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Ich habe vorhin versprochen, ein paar Handlungen von Seelberg zu erzählen, die er auf der Reise ausübte und die Dir, lieber Leser! beweisen sollten, daß dieser junge Mensch noch nicht so sehr verderbt war, daß er nicht fähig gewesen wäre, zuweilen zu bessern Gefühlen zu erwachen, gute Thaten mit Entschlossenheit zu begehn und mit Wärme und Uneigennützigkeit zu handeln – Hier ist die Erzählung davon!
Als er an einem Nachmittage in Berlin allein durch eine von den schlechtesten Gassen ging, sah er am offnen Fenster eines mittelmäßigen Hauses im obersten Stockwerke ein junges hübsches Frauenzimmer stehen, die ein Tuch vor ihre Augen hielt, als wenn sie weinte, doch aber, sobald sie ihn gewahr wurde, sich zu einer heitern, anlockenden Miene zwang und ihn unabläßlich mit den Augen begleitete. Da Seelbergen diese Augensprache nicht unbekannt war; da das Ansehn des Hauses, darin das Mädchen sich aufhielt, und ihr ziemlich bescheidener, reinlicher Anzug ihn berechtigten, zu glauben, es sey dies Frauenzimmer weder ein öffentliches Freudenmädchen noch auch zu strenge gesinnt; da ferner der Umstand, daß sie geweint hatte, das Abentheuer doppelt interessant machte, so blieb Ludwig einen Augenblick nicht fern vom Hause stehn, betrachtete so, daß die Schöne seine Absicht merken konnte, das Gebäude genau, um es wieder zu kennen, nahm hierauf freundlich seinen Hut ab, sah noch einmal starr nach der Hausthür hin, dann nach dem Fenster hinauf und ging fort.
Als er nach Hause kam, schickte er den Jäger Triller aus, der, im Vorbeigehn zu sagen, sein Merkur in Liebesangelegenheiten war, beschrieb demselben Gasse und Haus und trug ihm auf, sich zu erkundigen, wer das Mädchen sey und wie er es anfangen könne, sie zu sprechen. Triller, welcher vormals bey einem Domherrn gedient hatte, wußte mit solchen Geschäften vortrefflich umzugehn. Er machte sich auf den Weg, noch ehe es dunkel wurde, ging grade in das Haus und stieg die Treppe hinauf, ohne sich zu besinnen, bereit, wenn ihn jemand über seine Kühnheit angefahren oder ihn aufgehalten haben würde, sich mit der gewöhnlichen Entschuldigung, er habe das unrechte Haus getroffen, diesmal wieder zu empfehlen und eine andre Gelegenheit zu erlauern; allein er kam sicher bis vor das Zimmer und klopfte an; man rief: »herein!« und er öffnete die Thür, da er dann die Schöne mit dickverweinten Augen auf einem Ruhebette sitzend antraf. Herr Triller hielt einen Brief von Ludwig in der Hand, und so war denn sein Gewerbe bald angebracht. Das Billet enthielt: die gewöhnlichen Versicherungen von der Wirkung, welche die Schönheit der Demoiselle auf Seelbergs Herz gemacht, und den Wunsch, ihr diese Empfindungen persönlich an den Tag legen zu dürfen, wozu er sich die Erlaubnis nebst Bestimmung von Zeit und Ort ausbat und dafür die vollkommenste Erkenntlichkeit versprach. Das Frauenzimmer nahm diesen Brief sehr menschenfreundlich auf und ließ sich dem Herrn gehorsamst wiederempfehlen mit der Versicherung, obgleich sie nicht das Glück hätte, ihn zu kennen, so werde es ihr doch, wenn er etwas mit ihr zu reden hätte, viel Ehre seyn, ihn bey sich zu sehn. Sie überlasse die Stunde, wenn er kommen wolle, seiner Bestimmung; sie sey immer allein, ihr eigener Herr, und könne Besuche annehmen, von wem sie wolle.
Kaum hatte Ludwig diese Nachricht vernommen, so machte er sich auf den Weg zu seiner Schönen. Er fand sie geputzter als vorhin, doch aber in der That sittsam genug gekleidet, neben einem kleinen Tische, lesend in einem Buche, welches er, als er einen Blick auf das aufgeschlagene Blatt warf, für Gellerts moralische Vorlesungen erkannte. Der Inhalt dieses Buchs, der Anzug des Frauenzimmers und ihr bescheidener, gar nicht frecher Anstand, das alles kontrastierte so sonderbar mit der Absicht, derentwegen er sie besuchte und welche sie durch die höfliche Annahme seines Briefes und die darauf ertheilte mündliche Antwort zu begünstigen geschienen hatte, daß er wirklich nicht wußte, in welchen Ausdrücken er seinen Antrag machen sollte: »Mademoiselle!« sagte er endlich. »Es kam mir diesen Nachmittag, als ich Sie am Fenster sah, vor, als weinten Sie und als sehnten Sie Sich nach jemand, der Ihnen in der Lage, in welcher Sie Sich befinden und die vielleicht nicht die angenehmste ist, beistehen möchte – Ich konnte unmöglich so schöne Augen in Thränen schwimmen sehn« (dabey ergriff er ihre Hand, die sie nicht zurückzog, und drückte dieselbe), »ohne von Mitleid und Verlangen, Ihnen nützlich zu werden, gerührt zu seyn. Ich komme also, Ihnen meine Dienste anzubieten. Wie sehr mich Ihre Schönheit bezaubert hat, das hat Ihnen mein Brief schon gesagt. Jetzt erwarte ich nur von Ihnen den Ausspruch, ob Sie für einen Menschen, wie ich bin, einiges Gefühl von Zutrauen und Zuneigung empfinden können oder nicht.« Die Schöne antwortete hierauf mit niedergeschlagenen Augen: »Ihre Person, mein Herr! mißfällt mir gar nicht, und ich zweifle auch nicht daran, daß Ihr Mitleiden mit meinem Zustande ernstlich ist; aber Sie können mir nicht helfen, und niemand auf der Welt kann das. Ich werde nie keine frohe Stunde wieder haben – Reden wir lieber nicht ferner davon!« –
