Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Zwölftes Kapitel

Eines Tages (es war grade vor dem Weihnachtsfeste) schlug der Graf von Storrmann unserm Ludwig vor, mit ihm während der kurzen Ferien einen Edelmann von seiner Bekanntschaft zu besuchen, der einige Meilen von Duderstadt auf seinem Gute lebte; Seelberg nahm die Einladung willig an, und sie ritten hin.

Ich habe gesagt, daß Ludwig keine mittelmäßigen Menschen leiden konnte und daß alles, was die Ehre haben sollte, von ihm geschätzt und geliebt zu werden, außerordentlich und groß seyn mußte. Wie es aber die Kraftmänner zu halten pflegen, so ging es auch ihm. Sie reden nämlich mehr von solchen Sachen, als wahr ist, thun uns gemeinen Menschen, besonders wenn wir ihnen huldigen oder ein bißchen in ihren Ton mit einstimmen, oft die Ehre an, sich zu uns herabzulassen, ja! uns interessant zu finden; und so hielt auch Ludwig zuweilen für groß, was bloß abentheuerlich, und für außerordentlich, was äußerst gemein war, insofern es nur einen gewissen Anstrich von Bizarrerie und Originalität hatte. Dieser Geschmack nun fand auf dem Landgute, wohin er mit Storrmann reisete, einige Nahrung, denn schon der alte Cavalier, den sie besuchten, war ein Original von guter, aber zugleich komischer Natur, und der Pfarrer, der Physikus und ein alter Offizier aus der Nachbarschaft hätten sämtlich Sternens oder Goldsmiths Pinsel Stoff zu einem schönen Hausgemälde dargeboten. Da es mir aber theils an einem solchen Meisterpinsel fehlt, theils es nicht der Zweck dieses Buchs ist, eine Galerie von buntscheckigen Gemälden aufzustellen, welche bloß die Fantasie belustigen möchten, so will ich niemand mit Schilderung dieses Landjunkers und seiner Gesellschaft heimsuchen, sondern nur so viel sagen, daß die guten, kreuzbraven, biedermännischen Eigenschaften dieses alten Herrn von Wallenholz, die mitten durch seine lächerlichen Seiten hindurchschimmerten, ja! durch dieselben nur noch mehr Erhöhung (ich möchte lieber Relief sagen) bekamen, unsern Seelberg ganz für ihn und seine Familie einnahmen. Diese Familie nun bestand aus einer wackern, treuen Hausfrau und zwey heirathsfähigen Töchtern. Die Eine, Marie, wurde von Storrmann geliebt, der ungeachtet seines leichtsinnigen Charakters doch damals ernsthafte Absichten auf sie zu haben schien, und Luise, die jüngste – Doch, wir wollen erst ihr Portrait entwerfen.

Es gibt eine gewisse edle, heilige Simplizität und Reinigkeit des Herzens, die so innig froh, glücklich, friedenvoll macht und dabey, ohne sich ihrer eigenen Größe bewußt zu seyn, mit so viel Anmuth und Hoheit aus jeder Miene hervorstrahlt, daß auch der verächtlichste Spötter, dem Religion und Tugend eine Thorheit sind, bey dem Anblicke dieser in unsern Tagen so seltenen menschlichen Würde zu stummer Bewunderung hingerissen wird. Diese himmlische Unschuld ruhete auf Luisens Antlitze. Sie war schön; ob Zug vor Zug, nach dem Maßstabe des Zeichners, das weiß ich nicht; aber was kann schöner seyn als eine angenehme Bildung, die durch jugendliche Blüthe (Luise war achtzehn Jahre alt) interessant und durch Adel der Seele erhöhet wird? Sie hatte gelbe deutsche Haare und blaue Augen. In allen ihren Gebärden herrschte eine unnachahmlich natürliche Grazie, die doch auch nicht das Mindeste der Kunst abgelauert hatte. Sie war in einem einsamen Kloster, aber unter guten, einträchtigen, frommen Mädchen erzogen worden, erst seit wenig Wochen wieder im väterlichen Hause und also ganz unbekannt mit den Verderbnissen und, zu ihrem Glücke, auch mit dem eigenen Gefühle der mancherley Leiden dieser Welt. Noch hatte ihr Herz keinen einzigen geheimen Wunsch gehegt, keine heftige Leidenschaft die Ruhe ihrer sanften Seele gestört, keine