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du zeigst dich! Zahllos sind die Ehrennamen und Titel, womit die Chroniken aller Jahrhunderte dich belegen – aber du hast sie sämtlich verdient. Jetzt bist du eine bayerische Kreisstadt wie so viele andere, aber du warst einst mehr, und es gibt auch Könige, die ihre Kronen verloren. Der Stempel der Selbständigkeit schmückt deine hohe Stirn noch, und von deiner Burg und von deinen Türmen weht es noch wie Reichsfreiheit herab. Lieblingstochter der Cäsaren, wir grüßen dich. Es heißt, daß einst Venedig, die Stolze, die Völkerbeherrschende, deine Freundin und Schwester gewesen sei, und man glaubt es, wenn man dich sieht. Ihr wart zu gleicher Zeit jung und schön und verführerisch, nur mit dem Unterschied, daß sie es war wie ein italienisches Weib und du wie ein deutsches. Du spannst dein schneeweißes Linnen selbst im Gemach, das von fürstlicher Lieblichkeit duftete, du webtest deine reichen Gewänder unter dem Gesang selbstgedichteter Lieder und maltest mit kunstreicher Hand keusche Gebilde auf die Leinwand – sie buhlte mit allen Meeren; Perlen, Schätze und Königreiche mußten ihr dieselben zu Füßen legen, und sie salbte ihre üppigen Locken mit dem Rosenöl des Morgenlandes. Deutschland erkräftigte sich an dem Anblick deiner Tugenden, o Nürnberg, aber ein wollüstiges Leben ging durch die Nerven von Europa bei dem Namen Venedig. Da streckte – ihr beide wart nicht mehr in der Blüte der Jahre – der junge Sprößling der Revolution, der Soldat des Jahrhunderts, seine Hand aus, und die Grundpfeiler der Prokuratia begannen zu wanken, der adriatische Löwe auf seiner Säule schüttelte todesahnend seine marmornen Mähnen, und Venedig nahm seine Kronen vom Haupt. Es beugte sich tief, tief und küßte die Hand, die es in Fesseln schlug. Und auch dir, edle Reichsstadt, ging es nicht besser. Als der Vogel im Wappen deiner alten Tore den Todespfeil empfing, war es ein Adler, ein König der Lüfte, welcher verblutete – aber wie nennt man das Geflügel, das mit ihm starb und dessen Fittiche die Reichsfreiheiten von Ipphofen, Windsheim, Schweinfurt und anderen beschirmten?
Viele Bücher sind über Nürnberg geschrieben worden, und mit tausend verschiedenen Anklängen lebt sein Name im Herzen des deutschen Volkes. Das Kind lächelt selig zu Weihnachten, wenn ihm die Hoffnung aufgeht, Nürnberger Lebkuchen und Nürnberger Spielzeug als Christgeschenk zu erhalten; der Greis lächelt in süßen Erinnerungen der alten Zeit und der alten, ehrwürdigen städtischen Sitten bei Nürnbergs Namen, und der Mann der Gegenwart freut sich, daß doch Nürnberg, wie immer das Musterbild des Gewerbefleißes und entweder selbst neue nützliche Erfindungen macht oder die fremden rasch mit lebendigem Geiste aufnimmt und zuerst unter allen deutschen Städten seinen alten staunenden Mauern den wunderbaren Wagenzug zeigte, der auf eisernen Linien rollt und von einem Elementargeist gezogen wird. Tausend Abbildungen haben die Ansicht Nürnbergs durch die ganze Welt getragen, und sie weitläufig beschreiben zu wollen würde überflüssig sein.