Seelberg hatte das Gespräch in einem zu feierlichen Tone angefangen, als daß er nun auf einmal hätte abbrechen und zu dem Hauptzwecke seines Besuchs, nämlich zu seinen materiellen Liebesanträgen übergehn können. Auch gestehe ich, so sehr er Ausschweifungen mit Frauenzimmern ergeben war, so hatte doch für ihn, dessen Steckenpferd immer Menschenkenntnis gewesen, eine Erzählung von allerley wunderbaren Schicksalen etwas zu Interessantes, als daß er nicht zuerst darauf bestanden wäre, mehr von der Geschichte des Frauenzimmers zu erfahren. »Mademoiselle«, sagte er daher, »es gibt kein Unglück in der Welt, für welches sich nicht Mittel finden ließen, wo nicht zur gänzlichen Tilgung, doch zur Milderung. Sollten es nun gar bloß Verlegenheiten in Geldsachen seyn, weswegen Sie so viel Kummer leiden, so würde ich – wofern ich im Stande dazu wäre – Freilich bin ich nicht sehr reich; aber wenn Ihnen mit einigen Pistolen geholfen seyn könnte« – Hier zog er seinen Geldbeutel hervor und wollte einige Friedrichsd'or daraus holen, als ihn das Mädchen aufhielt, indem sie sagte: »Bemühen Sie Sich nicht! Ich bin nicht eines von den Frauenzimmern, die durch Geld zu erkaufen sind. Ich brauche wenig, leide jetzt keinen Mangel und könnte, wenn ich des Geldes bedürfte, durch meiner Hände Arbeit so viel erwerben, als zu meinem Unterhalte nöthig wäre.« –
Diese Uneigennützigkeit an einer Buhldirne – und dafür mußte sie doch Seelberg halten, sowohl nach der Bereitwilligkeit, mit welcher sie seinen Besuch und seine Liebeserklärung angenommen hatte, als nach ihrer Gesichtsbildung zu urtheilen, in welcher er, der auch Physiognomist war, verlorne Unschuld, zu früh verblühete Jugend, Mangel an Seelenfrieden und, in den unsichern, zuweilen schielenden, irrenden Blicken, Beängstigungen des Gewissens zu lesen glaubte – Diese Uneigennützigkeit, sage ich, befremdete ihn. Sein guter Genius flüsterte ihm dann zu: »Das Mädchen scheint einer bessern Lebensart würdig, scheint seit noch nicht langer Zeit auf der Bahn des Lasters zu gehn, ist vielleicht verführt und kämpft jetzt zwischen der Habitüde, schlecht zu handeln, und dem Wunsche, einen Retter zu finden, der sie wieder mit ihr selbst aussöhnte und sie an ein Tageslicht zöge, an welches sie eigenmächtig hervorzutreten nicht Muth genug hat.« Dieser gute Gedanke verband sich mit Ludwigs Neugier, mehr von der Geschichte zu erfahren, vermochte ihn, alle Liebkosungen einzustellen und dagegen dringend um Erzählung ihrer Begebenheiten zu bitten.
Das Frauenzimmer war nur mit Mühe zu bewegen, mit einer Geschichte hervorzurücken, deren Mittheilung, wie sie sagte, ihr doch keinen Nutzen bringen, ihr Schicksal um nichts leidlicher machen könnte; doch ließ sie es sich endlich gefallen, einzelne Bruchstücke daraus zu erzählen, ließ noch Manches errathen, Manches sich ausfragen, und da Seelberg nachher Gelegenheit fand, durch das Zeugnis andrer Personen aus diesen Fragmenten ein Ganzes zu machen, so will ich Sie jetzt, nach allen diesen Nachrichten, in der Kürze mit den Schicksalen des jungen Frauenzimmers bekannt machen.
Augustine (Ihren Familiennamen werden Sie in der Folge erfahren) war die jüngste Tochter eines geschickten Schulmannes in einer ziemlich großen Stadt, eines Mannes, der mehr Kenntnisse von einer gelehrten als von einer häuslichen Erziehung, am wenigsten aber von demjenigen hatte, was zur Bildung junger Frauenzimmer gehört. Er liebte dieses sein jüngstes Kind vorzüglich vor den andern, weil es, wenn er ausruhen wollte von ernsthaften Geschäften, um ihn herumspielte, scherzte und ihn aufmunterte, indes die andern, mehr erwachsenen Töchter schon die ihrem Geschlechte so eigenen Launen hatten, über irgendeine unbedeutende Kleinigkeit das Maul hängen ließen, von thörichten Fantasien und Wünschen verstimmt wurden, sich untereinander zankten, den alten Vater viel zu langweilig fanden, mit Einem Worte! ihm wenig Freude machten. Er verwendete also, seiner Meinung nach, viel Sorgfalt auf die Erziehung der kleinen Augustine; wirklich versprach auch das Mädchen recht viel und würde, wenn sie immer in guten Händen gewesen wäre, keine Hoffnung vereitelt haben; allein der Vater starb, als sie erst zwölf Jahre alt war; für die Mutter hatten die Kinder immer wenig Ehrerbietung gehabt; zwar fehlte es derselben nicht an gutem Willen und sorgte sie dafür, daß die Mädchen weibliche Arbeiten aller Art lernten; von Aufmerksamkeit auf die kleinern Züge und Nuancen der Charaktere hingegen und von feiner Bildung des Herzens wußte das gute Weib nicht viel.
Neben des Rektors Hause an wohnte eine hohe Magistratsperson, nämlich ein Bürgermeister mit seiner Familie, und da in diesem Hause eine Tochter von gleichem Alter mit Augustinen war, so lief Diese oft zu Jener, und die Frau Rektorin machte sich eine Art von Ehre daraus, daß ihr Kind in so vornehmen Verbindungen stand.
