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die Reihe seiner fränkischen Bilder eröffnet haben, denn die geographische Lage dieser Stadt macht sie zur Pforte von Franken, wenn man in südöstlicher Richtung zu dessen gesegneten Tälern hinabsteigt. »Unsere Pflege Coburg in Franken« nannten die sächsischen Kurfürsten oder Herzöge in früherer Zeit den Länderstrich, der sich nördlich und östlich an das Gebirge lehnt, südlich und westlich aber weiche, sanfte Gefilde und die schönsten Wiesentäler, die es geben kann, durchströmt von kleinen Flüssen, namentlich aber von der Itz, dem Main entgegenbreitet und dessen Hauptstadt Coburg ist. – Die Itz entspringt am Fuß des hohen Bleßberges und ergießt sich nach einem etwa zwölfstündigen Lauf beim Marktflecken Baunach in den Main. Das Tal, das sie mit ihren Wellen benetzt, heißt der Itzgrund, und an der Biegung, wo dieser seine mittägliche Richtung, die er eine Zeitlang verlassen hatte, wieder einschlägt, mitten in einer lachenden Landschaft, von schlössergekrönten Bergen umgeben, liegt Coburg, gegenwärtig die Residenzstadt des Herzogtums gleichen Namens. Über den Ursprung dieses Namens sind die Meinungen verschieden; soviel jedoch ist gewiß, daß er bereits in der Mitte des elften Jahrhunderts in Urkunden erscheint, und gern wird angenommen, ein gewisser Graf Cobbo habe auf Veranlassung Kaiser Heinrichs I. die auf unserem Bild sich zeigende Bergfeste erbaut und derselben seinen Namen gegeben, welcher dann auf die später entstandene Stadt übergegangen sei. Längere Zeit befanden sich Schloß, Stadt und die ganze Umgegend in Besitz der im Mittelalter so mächtigen Grafen von Henneberg, denen es auch mehrfach zur Residenz diente, bis es durch Heirat an das sächsische Fürstenhaus kam. »Lieber, ich sage Euch«, sprach in bezug hierauf einst Kurfürst Friedrich der Weise zu Meister Lukas Cranach, damals Bürgermeister von Wittenberg, als er durch denselben seine Ahnen abkopieren ließ, »Lieber, ich sage Euch, malt mir ja die Henne recht säuberlich und fein, denn sie hat dem Hause Sachsen ein gutes Ei gelegt.« Zur Zeit des Bauernkrieges belagerte dessen Nachfolger, Kurfürst Johann, Meiningen, um die Aufrührer daraus zu vertreiben, wobei ihm von Coburg aus viel Proviant zugeführt wurde; die Coburgsche Ritterschaft aber blieb so lange auf der Veste versammelt, bis der Kurfürst selbst innerhalb ihrer Mauern angekommen war, von wo aus er dem Bischof von Bamberg fünfzig Ritterpferde als Sukkurs sandte. Fünf Jahre später, während des Reichstags zu Augsburg, dem der Kurfürst beiwohnte, mußte auf seine Veranlassung sein großer Freund und Schützling Luther, um der Nähe willen, damit man bei allen etwa vorkommenden Religionssachen desto geschwinder um Rat fragen könne, seinen Aufenthalt auf der Veste Coburg nehmen, wo er stets eifrig zu Gott für die Sache der Evangelischen, die sehr gefährlich stand, betete. Vor Kummer und unaussprechlicher Angst, so erzählt die Chronik, wußte sich dieser vortreffliche, gelehrte, von Gott erwählte Mann nicht zu fassen, und die fürchterliche Vorstellung, daß seine Feinde den Sieg davontragen möchten, quälte ihn auf das äußerste. Er glaubte wieder einmal satanische Anfechtungen zu haben, und in dem Sausen des Windes auf der hochgelegenen Burg umrauschten ihn die Fittiche der Hölle. In einem Schreiben an Melanchthon von hier aus sagt er: »Ich bin auf einem Schloß, das voller Teufel ist, aber da auch Christus herrschet mitten unter seinen Feinden. Eben an dem Tag, da ich Eure Briefe von Nürnberg bekam, hat der Satan eine Botschaft an mich gehabt. Ich war allein; Vitus und Cyriacus waren nicht bei mir, und fürwahr hat er so weit gewonnen, daß er mich aus der Schlafkammer getrieben und gezwungen hat, unter die Leute zu gehen.« Und in einem anderen Brief: »Ich habe einige Tage her mich wohlauf an meinem Haupte befunden, besorge aber, die an das Schloß prallende Winde seiend in meinem Haupte gewesen.« Und ein anderes Mal: »Diese ganze Zeit über, da ich mich allhier, nehmlich auf der Veste Coburg aufgehalten, habe ich beinah halben Theils in der beschwerlichsten Langweil hinbringen müssen.« Man sollte dies letztere dem Reformator kaum glauben, denn trotz der Gemütsunruhe, in der er sich aus unerklärlichen Ursachen befand, und einer körperlichen Mißstimmung, die in rheumatischen Übeln ihren Grund gehabt zu haben scheint, vollendete er hier die deutsche Übersetzung der prophetischen Bücher des alten Bundes, namentlich des Jeremias, des Ezechiel und der kleinen Propheten, schrieb eine große Menge von Briefen an seine Freunde und Feinde, vornehmlich aber an seinen Herrn, den Kurfürsten Johann, und dichtete nebst anderen Liedern auch das schöne, unvergängliche: »Eine feste Burg ist unser Gott.«