Nürnberg nimmt sich von allen Seiten stattlich und edel aus, und sein Umfang ist bedeutend. Es liegt, wie bereits gesagt, in einer ebenen, sandigen, aber wohlkultivierten Gegend, an beiden Seiten der Pegnitz, und doppelte Mauern, Türme und Gräben beschützen seine Eingänge. Nicht zu langen, breiten und regelmäßigen Straßen führen diese; Nürnbergs Straßen sind unregelmäßig, winklig, aber altertümlich, von großen, vielstöckigen, mit gotischen Altanen verzierten Häusern gebildet, stattlich, ehrwürdig, niemals kleinlich. Königs-, Ludwigs-, Karolinen- und Burgstraße sind einige der vorzüglichsten; unter den Plätzen zeichnen sich der große Marktplatz, der Maximiliansplatz, der Ägidiplatz und noch mehrere andere aus. Sieben steinerne Brücken verbinden die Ufer der Pegnitz innerhalb der Stadt, und unter diesen befindet sich eine, die Fleischbrücke, die, nach dem Muster des Ponto Rialto in Venedig, mit einem kühnen Bogen den fast hundert Fuß breiten Fluß überspannt.
Verschiedene Springbrunnen dienen zum Nutzen und zur Zierde; das letztere ganz besonders der sogenannte Schöne Brunnen auf dem Hauptmarktplatz, welcher eines der seltensten Denkmäler dieser Art ist. Er besteht in einer frei und leicht emporsteigenden Pyramide von einigen 60 Schuh Höhe, von der wundervollsten Arbeit. In Stein gehauene Bildsäulen schmücken, schön geordnet, seine gotischen Pilaster, die sich in drei Absätzen oben in einer prächtigen Spitze vereinen. Das Ganze ist ein Werk Schonhofers und stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der Idee und ersten Ausführung nach; es bedurfte jedoch in neuerer Zeit einer gänzlichen Restauration, welche ihm unter des geschickten Reindel Leitung und durch die Hände Nürnberger Künstler vollkommen nach Geist, Zeichnung und Ausführung des ursprünglichen Werkes zuteil wurde.
Das Rathaus mit seinen Galerien, Treppen und Sälen, von denen viele »al fresco« gemalt sind, gehört, obgleich nicht gänzlich vollendet, zu den schönsten Deutschlands. Es ist im Stil der großen Paläste von Italien im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts von dem Baumeister Karl Holzschuher aufgeführt und der Sitz von Nürnbergs Geschichte, das Andenken seiner Blüte, seiner Größe. Auf diesen Treppen, deren Hallen seine Künstler geschmückt hatten, wandelten die strengen, regierenden Senatoren, um deren Freundschaft Könige buhlten. In diesen Sälen hielten sie ihre Versammlungen und ihre merkwürdigen Feste. Hier war es, wo das große Bankett nach dem geschlossenen Exekutionsrezeß des Westfälischen Friedens am 25. September 1649 stattfand, das wir im Anfang unserer Darstellungen erwähnten. Das treffliche Bild, das der Künstler Sandrart von diesem welthistorischen Gastmahl entwarf, befindet sich leider nicht in dem Saal, worin es stattfand, sondern auf der Burg; wohl aber ist in dem Saal noch ein Augenzeuge des Festes zurückgeblieben, ein Anwesender, dessen Konterfei sich mit auf Sandrarts Gemälde befindet. Das letztere zeigt ihn in einem der Fenster stehend, in voller Tätigkeit, einer Tätigkeit, welche vermutlich das Beifallsgeschrei von Tausenden erweckte – jetzt freilich ist es still um ihn geworden. Es ist dies nämlich ein sitzender Löwe aus Holz, der einst vergoldet war und aus dessen Rachen, solange die versammelten Feldherren und Fürsten speisten, Strahlen von Wein auf das unten versammelte Volk herabsprangen.
Der gute Löwe! Wie viele Augen, die nun schon so lange erloschen sind, mag er damals auf sich gezogen haben! In der Tat, er hatte eine kurze, aber glückliche Geschichte. Rücken und Mähne den edelsten Blicken darbietend, die wohlbehaglich über ihn lächelten, wandte er sein zürnendes Königsantlitz dem Volk zu, das den Ausstrom seiner Lippen nicht etwa gähnend oder zitternd hinnahm, sondern unter Jubel- und Freudengeschrei. Je länger seine feurige, begeisternde Friedensrede dauerte – je unendlicher seine Phrasen wurden – je lieber, je verständiger, je belustigender wurde der Redner – nicht stunden-, tage- und nächtelang hätte man ihm gelauscht und den Inhalt seines Ergusses mit Wonne verschlungen. Dessen rühme sich ein anderer! Es gibt allerdings noch hier und da wahre Löwen der Beredsamkeit, nur mit dem Unterschied, daß die meisten anstatt des Weines Wasser von sich sprudeln.
