigen Gegner hat, streiten. Wir lebten dabey klein und kümmerlich, konnten mit genauer Noth die schweren Prozeßkosten von dem Reste unsrer Barschaften bestreiten – Endlich erschien das Konklusum, das den Fürsten zu der vollkommensten Wiedererstattung verurtheilte. Ich glaubte mich nun auf dem Gipfel des Glücks, glaubte, mein mächtiger Feind werde, wenigstens aus Scham, um nicht vor der ganzen Welt Augen für einen ungerechten Tyrannen zu gelten, mir eine lebenslängliche Pension anbieten lassen, womit ich denn gern zufrieden gewesen wäre, da gegenwärtig meine Ehre vor der Welt gerettet war – Aber nichts von Diesem! Der mächtige Unterdrücker höhnt der Gerechtigkeit, und die benachbarten Fürsten sind, aus politischen Rücksichten, nicht dahin zu bewegen, die ihnen aufgetragene Exekution zur Wirklichkeit zu bringen. Um dies zu erreichen, habe ich manche vergebliche Reise gethan und alles verkauft, was meine Frau und ich nur noch an bessern Kleidern, feinerer Wäsche und einigen Kostbarkeiten besaßen, als: an kleinen Ringen und dergleichen, welche wir zum Andenken an Personen, die uns theuer waren, trugen und von denen wir uns ungern trennten. Zuletzt, als mein Elend auf das Äußerste stieg – denn nun war auch der Bruder meiner Frau, der uns edelmüthig unterstützt hatte, gestorben und hatte sein Vermögen in großer Verwirrung hinterlassen – beschloß ich, zu Fuße hierher nach Berlin zu reisen und Dienste zu suchen, wäre es auch nur als Scribent bey einem Kollegio. Ich nahm die Dokumente meiner Unschuld mit mir und ließ meine Frau voll ängstlicher Erwartung auf der sächsischen Grenze – Aber wen einmal das Glück verlassen hat, dem mißlingt alles. Ich bin aller Orten abgewiesen; man bedauert mich; die Ministers zucken die Achseln, wünschen, die Exekution möchte Brandenburg aufgetragen worden seyn, können aber bey diesen Umständen nichts für mich thun – Ich habe auch selbst an den König einen demüthigen Brief geschrieben und um Dienste gebeten. Seiner Majestät Antwort war: Es sey seine Pflicht, vorzüglich auf Einländer Rücksicht zu nehmen – Und nun, mein Herr! Was sagen Sie dazu? – Hier bin ich acht Tage lang aufgehalten worden – Nun habe ich gar nichts mehr. Ich schäme mich, um Almosen zu betteln. Vor vier Tagen habe ich meine Schuhschnallen verkauft, um nicht zu verhungern und meinen Wirth bezahlen zu können, der mich aus dem Hause stoßen wollte – Seit zwey Tagen ist kein warmer Bissen über meine Zunge gekommen, und wer weiß, was mein unglückliches Weib jetzt leidet? – Hatte ich Unrecht, wenn ich, des Bittens müde, es versuchte, von Ihnen mit Gewalt zu erhalten, was mir und meiner Gattin entweder auf einige Zeit das Leben fristen oder mich der Gerechtigkeit wieder in die Hände liefern könnte, die vermuthlich daran erinnert seyn will, daß sie mir, nachdem sie mir alles genommen, dies elende Leben gelassen hat, das mir zur Last ist?«