Betrachtet man den Geist dieses Mannes, so kann man nicht umhin, indem man seine Größe bewundert, die Schatten zu beklagen, welche die Finsternis seiner Zeit noch hineinwarf und die er nicht aufzuklären vermochte. Die Persönlichkeit des Satans, die Einmischung der Teufel in die Angelegenheiten der Menschen und die Vorstellung ewiger Höllenqualen – Ausgeburten des düstersten Asketismus –, wie bestanden sie in seiner erleuchteten Seele? Traurige Folgen davon waren die Hexenprozesse, welche bald nach Luther wie eine Giftpflanze über ganz Deutschland wucherten und zahllose Opfer kosteten, ein Erzeugnis der Theosophie, welches an Greuel mit der spanischen Inquisition – unserer Ansicht nach – siegreich um den Preis ringt. Man blättere nur ein wenig in den Annalen der Hexenprozesse, um zu finden, daß diese Behauptung nicht zu stark ist. Ein ähnliches Konvolut von feierlichem Unsinn, von dickköpfiger Dummheit, die um so hassenswerter ist, als Deutschland bereits einen Schatz von Kenntnissen besaß und sich des neuen, soeben aufgegangenen Lichtes der evangelischen Lehre rühmte, ein ähnliches Konvolut von Barbarei ist in der Weltgeschichte nicht dagewesen. Die Verhöre der der Hexerei oder des Umgangs mit dem Teufel Angeklagten unter der Folter, übertreffen an stumpfsinniger Grausamkeit und an empörender Brutalität jedes Verfahren der Inquisition. Kein Alter, kein Geschlecht schützte, jede Scham wurde vernichtet, selbst die heilige Kindheit gemordet. Im Jahre 1632 wurde in Coburg auf dem Markt ein zwölfjähriger Knabe mit dem Schwert gerichtet, zwei andere, zu gleichem Tod verurteilt, wurden mit ihm auf die Blutbühne geführt, jedoch dort begnadigt, nachdem sie ihren Gespielen hatten sterben sehen. Warum? »Weil sie auf dem Mantel gefahren, folglich der Hexerei überführt, sehr gerechter Weise condemnirt worden waren«, wie die alten hartherzigen, schweinsledernen Chroniken jener Zeit ohne Mitleid und ohne Scham versichern. – In einem Zeitraum von 80 Jahren wurden allein in Norddeutschland über hunderttausend Hexen verbrannt. Die Inquisition hat bei allen ihren Schrecknissen etwas Großartiges; sie war ein politisches Institut, dazu bestimmt, große denkende Völker zu zügeln und in die Fessel des Glaubens zu schmieden, aber dieser Großartigkeit entbehren unsere deutschen Hexenverfolgungen. Sie sind so kleinlicher, jämmerlicher Krähwinkel-Natur, so voll von ekelhaftem Zeloten-Pedantismus, daß man nichts kann, als sich mit dem höchsten Widerwillen der Seele von diesem Schandfleck unserer Geschichte abzuwenden. Anderthalb Jahrhunderte der Folterszenen, der Scheiterhaufen und der juristischen Barbarei, welche der geistlichen geschwisterlich die Hand bot, waren die Folgen eines Wahnes, dem dadurch das Siegel der Unverletzlichkeit aufgedrückt wurde, daß der Reformator sich zu ihm bekannte. Wir müssen uns an seine anderen großen Wohltaten erinnern, an seinen wahrhaften Heldenmut, an die Unerschütterlichkeit seines Charakters und an die Begeisterung, von der er erfüllt war, um jenes darüber zu vergessen.
Die sächsischen Fürsten, denen nacheinander die Pflege Coburgs zufiel, residierten meistenteils auf der Veste, bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts von Herzog Johann Ernst hierin eine Änderung getroffen wurde. Er hatte das Schloß »Ehrenburg«, in der Stadt neu aufgeführt und verlegte die Residenz dorthin (1547). Unter Herzog Johann Casimir, dem Sohn des unglücklichen Johann Friedrich von Gotha, der infolge der Grumbachschen Händel in der Acht starb, war die Veste zehn Jahre lang der Kerker seiner Gemahlin Anna, einer Tochter des Kurfürsten von Sachsen, welche eine wirkliche oder nur geargwöhnte Untreue mit lebenslänglicher schwerer Haft büßen mußte. Sie starb hier im Jahr 1613 nach Erduldung unendlicher Leiden; ihre entseelte Hülle wurde nach Sonnenfeld geschafft und in der dortigen Klosterkirche beigesetzt.