Unter den Kirchen muß die dem Rathaus nahe Sebalduskirche zuerst genannt werden. Sie enthält außer vielen anderen Merkwürdigkeiten das berühmte, von Peter Vischer in Metall gegossene Grabmal des heiligen Sebaldus mit den zwölf bronzenen Apostelstatuen, welche durch vielfältige Abbildungen überall bekanntgeworden sind. Die St.-Lorenz-Kirche, im entgegengesetzten Teil der Stadt, ist deren größte und schönste. Sie prangt, wie jene, mit zwei schlanken Türmen und außerdem noch am Portal und an ihrer gewaltigen Fensterrose über demselben mit allem Schmuck der architektonischen Kunst. Die Glasmalereien ihrer Fenster sind bewundernswert. Die Frauenkirche am Markt, nicht groß, aber von zierlich-gotischer Bauart, ist dem katholischen Ritus eingeräumt, und in der Kirche zum Heiligen Geist wurden früher die vornehmsten Insignien des Heiligen Römischen Reiches verwahrt. Auch Reliquien befanden sich einst hier in einem silbernen Kasten oben in dem Gewölbe der Kirche aufgehängt, und sowohl diese als auch die Reichskleinodien wurden nur hohen Standespersonen gezeigt, da der Rat jedesmal ansehnliche Kosten bei solchem Vorzeigen gehabt haben soll.
Wir würden indessen den Raum dieser Blätter bedeutend überschreiten, wollten wir alle Merkwürdigkeiten des edlen Nürnberg nacheinander namhaft machen. Statt dessen sei der Leser eingeladen, es je eher, je lieber selbst zu besuchen und diese Straßen zu durchwandeln, in denen nichts fehlt als die Begegnung eines Rats- oder Kaufherrn in der weißen Halskrause und mit dem würdigen Mantel von Samt oder eines lustigen Gesellen in hellem Wams oder einer altertümlich gekleideten Hausfrau. Eine solche Begegnung ist durchaus nichts Unmögliches.
Es ist die letzte Woche des August, in der wir Nürnberg erreichen, und das seit einer Reihe von Jahren wiederkehrende Volksfest ist soeben im Gang. – Der große Festzug nach dem Ludwigsfeld hinaus, wobei die große Anzahl von Zünften und Gewerben durch Fahnenträger in mittelalterlicher Tracht repräsentiert wird, ist im Begriff, sich zu bilden, und bringt die ganze Stadt in Bewegung. Wir kommen aus dem Norden Deutschlands und haben abstrakte Ideen und Spree-Philosopheme, keineswegs aber Ritter, Knappen, Goldkürasse und Romantik im Kopf – Ritter lassen wir uns höchstens auf der Bühne gefallen, wo sie durch die unübersteigliche Zauberlinie der Lampen von uns getrennt sind –, da schmettert vor uns Trompetenton, und zwei geharnischte Ritter, in Gold der eine, in Silber der andere gerüstet, reiten an uns vorüber – ja hätten uns fast zu Boden geritten, weil wir vor Erstaunen vergaßen, aus dem Weg zu gehen. – Es ist heller, lichter Tag, wir sind wir, dies ist Straßenpflaster und kein Theaterboden, die Rosse sind nicht gemalt, sondern wirklich, und diese romantischen Gestalten reiten um die nächste Ecke. Und über uns lacht es, wir schauen empor zu einem Erker oder Söller, so gotisch, als einer nur sein kann, seine Fenster sind geöffnet, und ein paar Jünglinge in Knappentracht schauen heraus und unterhalten sich munter – dort wandelt ein ernster Mann im reichen spanischen Samtkleid mit Federbarett, er wandelt so sicher darin, als hätte er niemals etwas anderes getragen, und niemand staunt ihn an – als wir. Es ist ein Zunftmeister, der sich zum Sammelplatz seiner Gilde begibt – und von hundert Rossehufen trabt es plötzlich – wir starren vom Standpunkt eines Ecksteins das unerhört Seltsame an – jetzt wird es uns zuviel, eine Schwadron Wallensteinischer Kürassiere kommt geritten. Wie schön, wie