Seelberg hatte, wie uns bekannt ist, schon so nachtheilige Begriffe von der Redlichkeit, Dankbarkeit und Gerechtigkeitsliebe der Menschen, daß des armen Mannes Geschichte, indem sie ihn in dieser Meinung bestärkte, von einer Seite in der That keine vortheilhafte Eindrücke auf ihn machte, doch rührte sie von der andern die empfindliche Seite seines Herzens, entlockte ihm sehr aufrichtige Thränen, weil er grade in einer sanften Stimmung war, und beide Gefühle erweckten dann gemeinschaftlich seinen Thätigkeitstrieb, der leidenden Unschuld beizustehn. Er that sogleich, was in dem Augenblicke zu thun möglich war, öffnete seinen Beutel, tröstete, erquickte und bat den Fremden, den folgenden Morgen zu ihm zu kommen, um zu überlegen, was weiter zu thun seyn möchte. Leuchtenburg hatte Verwandte in Berlin, die von Gewicht waren. Die Erzählung einer Begebenheit, die diesem Anekdotensammler Wasser auf seiner Mühle war, ihm, der nur darauf lauerte, etwas gegen Fürsten, Regierungen und Richter zu erfahren, setzte denselben gleichfalls zum Vortheile des Unterdrückten in Bewegung, und kurz! diesem Unglücklichen wurde durch Verwendung unsrer beiden jungen Leute geholfen. Er bekam nicht nur eine mittelmäßige Bedienung und die Hoffnung zu einer bessern im Preußischen, sondern auch die Versprechung, der Monarch werde sich Seiner annehmen, um ihm die verdiente Entschädigung zu verschaffen.

Was den Herrn von Weidel betrifft, so war Seelberg in seinen Geschäften mit demselben auch glücklich genug. Ihre erste Zusammenkunft war ziemlich kalt. Weidel erzählte, wie er nach ihrer Trennung sehr scharf bey dem Regimente sey gehalten, nachher aber, da er sich sittsam betragen, als Fahnenjunker gütig behandelt und endlich auf Vorsprache eines Oheims, der in holländischen Diensten Obrist sey, als Offizier hierher versetzt worden. Übrigens machte dieser leichtsinnige Mensch wenig Schwierigkeit, die verlangten Briefe an Augustinen zurückzugeben. Da es indessen doch immer eine sehr unangenehme, auch vielleicht nachtheilige Sache für das arme Mädchen gewesen seyn würde, mit ihrem Verführer in der nämlichen Stadt zu leben und denselben zuweilen an einem dritten Orte zu sehen, so fand die Vorsehung gut, sie auch von dieser Seite gänzlich zu beruhigen. Der junge Herr war ein so unsteter Kopf, daß er nicht lange an einem Platze ausdauern konnte. Der preußische Dienst mißfiel ihm daher bald. Er schrieb desfalls an den Oheim in Holland, von dem ich vorhin geredet habe, und bat denselben, ihm dort eine Lieutenantsstelle zu verschaffen. Dies geschah; der Herr von Weidel reisete nach den Niederlanden, soll aber, wie ich höre, auch dort nicht geblieben, sondern nach Ostindien gegangen seyn, wo er denn vermuthlich, wenn er noch lebt, Augustinen ebensowohl vergessen haben wird, als wir ihn itzt vergessen wollen.

Noch muß ich erinnern, daß Ludwig die ganze Begebenheit mit Augustinen, so sehr sie ihm auch zur Ehre gereichte, dennoch vor Leuchtenburg verschwiegen hielt. Dieser hatte seine eigenen Schliche, bekümmerte sich wenig um Seelbergs Nebenwege. Der Jäger Triller aber war so bescheiden, nicht zu fragen, wie es mit dem Abentheuer, welches er eingeleitet hatte, weiter abgelaufen wäre. Ich weiß übrigens nicht, ob ich es unserm Helden zur Tugend anrechnen oder es ihm übel ausdeuten soll, daß er hierüber ein Stillschweigen beobachtete. Schämte er sich der guten Gefühle, der edeln Handlungen, oder schämte er sich, daß er deren von sich nicht mehr und öfter zu rühmen Gelegenheit hatte? Wollte er nicht gern den Anschein haben, seinem Systeme untreu zu werden, dem Systeme, welches sein Kopf so oft gegen sein Herz durchsetzen wollte, indem er behauptete, die Menschen seyen nicht der geringsten Aufmerksamkeit, nicht der geringsten Theilnehmung, Widmung und Liebe werth? – Ich weiß es nicht, denke aber nicht, daß Schonung gegen den Ruf eines Frauenzimmers noch die großen Seelen so eigene Gewohnheit, das Gute so gern in der Stille zu thun, Ursache an seiner Verschwiegenheit war – genug! Leuchtenburg erfuhr von der Begebenheit mit Augusten nichts.