Kränkung von andern Menschen ihre heitre Laune verstimmt, kein Gram und keine Art von Unregelmäßigkeit, bey der einfachsten Lebensart, an der Knospe ihres Lebens genagt. Die einzigen trüben Augenblicke machte ihr der Anblick fremder Noth. Da half sie dann, wenn sie konnte, oder tröstete, oder wo sie beides nicht vermochte, da trauete sie auf den allmächtigen und allgütigen Tröster aller Leidenden, der warme Winde wehen läßt, wenn das Schaf geschoren ist. Von der damals Mode werdenden ekelhaften Empfindsamkeit wußte sie so wenig als von dem furore anglicano. Sie schmolz nicht in Wonnegefühl dahin, fiel nicht in Ohnmacht, wenn eine Fliege ertrank, und hatte nie mit Siegwart gewinselt noch mit Ophelien geraset. Sie war stets fröhlich und glücklich, dabey von jedermann geliebt und gegen jedermann wohlwollend und zutraulich. Ein unbefangener, heller Verstand, ohne Schnörkel der feinen Modekultur, ein treffender, origineller Witz, der sich auf die bezauberndste Weise, nicht zu oft und nicht zu selten, aber immer am rechten Orte, in den naivesten, humoristischen Einfällen ergoß und nicht ein einziges Bildchen erborgte, eine richtige, unbestochene Beurtheilungskraft und endlich eine gänzliche Plan- und Anspruchslosigkeit – Das alles machte Luisen zu einem seltenen Phänomen in unsern Zeiten.

Ludwig hatte, wie bekannt, sehr nachtheilige Begriffe vom weiblichen Geschlechte gefaßt. Er war dabey ausschweifend, und zwar systematisch, denn überzeugt, daß jeder Mensch nach Gefühl handle und handeln müsse, glaubte auch er, es nicht andern zu können, seinen Trieben zu folgen. Seit einiger Zeit hatte er sich von allem Umgange mit gesitteten Frauenzimmern zurückgezogen, und gerieth er ja irgendwo in eine solche Gesellschaft, so führte er sich nicht (wie ehemals, als er weniger Praxin hatte) scheu und verlegen, sondern mit einer artigen, liebenswürdigen Frechheit auf, mischte verächtliche, bittre Anspielungen auf den Leichtsinn der Weiber, auch nicht selten Zweideutigkeiten in seine Gespräche, und da er leider! in einem Zirkel von Damen gewöhnlich ein paar fand, die diesen Scherz nicht nur verstanden, sondern wohl auch Freude daran hatten, so wurden seine Begriffe von der Tugend des andern Geschlechts dadurch nicht erhöhet. Hier nun, wo er nebst Storrmann den größten Theil des Tages mit Marien und Luisen und andern jungen Leuten aus der Nachbarschaft allein zubrachte, indes die Alten nahe am Ofen von Krieg und Frieden, von guten und bösen Zeiten und dergleichen sprachen, wollte er auch seinen gewöhnlichen Ton von muthwilligem Scherze anstimmen; allein er sah, daß diese Art von Witz hier am unrechten Orte stand, und der Graf, welcher theils bekannter mit der Denkungsart, die hier herrschte, theils auch wirklich für sein Alter schon ein feinerer Weltmann war, machte ihm bald begreiflich, daß er umlenken müßte. »Also wollen die beiden Mädchen die unschuldigen Vestalinnen spielen?« sagte Ludwig abends, als sie auf ihrem Zimmer allein waren, zu Storrmann. »Du wirst schon selbst sehn«, antwortete Dieser. »Ich kann Dir nichts weiter sagen, aber wenn noch irgendwo Unschuld und Tugend herrschen, sey es nun aus festen Grundsätzen oder aus glücklicher Unwissenheit, so findest Du sie hier. Ich will wohl glauben, daß diese Mädchen verführbar sind wie alle Andern; aber wehe dem, der einen unedeln Plan auf sie machen könnte! Ich habe tausendmal in dem Umgange mit diesen engelreinen Geschöpfen meine Erfahrungen, meine Menschenkenntnis und, grade herausgesagt! meine Verderbnisse verwünscht. Wie glücklich müßte ein Mann seyn, der, wenn er noch nicht wie wir an immer wechselnde grobe, sinnliche Freuden gewöhnt, noch nicht das Gefühl für Unschuld und Einfalt verloren hätte, ein solches Weib zur Gattin wählte!