Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Dreizehntes Kapitel

Meine Leser werden sich vielleicht noch eines preußischen Hauptmanns erinnern, der schon ein paarmal in dieser Geschichte aufgetreten ist, und zwar zuerst in Ludwigs Jugendjahren, indem er denselben von dem übereilten Entschlusse, Soldat zu werden, ableitete, und dann in Leipzig , als sich unser Freund an ihn wendete, um aus der Verlegenheit gezogen zu werden, in welcher er sich befand. Nun bleibt man aber nicht ewig Hauptmann, besonders wenn man ein so guter und verständiger Mensch ist, als der Herr von Oberschirm war. (Mich dünkt, ich hätte Ihnen noch nie seinen Namen genannt.) Die Verdienste dieses wackern Offiziers blieben auch weder unerkannt noch unbelohnt. Er war schon damals, als Seelberg ihn in Sachsen antraf, Major, und bald nachher wurde ihm als Obristlieutenant die Werbung in eben der Reichsstadt anvertrauet, in welcher Alwerth und Seelberg lebten. Hier machte er Bekanntschaft mit einer reichen und artigen adeligen Witwe, heirathete dieselbe, und da er des Dienens müde, auch dreimal schwer verwundet war, so bat er um seinen Abschied, den er dann mit großer Mühe erlangte. Jetzt lebte er als ein freier Mann, in dem strengsten Sinne des Worts. Er hatte seine Jünglingsjahre angewendet, seinen Geist durch das Studium der Alten, besonders der griechischen Weltweisen, aufzuklären und zu stärken, und dabey hatte er seinen Körper abgehärtet und fest gemacht durch strenge Mäßigkeit und Ordnung. Da also weder Vorurtheile sein Gehirn umwölkten noch leere Fantasien und eitle Wünsche mit seinem stets von nüchterner Vernunft geleiteten Herzen ein unruhiges Spielwerk trieben, noch endlich Kränklichkeit, noch Schlaffigkeit, noch Verzärtelung, noch Reizbarkeit eines immer leidenden Körpers böse Launen und lose Begierden in ihm erregten, so handelte er zu jeder Zeit unwandelbar seinem festen Systeme gemäß, besonders seit der Zeit, da er gänzlich unabhängig nur sich selbst und seinem verständigen Weibe lebte, das sich bald gänzlich nach des Mannes Grundsätzen von Innen und Außen bildete. Ob dies System gut oder nicht, ob es in dieser Welt anwendbar, für jedermann passend und ob es für die Welt im Ganzen nützlich seyn würde, wenn alle Menschen darnach handeln wollten, das mögen die Leser selbst beurtheilen, nachdem ich die Grundsätze, worauf es beruhete, im folgenden Kapitel werde entwickelt haben. Nur so viel vor jetzt darüber! Es war ein System, das ihn höchst glücklich, frey, unabhängig, gesund, vergnügt und zufrieden erhielt und nach welchem (wie ich schon erinnert habe und ich von wenig Menschen in der Welt zu sagen mir getrauen würde) er immer unwandelbar konsequent handelte. Gewiß also gab es für den Herrn von Oberschirm kein besseres System. Eine Frage aber, die man billiger Weise aufwerfen kann, ist: wie ein Mensch, der von seiner ersten Jugend an, im Zwange des Soldatenlebens, von den Winken Andrer und von manchen Vorurtheilen abhängig gewesen war, zu einem so kühnen, freien Systeme gelangen konnte? Allein um diese Frage zu beantworten, müßte ich die ganze Lebensgeschichte des Obristlieutenants erzählen und seine intellektuellen und physischen natürlichen Anlagen, sein Temperament, kurz! alles schildern, was in diesem Erdenleben Einfluß auf unsre Systeme hat, und das würde mich sehr weit von meinem Zwecke ableiten – Lenken wir wieder ein!