Nun aber war die Frau Bürgermeisterin ein schändliches Weib von den schlechtesten Sitten, ja! ihre Aufführung war von der Art, daß, wenn sie eine gemeine Bürgersfrau gewesen wäre, der Herr Bürgermeister sie ohne Zweifel den Polizeidienern bestens würde empfohlen haben, statt daß sie jetzt den Befehlshaber der Polizey nach Willkür beherrschte, ihn glauben machte, was ihr gefiel, und wenn er ja einen Verdacht bekommen wollte, ihn durch Künste aller Art und ein Gewebe von Lügen von der Spur ihrer Liebeshändel abzuleiten wußte. Dies abscheuliche Geschöpf begnügte sich nicht, selbst Tugend, Religion und Ehre zu verleugnen, sondern sie suchte auch ihre eigene Tochter und Augustinen zu gleicher Lebensart zu verführen. Sie erfüllte die Fantasie dieser unschuldigen Kinder mit wollüstigen Bildern, lenkte ihre Aufmerksamkeit ab von der stillen, häuslichen Glückseligkeit, von den friedenvollen, segenreichen Freuden, die eine redliche Hausfrau schmecken und um sich her verbreiten kann, und unterrichtete sie dagegen in der Kunst, Männer – nicht dauerhaft durch gewonnene Achtung und erwiderte treue Liebe zu fesseln, sondern – heranzulocken, zu täuschen, zu blenden, sie unmerklich zu binden, sooft sie aus dem Netze springen wollen; zu gleicher Zeit mehrere Liebhaber festzuhalten, so daß jeder sich für den einzig Erhörten halten und selbst in ihren Armen, im Besitz ihrer höchsten Gunstbezeugungen, immer glauben müßte, er sey der Erste, dem sie dies Opfer brächten; ihre ganze Existenz in den üppigen Genuß beständig wechselnder frivoler sinnlicher Freuden zu setzen; der heiligen Religion zu spotten, Gebet und gottesdienstliche Übungen zu vernachlässigen; den Umgang verständiger Menschen zu fliehn, nur für körperliche Reize Sinn zu haben, kein Gefühl für Schönheit der Seele; mit schamloser Frechheit die Meinung des Publikums und keuschen Ruf zu verachten, voll Zuversicht auf den Schutz Derer, die sie durch ihre Buhlkünste auf ihre Seite gebracht hätten; sich jeden Betrug zu erlauben, um innerlich und äußerlich anders zu scheinen, als sie wären – und also nicht Rücksicht zu nehmen auf die Folgen einer solchen Lebensart im hohen Alter, welches doch auch Diejenigen zuweilen wider Willen erreichen, die am ärgsten auf ihre Gesundheit losstürmen, wo dann allgemeine Verachtung, häßliche Gestalt, die das Register der Ausschweifungen auf der Stirne trägt, Kränklichkeit, Gebrechlichkeit des halbverfaulten Körpers, Überdruß, zu späte Reue und Verzweiflung der Preis der so herrlich genossenen Jugend sind; nicht Rücksicht zu nehmen auf den letzten entscheidenden Augenblick, wenn das von Lastern befleckte Herz brechen muß und nun offen daliegt, wenn die Stimme des Richters Rechenschaft fordert –
Allein die Frau Bürgermeisterin ließ es auch nicht einmal bey diesem theoretischen Unterrichte bewenden, sondern suchte den jungen Mädchen Gelegenheit zu verschaffen, ihre Lehren praktisch auszuüben. Sie führte sie zu gewissen höchst unnatürlichen Ausschweifungen an und suchte ihnen Liebhaber herbeizuziehn, mit denen sie ihr Probestück machen mußten. Sie führte sie auf Maskaraden und sorgte dafür, daß sowohl daselbst als auf andre Art und zu Hause durch Lesen verführerischer Schriften der ganze Sinn der beiden jungen Mädchen auf Liebe oder – daß ich diesen heiligen Namen nicht entweihe! – auf viehische Wollust und Unzucht gerichtet war.
Noch hatte Augustine nicht das fünfzehnte Jahr erreicht (sie war siebenzehn alt, als Seelberg sie in Berlin antraf), so war sie schon an Leib und Seele ihrer Unschuld beraubt und bald in einer solchen Gewohnheit zu buhlen, daß sie auch nicht einen einzigen Menschen von irgend leidlicher Gestalt sehen konnte, ohne ihre großen blauen Augen aufzureißen und ihn so lange mit Blicken zu locken, bis er ihr einige Aufmerksamkeit widmen mußte. Nun fanden sich unter dem Haufen von Jünglingen immer sowohl dergleichen, die sich das zu Nutze machten und da einkehrten, wo man ein so hübsches Schild aushing, als auch Andre, die wirklich de bonne foi verliebt in sie wurden und ihr so lange mit ganzer Seele anhingen, bis sie sie näher kennenlernten; doch wußte sie das alles ihrer redlichen Verwandten wegen (die freilich weiser gethan hätten, wenn sie achtsamer bey der Wahl ihres Umgangs gewesen wären) äußerst geheim anzufangen, wozu ihr denn ihre Lehrerin die feinste Anweisung gab. Es würde die ehrliche Mutter in das Grab gestreckt haben, wenn sie das alles gewußt hätte. Es konnte indessen nicht fehlen, daß nicht endlich die Verwandten, ungeachtet ihrer unbeschreiblichen Verstellung, Lügen und heimlichen Machinationen, gemerkt hätten, auf welchem Wege Augustine zu wandeln anfing; allein, daß es schon so weit mit ihr wäre, das ließen sie sich nicht träumen.
Das Sonderbarste dabey war, daß das junge Mädchen in der That weder romanhaft überspannt, von einem zu fühlbaren Herzen irregeführt, noch durch sehr reizbare Nerven, durch Temperament hingerissen wurde – Nein! sie war an Geist und Körper mehr kalt als feurig; folglich hatte sie auch nicht Eine Entschuldigung für die Verirrungen, denen sie Ehre, zeitliche und ewige Glückseligkeit aufopferte. Sie spielte ganze Romane, woran ihr Herz nicht den geringsten Antheil nahm, oft zwey bis drey zu gleicher Zeit, und schlief dabey sehr ruhig. Es war ihr zur andern Natur geworden, ihre ganze Aufmerksamkeit auf nichts anders als auf solche Gegenstände zu richten; für alles Übrige hatte sie den Sinn verloren. Sie war stumm und untheilnehmend in gesitteten Gesellschaften, unempfindlich für echten Witz und unschuldigen Scherz; Kinder und alte Leute waren ihr zum Ekel, das häusliche Leben und die süßen Geschäfte und Freuden einer Hausmutter ein Gegenstand ihres Spottes, und so wurde ihre zügellose Lebensart und die grobe Coketterie das Einzige, was ihr zu einer Art von Existenz übrigblieb, wurde ihr so zum Bedürfnisse, wie man sich die ekelhaftesten Gewohnheiten, zum Beispiel das Tabakrauchen, Tabakkäuen und andre schmutzige Unanständigkeiten nothwendig machen kann – So tief, meine Freunde! können Unschuld und Schönheit sinken, wenn Wachsamkeit fehlt!