Mehrmals im Laufe des Dreißigjährigen Krieges traf die Veste Coburg das Schicksal, belagert zu werden. Sie hatte schwedische Besatzung eingelassen und wurde deshalb nebst Stadt und Land von den kaiserlichen Generälen feindlich behandelt, was bei den vielfachen Durchzügen von Truppenabteilungen und ganzen Armeen, denen das letztere ausgesetzt war, die größten Drangsale für die Bewohner, wie Brandschatzungen, Plünderungen, Einäscherungen und sonstige Turbationen, zur Folge hatte. Die Veste hielt sich indessen wacker und ergab sich sogar unter ihrem schwedischen Kommandanten dem mächtigen Friedland nicht, der sie zur Kapitulation auffordern ließ (1632). Ihre kriegerische Bedeutung hörte jedoch mit dem Jahrhundert fast gänzlich auf, und in den darauffolgenden Zeiten erlitt sie keine Anfechtungen mehr. Die hohen, alten, ehrwürdigen Mauern, die burgartigen Tore, Brücken und Bastionen wollte die moderne Befestigungskunst nicht mehr als hinreichendes Bollwerk erkennen. Gegenwärtig besteht die Besatzung aus einem Korps von Invaliden, welche den Wachdienst an den Toren und im Inneren verrichten, und die noch keineswegs ruinenhaften, sondern im guten Zustand befindlichen Gebäude wurden größtenteils als Straf- und Besserungsanstalt, auch als Staatsgefängnis genutzt.
Sieht man die alte Veste aus der Ferne, namentlich von Süden her, so hat ihre äußere Gestalt Ähnlichkeit mit einer Krone, und da sie die höchste Lage im Umkreis mehrerer Stunden einnimmt, scheint sie als solche über den Bergen zu schweben. Der Weg, der von der Stadt hinaufführt, ist auf das beste gebahnt und läuft zwischen Gärten und freundlichen Anlagen hin. Weinpflanzungen bedecken den südlichen Abhang des Berges – früher waren alle Berge des Itzgrundes damit bedeckt –, und überall sieht man die Schönheit der Natur durch die sorgsame Hand der Kunst benutzt, hervorgehoben, unterstützt. Eine immer reichere und blühendere Aussicht entfaltet sich mit jedem Schritt aufwärts. Thüringische, bayerische und böhmische Gebirge begrenzen den Horizont und winken mit ihren näheren und ferneren Häuptern. Schlösser, noch in wohnbarem Zustand oder in Trümmer zerfallen, zeigen sich überall auf den benachbarten Höhen; es sind ihrer acht in ziemlicher Nähe, die man zählen kann. Zwei Städte, Dörfer in Menge, eine Wallfahrtskirche, stellen sich dem Auge dar.
Über eine Zugbrücke gelangt man durch ein altertümliches, von Invaliden bewachtes Tor in das Innere der Burg. Sie ist weitläufig und schließt mehrere große, streng voneinander abgesonderte Höfe ein, was nötig ist, da einer derselben zum Revier des hier befindlichen Zuchthauses gehört. – Was die Gebäude betrifft, so zeigt nur der nördliche Flügel des Schlosses noch seine frühere Bestimmung und erinnert an ursprüngliche Pracht; entweder befindet er sich noch ganz in dem Zustand, wie er im 16. Jahrhundert die Residenz der Fürsten war, oder er ist neuerdings im alten Geschmack wieder hergestellt worden. Dies gilt besonders von dem sogenannten »Hornzimmer«, dessen Decke und Wände mit kunstvollen Holzschnitzereien und Einlegungen aus den Zeiten Casimirs geschmückt sind. Die Kirche, in der Luther mehrmals gepredigt hat, seine Wohnzimmer, das Gefängnis der Herzogin Anna, eine Sammlung von Rüstungen und mittelalterlichen Waffen, ein großer Saal und endlich mehrere Gemächer, in denen Bildnisse aus der fürstlichen Familie und von anderen regierenden Herren und Frauen der zwei letzten Jahrhunderte aufbewahrt werden, bilden die Sehenswürdigkeiten im nördlichen Teil der Burg. Den südlichen und wohl den schönsten nimmt das große massive Gebäude ein, welches leider jetzt als Zuchthaus dient. In dessen unteren Hallen befinden sich eine Menge von Kriegsgeräten des Mittelalters, Geschütze aus allen Perioden der Feuerwerkskunst, von der ersten schweren unbeholfenen Donnerbüchse des vierzehnten Jahrhunderts bis zu den schon so zierlichen und reich gegossenen Kanonenläufen des sechzehnten und siebzehnten, auch drei alte Staatswagen, welche bei festlichen Einzügen des Herzogs Johann Casimir gebraucht worden sind. Man sagt, er habe seine beiden Gemahlinnen darin eingeholt.