Seelberg hatte die Bekanntschaft dieses Mannes erneuert und nebst Alwerthen seine Gesellschaft gesucht. Es war ein sogenannter gelehrter Club in *** errichtet; dahin kam Oberschirm wöchentlich einmal; übrigens hatte er beinahe gar keinen Umgang. Hier sahen ihn unsre beiden Weltreformatorn, redeten mit ihm von Gegenständen aller Art und bewunderten den Scharfsinn, die Gründlichkeit, die Klarheit der Begriffe, die Bestimmtheit im Ausdrucke und den Zusammenhang, der in Allem herrschte, was Oberschirm vorbrachte, seine ganz eigene körnichte Laune und endlich die seltene Freimüthigkeit, mit welcher er jedesmal über alles seine wahre, grade Meinung heraussagte, und zwar oft sehr kräftig und schneidend, ohne die geringste Rücksicht auf Personen und andre Umstände zu nehmen. Die Wahrheit, pflegte er zu behaupten, stifte immer Nutzen, schlage Wurzel auch da, wo sie mit Widerwillen aufgenommen werde, und sollte man auch die Frucht der Körner, die man säet, erst spät oder nie gewahr werden. Ihn kümmerte es wenig, ob der Herr, dem er die Wahrheit sagte, es ungnädig aufnahm oder nicht, denn er verlangte niemands Gunst als die des verständigen Mannes, und die verlor er nicht dadurch.

Es läßt sich begreifen, daß unsre beiden Helden auf diesen geschickten, helldenkenden und festen Mann gar bald Jagd machten, um denselben mit in ihren Welt und Menschen umschaffenden Plan zu ziehn; sie suchten daher alle Gelegenheit auf, von Glück der Welt, von Aufklärung, von Freiheit und von dergleichen großen Modegegenständen mit ihm zu reden. Schon hatte Seelberg ein Jahr hindurch nach dem Systeme gearbeitet und manchen widrigen Vorfall erlebt, aber überwunden, als eines Tages Einer von der Zunft auf einer Apostelreise zu ihm kam. Um Diesen nun mit den merkwürdigsten Leuten in *** bekannt zu machen, wollte er ihn auch zu dem Herrn von Oberschirm führen. Er ging also voraus, den Fremden anzumelden, und Alwerth sollte mit demselben nachfolgen. »Ich komme«, sagte Seelberg, als er zu Oberschirm in die Thür trat, »ich komme, Herr Obristlieutenant! um Ihnen einen Fremden zuzuführen, einen gescheiten Mann, einen Mann ohne Vorurtheile und der aller Orten Aufklärung zu verbreiten sucht.« – »Frau! Frau!« rief darauf Oberschirm, »dann hüte meinen Geldbeutel und unsre Tochter! Der Teufel traue heut zu Tage den Leuten ohne Vorurtheile und die aller Orten ihre Aufklärung verbreiten.« Aus dieser kleinen Probe können die Leser ungefähr die sonderbare Stimmung dieses originellen Mannes kennenlernen. Solche und ähnliche Scenen veranlaßten aber, daß Alwerth und Seelberg endlich einmal ganz deutlich mit ihm von der Sache sprachen und ihm ihren ganzen Plan ausführlich vor Augen legten. Nachdem sie alles wohl zergliedert hatten, antwortete ihnen Oberschirm ungefähr Folgendes:

»Ihr Plan macht Ihrem Herzen mehr Ehre als Ihrem Verstande. Das ganze Ding ist ein fantastisches Hirngespinst und wird, neben dem Schicksale aller menschlichen Anstalten, noch insbesondere das Schicksal solcher komponierten Maschinen erleben, und das sehr bald. Fast alle Vereinigungen der Menschen, die, solange die Welt steht, sind gestiftet worden, Verbindungen in Gesellschaften und Staaten, haben ungefähr auf den nämlichen Endzwecken beruht wie die Ihrige. Sogar die schlechtesten waren ursprünglich schwerlich je zum Triumphe der Bosheit und zu Unterdrückung des Guten gestiftet; aber sie wurden in der Folge von Jedem nach seinen Leidenschaften gemodelt und daher nach und nach, was Ihre Gesellschaft sehr früh werden wird und was sie (der ganzen Anlage gemäß, die zu allen schiefen Wegen Raum läßt, ja Fingerzeige gibt) werden muß. Ihnen dies weitläufig zu beweisen, würde verlorne Zeit seyn. Solche heiße Köpfe müssen durch Erfahrung klüger und gewahr werden, daß es in der Welt in natura ganz anders aussieht als auf dem Papiere. Ich lasse mich schon deswegen auf gar keine geheime Verbindung ein, weil ich von der Richtigkeit des gemeinen Satzes überzeugt bin, den man freilich jetzt als Volkswahn, als Pöbelsvorurtheil zu betrachten pflegt, der aber heilige Wahrheit enthält, nämlich: daß gute Werke nicht nöthig haben, das Licht zu scheuen. Kaum kann ich zugeben, daß es zuweilen nützlich seyn könne, etwas insgeheim zu lehren, daß es Wahrheiten gäbe, die man nicht aller Orten laut sagen dürfe; aber insgeheim wirken, das führt gewiß immer zu schiefen Streichen. Doch ich will gegen die übrigen geheimen Verbindungen nichts erinnern, sondern jetzt nur von der Ihrigen reden, und da muß ich bekennen, daß ich die ganze Theorie, worauf Ihr System gegründet ist, von Grund aus falsch sowie Ihre Mittel höchst unzweckmäßig finde.