Sobald Mutter und Verwandte gewahr wurden, auf welcher Bahn Augustine wandelte, fingen sie von der einen Seite an, sie ernstlich zu vermahnen, und von der andern, sie nie aus den Augen zu verlieren, sondern sehr eingeschränkt zu halten. Allein was können trockene Vermahnungen auf ein Herz wirken, das für den Werth der Wahrheit keinen Sinn mehr hat, besonders wenn diese, wie es hier oft der Fall war, in einem Gewande erscheint, das wenig äußern Reiz hat? Und was die persönliche Aufsicht betraf, so glaube man doch nicht, daß es möglich sey, ein Mädchen zu hüten, das sich selbst nicht bewachen, nicht respektieren will! Augustine vereitelte daher den Zweck aller Vermahnungen, stellte sich äußerst sittsam und hinterging die Wachsamkeit der Aufseher so, daß wirklich die Verwandten ihr voriges Betragen nur für kindische Unvorsichtigkeit hielten und glaubten, es werde jetzt, bey reifern Jahren, anders werden.
Es war unter ihren Liebhabern in ihrer Vaterstadt ein junger hübscher Mensch, ein gewisser Fahnenjunker, von dort weg in preußische Dienste gegangen und hatte nun aus einer Garnison im Brandenburgischen Augustinen geschrieben: sie möchte doch suchen, zu entwischen und ihm zu folgen; er wolle sich bemühen, sie als Kammerjungfer anzubringen, und dann könnten sie ungestört ihren Umgang fortsetzen. Nun war zwar das junge Mädchen nicht unternehmend genug, einen so raschen Plan, als der fortzulaufen war, auf ihre eigene Hand auszuführen; indessen gefiel ihr doch die Idee, als Kammerjungfer in Dienste zu treten und dadurch in Freiheit zu kommen, ungemein. Sie schlug dies also ihrer Mutter vor: »Unsre Vermögensumstände«, sagte sie, »sind nicht die besten. Mein Unterhalt kostet Sie Geld, da ich doch im Stande und es meine Pflicht wäre, denselben durch meinen Fleiß zu erwerben. Lassen Sie mich von hier zu einer guten Herrschaft als Kammerjungfer gehn! So komme ich auch aus aller Verbindung mit der bösen Nachbarin und werde mich gewiß so betragen, daß Sie Freude an mir erleben sollen.« Die Mutter willigte ungern in die Entfernung ihrer Tochter: »Ach«, sprach sie. »Du wirst mir gewiß Herzeleid machen – Und wenn Du unsrer ehrlichen Familie einen Schandflecken anhingest, Dich verführen ließest – Wenn ich mich Deiner schämen, wenn ich das in meinem grauen Alter erleben müßte – o Gott! dann würde ich vor Schmerz des Todes seyn und mit Jammer und Kummer die Augen schließen« – Allein die übrigen Geschwister beredeten die gute schwache Frau, und so gab sie denn endlich ihre Einwilligung. Man erkundigte sich auswärts nach einer guten Stelle, und es fand sich eine rechtschaffene Dame im Braunschweigischen, die eine Kammerjungfer suchte und, nachdem ihr Augustine durch gute Leute war empfohlen worden, dieselbe kommen ließ und annahm. Jetzt meinte das junge Mädchen auf dem Gipfel des Glücks zu seyn, fest entschlossen, nicht lange bey der Dame zu bleiben, sondern ihre Freiheit zu nützen, bald den Abschied zu fordern und ihren ehemaligen Geliebten im Brandenburgischen aufzusuchen.
Die Dame, von der wir reden, war edel und gut gesinnt und hielt auf strenge Sittlichkeit unter ihren Domestiken. Hätten Augustinens Verwandte aufrichtig genug gehandelt, ihr das Kind zu besonderer Aufsicht zu empfehlen und etwas von Besorgnis in Ansehung ihrer Aufführung mit einfließen zu lassen, so würde sie sich des jungen Mädchens mütterlich angenommen und sie strenge beobachtet haben; allein jetzt argwöhnte sie nichts von der Art, verließ sich auf Augustinens gute Erziehung und ahnte nicht einmal, daß ein Mädchen in so jungen Jahren schon das kostbarste Gut, mehr als aller Reichthum der Welt werth, die Unschuld, könne verloren haben. Zwar machten manche Leute, die sich ein wenig auf Gesichtsbildung verstanden, sie bemerken: ihre Kammerjungfer sey zwar ganz hübsch, sehe aber für ihre Jugend schon so verblüht aus und habe etwas gar Sonderbares in den Augen. – »Sie haben Recht!« pflegte dann die Dame zu antworten. »Auch ist das arme Kind sehr schwächlich« – und so blieb es dabey.
Indes nun hier Augustine mit ausgezeichneter Liebe und Güte und nicht wie gemeine Dienstboten behandelt wurde, konnte sie doch ihren unedeln, niedrigen Hang zu Ausschweifungen nicht unterdrücken. Es befand sich ein Friseur im Hause, ein Mensch von sehr verderbten Sitten, der aber den Heuchler bey seiner Herrschaft spielte und, besonders weil er sehr geschickt und emsig in seiner Arbeit, bey dem Herrn und der Frau gut angeschrieben war. Sobald dieser Mensch die neue Kammerjungfer erblickte, so las er es auf ihrem Gesichte, daß sie nicht leicht einen jungen Kerl aus Grausamkeit sterben ließe. Selten irren sich ausschweifende Mannspersonen in dieser Art von Horoskopen, und man hat wahrlich nicht Unrecht zu sagen, daß ein Frauenzimmer immer Gelegenheit dazu gibt, wenn eine Mannsperson sich Freiheiten gegen dasselbe erlaubt. Es gibt einen Blick voll Würde, der so sichtbar das Gepräge von Adel des Herzens und Reinigkeit der Sitten trägt, daß auch die roheste Frechheit davor ehrerbietig zurückweicht. Es ist kein strenger, ernsthafter Prüdenblick, aber ein milder Strahl, ein Unschuldsglanz, gegen welchen das Laster es nicht wagt, die Augen aufzuschlagen – Einen solchen Blick nun hatte Augustine nicht, und so faßte dann der Herr Friseur den Muth, mit seiner Erklärung hervorzutreten, die auch nicht lange unerhört blieb. Sie trieb darauf eine Zeitlang einen heimlichen Umgang mit diesem Menschen, der in der That in jedem Betrachte Ihrer unwerth war, als endlich die Köchin, durch Eifersucht getrieben, das Verständnis entdeckte und der Herrschaft anzeigte. Nun that die adelige Dame, was freilich in solchen Fällen gewöhnlich geschieht, aber auf keine Art zu entschuldigen ist, denn statt den Verführer fortzuschaffen und das junge Mädchen durch sanfte Mittel auf bessere Wege zu leiten, verabschiedete sie Dieses und behielt den Bösewicht, weil er ein geschickter Haarkräusler war, im Hause.