Umgeht man die obersten Basteien der Veste, welche eine entzückende Aussicht auf das unter ihnen liegende Land und auf die fernen Gebirge gewähren, so wird man sie mit schönen Kanonen reich besetzt finden. Es sind unter diesen Geschützen wahrhafte Kabinettstücke, sowohl in Ansehung ihrer vortrefflichen Arbeit als der Verzierungen und der Inschriften, mit denen der Geist der Zeit sie versehen hat. Den Griff des einen Rohrs bilden die auf den Knien einander gegenüberliegenden Figuren von Luther und dem Papst, die sich bei den Köpfen gefaßt haben. Die Kanone trägt die Jahreszahl 1570 und wurde zu Freiberg gegossen. Vorzüglich lohnend ist der Blick von der sogenannten Hohen Bastei, und wir können uns nicht versagen, die einzelnen Punkte zu nennen, welche hier das Auge überschaut: In westlicher Ferne erhebt sich die alte Veste Heldburg, auch die Fränkische Leuchte genannt, weil ihre Mauern weiß sind und sie deshalb von ihren hohen, kegelförmigen Berg weit in das Land strahlt, im Hintergrund das langgestreckte Rhöngebirge mit seinem Gipfel, dem Kreuzberg, weiter nach Nordosten und allmählich nach Norden erblicken wir den Callenberg, den Straufhain, die Gleichberge und sie sogenannten Langen Berge mit ihren Dorfschaften, hinter denen der Dolmar und noch entfernter der Beerberg hervorragen. Hier zieht sich der freundliche Lautergrund hin, dort das Schönstädter Tal, ein Gebirgszug des Thüringer Waldes mit dem Bleßberg begrenzt den Horizont und schließt die Fernsicht. Das Sommerschloß Rosenau mit seinen freundlichen Umgebungen, eine Schöpfung des jetzt regierenden Landesherrn, und die Trümmer der Ludwigsburg zeigen sich in der nämlichen Richtung. Ihnen reiht sich der fruchtbare Grund an, aus dem namentlich das Dorf Mönchröden mit seinem ehemaligen Benediktinerkloster hervorleuchtet und der sich bis zur meiningenschen Stadt Sonneberg ausdehnt, östlich sehen wir das Fichtelgebirge mit seinen Spitzen, dem Ochsenkopf und dem Schneeberg; in der Richtung nach Südost den Rauhen Kulm; weiterhin nach Süden einen Teil des Maingrundes mit der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen und dem Residenzschloß des Herzogs Max von Bayern, dem ehemaligen Benediktinerkloster Banz. Im Süden entfaltet sich der liebliche Itzgrund, der acht Stunden lang weiche Wiesen, die Nahrungsstätte zahlloser Herden, bis an den Main ausbreitet; im Südwesten erhebt sich das Schloß Hohenstein, und in derselben Gegend, dicht am Fuße des Berges, hat sich die Stadt mit ihrem geringen Umfang, aber mit ihren malerischen Zinnen gelagert.
Bevor wir den Leser zu dieser hinabführen, sei es uns vergönnt, eine Sage, die sich an den Standpunkt des hier vorliegenden Bildes knüpft, nachzuerzählen. Ihre innere Schönheit sei die Entschuldigung dafür.
Es war im 14. Jahrhundert, als Veste, Stadt und Land weit und breit einer Gräfin von Henneberg angehörten, der Witwe des Grafen Heinrich, welche neben den reichen zeitlichen Gütern, womit der Himmel sie gesegnet hatte, auch noch an vier schönen Töchtern sich erfreute. An diesen vier Töchtern hing ihr Herz, so daß sie sich nicht entschließen konnte, sie von sich zu lassen, so viele Freier um die Hand der vornehmen Erbinnen sich auch einfanden. Früher, als es irgend jemand fürchtete, ereilte aber der Tod die edle Wittib, und die Schwestern standen nun allein da. Da kamen die Freier wieder, und sie vermählten sich. Kunigunde, die Älteste, reichte dem Landgrafen von Thüringen ihre Hand und brachte ihm schöne Länder jenseits des Gebirges zu, eine Heirat, die zwei Jahrhunderte später den Kurfürsten Friedrich zu der oben erwähnten Äußerung gegen Meister Lukas Cranach veranlaßte. Die zweite Tochter, Elisabeth, wurde Graf Eberhardt zu Württembergs Gemahlin, und mit ihr bekam er Steinach, Sternberg, Königshofen und einen großen Teil des fruchtbaren Grabfeldes mit vielen Dörfern und Schlössern, ja sogar die ansehnliche Stadt Schweinfurt zur Hälfte. Nun kam Anna, die dritte, und auch ihr blieb noch ein reiches Hochzeitsgut. Stadt und Veste Coburg mit ihrem Gebiet, Hildburghausen mit der schönen Heldburg, Kissingen an der Hohen Rhön, das weinreiche Königsberg, Schmalkalden, tief im Thüringer Gebirge gelegen, wo sie Schächte und Stollen graben, um kostbare Erze aus dem Schoß der Erde zu ziehen, und außerdem noch viele Ämter und Ortschaften. Nicht so reich war Sophia, die Jüngste, bedacht; ihre Güter sollten im Himmel sein, und nur der Ertrag von einigen Höfen und Dörfern war zu ihrem Unterhalt im nahen Kloster der Zisterzienserinnen, Sonnenfeld mit Namen, bestimmt. Sophia war in dem Gedanken aufgezogen worden, eine Nonne zu werden, sie kannte von Kindheit auf keine andere Bestimmung und beneidete ihrer Schwestern weltliche Herrlichkeit nicht. Zärtlich hing sie an der noch zuletzt übriggebliebenen, an Anna, und wollte nicht eher nach Sonnenfeld ziehen, als bis auch diese einem Gatten die Hand gereicht haben würde. Es fehlte gewiß nicht an Bewerbern, denen nach einer so übermäßig reichen Braut gelüstete, aber Fräulein Anna war wählerisch und konnte sich zu keinem entschließen. Da brachte eines Tages, wie eben die Schwestern beieinander saßen in ihrem Frauengemach, ein fremder Ritter Kunde und Botschaft von dem Burggrafen zu Nürnberg, es war dessen eigener Sohn, der junge Graf Albrecht von Hohenzollern.
Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sich Anna beklommen, als der junge Ritter zu ihr sprach mit einer Stimme, mit Ausdruck und Gebärden, wie sie deren noch nie vor ihm gehört noch gesehen. »Der«, sagte sie, nachdem der Jüngling abgetreten war, zu ihrer Schwester, die sie zärtlich umarmte, »der und kein anderer soll mein Gemahl werden.«
»Aber du kennst ihn nicht«, entgegnete Sophia.
»Ich will ihn kennenlernen«, war Annas Bescheid, »und wenn der Adel seiner Seele nur im entferntesten dem Adel seines Stammes und seines Äußeren gleicht, woran ich nicht zweifle, und«, setzte sie stockend hinzu, »wenn sein Herz noch frei ist, so wähle ich ihn und nur ihn vor allen.«
Sie tat, wie sie gesagt hatte. Vielleicht war es auch nicht ohne Absicht gewesen, daß der alte Burggraf seinen einzigen Sohn, mit einer geringen Botschaft beauftragt, an den Hof der reichen Erbin sandte, mitten in den Haufen der fürstlichen Bewerber hinein, die er alle ausstach. Bald wurde ihnen feierlich eröffnet, auf wen Gräfin Annas Wahl gefallen war. Sie mußten gute Miene machen zum schlimmen Spiel. Viele zogen heim, andere blieben, um die Pracht des Hochzeitsfestes vermehren zu helfen, das bereits anberaumt war.
Da trat eines Tages Fräulein Sophia in der Erbin Gemach, die von Glück und Freude strahlte. »Schwester«, sprach sie, »Gott und seine Heiligen mögen Euch segnen. Es war meine Absicht, wie Ihr wißt, in dieser Burg bis nach Eurer Vermählung zu bleiben, doch habe ich meinen Entschluß geändert. Ein Aufenthaltsort lärmender Freude sind diese Hallen und Säle geworden seit Eurer Brautschaft, Turniere und Banketts wechseln miteinander ab, und die Harfe des Minnesängers läßt ihre goldenen Saiten ertönen, wenn draußen die Trompete verhallt. Ich tadle das nicht, Schwester, denn warum solltet Ihr nicht glücklich sein? Aber der Himmelsbraut ziemt es nicht, bei so weltlichem Treiben zu verweilen und das glänzende Bild des Lebens mitzunehmen in ihre ewige Stille. Darum vergönnt mir, daß ich in mein Kloster ziehe. Ich habe den Nonnen bereits Kunde zukommen lassen, daß sie mich erwarten.«
Die Erbin erschrak und hielt inne mit dem Gewebe der prächtigen Feldbinde für den Geliebten, womit sie beschäftigt war. »Wie, meine liebwerteste Schwester«, entgegnete sie, »Ihr wolltet mich verlassen, nicht länger Zeugin meines Glücks sein? O tut nicht so! Belästigt Euren frommen Sinn das fröhliche Getümmel meines Hofs, so soll es auf der Stelle anders werden. Auch still läßt es sich glücklich sein, meine Schwester. Ihr habt recht. Wozu diese Harfenschläger und Flötenspieler, wozu diese Turniere und Banketts, diese fremden Ritter und Damen? Fort mit ihnen allen! Allein für uns wollen wir die köstliche Zeit leben und tropfenweise ihre Seligkeit trinken. Nur geht noch nicht von mir, meine Schwester.« Aber Sophia bestand auf ihrem Entschluß. Da glaubte die Erbin, sie unwissend gekränkt zu haben, nahm ihre beiden Hände und fragte sie, ob dem so sei. »Mein Himmel«, sprach sie, ihr lange ins Antlitz schauend, »war ich denn blind, meine Sophia? Ihr seht bleich aus, es spricht ein geheimer Kummer aus Eurem Auge, auch seid Ihr seit längerer Zeit immer so still und ernst. Was fehlt Euch, um aller Heiligen willen? Seid Ihr krank, hat Euch jemand weh getan? Ich selbst vielleicht – denn ich bin so unüberlegt und rasch –, ach, seit Albrechts Hiersein kenne ich mich ja selber nicht mehr. Sprecht, und wenn dem so ist, will ich an Eurem Herzen, zu Euren Füßen um Vergebung flehen und um Nachsicht für ein liebendes Mägdlein, das eben nur noch Augen hat, für einen – einen Gegenstand allein.«
Sie sank auf ihre Knie und umfaßte flehend die schöne, hohe Gestalt Sophias; diese aber drängte sie sanft von sich und suchte sie mit bleichen, leise bebenden Lippen zu beruhigen, worauf sie sich schnell entfernte. Aber die reiche Erbin und Braut wurde den Tag über nicht ruhig. Immer sah sie die Schwester vor sich stehen mit dem leidenden Antlitz, und immer fühlte sie noch ihre schönen Hände in den ihrigen erkalten und zittern. Da es Abend war und der Mond heraufkam über den Rand des fernen Fichtelgebirges, suchte Fräulein Anna die Schwester: in ihrem Gemach, auf den Basteien, im Weingarten, sie war nirgends zu finden.