Es ist nicht wahr, daß in dieser Welt alles verkehrt hergeht. Es geht alles so, wie es nur allein und nicht anders gehn kann. Die Zeit bringt zur Reife, was wir uns vergebens bemühen würden, mit unsern Operationen zu beschleunigen.

Es ist nicht wahr, daß die Menschheit tief gefallen ist; sie ist noch so, wie sie zu Salomons Zeiten war. Ich bin sehr zufrieden von der Welt, und Jeder kann es seyn, der auf seinem Flecke, ohne sich an andre Menschen zu kehren, seine Bestimmung in seinem Hause erfüllen will. Die Weltreformatorn sind (versteht sich, Sie ausgenommen!) mehrentheils ganz erbärmliche Männlein, die an sich selbst noch genug zu reformieren hätten, wenn es ihnen ein Ernst mit der Reformation wäre, und dann würde ihr Beispiel mehr Gutes bewirken als ihr loses Einmischen in fremde Händel.

Es ist nicht wahr, daß die Bösen den Meister spielen! Freilich tragen wohl mitunter Schurken und Pinsel Ordensbänder und Scepter, haben Reichthümer und geben Befehle; aber der Weise und Gute ist immer Herr und frey, wenn er über sich selbst Herr ist, wenn er seine Begierden bezähmen lernt, und er kann mehr als reich werden, wenn er sich von Vorurtheilen losreißt, wenig Bedürfnisse hat, und dann kann ihn kein Mensch auf Gottes Erdboden zum Sklaven und zum Bettler machen. Er wird König seyn hinter dem Pfluge und des Tyrannen lachen, der zwar Millionen Menschen auf die Schlachtbank führt, aber tanzen muß nach der Pfeife einer Hure oder eines Kammerdieners und unruhige Nächte hat, wenn er zu viel frißt oder wenn närrische Fantasien ihm den Kopf verwirren und schändliche Lüste sein Herz umwühlen. Niemand kann mich fesseln, wenn ich meinen stillen, graden Weg fortgehe. Es gibt wenig Länder in der Welt, in welchen man den ruhigen Bürger ohne weitre Umstände berauben und zu Grunde richten dürfte, und noch wenigere, aus denen ich nicht auswandern könnte, wenn ich den elenden Quark im Stiche lassen will, der ohnehin den Weisen nicht glücklich macht. Ich finde dann aller Orten Brot, wenn ich meine gesunden Glieder brauchen will, und was mir ein Despot nehmen kann, das ist nicht des kleinsten Wunsches eines verständigen Mannes werth.

Es ist nicht wahr, daß die Weisen und Bessern unthätig sind; aber sie sind thätig nach der natürlichen Ordnung, wirken mit Vernunft zuerst das Nahe, vor Augen Liegende, finden dann dabey so Vieles zu thun, daß sie an das Entferntere gar nicht denken können, und thäte Jeder ein Gleiches, so würde alles gutgehn. Wir haben es übrigens gar nicht zu verantworten, wenn Andre nicht ein Gleiches thun. Sie, mein Herr von Seelberg! haben nun seit ein paar Jahren fremde Menschen erzogen, und neulich habe ich von ungefähr Ihren eigenen Sohn mit seinem Hofmeister gesehn; da habe ich gefunden, daß der Junge ein ungezogener Bube und sein Hofmeister ein Taugenichts ist; allein, daran haben Sie bis itzt nicht Zeit gehabt zu denken, weil Sie mit wichtigern Dingen beschäftigt waren – Sehen Sie aber! das sind die Folgen Ihrer weitaussehenden Pläne!« (Die Sache war wirklich wahr, und ich wüßte nicht, was aus dem Knaben geworden seyn würde, wenn Seelberg nicht bald nachher von seinem Systeme zurückgekommen wäre.)