Augustine hatte indes den Briefwechsel mit ihrem ehemaligen Geliebten fortgesetzt, und da ihr derselbe geschrieben, daß er jetzt bey einem Regimente, so in Berlin in Garnison läge, als Offizier angesetzt sey, so nahm sie sich vor, dahin zu reisen. Desfalls schrieb sie an ihre Mutter: sie habe in Berlin eine sehr vortheilhafte Kondition gefunden und sey gewillt, das Haus ihrer jetzigen gnädigen Frau zu verlassen, woselbst sie ohnehin manche Anfechtungen von unbescheidenen jungen Offizieren, die Verwandte ihrer Herrschaft wären, leiden müßte. Sehr zufrieden waren Mutter und Geschwister nicht von diesem Schritte; allein er war schon gethan, als sie die Nachricht davon bekamen. Wie erschraken sie aber, als sie durch einen Brief der adeligen Dame den ganzen Zusammenhang der Sache erfuhren! Doch versahen sie es auch hier in den Maßregeln, die sie hätten ergreifen müssen, denn weit entfernt, dem unglücklichen Mädchen nachzureisen und es dem Verderben zu entziehen, schrieb die Mutter ihr in ein paar grausamen Zeilen: Sie solle ihr nie wieder vor die Augen kommen; sie erkenne sie nicht mehr für ihre Tochter und so ferner. Da auf diese Art das verirrte Kind von jedermann verlassen war, so warf sie sich verzweiflungsvoll dem Schicksale in die Arme.
So viel Geld, als zu einer Reise auf dem Postwagen aus dem Braunschweigischen nach Berlin gehört, hatte sie; also unternahm sie dieselbe. Von Halberstadt aus reisete eine ehrliche Bürgersfrau aus Berlin mit ihr, und da derselben das junge Mädchen hauptsächlich deswegen gefiel, weil es immer unterwegens etwas arbeitete, rechtlich gekleidet war und sich auch sittsam betrug, so fragte sie Augustinen: was für Geschäfte sie in Berlin hätte? und als sie zur Antwort bekam: sie suchte als Kammerjungfer anzukommen; ihre letzte Herrschaft sey gestorben, und sie sey eine Waise, erbot sich die gute Frau, sie in ihr Haus aufzunehmen, bis sie ihr eine Stelle ausgemacht haben würde.
Kaum war das Jüngferchen in Berlin angekommen, so erkundigte sie sich unter der Hand nach ihrem Offizier und schrieb demselben ein Einladungsbriefchen, worauf sie denn fleißig von ihm besucht wurde. Doch mochte ihn unterdessen entweder eine andre bereitwillige Schöne gefesselt, oder er mochte erfahren haben, daß Augustine noch ein paar andre Bekanntschaften gemacht hatte, genug! nachdem eine Woche vorüber war, fing er an, ihr mit mehr als Kälte und Gleichgültigkeit, ja! mit Verachtung zu begegnen, und gleich darauf blieb er gänzlich weg, ohne auch sein Versprechen zu erfüllen, für ihr Unterkommen zu sorgen.
Der Bürgersfrau mißfiel gleich in den ersten Tagen manches in den Manieren des jungen Mädchens; die geringe Schamhaftigkeit, welche sie bey ihrem Aus- und Ankleiden zeigte; ihre Weise, stundenlang Mienen und Gebärden vor dem Spiegel zu studieren; ihre Gespräche, die nie einen heitern Kopf, nie ein grades, ruhiges, für das Gute, Edle und Große warmes Herz verriethen, und viel andre solche Züge mehr. Als aber gar die Besuche der Herrn Offiziere angingen, da merkte die gute Frau wohl, wen sie vor sich hatte, war also nicht geneigt, ein solches Geschöpf als Kammerjungfer zu empfehlen, sondern bat Augustinen vielmehr, baldmöglichst sich nach einem andern Quartiere umzusehn. Da diese solchergestalt gezwungen war, dies Haus zu räumen, so miethete sie sich unter einem andern Namen in jenem ein, in welchem Ludwig sie am Fenster stehen sah. Sie war damals nur erst seit wenig Tagen dort gewesen und noch unschlüssig, wozu sie sich in der Folge bestimmen sollte. Von jedermann verlassen, preßte die Rückerinnerung an ihre erste sorglose Jugend ihr oft Thränen aus; zu einer andern Zeit aber sagte ihr der Leichtsinn dann wieder, ein junges Mädchen von so hübscher Figur könne sich schon durch die Welt helfen – Es kam vielleicht noch auf eine Woche an, so hätte sie sich für den Rest ihrer Tage einer Lebensart gewidmet, die ihr nicht mehr erlaubt hätte, mit freier Stirne in ehrliche Gesellschaft zu treten – Seelberg, der an keine Tugend glaubte, war von der Vorsehung bestimmt, sie in die Arme der Tugend zurückzuführen.
