Adolph Freiherr Knigge
Die Verirrungen des Philosophen oder Geschichte Ludwigs von Seelberg
Adolph Freiherr Knigge

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Viertes Kapitel

Seelberg war nach der Trennung von seinem Reisegesellschafter nur noch ungefähr vierzehn Tage lang in Prag gewesen, als der redliche Storrmann ihn eines Morgens früh besuchte und ihn mit der Nachricht aus dem Schlafe weckte, er habe ihm unter vortheilhaften Bedingungen eine Stelle am *** Hofe ausgewirkt. Zugleich übergab er ihm seine schon ausgefertigten Bestallungen, vermöge deren er zum Kammerherrn und Rath bey dem *** Kollegio ernannt wurde. Mit den Regungen der aufrichtigsten Dankbarkeit nahm Ludwig dies Geschenk aus seines Freundes Hand an, wiederholte aber dabey seine dringende Bitte, er möchte doch nun das Maß seiner Wohlthaten dadurch vollmachen, daß er ihm bey dem Fräulein von Wallenholz das Wort redete. Der Graf war itzt gleich bereit dazu, und Luise bedurfte nicht großer Überredung; ihr eigenes Herz sprach laut genug zum Vortheile des Bittenden; doch sorgte der Schwager in ihrem Namen dafür, daß nichts übereilt wurde; er setzte nämlich fest, daß, obgleich sie Seelbergen das Wort gab, ihr Verlöbnis jedoch in der Stille vor sich gehn, die ganze Sache ein Geheimnis bleiben und die Hochzeit erst nach zwey Jahren gefeiert werden sollte, binnen welcher Zeit Seelberg an seinem Bestimmungsorte eingerichtet seyn und sich schon Freunde und Ansehn würde erworben haben. Bey dieser Verabredung blieb es nun, und dann führte Storrmann seinen Freund auf die Seite, gab ihm in dem zärtlichsten, brüderlichsten Tone Winke, die ihm für seine Laufbahn nützlich seyn konnten, und diese Winke wurden so gut aufgenommen, als sie wahrlich gut gemeint waren; Seelberg rüstete sich zu einem zärtlichen Abschiede – Seine Abreise erfolgte acht Tage nachher.

Und nun sehen wir denn unsern Helden auf einem neuen und größern Schauplatze auftreten. Es wird daher nöthig seyn, vorher in einem paar Zügen ein Bild zu entwerfen von dem, was er itzt war. Es wird nöthig seyn, daß ich Ihnen sage, wie der junge Mann in diesem Augenblicke aussah, da ihn das Schicksal dem großen Theater überlieferte.

Seelberg war nicht schön, aber seine Gesichtsbildung war angenehm und fein, sein Körper schlank, ein wenig zärtlich, doch nicht eigentlich kränklich. Seine Manieren und sein Anstand verriethen den Weltmann, dem es nicht gleichgültig war, wie der erste Eindruck beschaffen seyn möchte, den er auf jemand machte. Ein leichter Ton im Umgange, im gemeinen Leben, viel Geschliffenheit, Geschmeidigkeit, Bekanntschaft mit den Sitten aller Stände, angenehme Talente, Kenntnisse, Lektüre, Witz und gute, zuweilen nur zu kaustische Laune machten, daß er in jeder Gesellschaft sich vortheilhaft auszeichnete: Gelehrt war er nicht, aber er hatte die Gabe, mit dem Wenigen, so er wußte, zu glänzen, und ein so vorzügliches Genie, daß er leicht alles ohne große Mühe lernen konnte, worauf er sich ernstlich legen wollte (wenn es ihm nämlich ein Ernst damit war). Seine Vermögensumstände waren nicht schlecht, und da er noch den größten Theil seines zur Reise bestimmten Geldes im Beutel behalten hatte, so konnte er gleich bey seiner ersten Erscheinung am Hofe, in der Stadt und bey der Einrichtung seines Hauses sich in einer Gestalt zeigen, die, ohne übermäßig prächtig zu seyn, ihm die Achtung und Aufmerksamkeit des großen Haufens zuzog und ihm zugleich innerlich diejenige Zuversicht gab, die so nöthig ist, um in der großen Welt fortzukommen, und ohne welche (wenn häusliche Ungemächlichkeiten oder andre kleine Verlegenheiten uns verstimmen) auch das größte Verdienst oft unbemerkt in seine eigene Unbehaglichkeit verschlossen bleibt. Was aber sein Herz betrifft, so hatte freilich die Liebe manche sanfte Saite darin, die lange Zeit unberührt geblieben war, wieder in Schwingung gebracht; aber gewisse böse Eindrücke, die entstanden waren durch seines Vaters Härte und Ungerechtigkeit gegen ihn, durch die hohe Meinung, die er dagegen in Werkmanns Hause von seinen überschwenglichen Fähigkeiten gefaßt, durch die vielfachen Erfahrungen von der Unwürdigkeit und Inkonsequenz der mehrsten Menschen, mit denen er gelebt hatte und von denen er entweder war betrogen worden oder die er verachten gelernt, auf welches alles er dann das System von allgemeinem Unglauben an die Redlichkeit und Dankbarkeit der Leute gebauet hatte; durch die falsche Richtung, die Leuchtenburg seinen Reisebeobachtungen gegeben – Diese Eindrücke, sage ich, hatten ihn dann doch zu einem solchen Egoisten gemacht, daß er nur für sich lebte, nur Genuß suchte, selbst dann, wenn er Wohlthaten verbreitete; daß er sich für einen von den privilegierten Geistern hielt, berechtigt, die andern Alltagsmenschen zu ihren Zwecken zu nützen; daß er stets darauf studierte, auf Unkosten Andrer zu glänzen; daß er keinen Begriff hatte von wahrer, stiller Größe, sondern daß der Mann in der Geschichte ihm immer der beneidenswürdigste schien, der am mehrsten Aufsehn erregt, von dem man nach Jahrhunderten noch recht viel zu erzählen hatte.