richtig sind sie gekleidet: die hohen gelben Stiefel, die kurzen spanischen Reitröcke, der blanke Küraß, die Schärpe, der Hut mit wehenden Federn. Und wie sie zu Pferde sitzen, wie sie reiten! So reiten Schauspieler nicht, dennoch sind es für den Augenblick welche, aber zugleich Soldaten, es sind Chevaulégers der Garnison, welche mitsamt ihren Rossen in dem Ritterspiel oder Turnier mitagieren werden, das draußen auf dem Festplatz abgehalten wird. – Nur die Geschicktesten, die Schönsten sind dazu erwählt, und in der Tat, der Anblick dieser prächtigen Schar ist erfreulich. Ja, sagen wir still vor uns hin, ja, das ist freilich sehr außerordentlich. Wenn in Magdeburg oder Halle oder in Calbe oder in Ruppin die Soldaten sich so verkleideten! Das wäre ja ganz gegen alle Kleiderordnung.
Kann man in Nürnberg einen Schritt tun, ohne daß der Geist der Vergangenheit einen beim Kragen faßt und Halt ruft? Stößt man in dieser wunderbaren Stadt nicht überall auf Merksteine erhabener oder wehmütiger Erinnerungen? In dieser engen Gasse und aus diesem unbedeutenden Haus tönte einst Hans Sachs' Lied – in jenem Giebelpalast wohnte Pirkheimer, der unsterbliche Freund der Künste und Albrecht Dürers, dessen Geburtsstätte das alte übereinandergeschobene Eckhaus auf dem emporsteigenden Platz ist, der nach der Burg führt. Hier in der Nähe ist der sogenannte Himmelsweg mit den Kraftschen Stationen und das Pilatushaus mit seinem Erkertürmchen. In diesem Haus wohnte einst Ritter Martin Ketzel, der 1477 in das Heilige Land zog, um die Entfernung aller der Orte, wo sich bei der Hinausführung Christi zum Kreuzestod Merkwürdiges ereignet hatte, nach Schritten abzumessen und dann in der Nähe seiner Vaterstadt Erinnerungsbilder an diese Vorfälle errichten zu lassen. Dies war ein sehr frommer Entschluß, aber bei alledem muß der gute Ritter ein wenig zerstreut gewesen sein. Denn als er heimgekehrt war, hatte er den Zettel, auf dem er die Entfernungen genau vermerkt hatte, verloren. Er trat daher die Reise nach Jerusalem, weder Beschwerden noch Kosten scheuend, im Jahr 1488 noch einmal an. Wieder glücklich zurückgekehrt, hatte er diesmal das wichtige Verzeichnis besser verwahrt, und er übertrug nunmehr die Ausführung seines Vorhabens dem Steinhauer Adam Kraft, der sieben in Stein gehauene Wandsäulen mit Figuren und Unterschriften verfertigte und dieselben, von Ketzels Haus an, auf dem Weg nach dem Kirchhof zu St. Johannes nach dessen Abmessungen aufrichtete. Die Arbeit an diesen Stationen ist ebenso herrlich gedacht und gezeichnet als meisterhaft ausgeführt. Ihren Endpunkt bildet der Kalvarienberg auf dem Kirchhof selbst, den unser Stahlstich dem Leser veranschaulicht. An erhöhten Kreuzen hängen die Gestalten des Heilands und der beiden mit ihm Gekreuzigten, alle bis in die geringsten Kleinigkeiten von vortrefflicher Arbeit; eine Truppe römischer Krieger, welche nach dem Gottessohn hinaufschaute, befand sich früher am Fuß des Hauptkreuzes und diesem gegenüber Johannes im Kreise mehrerer Frauen, welche die Mutter Maria zu trösten suchten; von allen diesen Gestalten sind nur noch zwei übrig, wie wir sie hier schauen. Liegende Grabsteine mit berühmten Namen bedecken den Boden des Kirchhofs und manch gefühlvolles Herz und manch Haupt. Auch Dürer und Pirkheimer und Hans Sachs schlafen hier. Über dem Eisengeländer des Kirchhofs zeigt sich die Reichsburg mit ihren Türmen; es ist – man dürfte ihn so nennen – ein deutschklassischer Boden, dieser Kirchhof vor St. Johannes.