Überhaupt waren die beiden jungen Leute nicht auf dem vertrauetesten Fuße, sondern wurden vielmehr täglich kälter gegeneinander. Beide waren überaus große Verehrer ihrer eigenen werthen Personen. Beide forderten unendlich viel ausgezeichnete Achtung und Aufmerksamkeit von Andern. Dazu kam, daß Beide, und zwar Seelberg (wenigstens itzt) aus Mißtrauen gegen die Treue und Redlichkeit der Menschen, Leuchtenburg aber aus allgemeinem Weltbürgergeiste nicht sehr für individuelle Herzenshingebung, für echte Freundschaft empfänglich waren. Als sie aber nach Prag kamen, artete diese Gleichgültigkeit in offenbare Kälte, ja! in eine Art von Feindschaft aus (nämlich von Leuchtenburgs Seite), die nachher sehr wichtige Folgen für den Andern hatte, und die Veranlassung dazu gab unschuldiger Weise niemand anders als das Fräulein Luise von Wallenholz.

Um dies zu erläutern, muß ich die Leser daran erinnern, daß ich Ihnen gesagt habe, der Graf Storrmann sey in Geschäften seines Hofes nach Böhmen gereiset und habe seine Gattin und deren Schwester mit dahin geführt; sodann, daß ich Ihnen auch erzählt habe, unsre beiden Reisenden hätten von Sachsen aus durch Böhmen zu gehn sich vorgenommen gehabt; ferner, der Herr von Leuchtenburg sey in Luisen so verliebt gewesen, als ein Mensch von seiner Art es seyn könne; endlich aber, das Fräulein habe diese Neigung nicht erwidert, sondern vielmehr Seelbergen noch immer in ihrem Herzen den ersten Platz behaupten lassen, wie sie denn auch dies dem andern jungen Herrn, als sie sich in Leipzig gesehen, nicht undeutlich habe merken lassenAm Ende des 14ten Kapitels im ersten Theile. . – Nehmen Sie dies alles zusammen und fügen hinzu, daß die Familie des Grafen noch in Prag war, als Leuchtenburg und Seelberg dahinkamen, so werden Sie nun die weitern Folgen daraus ziehen können.

Ludwig hatte die nachtheiligen Begriffe, welche er von Storrmann hauptsächlich durch Eingebung der Livländer gefaßt, ziemlich wieder verloren. Eigentlich gerechte Ursache, schlecht von ihm zu denken, hatte ihm Dieser auch nie gegeben, und kleine Mißverständnisse vergessen sich leicht, zumal in der großen Welt und auf Reisen, wo man so manche neue Bekanntschaft macht, daß man sich gewöhnt, wenigstens solange man in dem Taumel lebt, sich nicht so gar fest an die Menschen zu schließen noch von ihnen sehr viel mehr als Höflichkeit zu verlangen. Sobald sie daher nach Prag kamen, war Seelberg sehr bereit, den Grafen in Leuchtenburgs Gesellschaft zu besuchen.

Storrmann empfing seinen Jugendfreund mit theilnehmender, herzlicher Freundschaft. Der edle Mann hatte immer viel Sorge und Liebe für Ludwig gehegt. Er fand ihn itzt gesunder aussehend als vor ein paar Jahren; auch glaubte er, eine bessere Meinung von seinem moralischen Zustande fassen zu dürfen. Wirklich hatten die beiden guten Handlungen, welche Seelberg so glücklich gewesen war, in Berlin auszuüben, und die genauere Bekanntschaft mit einem paar edlen Menschen, die er in Dresden machte, sehr wohlthätigen Einfluß auf sein leicht umzustimmendes Herz gehabt. Er war milder, heiterer geworden; dabey hatte der Umgang mit der feinern Welt ihn, der ohne Mühe andre Formen annahm, geschliffener gemacht und seinen äußern Sitten die Studentenrauhigkeit benommen. Er war auch wieder für die Geselligkeit aufgelebt. Seine mancherley angenehmen Talente und gesammleten Kenntnisse machten ihn zu einem höchst unterhaltenden Gesellschafter, sein Humor wurde nicht durch böse Launen getrübt, und wenn auch zuweilen innere Friedenlosigkeit ihn ein wenig ängstigte, so hatte er doch gelernt, sich bemeistern und andre Leute diese Unbehaglichkeit nicht mitempfinden zu lassen.