Bis dahin war aber dieser Schwindelgeist nach Ruhm in ihm eingeschläfert gewesen, wie er denn überhaupt, seitdem er Göttingen verlassen, äußerst schlaff und gemein sein Leben hingeträumt hatte; jetzt, da er sich auf ein Postament gestellt sah, wo die Augen der Leute auf ihn gerichtet waren, jetzt, da er einen Wirkungskreis vor sich erblickte, jetzt, da die Liebe wieder ein gewisses Feuer in seiner Fantasie angezündet und ihm neue Federkraft gegeben hatte, jetzt erwachten auch Ehrgeiz, Stolz und Eitelkeit in ihm.

Allein, weit entfernt, durch Ausbruch dieser Leidenschaften gleich anfangs die Gemüther zurückzuscheuchen, schmiegte er sich vielmehr nach der Nothwendigkeit, suchte sich durch angenommene Bescheidenheit und Gefälligkeit bey allen Leuten einzuschmeicheln, legte alles Bizarre, Hervorstechende, Auszeichnende ab und verfehlte durch diese Maßregeln auch des Zwecks nicht, sich emporzuschwingen. Lange würde sein stolzer Sinn freilich diese Rolle nicht ausgehalten, die geringste Demüthigung von Andern, der kleinste Schritt, den jemand gewagt hätte, sich zu sehr über ihn zu erheben, würde ihn wieder aufgerufen haben, sich in seiner ganzen Größe zu zeigen; allein er erreichte früh das Ziel, und niemand trat ihm in den Weg.

Der Monarch, dem Seelberg diente, war ein ganz gut organisiertes junges Wesen, dem aber die bürgerliche Verfassung, gegen die Ordnung der Natur, Männerlast auf Knabenschultern zu tragen aufgelegt hatte. Es herrschte nämlich dies gesalbte Knäblein vermöge eines Nationalgesetzes unumschränkt, wie es denn in einigen Ländern also eingeführt ist, daß Die, von deren Winke Millionen ihr Glück und Unglück abhängen lassen müssen, schon in solchen Jahren weise Männer zu werden befugt sind, in welchen andre Menschen erst anfangen thörichte Jünglinge zu werden. Welche unselige Folgen übrigens diese gesetzmäßige Übertretung der göttlichen Naturgesetze zuweilen mit sich führt, das erzählen uns die Geschichtsbücher, die uns das Elend schildern, in welches die kindischen Launen der Erdengötter Länder und Völker gestürzt haben.