Zwischen Baumgruppen und hohem Gemäuer führt der Weg vom Albrecht-Dürer-Platz nach dieser Burg hinauf und gewährt, noch bevor der äußere Hof erreicht ist, mit jedem Schritt eine prächtigere und weitere Aussicht über die große Stadt, die zu den Füßen des Berges in weitem Umkreis gelagert ist. Wie schön ihre Türme ragen, wie ehrwürdig sie daliegt, die Herrliche! Nah am Eingang des Schlosses, beim alten Burgtor, an dessen Flügel der doppelte Adler gemalt ist, erhebt sich der auf unserem zweiten Bild dargestellte Turm, der Heidenturm, so genannt wegen einiger auf seinen Tragsteinen befindlichen Figuren, welche man für Götzenbilder hielt. Dieser Turm bildet den ältesten Teil des Schlosses und stand bereits im elften Jahrhundert. Sein Inneres enthält eine Kapelle. In den Schloßhof eingetreten, sehen wir uns von der Laubkrone einer alten Linde beschattet, die in der Tat, wenn das Alter eines organischen Wesens Ehrfurcht verdient, dieselbe in Anspruch nehmen darf. Schon im Dreißigjährigen Krieg war sie ein uralter Baum. Gustav Adolf ruhte unter ihr. Der Schatten ihrer Blätter spielte um das Haupt Karls IV., Friedrichs III. und einer Reihe von Kaisern vor diesen, wenn sie auf der Burg verweilten. Die Geschichte schweigt, die geschwätzigsten alten Chroniken verstummen, wenn das heilige Laub dieser Linde zu säuseln beginnt. Siebenhundertmal kam es hervor aus seinen Zweigen und welkte im Herbst. Zwanzig Menschengeschlechter versanken um den Stamm dieser Linde.
Noch manches Merkwürdige enthält außerdem die weitläufige Burg, welche so oft die Residenz des Reichsoberhauptes war. Eine Kapelle, die Gemächer, welche die Kaiser bewohnten und die neuerdings bei einem Besuch des Königs von Bayern sehr glänzend, doch im altertümlichen Geschmack, für diesen Fürsten hergestellt wurden, verschiedene Säle und Korridore, eine Malerschule (unter Leitung des verdienten Reindel) und eine Gemäldegalerie.