« – »und mit ihr in eine Wüste zöge, damit sie nicht in den ersten Monaten des erbaulichen Ehestandes von Andern bessern Unterricht bekäme«, fiel ihm Seelberg in die Rede und fügte noch manches auf seine Manier hinzu, um den Grafen zu überzeugen, daß bloß die (obgleich eines so ausgelernten Weiberkenners unwürdige) Liebe zu Marien ihn zu der lächerlichen Schwärmerey von Glauben an Unschuld und Treue verleitete; daß er allenfalls zugestehen wolle, daß beide Fräulein von Wallenholz noch unverderbte Sitten und Grundsätze hätten; daß es aber an nichts als an Gelegenheit und Verführung fehlte, um aus ihnen zu machen, was alle Übrigen wären. »Und wer leugnet das?« rief Storrmann. »Haben sie nicht Fleisch und Blut? Aber soll ich deswegen weniger ein schönes Kleid bewundern, in Acht nehmen und seiner schonen, weil es leicht möglich ist, daß boshafte Menschen mir muthwilliger Weise Flecken darauf machen können? Respektiere wenigstens die glückliche Unwissenheit, und mache keine Jagd auf diese Mädchen, solange es noch genug Andre gibt, deren Herzen schon von den Verderbnissen des Zeitalters angesteckt sind!« Ludwigen waren diese Grundsätze gewiß weder fremd noch zuwider, nur wunderte es ihn, den leichtfertigen Grafen also deklamieren zu hören. Allein schon am folgenden Tage empfand er mit Beschämung, daß Storrmann ihm nicht zu viel gesagt hatte; Luise machte sehr lebhafte Eindrücke auf ihn, Eindrücke von Verehrung und Bewunderung, die auf einmal das Andenken an seine verstorbene edle Mutter, das nun lange in seiner Seele geschlummert hatte, lebhaft hervorriefen. Die, ich möchte fast sagen, ansteckende Güte des holden Mädchens ließ ihn zum erstenmal seit geraumer Zeit wieder etwas empfinden, das Gewissensvorwürfen und einem Wunsche nach Rückkehr zur Tugend ähnlich war. Er fühlte sich innerlich tief unter Luisen, und seine kraftmännische Selbstgenügsamkeit, die Erhabenheit, womit sein hohes Genie über alle mittelmäßigen Erdensöhne und Töchter hinwegzusehn pflegte, neigte wider Willen ihr Haupt vor der einfachen, prunklosen Würdigkeit eines Mädchens, das weder gelehrt war noch übermäßig klug zu seyn schien – So sicher triumphieren Gradheit und Einfalt und nöthigen Bewunderung und Huldigung selbst den Verächtern und Spöttern der Tugend ab. Allein eben dieser Grad von hoher Bewunderung, wovon Ludwig für das jüngste Fräulein von Wallenholz erfüllt wurde, zog eine Grenzlinie zwischen ihm und ihr und verhinderte, daß sein Herz damals nicht eigentlich Liebe für sie empfand.

Die Bemerkung, daß Freundschaft unter Personen, deren eine von irgendeiner Seite ein merkliches Übergewicht über die andre hat, nicht leicht vertraulich, enge geknüpft werden noch dauerhaft Stand halten könne, ist ziemlich alt und gemein; ob das Nämliche in allen Fällen von der Liebe zu sagen sey, will ich nicht entscheiden. Man hat da freilich Beispiele, daß der blinde Gott zuweilen Herzen von sehr verschiedenem Werthe, Maß und Gewichte für einander in Flammen setzt; aber dennoch getraue ich mir zu behaupten, daß, wenn das geschehen soll, alsdann die Eitelkeit dem geringern Theile an eingebildetem Werthe zusetzen müsse, was ihm an wahrhaftem abgeht, so daß er sich, in der Verblendung, von manchen Seiten ebenso hochschätzen zu dürfen glaubt als die Person, welche er liebt. Wo hingegen die innere Überzeugung uns immer sagt und es nicht verbergen kann, wie wenig wir im Stande sind, die Höhe zu erreichen, auf welcher wir den andern Gegenstand erblicken; da kann vielleicht Bewunderung, aber es wird da nie Liebe Statt finden. Man liebt nicht ein Wesen, an welches man immer hinaufschauen muß, wenn die geheime Furcht übrigbleibt, es möchte dasselbe sich nicht gern nach uns herunterbücken wollen.