Glücklicher Weise war aber der Monarch, dem Seelberg itzt angehörte, zwar ein Kind, aber kein böses, verzogenes Kind. Kinder schließen sich gern an muntre, hübsche, artige Leute, die glänzende Seiten haben, und so geschah es denn auch, daß unser Held in kurzer Zeit bey seinem Herrn in sehr hervorstechende Gunst kam, und da die Gunst eines gekrönten Kindes von größerer Wichtigkeit ist als die eines ungekrönten, so erlangte Seelberg in weniger als Jahresfrist schon eine viel wichtigere und einträglichere Stelle, als er hätte erwarten dürfen, und ehe die beiden Jahre verstrichen waren, die Luise ihm zur Frist gesetzt hatte, war er schon im ganzen Reiche als der Günstling seines Herrn bekannt.

Zuerst, als es darauf ankam, bey einem Kollegio in Berufsgeschäften, die handwerksmäßiges Studium und Lokalkenntnis voraussetzen, zu arbeiten, merkte er recht wohl, wie sehr großes Unrecht er gehabt hatte, die positiven Wissenschaften, besonders die in alle übrige Geschäfte Einfluß habende Jurisprudenz zu verachten, merkte recht wohl, daß die Universalgenies nicht immer die nützlichsten Bürger im Staate sind, und ärgerte sich oft innerlich, wenn er sah, daß der mittelmäßigste Kopf nicht nur durch praktische Handgriffe, sondern weil er mehr gelernt hatte als er, die verwickeltsten Sachen in das Klare setzte, in welche Er mit aller Anstrengung kein Licht tragen konnte; daß, wenn er oft ganz verkehrte, nicht anwendbare Maßregeln nahm, er sich von Menschen, die er weit übersah, zurechtweisen lassen und sich in manchen Vorfällen bey subalternen Geistern Raths erholen mußte. Allein wir haben gesehn, auf welche Art er sich in der ersten Jugend in Werkmanns Hause aus einer ebenso demüthigenden Lage zog, und was er damals gethan, das that er auch itzt; er spannte alle Kräfte an, um zu lernen, was er noch nicht wußte. Niemand konnte es ihm in eisernem Fleiße zuvorthun, sobald sein Ehrgeiz ihn zur Arbeit trieb, und seinen Fähigkeiten war das, was Andern stundenlangen Schweiß kostete, ein Werk von einer lustigen Viertelstunde. Bey diesen Umständen wird man sich nicht wundern, wenn ich sage, daß Seelberg noch vor Ablauf der beiden Jahre nicht nur der Günstling seines Herrn, sondern auch ein geschickter Mann in seinem Fache und ein so fleißiger Arbeiter wurde, daß Keiner ihn darin übertraf.

Der äußere Glanz, den solche Vorzüge ihm gaben, wurde aber nach dieser Frist noch erhöhet, denn nun verreisete er auf einige Wochen und kam dann mit einer liebenswürdigen, reichen Gattin zurück. Storrmann war indes wieder auf seine Güter gezogen, gab dort seinem Freunde und seiner Schwiegerin das Hochzeitsfest, freuete sich, Jenen so vergnügt, so zu nützlicher Thätigkeit erwacht und so geehrt zu sehn, und bat ihn noch bey dem Abschiede: er möchte ja vorsichtig in seiner jetzigen Lage handeln. »So wenig ich«, sprach er, »aus eigener langer Erfahrung das Hofleben kenne, denn Du weißt, daß mich mein Herr früh in Geschäften gebraucht hat, die mich aus der Residenz entfernten, so kann ich doch recht gut fühlen, in welche Gefahr ein Mann von Deiner Lebhaftigkeit (die, statt mit den Jahren abzunehmen, jetzt größer als jemals zu seyn scheint) und von Deiner Thätigkeit in einer so stürmischen Atmosphäre gerathen kann. Sey also ja auf Deiner Hut, mein Bester! und halte Dich, soviel du kannst, an die häuslichen Freuden, die Dir Luise gewiß auf den höchsten Grad zu erhöhen suchen wird.«

 