Nun liegt weiter abwärts von der Veste, tief im Bausenberg, eine Felsklippe, die Kanzel genannt, von wo der Blick auf Burg und Tal gar anmutig ist und die auch der Zeichner unseres Bildes zu seinem Standpunkt erwählte. Hier pflegte die künftige Kloster Jungfrau oft im Gebet zu verweilen, denn ein Kreuz neigte sich über der Klippe, und es war, als müsse Fräulein Anna sie hier, fern vom Geräusch der Hofburg, im abendlichen Frieden aufsuchen. Sie machte sich daher los von ihren Frauen und wandelte, in einen Schleier gehüllt, hinaus in den Forst, der Kanzel zu. Da vernahm sie leises Geflüster an der Stelle. Sophias weißes Gewand schimmerte durch das Gebüsch, und daneben leuchtete es im Mondschein wie Stahlglanz. Mit zurückgehaltenem Atem blieb die Erbin stehen; vor banger Ahnung erstarrte ihr das Herz in der Brust.
»So lebt denn wohl, so lebt denn ewig wohl!« klagte leise Sophias Stimme. »Es muß geschieden sein! In das Kloster gehe ich, teurer, ach allzuteurer Jüngling, und nehme dein Bild mit dahin in meinem brechenden Herzen. Wehe, ach wehe mir!«
Da mußte Anna sich an einen Baumstamm lehnen vor Entsetzen, denn Albrechts Stimme wurde laut.
»Lebe wohl, Sophia«, sagte er, »dich allein nur liebe ich, dich allein habe ich vom Anfang an geliebt. Aber deiner Schwester bestimmt mich meines Hauses Willen, ihr eigener, das Verhängnis selbst. Sie ist gut wie eine Heilige, du aber, Sophia, bist schön wie die Engel. Ich will sie ehren Zeit meines Lebens wie eine Heilige und wie meine Gemahlin, aber dich, Sophia, hätte ich gehalten wie mein geliebtes Weib. Ach! warum bist du für den Schleier bestimmt, die Lebensblühende, Reizende, und nicht sie?«
»Still, mein Freund«, unterbrach ihn Sophia, »wecke in meiner Seele nicht den giftigen Wurm des Neids, die Schlange der Mißgunst und der Verzweiflung auf. Noch schlafen sie, aber sie regen sich schon in schaurigen Träumen. Es ist hohe Zeit, daß ich dich und meiner Väter Schloß und sie, die Glückliche, fliehe, die alles besitzt, was auf Erden herrlich ist, und auch dich! Lebe wohl!«
Da rauschte es wie eine Umarmung, und Gräfin Anna wankte hinweg aus der Nähe der Kanzel und auf dem Fußpfad zurück nach dem Schloß. Als sie ihr Gemach erreicht hatte, sank sie ohnmächtig in die Arme einer ihrer Zofen.
Über den nächsten Tag sollte der Hochzeitstag sein. Sie rief am folgenden ihre vornehmsten Räte und Diener zusammen und beratschlagte bei verschlossenen Türen mit ihnen. Weder Albrecht noch Sophia, noch sonst jemand wurde zu ihr gelassen. Aber endlich gegen Abend öffneten sich die hohen Türen des Saals, und Gräfin Anna trat daraus hervor im weißen Klostergewand, der einfache Schleier wallend vom Haupt, wo noch gestern eine Schnur von Diamanten im schönen Haar gefunkelt hatte. In der Hand trug sie ein großes Pergament mit der Siegelkapsel, und alle ihre Räte folgten ihr mit nassen Antlitzen. So zog sie nach Sophias Gemach, die sie mit Erstaunen auf diese Weise ankommen sah. »Schwester«, sprach sie, »Gott sei mit Euch. Nicht Ihr sollt in das Kloster gehen, die Lebensblühende, Reizende; mich hat der Himmel dazu bestimmt. Ich scheide von dieser Welt, so ist mein unwandelbarer Entschluß. Empfangt, Schwester, dies Pergament aus meinen Händen; es setzt Euch in alle meine Rechte ein. Ich übergebe Euch alle, alle meine irdischen Güter, die wertlosen wie die höchsten, meine Liebe selber bringe ich Euch dar. Wo ist Albrecht, daß er Eure Hand aus der meinigen empfange?«
Der herbeigeeilte Graf stürzte beschämt zu ihren Füßen, Sophia dazu; sie weigerten sich so vieler Großmut und niemand konnte sich den Grund dieses Schrittes von Seiten der reichen Erbin und Braut erklären. Sie aber kannte ihn wohl und verharrte bei ihrem Entschluß. Mit Fassung und Würde gab sie ihre letzten Befehle, nahm Abschied von allen, selbst von dem Bräutigam, ohne Groll, und zog noch den nämlichen Abend nach Sonnenfeld in das Kloster. Sie hat dort, so erzählt die Sage, noch fünfzig Jahre als Nonne gelebt, still, fromm und fern von den Weltfreuden; Sophia ehelichte den Grafen Albrecht von Hohenzollern, aber der Himmel vergönnte ihr kein lange dauerndes Glück, denn sie soll im Kindbett nach der Geburt ihres ersten Sohnes gestorben sein.