»Wenn Ein Mensch nur einen, höchstens zwey Menschen bilden kann; wenn dies seine ganze Aufmerksamkeit, seinen ganzen Fleiß erfordert, wie es doch gewiß ist, so fangen Sie doch um Gottes Willen erst bey Ihrem Weibe, bey Ihrem Kinde, bey Ihrem Gesinde an, mit dem die Natur Sie in Verbindung gesetzt hat, und ermuntern Sie Jeden, durch Lehre und Beispiel ebensoviel zu thun und sich seine häuslichen Pflichten angelegen seyn zu lassen! Dann thun Sie alles, was man von Ihnen verlangen kann. Dazu bedarf es aber keiner Hilfe von geheimen Machinationen. Oder haben Sie zu der Erziehung kein Talent, keinen Beruf, so übernehmen Sie ein Amt im Staate, gleichviel welches! das erste, das beste, und thun Sie da, was ein andrer, minder guter und weiser Mann nicht thun würde!

Ihre Idee von Fürstensanktion ist so ziemlich nach dem Geschmacke der neuern jungen Philosophen; aber versuchen Sie es einmal, wenn Sie können, die Meinung allgemein gelten zu machen: daß Jeder sich selbst regieren könne oder daß nur der Weisere das Recht habe zu befehlen, und sehen Sie zu, ob Sie nicht in jedem Dörfchen hundert Weisere finden, die Alle, mit dem Knüttel in der Faust, sich einander ihren Herrschersberuf vordemonstrieren werden! Und dann würde das alte Lied wieder von vorn angehn, denn der, welcher den besten Prügel führt, wird Sorge tragen, daß ihm die Andern nicht wieder in die Haare gerathen können, das heißt: er wird einen Staat errichten. Eine Staatsverfassung ist freilich besser als die andre; aber im Ganzen sind die unsrigen so übel nicht, und nach gesunden Begriffen von Freiheit kann jeder verständige Mann in Republiken so wie in Monarchien, Oligarchien u. s. f. frey seyn. Und was Ihre Exklamationen gegen Pfaffenkünste betrifft, so können auch die einem freien Manne nicht schaden. Wer sich von Pfaffen etwas aufhenken läßt, dem geschieht schon Recht, wenn sie ihn zu einem Tölpel, zum Bettler oder zum Sklaven machen.

Allgemeine Aufklärung, allgemeines Glück auf Erden, allgemeines Sittenregiment; Schlaraffenland! – Du lieber Himmel! haben Sie denn gar nichts gelesen? Wissen Sie denn nicht, daß schon vor beinahe zweitausend Jahren die klügsten und thätigsten Männer überzeugt waren, das alles seyen kindische Chimären?

Warum die Menschen leichter zum Bösen als zum Guten in Feuer zu setzen sind? Ey! weil das Böse mit unsern herrschenden Leidenschaften und Begierden übereinstimmt, die sich nicht wegphilosophieren lassen, die ohne Unterlaß in uns arbeiten, die Tugend hingegen Kampf, Verleugnung erfordert, wozu nur wenig Menschen fähig sind, weil die Folgen der Tugend weiter entfernt scheinen, der schöne Genuß aber des Verbotenen ganz nahe vor uns ist und das Nahe lebhaftere Eindrücke macht als das Entfernte. Der, welcher wegnimmt, wenn er sicher zu seyn glaubt, nicht ertappt zu werden, genießt in dem Augenblicke, da er zugreift und sieht, was er hat, sobald er es festhält; der Freigebige, welcher weggibt, entbehrt in dem Augenblicke, da er hinschenkt, und der künftige Segen und die Freude, welche dies ihm eintragen kann, das alles steht weit in der Zukunft, vielleicht in jener Welt zu erwarten. Doch ließe sich noch wohl, was den Eigennutz betrifft, träumen, man könne so sehr das Übergewicht in der Welt erlangen, daß man den Redlichen auch schon hier den Lohn seiner Großmuth einernten ließe (obgleich dem wahrhaftig Edeln das gar nicht einfällt, an der Tugend Desjenigen aber, dem dies einfällt, wenig gelegen ist); allein was wollen Sie denn mit den Begierden anfangen, die unmittelbar in dem Körperbaue ihren Grund haben, wozu ein innerer Reiz unaufhörlich treibt und gegen Ihre Philosophie kämpft? Beweisen Sie einmal einem Wollüstigen, einem Menschen, der Hang zu unzüchtigen Ausschweifungen hat, beweisen Sie ihm das Interesse, züchtig zu seyn, und sehen Sie zu, ob er weniger oft zu seiner Maitresse schleichen wird, wenn die körperlichen Begierden in ihm dringend werden! Oder gibt es vielleicht gewisse privilegierte Laster, die Sie Ihren Zöglingen erlauben, zum Beispiel, ein bißchen Unzucht treiben? – Nun! so haben Sie denn nie überlegt, wie leicht der Mann, dem man erlaubt, zu seiner Maitresse zu schleichen, einer Buhlerin zu gefallen, Tyrann, bestechbarer Richter, Mörder und alles werden kann, und wie Mancher, dessen erster Fehltritt ein Räuschchen war, nachher Verbrechen auf Verbrechen häufte, bis er sein Leben auf dem Rade endigte?