Kaum war Seelberg wieder auf seinen Posten zurückgekommen, so vermehrte er seinen Aufwand beträchtlich, wozu ihm seiner Gattin Vermögen die Mittel erleichterte. Er lebte auf einem sehr großen Fuße, und Luise wurde allgemein bewundert und verehrt. Seelberg liebte sie zärtlich, aber freilich machte ihre Art zu leben, die Pracht, welche in ihrem Hause herrschte und welche dem gnädigen Herrn und der gnädigen Frau gleichsam einen ganz getrennten Haushalt, eine ganz verschiedene Existenz gab, seine vielfachen Geschäfte und die Menge von Besuchen und Zerstreuungen, dies alles machte, daß, wie es überhaupt in solchen großen Häusern der Fall ist, sich die jungen Eheleute nur wenig Augenblicke des Tages zwanglos und vertraulich sahen und mehr für fremde Menschen als für sich wechselseitig lebten. Er hätte in der That ohne große Weitläufigkeit dieser Ungemächlichkeit wo nicht ganz, doch zum Theil abhelfen können; allein sein eitler Ehrgeiz, der durch jene vornehme Art zu leben sehr geschmeichelt wurde, war wohl ebenso heftig als seine Liebe zu seiner Frau; auch kann die allerunnatürlichste Lebensart nach und nach selbst dem vernünftigsten Manne zur Gewohnheit, ja! zum Bedürfnisse werden, und für einen Menschen von so geringer Festigkeit in Grundsätzen, wie es unser Freund war, hatte der thörichte, falsche Glanz der Pracht, hatte die Fürstengunst, hatten die tiefen Verbeugungen sklavischer Hofschranzen und Diener etwas so Bezauberndes, daß sein Kopf davon zu schwindeln anfing – Möchte es dabey geblieben seyn! – aber das Herz – Doch wir dürfen den Faden der Geschichte nicht verlieren.

Beinahe ein ganzes Jahr vor Seelbergs Verheirathung hatte Leuchtenburg seinen Anekdoten-Jagdzug durch die Länder geendigt, und da er indes erfahren hatte, auf welche vortheilhafte Art sein ehemaliger Reisegesellschafter in *** angestellt war und daß demselben das Fräulein von Wallenholz ihre Hand versprochen habe, so bauete er auf diese Nachricht einen Plan, von dessen weiterer Entwicklung und Ausführung wir noch in der Folge mehr hören werden, von dem ich aber gegenwärtig nur so viel sagen will, daß er durch Ludwigs Vorsprache auf eine ehrenvolle Weise in den nämlichen Dienst zu kommen hoffte und daß ihm dies auch gelung. Sein Vetter, der Graf Storrmann, schrieb desfalls zuerst an seinen Schwager, und Dieser – war es gutmüthige Dienstfertigkeit, die er gegen jedermann zeigte, oder Eitelkeit, jetzt der Beschützer eines Menschen zu werden, der vormals ihn in einer sehr großen Verlegenheit gesehnMan erinnere sich dessen, was im fünfzehnten Kapitel des ersten Theils erzählt ist. und nachher sich immer eine Art von Übergewicht über ihn gegeben hatte; oder glaubte er wirklich, Leuchtenburg sey im Grunde kein übler Mensch und werde sich nun vollends noch gebessert haben? – genug! er war sogleich bereit, jenen Wünschen zu willfahren, und weil Leuchtenburg Lust zum Militair hatte, so bekam er eine Kompagnie bey der Leibgarde und wurde zugleich Kammerherr. Von dem Augenblicke an, und besonders, als die Frau von Seelberg ankam, spielte er die Rolle des Vetters vom Hause, des Hausfreundes, des Gesellschaftscavaliers, der die Honneurs mitmachen half, und niemand war anhänglicher, ehrerbietiger und gefälliger gegen seinen Gönner und Beschützer als der Kammerherr und Hauptmann von Leuchtenburg.

Übrigens kann ich nicht sagen, daß Seelberg sich viel Mühe gegeben hätte, Kreaturen um sich her zu versammlen, noch daß er alte Bekannte in den Dienst zu bringen gesucht hätte, um dadurch seinen Anhang größer und seine künftigen Aussichten sichrer zu machen. Allein das war eben ein sehr großer Fehler von ihm, daß er mit so wenig wahrer Politik zu Werke ging, gleich als wäre er gewiß versichert gewesen, lebenslang die Gunst des Monarchen ausschließlich zu besitzen. Nur zwey Personen brachte er, außer Leuchtenburgen, in den Dienst, und davon war der Eine ein ganz gleichgültiger Mann (nämlich sein letzter Vormund, der Advokat Gerlach, dessen er sich dankbarlich erinnerte und ihn aus seinem Vaterlande weg hierher zu einer einträglichen Beamtenstelle auf dem Lande berief, welche er auch noch bekleidet) und dann ein andrer alter Bekannter, den er lieber da hätte lassen sollen, wo er wohnte, wie wir im Verlaufe der Geschichte sehen werden, und Dieser war der Doktor AlwerthVon dem im elften Kapitel des ersten Theils ein Mehreres steht. , mit dem er nebst Storrmann in Göttingen studiert hatte. Selbst Dieser, der ihn besser als irgend Einer kannte, billigte es gar nicht, als er hörte, sein Schwager habe ihn an den Hof berufen.