Die Stadt hat ungefähr neun- bis zehntausend Einwohner, fünf Tore und ebenso viele Kirchen, von denen eine der katholischen Gemeinde eingeräumt ist. Ihre Bauart ist die mittelalterliche, ihre Gassen sind, mit wenigen Ausnahmen, eng und schmal, haben indessen jenes Stattliche, Wohlgefällige, das in Nürnberg mit Großartigkeit verbunden ist, wodurch das Musterbild einer deutschen Stadt uns entgegentritt. Einzelne schöne, alte Gebäude mit gezackten Giebeln, Spitzbogen und Türmen, wie das Casimirianum, eine unter Herzog Casimir gestiftete akademische Anstalt, das Zeughaus, das Regierungsgebäude und das Rathaus halten den Vergleich mit jedem altdeutschen Palast aus und bilden, da sie eine Zierde größerer Städte sein würden, auch die von Coburg. Das Residenzschloß, die Ehrenburg, befindet sich auf dem Platz, den früher das Barfüßerkloster einnahm, das der Reformation weichen mußte; seine innere und äußere Umgestaltung verdankt es mehreren Fürsten nacheinander, besonders aber dem jetzt regierenden Herzog; es schließt zwei Höfe und in sechs Flügeln eine große Anzahl prächtiger Zimmer und Säle ein. Auch einige wertvolle Gemälde und Porträts interessanter, selbst historisch gewordener Personen aus dem erlauchten Stamm, der hier regiert, wird der Beschauer im Innern der Residenz vorfinden; denn es ist bekannt, wie das Schicksal sich gefallen hat, in neuerer Zeit Kronen großer Reiche auf die Stirnen Coburger Fürsten und Fürstinnen zu drücken. Die Wälle der Stadt sind verschwunden und in freundliche Anlagen verwandelt, wie denn überhaupt zu ihrer Vergrößerung und Verschönerung in den letzten zwanzig Jahren unter der unermüdeten Obhut eines Fürsten, der mit regem Sinn für die Schönheit den geläutertsten Geschmack verbindet, außerordentlich viel getan worden ist. Wo früher in den nächsten Umgebungen dunkle oder wüste Plätze waren, erheben sich jetzt die freundlichsten Häuser, namentlich vor dem südlichen Tor der Stadt. Auch die Zahl der Gartenhäuser auf den Bergen hat sich in neuerer Zeit bedeutend vermehrt. Unter diesen verdient der Palast des Herzogs Ernst von Württemberg, Bruders der regierenden Herzogin Marie, auf einer der schönsten Terrassen in der Nähe der Stadt, eine besondere Erwähnung. Noch nicht ganz vollendet, wird er einst ein Schmuck der Gegend sein.
Zu den Merkwürdigkeiten Coburgs gehören außer dem Schloß, dessen Inneres nach den neuesten Anforderungen der Zeit edel und prächtig eingerichtet ist, ein Kupferstichkabinett von einem Umfang und einer Bedeutung, die es in die erste Reihe der Sammlungen dieser Art in Deutschland stellen. Leider ist dieses schöne Kabinett dem Publikum völlig unzugänglich, das keinen Nutzen und keinen anderen Genuß davon hat als die ferne Erinnerung an seine Existenz. Die Bibliothek im Zeughaus, aus etwa 50 000 Bänden bestehend, teilt diesen Mangel nicht. Sehenswert und gern gezeigt ist nächstdem die Gewehrkammer in demselben Gebäude, welche unter einer großen Anzahl prächtiger Waffen aus allen Zeiten auch viele türkische enthält, ehrwürdige Siegestrophäen des alten Helden der Türkenkriege, Prinz Coburg, dessen treu nachgebildete Wachsbüste in der kaiserlichen Feldmarschallsuniform des vorigen Jahrhunderts eine sehr wohl gewählte Zierde dieser Waffensammlung bildet. Die Morizkirche mit ihren Epitaphien und ihrem herrlichen alten Turm verdient, daß der Fremde sie besuche. Die ersteren sind Denkmäler der Pietät des Herzogs Casimir, seinen unglücklichen Eltern gesetzt, und des Zeitgeschmacks, dem sie ihre Entstehung verdanken.
Sehr lohnend ist die Aussicht von der Galerie des hohen Turms. Dieselbe läuft um die Wohnung des Türmers, welcher in der Nacht den Schlag einer jeden Viertelstunde mit einem Hornruf bezeichnen und begleiten muß. Dieser Hornklang durch die Stille der Nacht hat etwas Eigentümliches, besonders aber während der Adventszeit, wo ein gespenstischer Mönch nicht selten anstatt des Türmers sein Geisterhorn über die Stadt erschallen läßt. Die Sage von diesem Mönch finde hier noch Platz: Wir entlehnen diese Sage, so wie die frühere, den 1835 von uns herausgegebenen »Fränkischen Bildern«, Frankfurt bei Sauerländer, 4 Teile.
Es war noch lange vor den drei Burgfräuleins, als Graf Herrmann von Henneberg von der Veste aus das Land beherrschte. Er lag in Fehde mit seinem Nachbar, dem Bischof von Bamberg, weil dieser dem Mörder seines Vaters Zuflucht gegeben hatte in seinem Land und an seinem Hof. Und in einem Treffen, wo er Sieger blieb, machte des Grafen Feldhauptmann mehrere Gefangene, die er seinem Herrn und Gebieter zur Verfügung zusandte. Als sie vor diesen geführt werden sollten, zeigten sich alle wohlgemut und getrost, denn es waren fast lauter junge, schmucke Knappen, Söhne bischöflicher Vasallen aus dem Land, die nichts Schlimmeres fürchteten als eine kurze ritterliche Haft, bis auf einen, welcher älter war, als die übrigen, rothaarig und häßlich von Angesicht; dieser senkte das Haupt, schlug die Augen zu Boden oder blickte scheu und furchtsam um sich.