Man wird mir leicht glauben, wenn ich sage, daß diese vortheilhafte Veränderung ihm vorzüglich in den Augen der Frauenzimmer, und vor Allen in Luisens Augen, eine neue Folie unterlegte. Auch war sie kaum zwey Tage lang mit ihm umgegangen, so war ihre Leidenschaft zu ihm wieder auf den höchsten Grad gestiegen. Ihr Schwager merkte das und schien diesmal nicht unzufrieden darüber, sowohl weil er wirklich glaubte, es sey nun grade der Zeitpunkt da, wo sein Freund durch eine sanfte Einwirkung eines tugendhaften, liebenswürdigen Mädchens auf guten Weg geleitet werden könnte, als auch, weil er gewahr wurde, daß Ludwig nicht wie ehemals bloß Bewunderer der Vortrefflichkeiten des Fräuleins blieb, sondern anfing, ihr sehr warmer Verehrer und Anbeter zu werden.

Die Liebe ist bekanntlich ein wunderliches Etwas, das sich weder erzwingen noch erbetteln, noch an der Hand der Hochachtung nach Gefallen herzuführen läßt. Sie ist eine von den Krankheiten, über deren Symptome und Wirkungen viel schöne Bücher sind geschrieben worden, ohne daß ein einziger Arzt dargethan hätte, wie diese verteufelte Krankheit eigentlich zuerst entsteht, warum sie zuweilen so verschiedene und widersprechende Phänomene bey den nämlichen Konstitutionen zeigt und welche Mittel (außer dem Messer) dagegen mit sicherm Erfolge anzuwenden sind. Man würde daher auch zu viel von mir verlangen, wenn man fordern wollte, ich sollte bestimmt sagen, warum Seelberg diesmal Liebe für Luisen empfand, da er das Fräulein vormals nur bewundert hatte, ohne durch dies Gefühl aus dem Gleichgewichte seines Gemüths gebracht zu werden. Doch kann ich ein paar Ursachen anführen, die wenigstens die Sache glaubwürdig machen werden. Die erste nämlich lag in ihm selbst, die andre in Luisen. Seelberg hatte, gerührt durch die beiden Geschichten, die ihm in Berlin aufgestoßen waren, und durch die Bekanntschaft mit einigen liebenswürdigen weiblichen Geschöpfen, die er in den verschiedenen Städten auf der Reise angetroffen, wieder angefangen, mehr Interesse an dem weiblichen Geschlechte zu nehmen; folglich befand er sich in einem Gemüthszustande, der sehr verschieden war von demjenigen, in welchem ihn zuerst das Fräulein gesehen hatte. Was aber dies gute Mädchen betraf, so hatte sie sich auch sehr verändert. Ohne das Mindeste von der Reinigkeit ihres Herzens zu verlieren, ohne an der edeln Simplizität ihres Charakters einzubüßen, hatte ihre Tugend seit der Zeit, da sie mit ihrem Schwager und ihrer Schwester in der großen Welt lebte, jenes äußere Ansehn von zurückscheuchender Strenge abgelegt, oder vielmehr (denn ihr war es nie in den Sinn gekommen, die Strenge zu machen) der Engelglanz ihrer reinen, himmlischen Tugend, das Licht, das, solange sie auf dem Lande lebte, ganz ungetrübt von fremder Umkleidung sich seine eigene Atmosphäre schuf, in welcher jedes minder reine Wesen als in einem fremden Elemente sich beklommen fühlte, die überirdische Hoheit, vor welcher man den Hut abzog, ohne den Muth zu haben, ihr treuherzig die Hand hinzureichen, hatte sich herabgestimmt zu den Sitten und äußern Manieren andrer guter, schwacher Menschen – Nicht, daß Luise den Ton des verderbten Zeitalters angenommen und den gewöhnlichen ersten Schritt gethan hätte, durch gefällige Nachsicht gegen die Laster Anderer selbst die verderbliche Bahn zu betreten; aber sie hatte sich überzeugt, daß man mehr Gutes stiften kann durch eine Art von Herablassung, die sehr verschieden ist von Gleichstellung, daß nicht alle gute Menschen nach einerley Formeln zu handeln verbunden sind und daß, wenn man sich (insofern dies ohne Verleugnung echter Grundsätze geschehen kann) den Sitten des Zeitalters im Äußern gemäß beträgt, man nicht mehr Sünde begeht als der nüchterne Mann, welcher in Gesellschaft von Trunkenbolden gefärbtes Wasser trinkt, damit Jene es für Wein halten und ihn nicht als einen gefährlichen Laurer und Sonderling ansehn sollen, indem er ebenso aufgeweckt dabey ist als sie, die erst durch den Geist des Rebensaftes sich zur Fröhlichkeit stimmen müssen.