Es suchte aber der König einen Leibarzt, und als Seelberg Auftrag erhielt, ihm einen geschickten Mann dazu zu verschreiben, fiel demselben keiner ein, der sich seiner Meinung nach besser zu dieser Stelle gepaßt hätte als Alwerth, der auch wirklich in seiner Vaterstadt, die eine Reichsstadt war, in dem größten Rufe und Ansehn stand. Man muß in der That gestehen, daß dieser junge Mann von mancher Seite vollkommen gemacht war, die Stelle eines Leibarztes auszufüllen; er hatte Geschicklichkeit in seinem Fache, Genie, unermüdete Thätigkeit und Aufmerksamkeit, Munterkeit, war dabey fein, angenehm, ohne je einen Hof gesehn zu haben, ein wahrer Hofmann, schlau, voll Menschenkenntnis – aber die Leser werden sich vielleicht noch erinnern, was ich von den moralischen und religiösen Grundsätzen dieses Menschen damals, als ich sein Bild entwarf, gesagt habe. Von diesem gefährlichen Systeme war er so wenig zurückgekommen, war hierin so wenig Storrmanns Beispiele gefolgt, daß jetzt wirklich Seelberg in seiner Lage nicht leicht einen gefährlichern Mann hätte an seine Seite rufen können. Allein sein unruhiges, immer emporstrebendes Herz, sein Geist, itzt voll politischer, ehrgeiziger Pläne sehnte sich nach einem andern unternehmenden Kopfe, der ihn verstünde, dem er seine großen, in ihm kochenden kühnen Entwürfe mittheilen, den er zu Ausführung derselben mitwirken lassen könnte. Alle Menschen, die um ihn lebten, waren ihm zu gemein, zu kalt. Er erinnerte sich nicht, einen Einzigen gekannt zu haben, der das, was Er Größe nannte, so hätte fassen können, so viel Kraft gehabt hätte, über den gemeinen, elenden Haufen sich emporzuschwingen und aller Orten zu herrschen, zu siegen, durchzusetzen, was er wollte, als Alwerth. Er brannte daher vor Begierde, ihn erst bey sich zu haben.

Alwerth kam; es war Befehl gegeben, ihn sogleich, wenn er aus dem Wagen steigen würde, zu Seelberg zu führen. Dieser nahm ihn mit in sein Kabinett. »Vergiß hier, mein alter treuer Freund!« sprach er, »daß der Leibarzt mit dem Minister redet! Komm in meine Arme und schwöre mir, Hand in Hand mit mir an höhern Dingen zu arbeiten. Hier ist ein Schauplatz für uns. Jetzt ist die Zeit da, wo wir die großen Träume wahrmachen, wo wir ausführen, was wir beinahe als Knaben schon schwärmten; hier ist der Ort, wo wir zeigen, was ein Paar Klügere aus dem elenden Menschenpöbel machen können, wie Alle die Knie beugen müssen vor dem höhern Genius. Von hier aus wollen wir Europa Gesetze geben; Fürsten und alte Staatsmänner sollen uns huldigen, Befehle von uns annehmen, sollen nach dem Winke von zwey Leuten, die sie kaum für Männer ansehn, ihre Länder regieren« –

Wer überlegt, in welcher faulen, unbedeutenden Unthätigkeit noch vor zwey Jahren Seelberg versunken war, den wird es vielleicht wundern, ihn hier über so große Pläne brüten zu sehn; aber dann muß er weder die menschliche Natur kennen noch aufmerksam gelesen haben, was ich von der stufenweisen Entwicklung dieses Charakters gesagt habe, und weswegen eigentlich dies ganze Buch geschrieben ist, in welchem die Begebenheiten wahrlich nur deswegen erzählt werden, um auf jenen Gegenstand mehr Licht zu werfen.