Noch hatte er, als er durch ihre abgebrochenen Erzählungen einen Theil dieser Begebenheiten, freilich in viel vortheilhafterm Lichte, als wir sie dargestellt haben, erfuhr, nicht nach dem Namen des Frauenzimmers gefragt; allein da verschiedene einzelne Stellen in dieser Geschichte und die Erwähnung gewisser Personen ihn aufmerksam machten und etwas in Augustinens Gesichtszügen ihm sehr bekannt vorkam, so wie auch sie gleich Anfangs gesagt hatte: sie meinte ihn schon mehr gesehen zu haben, so fragte er endlich: »Wollten Sie, Mademoiselle! mir wohl Ihren rechten Namen und den des jungen Offiziers entdecken, dem zu Gefallen Sie hierhergereiset sind und den Sie schon zu Hause gekannt haben? Ich frage nicht aus bloßer Neugier. Seyen Sie, wenn Sie können, dies einzige Mal aufrichtig, und gewiß soll es Sie nicht reuen!« – »Wenn Sie mich nicht verrathen wollen«, erwiderte sie, »ja! so will ich Ihnen sagen, wer ich bin. Ich heiße Augustine Werkmann; mein Vater war Rektor in ***. Der Offizier aber, von dem ich Ihnen geredet habe, ist ein Herr von Weidel, der in meiner Vaterstadt als Fahnenjunker stand und mich in meiner ersten Jugend kennenlernte, indem er zuweilen einen jungen Edelmann besuchte, der bey meinem Vater in Pension war. Mit demselben entwich er auch heimlich, um in preußische Dienste zu gehn. Ihm gelung es; den Herrn von Seelberg hingegen (So hieß der junge Cavalier) holte man wieder ein« – »Und dieser ist es«, rief Ludwig und umarmte Augustinen, so ohne alle unkeusche Gefühle, als je ein Kuß keusch ist gegeben worden, »der jetzt vor Ihnen steht und der es nie erwartet hätte, daß er die kleine niedliche Auguste, mit der er so oft unschuldig gespielt, die er so oft aus kindischer Zärtlichkeit geküßt und auf seinen Schoß gesetzt hat, in solchen Umständen hier wiederfinden würde.«
Ein gutgeartetes Gemüth kann durch eine Folgenreihe von Verirrungen tief sinken, kann gewaltig angegriffen von Verderbnissen, verschlossen für edlere Gefühle, verhärtet werden gegen den leisem Zuruf der Wahrheit; allein es kommen Augenblicke, in welchen die Tugend plötzlich ihre Rechte reklamiert, in welchen die Vorsehung eine Stimme erweckt, die das ganze Wesen durchschallt, eine Zauberstimme, die innerliche Erscheinungen, Gesichter, Bilder aus den seligen Zeiten der verlornen Ruhe wieder vor die Fantasie zieht, Gestalten, deren jede einen Dolchstich dem Herzen gibt, das an der Tugend zum Verräther geworden – O! so lange noch solche Erscheinungen den Irrenden erschüttern und warnen, so lange hat der sanftere Schutzengel noch nicht seine Hand abgezogen von dem Sünder – Kaum war der Name Werkmann über Augustinens Lippen gefahren, so rief dieser Schall die Erinnerung aller der glücklichen und nützlich verlebten Tage, die Ludwig in dem Hause seiner redlichen Pflegeeltern genossen hatte, in seine Seele zurück, von dem Augenblicke an, da man ihn den Händen eben des schändlichen Verführers, des jungen Weidels, der auch in Augustinens Geschichte eine Hauptrolle spielte, entrissen und er nun, mit guten Vorsätzen ausgerüstet, sich den Wissenschaften gewidmet hatte, bis zu der Periode, als er mit Krohnenberger nach Leipzig ging und damals die itzt vereitelten Hoffnungen Aller, die ihn gekannt hatten, mit dahin nahm.
Daß diese Bilder seiner Jugendjahre den bösen Vorsatz, mit dem er zu dem Frauenzimmer gekommen war, aus seiner Seele verdrängten, läßt sich leicht begreifen – Er hätte ein gänzlich verlorner, verstockter Bösewicht seyn müssen, wenn er die Absicht, mit der Tochter seines Lehrers und Wohlthäters unter diesen Umständen auszuschweifen, nicht augenblicklich aufgegeben hätte; aber er that mehr als das; er entwarf den Plan, sie mit der beleidigten Ehrbarkeit und mit ihrer erzürnten Mutter wieder auszusöhnen, sie in den Schoß ihrer Familie zurückzuführen und für ihr künftiges Glück zu sorgen – »Sie müssen zu Ihrer lieben Mutter zurück, Augustine!« sprach er. »Bey Gott! das müssen Sie!« – »O! um alles in der Welt nicht!« erwiderte sie, »ich kann, ich mag, ich darf nicht!« – »Mädchen!« rief er da. »Weißt Du auch, auf welchem Wege Du itzt wandelst? Hast Du schon viel ruhige, friedenvolle, glückliche Stunden gehabt seit der Zeit, da Du die Buhlerey zum Handwerke machst? Oder ist Deine Seele nicht mehr empfänglich für die innere Ehre, für die höheren, reineren Freuden verständiger, redlicher und gefühlvoller Menschen; so denke wenigstens einmal nach über die äußern Folgen Deiner Lebensart! Du wirst Deine würdige Mutter, die Dich so innigst geliebt, die Dich unter ihrem Herzen getragen, gewartet, gepflegt, ernährt, für Dich gewacht, gearbeitet, gesorgt, um Dich so manche Thräne der Besorgnis geweint hat, in die Grube stürzen. Jedermann sieht auf Deiner Stirne das Bild von Deinen Sitten, und je länger Du auf dieser Bahn fortwandelst, um desto deutlicher wird Dein Gesicht reden. Gesittete Leute werden Dich fliehen. Du wirst abgeschnitten seyn von der bürgerlichen Gesellschaft. Wenn Du unter einen Haufen von Menschen treten, wo Du unbekannt zu seyn glauben wirst, so darfst Du keinen Augenblick Dich sicher halten, daß nicht ein frecher Kerl, irgend Einer von Denen, die Du mit Deinen unkeuschen Armen umfangen hast und der itzt Deiner müde ist, vor Dich trete, Dir ins Gesicht höhne und Dich öffentlich preisgebe, da dann der brandmarkende Name Hure Dir aus allen Ecken entgegenschallen wird; Du mußt, wenn Du noch erröthen kannst, so oft erröthen, als Du einem Menschen begegnest, der Dich kennt. Die Aussicht zu Deinem Lebensunterhalte ist höchst ungewiß und schlüpfrig. Welche Frau