An einer Stelle der Mauer wird ein Fleck gezeigt, der dem Eindruck eines Hufeisens nicht unähnlich ist. Die Sage berichtet darüber: Der wilde Ritter von Gailingen, Eppelin, der guten Stadt Nürnberg geschworener Feind, der von seiner Burg aus ihren Warenzügen auflauerte und ihr bereits mehrfach Schaden zugefügt hatte, war endlich auf einem Streifzug in ihre Gewalt geraten, und der erbitterte Senat verdammte ihn zum Tode. Auf der Burg schmachtete er im Verlies, und der Tag war da, an dem er sein schädliches Leben zur Sühne hergeben sollte. Nun will der Brauch, daß dem zum Tode Verurteilten vor seinem Ende noch die Erfüllung eines Wunsches gewährt wird. Auch dem armen Ritter Eppelin kam diese Wohltat zugute, und er wünschte nichts, als sein gutes und getreues Roß noch einmal besteigen und im Hofe tummeln zu dürfen. Es wurde zugestanden. Der mit ihm gefangene Knappe sattelte das Roß und zäumte es auf – lange war dem Tier solches nicht begegnet, und es wieherte hell im Stall. Und als es nun vorgeführt wurde und der Ritter es bestieg, da erkannte das Roß seinen Herrn und schüttelte freudig seine Mähne. Erst ging es ruhig und stolz im Kreis, schaute sich um und schnob mit den Nüstern. Die Hand seines Reiters klopfte seinen kräftigen und schlanken Hals, und die Muskeln des edlen Tieres schienen unter dieser Liebkosung zu schwellen, seine Hufe schlugen zürnend den Sand, und die Adern an seinen Schenkeln pochten. Immer kräftiger, immer rascher wurde der Gang des Braunen im Kreis, er setzte sich auf die Kruppe und erhob die Vorderfüße zum donnernden Galopp. Nur leise, nur leicht berührte der Sporn des Ritters seine Weichen, aber das Roß tummelte sich gewaltig innerhalb des Mauerrings. Zurück wichen die Gefangenenwärter und Kerkerknechte vor dem Kies und den Steinen, die es mit seinen Hufen in die Luft schleuderte. Aber das Tor war wohlverwahrt, und an ein Entrinnen des Gefangenen war nicht zu denken. Und wer in den Augen der Tiere zu lesen versteht, würde in denen des Rosses von Ritter Eppelin die Klage deutlich erkannt haben: »Wie, mein Gebieter? – Du solltest hier sterben? In diesem elenden Hof sollte dein ritterliches Blut fließen? An dein tatenreiches und lustiges Leben wollen sie – die Spießbürger? Und ich soll dich nicht mehr in die muntere Schlacht tragen und durch die Hohlwege und durch die Wälder? Und keinen goldenen Hafer mehr fressen aus deiner Hand? O mein Gebieter, rette dich! Vertraue auf mich und auf meine Kraft – das Unmögliche kann möglich werden.«
Und da erhob sich das Roß. Beide Sporen drückte der Ritter in seine Seiten, und er holte tief Atem, beugte sich nach vorn und umfaßte den Hals seines Tieres, unter dessen Hufen Funken sprühten. Und ehe es sich die Knechte versahen, befand es sich, wie durch ein Wunder hinaufgehoben, auf dem Rand der Mauer. Aber nur während der Dauer eines Atemzuges, nur so lange, als nötig war, um den Ansatz zu dem kühnsten Sprung zu nehmen, der jemals getan worden ist – das Roß setzte mit gewaltiger Kraft über den breiten Burggraben und erreichte jenseits den Boden – sein Herr war gerettet! Die Stelle, wo sein Hufeisen sich in den Stein drückte, wird noch gezeigt. Es sei uns erlaubt, bevor wir von Nürnberg scheiden, eine der zahllosen alten Chroniken, welche von dieser Stadt erzählen, hier einzuführen. »Es ist nur ein Nürnberg!« sagt sie. »Und dieses bekannte Sprichwort wollen wir in folgendem zu behaupten suchen:
Solches schrieb die gute, fromme Chronik vor neunzig Jahren! Nürnberg hat beinahe 40 000 Einwohner, eine Bevölkerung, welche für die große Stadt, worin ehedem 90 000 Menschen wohnten, zu gering ist.
Etwa eine Meile westlich von Nürnberg erheben sich über einer bewaldeten Höhe die Ruinen der alten, denkwürdigen Feste, in der nachts die Geister Wallensteinscher Kürassiere umgehen und die Heerpauke des Dreißigjährigen Krieges dumpf unter der Erde rasselt. Drüben, von den Türmen der Reichsstadt her, antworten ihr die schwedischen Hörner. Es ist Zirndorf, wo Wallenstein monatelang verschanzt lag, während Gustav Adolf Nürnberg innehatte. Vergebens lockte alles zur Schlacht – die Ebene, die großen zusammengedrängten Massen der Kriegsheere, die Erbitterung der Soldaten, die Not, welche die Reichsstadt allgemach zu leiden begann; dennoch kam es zu keiner solchen, und es war den Feldern von Sachsen vorbehalten, die eisernen Würfel fallen zu sehen. Sehr anmutig ist der Spaziergang durch die alte Feste von Zirndorf und der Blick von ihren ehemaligen Basteien auf das Land herab weit umfassend und reich. Fast die ganze Ebene zeigt sich angebaut und mit Städten bedeckt.