Für Alwerth war dies das wahre Element. Die bloß medizinische Praxis in einer Reichsstadt und einige Kabalen im Magistrate waren viel zu kleine Gegenstände für seinen unternehmenden Geist. Er war, ohne Vergleichung, feiner oder vielmehr studierter als Seelberg, hatte mehr Gegenwart des Geistes und konnte sich besser im Feuer zurückhalten. Er bedung sich also aus, bevor er den Schauplatz, auf welchem er handeln sollte, besser kennengelernt haben würde, erst eine Zeitlang ruhig zuschauen und beobachten zu dürfen. Hierzu glaubte er vier Wochen Zeit nöthig zu haben. Binnen dieser Zeit nun studierte er die Charaktere und gewann die Menschen vom Könige an bis zu dem geringsten Diener, und dies hauptsächlich durch eine gewisse so feine Nachgiebigkeit, Sanftmuth, Demuth und unmerkliche Schmeicheley, die wahrlich einem Assistenten des Jesuitengenerals Ehre gemacht haben würde; auch waren es diese schlauen geistlichen Herrn, denen er die Kunst, sich in alle Herzen einzuschleichen, abgelernt hatte.

Ich habe nämlich gesagt, es sey Alwerth in der Jugend in einer öffentlichen Erziehungsanstalt gebildet worden; diese aber war keine andre als das Jesuitenkollegium in ***, wohin ihn sein Vater, obgleich er Protestant war, aus Vorliebe für die große Gelehrsamkeit dieser Herrn in Pension gethan hatte. Die schlauen Jesuiten merkten bald, wieviel Genie und Anlage in dem Jungen steckte, und ließen daher nichts unversucht, sowohl ihn der römisch-katholischen Kirche zuzuführen als auch besonders, ihm Lust zu dem Eintritte in die Gesellschaft Jesu beizubringen. Es lag auch wirklich weder an ihm noch an seinen Lehrern, daß in beiden Stücken ihr Plan nicht ausgeführt wurde. Allein nach seines Vaters Tode holten die Verwandten ihn unerwartet von dort ab und brachten ihn auf ein protestantisches Gymnasium, von woher er endlich nach Göttingen ging, da er dann aus aller Verbindung mit jenen geistlichen Herrn kam.

Doch seine Anhänglichkeit an ihre Grundsätze, die Bewunderung ihrer Feinheit, Geschmeidigkeit, Mäßigkeit, Vorsichtigkeit, praktischen Klugheit, ihrer sonderbaren, gewiß einzigen, unnachahmlichen Geschicklichkeit, Menschen auch in den geringsten Kleinigkeiten auf Einen Ton zu stimmen, Menschen aus allen Klassen zu regieren, durch Erforschung ihrer Lieblingsleidenschaften zu beherrschen, sie handeln zu lassen nach ihrer Willkür und Einwirkung, sie mit Enthusiasmus, ja! mit Schwärmerey für jede beliebige Sache zu erfüllen – Diese Anhänglichkeit, dieser echte Geist des Jesuitismus, den der Orden durch Priester und Laien, durch sichtbare und unsichtbare, gar nicht zu beschreibende Mittel Jedem, der eine Zeitlang mit ihnen lebte oder auf den sie sonst ein Augenmerk hatten, einzuhauchen verstand, so daß sie unter Menschen aller Art, die das oft selbst nicht einmal merkten, ja! sogar unter ihren geschworenen Feinden, Schüler ihrer Maximen und folglich Beförderer ihrer Pläne hatten – Dieser Geist war nie von Alwerth gewichen, weicht auch schwerlich je von dem, auf welchem er mit seiner Zauberkraft ruht. Er hatte oft schon in Göttingen mit Seelbergen über das System gesprochen und den Ehrgeiz dieses Jünglings, der sich sehr viel auf seine Menschenkenntnis zugut that, dabey eine hohe Meinung von sich selbst und eine sehr geringe von Andern hatte, zu unbestimmten Plänen voll Herrschsucht angefeuert. Sie hatten miteinander die Lebensbeschreibungen solcher Männer gelesen, die dadurch sich einen Namen in der Geschichte gemacht, daß sie ihre größern Talente zu Unterdrückung ihrer Brüder gemißbraucht haben. Ihnen gefielen nur alle fantastischen Helden, die einer Donquixoterie das Leben und die Ruhe vieler Tausender aufgeopfert hatten, da sie hingegen den Werth stiller Tugenden zu fühlen, die ohne Aufsehn Segen, Wohlthat, Wonne und Überfluß verbreiten, keinen Sinn hatten. Karl der Zwölfte war ihnen mehr werth als Gustav Wasa, Ludwig der Vierzehnte merkwürdiger als Heinrich der Vierte, ja! die eminenten Verbrecher fanden an ihnen Bewunderer, insofern sie nur mit Feuerkraft und Schlauigkeit ihre Pläne ausgeführt hatten. Mit innigster Wonne lasen beide Jünglinge die Beschreibung der teufelischen Ränke, durch welche Richelieu und Mazarin ganz Europa in immerwährender Gärung zu erhalten und sich Jedem furchtbar zu machen wußten. Allein damals war Seelberg noch zu jung, hing zu sehr an sinnlichen Freuden, war noch nicht in der Lage, in welcher er hätte ahnen dürfen, diese Grundsätze je im Großen und anders als höchstens im gemeinen Leben anwenden zu können. Er hatte auch eine ganz andre Art von Erziehung genossen, so daß, wenn auch sein Ehrgeiz sich an den Bildern dessen weidete, was ein listiger Kopf aus andern Menschen machen kann, doch das Verlangen, die Begierde nach einer ähnlichen Herrschaft in ihm nicht so lebhaft kochte als in Alwerthen, der diese Grundsätze gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hatte. Allein um desto feuriger wirkte das alles gegenwärtig in seiner Fantasie, da er sich auf einen Schauplatz gestellt sah, wo er es in Ausübung bringen konnte.