Sie wollen eines Jeden Lieblingsleidenschaften zu guten Zwecken leiten? Ich hoffe, Sie verstehen das nur von Leidenschaften edlerer Art, wie etwa vom Ehrgeize, denn sonst möchte ich doch sehn, wie man es etwa anfangen könnte, Geldgier, Wollust u. dgl. zu guten Zwecken zu nützen.

Es ist nicht wahr, daß man sich der nämlichen schlauen Mittel zum Guten bedienen könne und dürfe, welche die Jesuiten zum Bösen angewendet haben. Erstlich werden Sie doch wohl einräumen, daß man sich wirklich schlechter Mittel auch zu den besten Zwecken nie bedienen dürfe; nun nenne ich alles schlecht, was zu Winkelzügen führt. Das Ausspähen aber und Erforschen der Menschen, das Kontrollieren, das Studieren der herrschenden Leidenschaften, das Bestreben, Jeden in der Verbindung finden zu lassen, was er sucht, folglich das ganze System unter tausendfachen Gestalten darzustellen, nach Zeit und Umständen, das Verfolgen oder vielmehr in Schrecken setzen Derer, die Einen von den Ihrigen antasten, das alles leitet zuverlässig zu Ränken und Kabalen, zu Falschheit, Verstellung, Jesuitismus, und würde also Ihre Sache verderben, wäre sie auch die beste Sache – Doch, zergliedern wir auch ein wenig genauer Ihre Mittel, Ihren Operationsplan!

Sie wollen alle Ihre Leute auf Einen Ton stimmen? – Nun! das wäre denn wohl die verderblichste Arbeit, die Sie treiben könnten – Gott sey gedankt für die herrliche Verschiedenheit der Stimmungen, der Meinungen, der Wünsche, Richtungen, Temperamente und Lebensarten unter den Menschen! Ich möchte nicht einen Augenblick leben unter einem Haufen solcher abgerichteten Puppen, die wie in einem Jesuitenkollegio Alle einerley Schnitt, einerley heilige, bescheidene Miene hätten, einerley Gebärden, einerley Sprache führten, nicht anders als mit Entzücken von den hochwürdigen Obern sprächen und denn doch den Teufel im Herzen führten; denn den alten Belial, der in jedem Erdenkloße auf eine andre Manier sein Spiel hat, treiben Sie doch aus Ihren ganz gehorsamen Zöglingen nicht heraus. Zum Glück aber lassen sich auch außer den Heuchlern und einigen Enthusiasten, die aber nicht lange Stich halten, nur höchst mittelmäßige Menschen in einen solchen geistig-moralisch-politisch-scientifischen tourne-cuisse einschrauben; die Übrigen springen heraus und halten sich an die bürgerliche Gesellschaft, in welcher sie wahrhaftig, bey allem Zwange, doch mehr Freiheit im Denken und Handeln finden als unter dem Schütze Ihrer Freiheit und Gleichheit predigenden Obern – Kurz! Sie reden immer von Freiheit und wollen doch alle Menschen in Ihre Form gießen; Sie wollen, daß Jeder sich selbst regieren solle, und verlangen doch blinden Gehorsam; Sie wollen, daß nur die Weisen herrschen sollen, und erlauben doch Ihrem Jünger nicht, die Leute zu kennen und zu prüfen, von denen er Befehle empfängt. Sie sagen zwar, Sie forderten nichts, als was zu eines Jeden Glück gereichte, verlangen aber dagegen, daß Jeder den unbekannten Führern auf ihr Wort glauben solle, alles was ihm befohlen werde, gereiche zu seinem Glücke. Er soll das Ganze nicht übersehn, weiß also nicht, wohin mancher Wink am Ende führt, da doch auch der böseste Plan in ein sehr reizendes Gewand gehüllt seyn kann. Da Sie ferner keine öffentlich privilegierte Zwangsmittel haben, folglich Jeder, der Ihnen trotzen will, sich in die Arme der bürgerlichen Gesellschaft werfen kann, so müssen Sie, um Furcht zu erregen, zu kleinen verfluchten Ränken und Neckereien Ihre Zuflucht nehmen – und heißt das nicht, dem Geiste der Intrigue und Kabale, dem ärgsten Verfolgungsgeiste, unter der Hülle des Geheimnisses Thor und Thür öffnen? – Und welchen Ersatz können Sie gegen alle diese wahrhaftig tyrannische Sklaverey versprechen? Sind Sie gewiß, daß Sie je so viel Macht erlangen werden, Ihre treuen Anhänger, die, welche sich Ihnen aufopfern, gegen unbillige, mißtrauische Landesregierungen, gegen Schicksale, gegen Kabalen andrer geheimen Gesellschaften schützen zu können? Und müssen Sie nicht auch dazu wiederum heimliche, gefährliche Mittel einschlagen?