Nördlich schimmern die weißen Häuser von Erlangen, näher erhebt sich Fürth, einst ein Marktflecken, jetzt eine bedeutende Stadt mit 13 000 Bewohnern und mit einem Ansehen, das dem neuer amerikanischer Städte am ähnlichsten sein mag; neue Häuser, seine zierlichen Kirchtürme, vollkommen das Abbild der neuen Zeit, bieten einen auffallenden Gegensatz gegen die hohen, alten der im Osten ragenden Reichsstadt, von der Fürth früher fast eine Meile, jetzt nur wenige Minuten entfernt ist. In der Dampfsäule, die über der Straße wirbelt, die beide Städte verbindet, liegt die Erklärung dieses wunderbaren Umstands. Ein dumpfes, heiseres Gebrüll läßt sich vernehmen, lange und immer längere Linien zieht der Rauch über die Baumwipfel; es sind die Atemzüge der Lokomotive, die, vor den menschengefüllten Wagenzug gespannt, dahinbraust. Die Schienen der Eisenbahn sind das Band, das beide Städte so nahe gerückt und fast zu einer gemacht hat.
Wir schlagen die südlich führende Landstraße von Nürnberg nach Eichstätt ein. Es ist eine große, aber sehr bebaute, fruchtbare, mit Ortschaften bedeckte Ebene, die sich unabsehbar ausbreitet. Hinter Schwabach, einer ehemalig markgräflichen, nicht unbedeutenden Stadt, hebt sich der Boden etwas, und eine ziemliche Anhöhe, über welche die Straße führt, gewährt eine weite Fernsicht, bei der das Auge von einer Turmspitze auf die andere forteilt. Unendlicher Hopfenbau beginnt – auf Sandboden und zwischen mit Kiefern bewachsenen Hügeln, die Rebe mit ihren hellgrünen Blättern hat längst aufgehört, und das Geheimnis des fränkischen Biers, auch ein vortreffliches Produkt des Bodens und der Industrie, das in ganz Deutschland berühmt ist, duftet durch die Atmosphäre.
Etwa zwei Stunden seitwärts von der Straße, beim Städtchen Roth, zeigt sich die Turmspitze von Spalt, einem Dorf, dessen Bewohner den besten und gesuchtesten Hopfen in ganz Bayern ziehen. Aber immer mehr Ähnlichkeit mit einer preußischen Mark nimmt der Charakter der Gegend an, er wird ganz Plattheit, Sand, Kiefern und Prosa. Die Zinnen eines Schlosses blicken traurig über Föhrenspitzen von einem niedrigen Hügel auf die staubige Landstraße herab; es ist Sandsee, eine Besitzung des Fürsten Wrede. Selten wurde ein passenderer Name gewählt. Erst jenseits Pleinfeld, dem Sitz eines Landgerichts, wird das Ansehen der Fluren wieder freundlicher, dankbarer gegen die bebauende Menschenhand, und mit jedem Schritt näher gegen die Stadt Ellingen zeigen sich die Spuren einer besonderen Pflege und Kultur, ja eines deutlich ins Auge springenden Strebens, die immer noch etwas ärmliche Gegend zu schmücken, gewissermaßen sie zu dekorieren. In den wieder beginnenden Wiesengründen an den Seiten der Straße, an Bächen, erblicken wir zierliche, kleine Paläste, deren Bestimmung sich nicht gleich erraten läßt; es sind Mühlen, nach den Gesetzen einer idealen Landesverschönerung erbaut; andere wirtschaftliche Gebäude von gleich einfacher und ländlicher Bestimmung tragen denselben Stempel einer unländlichen Prätention, der wir nicht ganz unseren Beifall schenken können.