Das allgewaltige Gefühl der Liebe also, welches Ludwigen einst zu Julien hingerissen hatte, empfand er itzt für Luisen nicht, aber dagegen ein Behagen, eine Wonne in ihrem Umgange, die unbeschreiblich süß war. Er wagte es von dem zweiten Tage an kaum mehr, mit Storrmannen von ihr zu reden. War es Verlegenheit darüber, daß er nicht wußte, was er mit dem Systeme seiner freien Grundsätze itzt anfangen sollte, oder was war es? – genug! er nannte ihren Namen nicht, dankte aber dem Grafen mit Wärme dafür, daß er ihn mit diesen guten Leuten bekannt gemacht hätte, und versicherte oft, er sey in Jahr und Tag nicht so zufrieden gewesen als hier. Auch zeigte er das in seinem ganzen Betragen; seine Laune nahm wieder eine sanfte, gefällige Wendung; er war milder in seinen Manieren; seine Unterhaltung hatte Lebhaftigkeit, ohne in wilde Fröhlichkeit auszuarten, sein Witz war gewürzt, ohne Satyre und ohne Zwang, und Luise, das gute, sanfte, unschuldige Mädchen, fühlte, hingerissen von den wahrlich bezaubernden Annehmlichkeiten unsers jungen Menschen, zum erstenmal in ihrem Leben eine so heftige Leidenschaft für ihn, daß sie beinahe nicht Meister über sich war, dies vor aller Leute Augen zu offenbaren. Sie, die fast aus der Wiege in das Kloster war gebracht worden, dort außer einem alten, garstigen, schmutzigen Beichtvater, dem sie die Hände hatte küssen müssen, und außer einem paar Vettern der Priorin, davon der Eine ein Tölpel von Juristen aus Erfurt, der Andre ein Windbeutel von Offizier, nie mit einer Mannsperson länger als vielleicht eine Stunde lang umgegangen und nun erst seit wenig Wochen in dem einsamen väterlichen Dorfe wieder angekommen war, konnte wohl freilich von einem liebenswürdigen jungen Menschen, wie man denn doch wirklich Seelbergen dafür anerkennen mußte und der sich aller Vortheile einer feinen und gelehrten Erziehung bediente, um sich von einer glänzenden und gefälligen Seite zu zeigen, eingenommen werden. Mit der ihr so eigenen Offenherzigkeit bekannte sie Marien, die Thränen in den Augen, ihre Schwachheit. Diese (ich habe vorhin kein Gemälde von ihr entworfen) war an Vorzügen des Kopfs und Herzens weit unter ihrer Schwester, aber ein sehr wackres, interessantes, aufgewecktes und braves Mädchen, doch, bey strenger Tugend, mehr mit der Welt bekannt, weil sie in Würzburg bey einer Verwandtin war erzogen worden. Sie rieth Jener, die Empfindungen ihres Herzens nicht offenbar werden zu lassen, wenigstens nicht eher, als bis sie erforscht haben würde, ob Seelberg gleiche Triebe für sie fühlte; Luise versprach es; aber fremd mit allem, was Verstellung ähnlich sah, blieb der Zustand ihres Herzens doch nicht lange ein Geheimnis vor den beiden Jünglingen. Indessen muß ich es Seelbergen zur Ehre nachsagen, daß er diese Entdeckung nicht aus dem Gesichtspunkt einer bonne avanture ansah, sondern, daß er gerührt von zärtlicher, hochachtungsvoller Dankbarkeit, daß sein Umgang mit Luisen von dem Augenblicke an wärmer, aber ehrerbietiger wurde und daß kein unedler Gedanke dabey in sein Herz kam. Welch ein herrlicher, glücklicher Zeitpunkt wäre das für ihn gewesen, wenn solche sanftere Eindrücke hätten festere Wurzel schlagen können, wenn er den Umgang mit diesem vortrefflichen Mädchen nicht so bald wieder hätte entbehren müssen, wenn dieser Umgang ihn wieder auf den Weg der Tugend zurückgeführt und ein treuer, weiser und redlicher Freund diese glückliche Stimmung genützt hätte, um ihn dann im Guten zu befestigen! Allein es sollte nicht also seyn. Wenig Tage noch konnten die jungen Leute auf dem Landgute des Herrn von Wallenholz verweilen, und diese Tage strichen für Alle nur zu kurz dahin. Unterdessen fing Seelberg in der That selbst an zu glauben, auch er liebe