von Ehre wird Dich zur Kammerjungfer annehmen, ohne vorher nach Deinen Sitten zu forschen? Welcher redliche Mann wird Dich heirathen? Du wirst also die süßesten Freuden des Lebens, die geselligen, häuslichen und ehelichen, die Freuden einer Mutter und Gattin entbehren; oder findet sich ein Pinsel, der dumm genug ist, von Leidenschaft geblendet, durch Deine Künste angelockt, Dir seine Hand zu geben, so wird Deine Ehe eine Hölle auf Erden seyn. Du hast keine der Eigenschaften, die zu einer Hausfrau erfordert werden. Das Laster ist dir zur Gewohnheit geworden; Du wirst Deinem Manne untreu seyn, und merkt er oder erfährt er von vorigen Zeiten her, daß Du ihn betrogen hast, so wird er Dich Dein Leben lang dafür quälen. Noch mehr! Eine einzige Ausschweifung ist jetzt hinreichend, Dich zur Mutter eines Kindes zu machen, das keinen rechtmäßigen Vater, keinen Stand hat; Verzweiflung und Noth können Dich dann in dem Augenblicke der Versuchung verleiten, Mörderin zu werden und Dich auf das Blutgerüst führen; oder trifft Dich auch dies Unglück nicht, so ist doch eine einzige Ausschweifung mit dem vornehmsten, schönsten Herrn hinreichend, Deinem Körper eine Krankheit mitzutheilen, die Dich Dir selbst zum Abscheu und Ekel macht, Dir Fleisch und Knochen zernagt, das Mark vertrocknet, alles in Fäulnis setzt, die besten Säfte in Eiter verwandelt, Deine edelsten Glieder lahmt, Nase, Ohr und Zunge wegfrißt, Dein Gesicht zu der scheußlichsten Larve macht, und wenn Dich dann jedermann von sich stößt, Dir auf verfaultem Stroh oder auf freier Straße oder, wenn Du recht glücklich bist, in einem Hospitale unter dem grausamen Messer des Wundarztes den Tod bringt, bey abwechselndem Brüllen und Händeringen und Zucken und Fluchen und Winseln – Glaube nicht, ich übertriebe diese Schilderung! Du bist auf diesem Wege. Du würdest nicht das erste Mädchen seyn, das einst die Hoffnung einer edeln Familie, die Freude tugendhafter Eltern war und nachher ein so schmähliches Ende nahm. Noch lockt Deine Gestalt die Buhler feinerer Art und vornehmern Standes heran; aber bald wird Deine Schönheit verblüht seyn (Bey Deiner Lebensart verwelkst Du nur zu schnell). Noch wenig Jahre, und das Feuer Deiner Augen wird verlöschen. Diese Zähne werden schwarz werden; Dein Othem wird jeden verscheuchen, der Busen einfallen, die Hände werden verdorren, und endlich wird Dein Gesicht voll Runzeln, wenn auch Schminke und Putz ihm zu Hilfe kommen, dennoch keine andre Bewunderer mehr finden als Wollüstlinge aus dem niedrigsten Pöbel und Menschen, die aller Orten zurückgewiesen werden; Du wirst den Männern nachrennen, und sie werden mit Ekel das Gesicht von Dir wegwenden – Wo wirst Du dann Schutz, Freunde, Trost finden? Der Zirkel gesitteter Menschen wird für Dich verschlossen seyn; Reichthümer wirst Du nicht gesammlet haben, Du, die [Du] den Werth des Geldes nicht zu kennen scheinst und auch darin Deinen Buhlschwestern ähnlich bist, unter denen Wenige Schätze sammlen! Verzweiflung und Mißmuth werden Dich dann ergreifen; Du wirst Gewinnst auf den Straßen suchen müssen, und was fehlt dann, um Dir, so wenig Du das itzt ahnest, ein Ende zu bereiten, wie ich Dir's vorhin geschildert habe? Und hättest Du auch das schändliche Glück, die Maitresse eines wollüstigen Fürsten zu werden! – Wie Manche schon, die zum Preis ihres unzüchtigen Lebens in vergoldeten Kutschen durch die Residenz rollte, sunk so tief herab, daß sie sechs Jahre nachher nicht sicher war, von jedem Musketier einen Tritt in den Hintern zu bekommen!«
Es war freilich eine sonderbare Erscheinung, einen Menschen, der wie Seelberg allen Glauben an Tugend und Würde der Menschheit verleugnet zu haben schien, mit so viel Wärme der Keuschheit das Wort reden zu hören; allein, wenn man bedenkt, daß er sich doch hier nur am mehrsten bey Betrachtung der physischen und andern äußern Folgen des Lasters verweilte, hingegen wenig von der innern Wonne und Beruhigung sprach, welche die Tugend gewährt; daß es übrigens aber in unsern Tagen nichts Seltenes ist, einen Redner mit der größten Überzeugung und Salbung über Wahrheiten deklamieren zu hören, denen er täglich durch seinen Wandel Trotz bietet, und endlich, daß es bey einem schönen Geiste überhaupt eine Nebensache ist, was er sagt, wenn er es nur gut und zierlich sagt, so kann uns auch jenes nicht befremden – War doch Gellerts Moral, das Buch, in welchem Seelberg Augustinen lesend antraf, auch ein Geschenk, so ihr einer ihrer sehr unmoralischen Liebhaber gemacht hatte! – Doch, lasset uns gerecht gegen unsern Helden seyn! Sein doch nicht von Grund aus verderbtes Herz war durch die Rückerinnerung an die unschuldigen Jahre seiner Kindheit erwärmt und seine Fantasie höher gespannt worden; er war in dem Augenblicke wirklich durchdrungen von der Wahrheit dessen, was er sprach –