Um so mehr verdient diesen der aufmerksame und zarte Sinn des jetzigen Grundherrn der Herrschaft Ellingen, der sich in einem kleinen Monument beurkundet, das dicht an der Straße steht. Es ist eine Säule von gefälliger Form, die auf ihren vier Seiten folgende, den Wanderer freundlich belehrende Inschriften trägt:
Unter dieser Säule befindet sich das Fundament der großen Mauer, welche von Pförring an der Donau bis zum Neckar ununterbrochen fortlief und einst die Gränze zwischen dem römischen Reiche und dem Lande der Germanen bezeichnete.
An der Nordseite:
Vallatum Hadriani
et postea
Valium Probi
circa annum 279. p. C. a Romanis
exstructum.
An der Südseite:
Die Pfahlhecke, der Pfahlrain
später die
Teufelsmauer.
Wir müssen es dankbar erkennen, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, daß wir nicht leichtsinnig, ohne daran zu denken, einen historisch merkwürdigen Punkt überschreiten. Die Stadt Ellingen, in die wir nun treten, war früher eine der Residenzen des Deutschmeistertums und eines Landkammertums der Bailei Franken und enthält einen prächtigen alten Palast in französischem Geschmack.
Überall über den Toren des Palastes wie über denen der Stadt zeigt sich noch das reiche, prunkvolle, in Sandstein oder Marmor gehauene Wappen des Deutschen Ordens, der in Franken allein achtzehn Komtureien besaß. – Palast und Garten tragen jedoch die Spuren des Unbewohntseins und Verfalls. Inschriften scheinen in Ellingen beliebt und zugleich mit Glück angebracht zu sein. Was könnte zum Beispiel passender sein als die, welche sich im Vestibül des Rathauses auf schwarzem Marmor mit goldenen Ziffern eingegraben befindet:
Haec Domus
extollit punit conservat amatque
Justitiam, crimen, Publica, Pacificos.
Ja, wäre dieses Haus, wenn es seinen Wahlspruch in seinem ganzen Umfang erfüllt, nur das Stadthaus der Welt, anstatt des kleinen Ellingen!
Nur anderthalb Stunden von da türmt sich einmal wieder eine ehemalige Reichsstadt auf: Weißenburg, in deren Nähe die Altmühl fließt und der Kanal befindlich war, welchen einst Karl der Große aufwerfen ließ, um die Rednitz mit jenem Fluß zu vereinigen und dadurch die Kommunikation zwischen dem Rhein und der Donau zu erlangen. Weißenburg ist eine kleine, wohlgebaute Stadt, die im Dreißigjährigen Krieg und noch früher allerlei trübe Schicksale erfahren hat.
In ihrer Umgebung, nahe an der Landstraße, liegt die Feste Wülzburg, ein unschöner, moderner, flacher Festungsbau auf einem kahlen Berg. Indessen nimmt von hier an die Gegend einen eigentümlichen Charakter an und verliert, wenn wir so sagen dürfen, geradehin das deutsche Gepräge. Die Ebene hat aufgehört, kühne Berge sind an ihre Stelle getreten, und an deren Abhängen zeigen sich Hütten von durchaus südlicher Form, Dörfer, welche Ähnlichkeit haben mit spanischen oder portugiesischen. Bekanntlich gibt es, außer in England, nirgends so wohnliche und schöne Bauernhäuser als in Deutschland, aber die Wohnungen des Landmanns zwischen Weißenburg und Eichstätt haben eine vollkommen andere Gestalt, einen anderen Zuschnitt. Alles bereitet auf den Anblick der Bischofsstadt vor, zu deren Tal ein schöner, wildromantischer Hohlweg zwischen Felsen und Laubwald hinabführt. Es ist ein Weg wie in den Apenninen, und die Stadt, die allmählich unten im Tal der Altmühl sichtbar wird mit ihren Forts, mit den hohen, an den Bergen hinlaufenden Mauern, mit ihren weißen, flachen Dächern und italienischen Kirchtürmen, begünstigt in der Tat die Täuschung, daß man sich jenseits der Alpen befände.