Sie wollen alle Vorurtheile bekämpfen! Sagen Sie mir doch, meine Herrn! was eigentlich Vorurtheil ist und woran ich es erkennen soll, daß Sie von allen Menschen, die je in der Welt gelebt haben, die Einzigen sind, die, ganz rein von allen Vorurtheilen, einen so hohen Grad von heller Vernunft besitzen, daß Sie in dieser irdischen Hülle das ewig unwandelbar Wahre von dem Irrigen unterscheiden können!

Ihre wissenschaftlichen Operationen möchten wohl viel Zeit wegnehmen und nur lauter mittelmäßige Fabrikgelehrte und Buchstabenmenschen aus Ihren Zöglingen machen, doch ist dieser Theil Ihres Plans gewiß der unschuldigste.

Viel gefährlicher aber sind Ihre politischen Operationen. Ihre Günstlinge auf Unkosten andrer, vielleicht viel besserer Menschen, die aber unglücklicher Weise nicht Ihrer Armee dienen, aller Orten hinaufschieben und an die Spitze setzen zu wollen, das ist ein sehr ungerechtes Unternehmen, das offenbar in die Rechte der Staaten greift.

Das Kontrollieren der Handlungen Andrer, das Aufsammlen von Anekdoten, das öffentliche an den Pranger Stellen, wie Sie es nennen, ist nicht weniger impertinent. Wer gibt Ihnen dazu ein Recht? Wer macht Sie zum Richter über die Handlungen Ihrer Brüder? Sorgen Sie doch für Ihr Haus! Niemand kann mehr als ich ein Vertheidiger der Publizität seyn, aber wohl verstanden! wer öffentlich anklagt, der muß sich auch öffentlich als Ankläger nennen. Heißt das Publizität, wenn ein geheimer Ankläger einen Mann öffentlich beschimpfen darf? Wäre ich ein Fürst, so würde ich Jeden schützen, der mit seines Namens Unterschrift auch gegen die Vornehmsten im Staate, ja! gegen mich selbst aufträte und ein Bubenstück bekanntmachte; aber wehe dem Journalisten, der mir mit einer anonymen Beschuldigung angezogen käme; und wäre sie auch wahr – Es müßte denn seyn, daß er ein Aktenstück, ein Dokument vorbrächte, wodurch das Faktum bewiesen wäre; dann thäte freilich der Name nichts zur Sache – Außerdem sollte er mir in dem Zuchthause raspeln, bis er den Einsender preisgäbe.

Dies alles, meine Herrn! haben Sie wohl nicht so genau durchgedacht und werden auch wohl jetzt nicht die Stärke meiner Gründe fühlen, weil Sie nicht mit kaltem Blute urtheilen; die Erfahrung aber wird Sie überzeugen, daß ich Ihr System von der rechten Seite angesehn habe. Es wird scheitern, oder Sie müßten es denn gänzlich nach andern Grundsätzen umarbeiten; doch zum Glücke der Welt führen solche künstliche Anlagen in sich selbst den Keim der Vergänglichkeit mit sich, und schwerlich werden Sie mir irgend etwas dauerhaft Gutes erzählen können, das durch dergleichen Verbindungen in der Welt wäre gestiftet worden.«


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