Beide Freunde waren über ihre sogenannten Grundsätze sehr einig: »Der Klügere« (wohl zu bemerken, daß sie mit diesem Worte einen ganz andern Sinn verbanden als, wie ich hoffe, wir Alle), »der Klügere«, sagten sie, »ist von der Natur zum Herrschen und der Schwächere an Verstande zum Gehorchen bestimmt. Wo also Dieser gegen die Ordnung der Natur den Kopf emporstrecken will, da muß ihn Jener an seinen Platz zurückweisen. Die wenigern Klügern sind also die von der Gottheit verordneten Vormünder des größern Haufens, den man wie die ungezogenen Kinder in steter Unterwürfigkeit und Demuth erhalten muß, weil Freiheit und zu viel Genuß ihm schaden; denn er mißbraucht seine geringen Kräfte, sobald man ihn einen Augenblick losläßt. Da aber dieser große Haufen nicht durch Vernunft zu lenken, nicht zu bedeuten ist, den wenigern Klügern diese Vormundschaft freiwillig zu überlassen, und diese Wenigern natürlicher Weise an physischen Kräften weit schwächer sind als der blinde Haufen, so muß man andre Mittel, das heißt solche, die auf das Intellektuelle und Moralische der Menschen wirken, anwenden, um jenem Haufen die Hände zu binden. Die Wahl dieser Mittel muß man nach den Umständen und Bedürfnissen einrichten. Es wäre zu wünschen, daß man alsdann stets die gradesten wählen dürfte; allein das geht nicht immer, doch sind alle Mittel gut, insofern sie zu dem großen Zwecke führen, welcher der Ordnung der Natur gemäß ist, nämlich zu dem Zwecke, den Klügern die gebührende Vormundschaft über die Dümmern zuzusichern. Endlich aber dünken sich oft äußerst mittelmäßige Genies, die nur eine lebhaftere Einbildungskraft, mehr Kühnheit und eine etwas feinere Organisation als Andre haben, auch groß und bilden sich ein, gleichfalls zu der Familie der privilegierten Herrscher zu gehören. Mit diesen Leuten, die sich dann gegen das Joch sträuben, so man ihnen auflegt, muß man oft wider Willen gewaltsame Mittel anwenden. Damit nun aber überhaupt die Klügern sicher diesen großen Plan der Natur, wie es ihre Pflicht ist, unterstützen können, müssen sie alle diejenigen Köpfe, die werth sind, an der Regierung der Welt Theil zu nehmen, sorgfältig aufsuchen, dieselben zu gewinnen, auf Einen Ton zu stimmen und nach festen Grundsätzen im Äußern und Innern zu bilden sich bemühen. Diese Grundsätze müssen auf die feinste Kenntnis des menschlichen Herzens, auf schlaue Vorsichtigkeit, auf Bekanntschaft mit allen Lokal- und Temporalbedürfnissen, auf Gewalt über alle äußere Ausbrüche ihrer eigenen Leidenschaften beruhen. Nur Wenige besitzen diese Eigenschaften und dabey Gegenwart des Geistes, ein einschmeichelndes Äußerliches, Beredsamkeit und die übrigen so nöthigen Vorzüge; nur Wenige sind also gemacht, an dieser Hauptregierung Theil zu nehmen. Alle Übrigen müssen nach den Umständen durch Furcht, Verblendung, Wohlthaten oder durch andre Mittel für das Interesse der Wenigen eingenommen oder wenigstens so gefesselt werden, daß sie nicht entgegenwirken können. Dies ist zwar auch von jeher die Art zu handeln aller Derer gewesen, welche das Menschengeschlecht mit Feinheit regiert haben – Die Sanktion des Pfaffen- und Fürstenstandes beruht darauf – Aber die Jesuiten waren die Ersten, welche diese Grundsätze in ein zusammenhängendes, allgemein anwendbares System gebracht haben.«