Augustine wurde heftig erschüttert von dieser Rede; sie zitterte, rang die Hände und betheuerte: sie wolle gern umkehren und ihre Lebensart ändern, wenn es nur nicht zu spät wäre und wenn sie nur irgendein Mittel wüßte, ihre Lage zu verbessern und bey einer guten Herrschaft als Kammerjungfer in den Dienst zu treten. – »Wenn es Ihr Ernst ist, Augustine!« sagte darauf Seelberg, »künftig einen bessern Weg zu wandeln, so ist es grade Zeit dazu; Sie sind so jung, daß das Laster Ihnen noch nicht zur andern Natur geworden seyn kann. Ich will für das Äußere sorgen, nämlich für Ihren künftigen Aufenthalt; aber das ist nur Nebensache. Das Hauptaugenmerk muß Ihr Inneres, Ihre Besserung seyn, und daran kann niemand als Sie selbst arbeiten. Bieten Sie alle Kräfte auf, zu einem neuen Leben zu erwachen! Fliehen Sie den Müßiggang! Denken Sie der Wonne, die man im Schoße der Familie empfinden kann, und den Pflichten einer Frau und Mutter nach, um Sich einst dazu vorzubereiten! Sobald Sie wieder in einem guten Hause sind, so fangen Sie an, Sich um häusliche Geschäfte zu bekümmern! – Das ist Ihre Bestimmung! Vernichten Sie alle Dokumente Ihrer Schande, alle Briefe, Geschenke, Gemälde von Liebhabern, und reißen Sie sich von Allem los, was Ihre Aufmerksamkeit auf solche Dinge, die bis jetzt Ihr Unglück gebauet haben, leiten und den vorigen Hang zu einem leichtfertigen Leben in Ihnen wieder erwecken könnten! Lesen Sie solche Bücher, die Sie in guten Vorsätzen bestärken, und kömmt Ihnen Anfangs der Inhalt derselben sowie der Umgang mit den bessern Menschen zu trocken vor, so lassen Sie Sich dadurch nicht abschrecken! Sie werden bald mehr Geschmack an Vernunft und Wahrheit finden und mehr wahrhaftig frohen Genuß schmecken, als Sie je gekannt haben. Jedermann wird dann Ihre innere Besserung auf Ihrem Gesichte lesen. Von dem Augenblicke an, da Sie mit Sich selbst zufrieden seyn werden, werden Sie jedermann Achtung einflößen. Das Unsichre und Schielende in Ihren Augen wird verschwinden. Sie werden wieder blühen, jugendlich aussehn, und bald wird jede innere und äußere Spur Ihrer ehemaligen Verirrungen auf immer vertilgt seyn. Ein ehrlicher Mann wird sich um Ihre Hand bewerben, und Sie werden ihn als ein treues Weib ganz glücklich machen; – Man ist unverführbarer, wenn man die Gefahr der Verführung mit Schaden hat kennengelernt – Schreiben Sie jetzt an Ihre Verwandten. Bitten Sie um Verzeihung. Bekennen Sie alles! Wer sich schämt, die begangenen Fehler zu gestehen, dem ist es noch kein rechter Ernst mit der Besserung. Nehmen Sie Sich vor, von nun an allen Künsten, allen Winkelzügen zu entsagen! – Erzählen Sie mir frey, welchen Mannspersonen Sie die größten Vertraulichkeiten erlaubt haben! Ich will Diesen, schriftlich und mündlich, durch gelinde oder gewaltsame Mittel, Stillschweigen aufzulegen suchen. Sie sollen Ihnen Ihre Briefe herausgeben – Doch, hier ist es besser zu handeln als zu plaudern – Ich verlasse Sie itzt. Vielleicht komme ich noch heute wieder. Halten Sie Sich indes eingezogen und denken Sie dem nach, was ich Ihnen gesagt habe!«
Ludwig ging nun fort und suchte die ehrliche Bürgersfrau auf, welche sich vormals so gütig des jungen Mädchens angenommen hatte. Er erzählte ihr alles und bat, sie möchte ihn in dem Vorhaben unterstützen, Augustinen vom Verderben zu erretten, und sie zu sich nehmen. Nach einigen Schwierigkeiten willigte die gute Frau ein; Augustine wurde gleich am folgenden Morgen zu ihr abgeholt. Seelberg drang derselben, ungeachtet sie sich weigerte, etwas zu nehmen, fünfzig Thaler auf, Augustine aber kam nun in eine strenge, doch liebreiche Aufsicht. Sie wurde beschäftigt, ermahnt, ermuntert. Man warf ihr Vergehen ihr nicht vor, aber man warnete zuweilen und suchte ihr kleine, unbedeutend scheinende, doch unanständige, freche Manieren und Gebärden abzugewöhnen. Anfangs gefiel dem jungen Mädchen die Einschränkung nicht; aber nach und nach gewöhnte sie sich daran, erkannte es, wie gut man es mit ihr meinte, und fühlte den Werth wahrer Freundschaft. So wie sie nach und nach moralisch besser wurde, gestattete man ihr mehr Freiheit; sie wurde in gute Gesellschaften geführt, nahm den bessern, feinern Ton an, gefiel, interessierte und fühlte ihren eigenen und andrer Menschen Werth. Seelberg hatte gleich Anfangs an die Mutter geschrieben und einen Brief von Augusten mit ihrem offenherzigen Geständnisse (wozu er sie freilich nur mit Mühe vermochte) beigelegt. Zugleich hatte er veranstaltet, daß die Verwandten nicht sogleich mit der Verzeihung bereit seyn durften, sondern erst Zeugnisse von der Besserung hören wollten. Endlich kam denn auch die Versöhnung zu Stande, und nun fühlte sich Auguste wieder unaussprechlich glücklich.
Seelberg hatte indes längst Berlin verlassen; doch will ich hier, als am bequemsten Orte, das Ende von Augustinens Geschichte erzählen. Drey Jahre hatte sie sich in dem Hause der ehrlichen Bürgersfrau aufgehalten und (ungeachtet mancher Prüfungen und Versuchungen) untadelhaft betragen, als sich eine Aussicht für sie zeigte, den Preis ihrer Rechtschaffenheit einzuernten. Die gute Frau liebte das Mädchen wie ein eigenes Kind. Sie war eine wohlhabende Witwe und hatte nur einen einzigen Sohn. Dieser, der Gesandtschaftssekretair gewesen, kam nun nach Berlin zurück, wo er in königlichen Diensten bey dem Finanzdepartement angesetzt wurde. Ihm gefiel Auguste; er redete mit seiner Mutter darüber, daß er sie zur Gattin wählen wollte; die Mutter war sehr froh über diese Entschließung und trug die Sache dem jungen Mädchen vor; allein Dieses dachte zu fein, um eher in eine solche Verbindung zu willigen, bevor sie mit edler Offenherzigkeit dem Manne, der um ihre Hand bat, Rechenschaft von ihren ehemaligen Fehltritten gegeben hätte. Dieser war so ohne Vorurtheile, daß, weit entfernt, dadurch abwendig gemacht zu werden, diese Aufrichtigkeit vielmehr Augustinen in seinen Augen einen größern Werth gab. Er heirathete sie, und sie machen bis auf diese Stunde ein sehr glückliches Paar aus. Zutrauen und treue Liebe befestigen dies Band; Augustine erfüllt als Gattin und Mutter von zwey gesunden Kindern ihre Pflichten auf das Treueste; die Rektorin Werkmann lebt seit vorigen Sommer bey ihr – und Ludwig ist der Schöpfer dieses Glücks – Sein Andenken segnen zwey redliche Familien.