Ich habe (im zwölften Kapitel des ersten Theils), als ich von dem Eindrucke redete, den Luise bey der ersten Bekanntschaft auf unsern Helden gemacht hatte, die Bemerkung gewagt, daß man nicht leicht Personen liebt, an welche man so hoch hinaufschauen muß, und daß vermuthlich der Abstand zwischen des Fräuleins höherer Tugend und Seelbergs Schwäche das eigentliche Hindernis gewesen, weswegen er nicht sowohl Liebe als ruhige Hochachtung und Verehrung für dies vortreffliche Frauenzimmer empfunden hätte. Jetzt, da diese Tugend den gefälligem Anstrich der feinen Welt bekommen hatte und ihr Umgang, ihre Unterhaltung ein größeres Interesse, mehr Würze durch angenehmen Witz und eine gewisse Lebhaftigkeit erhielt, war Ludwigs armes Herz bald gänzlich gefesselt.

Diese zweite Liebe aber wirkte ganz andre Symptome in ihm als die erste. Über die tändelnden, empfindelnden, mondsüchtigen Grillen war er hinaus. Dergleichen Anwandlung befiel ihn also nicht, sondern seine itzige Leidenschaft hatte sehr viel wichtigern Einfluß auf seinen Charakter. Anfangs wollte er es damit auf die leichte Achsel nehmen. Er redete mit Luisen aus einem Tone, wie er gewöhnt war, ihn gegen Frauenzimmer von alltäglichem Schlage zu führen. Er sagte ihr Schmeicheleien vor, ja! er war verderbt genug, auf die Kenntnis des Vorzugs, den sie ihm, wie er das wohl wußte, vor andern Jünglingen gab, einen Plan zu bauen, der vielleicht wie ein gemeines Romänchen sich würde geendigt haben, wenn nicht das holde Mädchen bey aller überschwenglichen Liebe, die sie zu ihm hatte, und bey aller Lebhaftigkeit ihres Temperaments dennoch so fest in Grundsätzen, so rein von Sitten, so unverführbar gewesen wäre. Er sah also bald, wie sehr unterschieden dies edle Geschöpf von allen übrigen Weibern war, die er bis itzt gekannt hatte. Nun fing eigentlich die bessere Leidenschaft an, Wurzel in seinem Herzen zu fassen, und in dem Augenblicke, da der Liebesgott zu Einem Thore dieses Herzens hinein seinen feierlichen Einzug hielt, mußte alles Mißtrauen gegen den weiblichen Charakter und alle Feindseligkeit gegen die Menschen überhaupt zu dem andern hinausfliehn. Die Stimme seines Gewissens erwachte nun nicht selten, wenn er allein war; der Schlaf floh ihn – nicht, daß verliebte Schwärmerey ihm denselben entzogen hätte, sondern weil ernsthafte Gedanken an die Zwecklosigkeit, Liederlichkeit und Unthätigkeit seines bisherigen Lebens in ihm herumarbeiteten. Sobald er sich hingegen mit Luisen in Gesellschaft sah, munterte er sich auf, wurde so heiter, so ruhig und dabey so bescheiden – Was vermag nicht die Liebe! – Storrmann sah alle diese glücklichen Revolutionen von Weitem her an und freuete sich der guten Aussichten, die er daraus seinem Freunde prophezeien zu können glaubte.