Dies, liebe Leser! war die Theorie, nach welcher unsre beiden Weltregierer jetzt ihre Operationen einzurichten begannen und von welcher Alwerth so bezaubert war, als nur je ein Sohn Loyolas es seyn kann. Er studierte Tag und Nacht darauf, sich ganz im Innern und Äußern nach jenem Ideale zu bilden, und es gelang ihm herrlich damit. Ob er nicht unter der Hand selbst mit jenen geistlichen Herrn wieder in Verbindung getreten war und Diese die schöne Gelegenheit ergriffen hatten, Einfluß auf die Regierung eines Reichs zu bekommen, in welchem sie bis dahin gar keinen Anhang gehabt hatten, das will ich nicht entscheiden; viele haben es geglaubt. Da sich indessen alles, was Alwerth in Gemeinschaft mit Seelberg und allein für sich that, recht gut erklären läßt, ohne dies anzunehmen; da es eine bekannte Sache ist, wie ansteckend für einen feinen Kopf und für ein ehrgeiziges Gemüth die Maximen sind, nach welchen die Gesellschaft Jesu gewirkt hat und vielleicht noch wirkt, und wie manche Menschen, die wahrlich in ihrem Leben keinen Jesuiten und keine Zeile, von einem Jesuiten geschrieben, gelesen haben, Gott weiß aus welchem närrischen Triebe wichtig oder gefährlich zu scheinen! muthwilliger Weise den Verdacht von sich erwecken, sie stünden in solchen geheimen, ihnen wahrhaftig keine Ehre machenden Verbindungen; da endlich das Gegentheil nicht erwiesen ist; so mag ich nicht in den Modeton mit einlallen, den einige Männer aus guter Absicht angegeben und den dann Viele nachgebrüllt haben, um sich angenehm zu machen und weil sie kein anders Mittel wußten, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und einigen Anschein von Verdienst um das Publikum zu gewinnen. Ich mag, sage ich, diesen Modeton nicht mitlallen, der aller Orten, wo etwas vorgeht, das nicht ganz klar ist, ausruft: »Dahinter stecken wieder Jesuiten!« Übrigens verdienen manche dieser Herrn allen freundlichen Dank, wenn sie nur so gütig seyn wollten, mit ein wenig minder intoleranter Grobheit (um nicht Flegeley zu sagen) und übermüthigem Hohne, ja! mit Verleumdung, Verunglimpfung ehrlicher Namen über Männer, die bey ihren Zeitgenossen in guter Achtung stehen, herzufallen, wenn diese unglücklicher Weise nicht sehn können, was sie sehen, und es wagen, mit Bescheidenheit ihre Zweifel dagegen vorzubringen. – Doch, nichts für ungut! – Ich bin von der Hauptsache abgekommen und will also lieber ein neues Kapitel anfangen, um zu erzählen, wie weit diese jesuitischen Grundsätze und Operationen unsre beiden jungen Männer führten.


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