Luisen. Er fühlte, wie sie ihm jeden Augenblick interessanter und wie schwer es ihm wurde, sich von ihr zu trennen. Er bekannte dies dem Grafen Storrmann; aber eben dies Bekenntnis und die ruhige Gemüthsverfassung, in welcher der junge Herr dabey war, sagten Diesem (der, so wie wir, besser wußte, welche Symptome die Liebe bey einem so feurigen Jünglinge, als Ludwig war, zu zeigen pflegt) deutlich genug, er betröge sich und ihn. Storrmann war so redlich, seinen Freund zu beschwören, er solle wenigstens das gute Mädchen nicht täuschen, welches Dieser denn auch versprach und hielt. Sie trennten sich also ohne eine Erklärung; Luise weinte die ganze Nacht durch vor der Abreise des Geliebten und hatte alle Mühe bey dem Abschiede, indem sie auf ihrer Schwester dringendes Bitten sich zurückhielt, vor innerm Kampfe nicht in Ohnmacht zu sinken. Ludwig ersuchte sie ehrerbietig und zärtlich um das Glück, mit ihr einen Briefwechsel zu führen, und bat die Eltern um die Erlaubnis, bald einmal wiederkommen zu dürfen. Beides wurde ihm auf die freundlichste Art gestattet, und die jungen Herrn ritten nach Göttingen zurück. Hier nun gerieth Seelberg wieder in seine vorige leichtfertige Gesellschaft und wirtschaftete auf den alten Fuß fort, doch versäumte er nicht, den Briefwechsel mit dem Fräulein von Wallenholz anzufangen, und sooft ein paar Zeilen von ihr ankamen (die immer in den Ausdrücken warmer Freundschaft, nicht außerordentlich schön, aber gut und natürlich geschrieben waren), redete er mit Storrmannen von den beiden Schwestern, versicherte, er denke ohne Aufhören an Luisen, liebe sie zärtlich, habe sich fest vorgenommen, seine Lebensart zu ändern, und wünsche sich kein größeres Glück, als einst eine solche Gattin zu besitzen. Der Graf antwortete nicht viel auf dergleichen, wurde auch bald darauf unvermuthet von seinem Vater, der auf dem Totenbette lag, zurückberufen, und Ludwig verlor dadurch den Umgang eines Freundes, der unter den übrigen jungen Leuten seines Zirkels gewiß einer der Besten war.

Um aber die Leser mit den fernen Schicksalen dieses Jünglings, der noch oft in unsrer Geschichte wieder auftreten wird, bekannt zu machen, füge ich Folgendes hinzu: Der junge Graf kam kurz vor seines Vaters Abschiede von der Welt zu Hause an. Des redlichen Greises warnender, liebevoller Zuspruch auf dem Sterbelager, nachher der Umgang mit seinen Geschwistern und Verwandten, die insgesamt verständige und redliche Leute waren, verbunden mit den guten Vorsätzen, die er schon, seit er Marien von Wallenholz liebte, in der Stille gefaßt und die er, vielleicht aus einer Art von falscher Scham, vielleicht aus Ungewißheit, ob er stark genug seyn würde, diese guten Vorsätze auszuführen, vielleicht auch endlich deswegen verschwiegen hatte, weil er glaubte, es sey besser, das Gute zu thun, als viel davon zu reden; das alles wirkte in ihm eine gänzliche Änderung des Sinnes und der Aufführung. Er fing an, sich ernstlich seiner häuslichen Geschäfte anzunehmen, bewarb sich um eine Bedienung im Lande und erhielt dieselbe. Nützliche Beschäftigungen töten die Laster, welche Müßiggang oder herumschweifende Thätigkeit erzeugt haben. Nachdem er einmal eine Zeitlang auf diesem guten Wege mit festen Schritten fortgewandelt war, dachte er daran, sich zu verheirathen. Er bot seine Hand Marien an, erhielt von ihr und den Eltern das Jawort, holte sie ab, und Luise zog mit Bewilligung von Vater und Mutter zu den jungen Eheleuten, weil die beiden Schwestern sich nicht gern trennen wollten. Dies alles ging binnen etwa neun Monaten vor; Storrmann wurde ein treuer Ehemann und guter Hausvater – und nun wieder zurück zu Ludwigs von Seelberg Geschichte!


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