Endlich wurde das Geheimnis dem Herzen unsers Helden zu schwer. Er vertrauete sich seinem Freunde, bat denselben um Beistand zu Erlangung der Hand des Fräuleins von Wallenholz und versprach, alle Kräfte aufzubieten, dieses vortrefflichen Mädchens würdig zu werden. Storrmann war ein grader Mann, der alle Winkelzüge und Zierereien haßte; folglich sagte er, ohne sich lange bitten zu lassen, Seelbergen seine Verwendung zu, doch, wie sich das verstand, unter der Bedingung, daß Dieser nicht nur Wort halten und ernstlich an sich arbeiten, sondern auch seinen Reiseplan aufgeben und sogleich suchen sollte, eine feste bürgerliche Bestimmung zu erlangen und irgendwo auf solide Art in Dienste zu treten. Er erbot sich auch, hierzu die Hände zu reichen, und bedung sich aus, bevor dies in Richtigkeit gebracht seyn würde, solle Luisen kein bestimmter Antrag gemacht werden. Seelberg war entzückt vor Freuden, umarmte seinen Freund, verhieß alles und war von allem zufrieden.

Niemand aber spielte bey dieser Sache eine kleinere Rolle als der wackre Herr von Leuchtenburg. Von Eifersucht entbrannt, sobald er merkte, wie wohl sein Reisegesellschafter bey der Familie und besonders bey Luisen gelitten war, suchte er allerley Teufeleien hervor, diesen Frieden zu stören und den glücklichen Nebenbuhler verdächtig zu machen; allein das alles machte keinen Eindruck, so wie auch seine anmuthige Lieblichkeit, durch welche er sich bey dem Fräulein einzuschmeicheln suchte, sehr verkehrte Wirkung hervorbrachte. Hierauf ließ er das Maul hängen, und endlich wählte er ein Mittel, das aber ebenso unglücklich ausfiel als die übrigen, denn er kam, nachdem sie vier Wochen, die nur wie Tage hingeflogen waren, in Prag zugebracht hatten, einstmals zu Seelberg in das Zimmer und sagte ihm: er glaube, sie hätten sich lange genug in Prag aufgehalten und könnten nun wohl weiter nach Österreich reisen, worauf aber Dieser sehr freundlich antwortete: »Es thut mir leid, mein Lieber! wenn ich daran Schuld bin, daß Sie länger, als Sie Sich vorgenommen hatten, hier verweilt sind. Ich wollte gestern schon mit Ihnen wegen unsrer weitern Pläne reden. Gewisse unvorhergesehene Hindernisse halten mich ab, meine Reise weiter fortzusetzen. Ich werde also vorerst hier in Prag bleiben, um gewisse Nachrichten abzuwarten, die meine künftige Bestimmung angehn. Kann ich es alsdann irgend möglich machen, so habe ich das Vergnügen, Ihnen wenigstens noch bis Wien zu folgen. Halten Sie Sich indessen meinetwegen nicht auf! Ich danke Ihnen herzlich für die mir bisher geleistete Gesellschaft. Vielleicht führt uns das Schicksal einmal wieder an Einen Ort zusammen.« –

Leuchtenburg war wie versteinert vor Wuth und Verwunderung bey dieser Nachricht. Er ahnte gleich, daß er nunmehr dem Fräulein von Wallenholz würde entsagen müssen. Allein, was war zu thun? Er biß die Zähne zusammen, sagte ein paar empfindliche, spitzige Worte mit höhnischer Miene, die Ludwig nicht einmal zu bemerken schien, verschob dann seine Rache auf eine bequemere Gelegenheit, nahm Abschied von seinen Verwandten und reisete mit dem Teufel im Herzen und dem Jäger Triller auf dem Bocke weiter.


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