Und wie nun das Häuflein unten in der Halle stand, des Herrn gewärtig, in dessen Gewalt es geraten war, da kam ein Mönch die Stiege herab und wollte an ihnen vorübergehen. Er war klein von Gestalt und stolperte über seine lange Kutte, fiel auch auf den Boden, wie manche sprechen, und die jungen mutwilligen Knappen schlugen über solchen Anblick ein lautes Gelächter auf und verspotteten ihn. Einer reizte den anderen, und sie foppten mit neckischen Redensarten den heiligen Mann, der darüber gewaltig ergrimmte. Doch ließ er sich nichts anmerken, sondern entfernte sich, da jetzt die Sporentritte des Grafen und seiner Ritter laut wurden auf der Stiege.
Der Graf war ein tapferer Herr, aber wild, zornig und finster von Gemüt. Er hatte auf halbem Weg das mutwillige Geschwätz und Gelächter in der Halle vernommen und wollte seinen Ohren nicht trauen, da er sah, von wem dasselbe herrührte. Es beleidigte ihn, daß seine Gefangenen sich munter und guter Dinge zeigten, als wären sie daheim oder Sieger anstatt Besiegte; doch verstummten sie wohl, da er nun unter sie trat, sie mit grimmigen Blicken betrachtete und mit harten Worten anließ. Da fiel sein Auge auf den einzigen, der nicht mitgelacht hatte und der sich hinter einem Pfeiler vor ihm zu verbergen suchte. War der Graf schon vorher zornig gewesen, so brach sein Zorn jetzt in Ingrimm und Wildheit aus. Die blaue Ader vor seiner Stirn schwoll an, seine Nüstern schnoben, und seine Hand zuckte nach dem Schwert – er erkannte den Mörder seines Vaters. »Verfluchte Rotte«, rief er, »die mit Mördern Gemeinschaft macht – so teilt auch das Los von Mördern! Fort mit euch in das tiefste Burgverlies, bis der Henker euch zum Hochgericht holt!« Zugleich befahl er, sie alle zu fesseln wie Knechte, und die erstummte, vor Schreck erbleichte Schar von Jünglingen, der es gänzlich unbekannt gewesen, wer der Mann war, der sich in ihrer Mitte befand, wurde über den Hof geführt und in ein schreckliches Verlies geworfen.
Nun aber ließ der Graf den Scharfrichter aus der Stadt kommen und trug ihm auf, sich selbst zu rüsten und seine Knechte und alles bereitzuhalten zur Hinrichtung eines ganzen Haufens von Missetätern, feierlich auf dem Hochgericht bei Fackelschein in der zwölften Stunde der Nacht, denn es war um diese Stunde, wo des Grafen Vater durch die Hand seines untreuen Hofmeisters gefallen war. Und den Gefangenen wurde angekündigt, daß sie das Tageslicht nicht wiedersehen würden, sondern daß sie sich vorbereiten sollten zum Tod. Da lachten sie nicht mehr, sondern Schreck und Angst kam über sie.
Doch waren sie noch nicht ganz verlassen und fanden ihren Schutzengel in dem mitleidigen Herz einer edlen Frau und Mutter. Des Grafen Gemahlin hatte sie vom Söller aus über den Hof führen sehen und bald darauf vernommen, welches Schicksal ihnen zugedacht war. Da reute sie so blühende Jugend, denn sie selbst hatte zwei Söhne von dem Alter dieser Knappen, welche seit kurzem mit des Kaisers Kriegsscharen in Welschland fochten. Und sie begab sich zu ihrem Gemahl, warf sich zu seinen Füßen und flehte mit eindringlichen Worten um das Leben der Jünglinge; aber der Graf wollte nichts von Gnade hören. Vergebens stellte ihm Frau Beate vor, daß nicht sie an seines Vaters fluchwürdigem Mord schuld seien, sondern nur einer, der immerhin der verwirkten Strafe anheimfallen möge.
»Gleichviel«, entgegnete der Graf, »sind sie nicht in seiner Gemeinschaft gefangen? Mögen sie nun auch sterben mit ihm! Wer hieß sie mit einem treulosen Diener, mit einem verruchten Mörder gleiche Waffen tragen? Laßt ab, ihnen geschieht, was Recht ist.«
»O so gedenkt«, rief die Gräfin mit Tränen, indem sie des Gatten Knie umfaßte, »unserer Söhne! Gedenkt, teurer Gemahl, unserer schönen, hoffnungsreichen Söhne, die wir von uns ließen in blühender Jugendfülle, wie diese Jünglinge, die auch ritterliche Väter und liebende Mütter von sich gelassen haben in ihres Lehnsherrn Fehde! Tapfer sind sie und Eurer würdig, aber wechselvoll ist des Kriegs Geschick und wirft zuweilen auch den Besten in seiner Feinde Gewalt. Wenn jetzt unser Friedrich und Hugo schmachteten im Verlies einer italischen Burg – wolltet Ihr dann nicht, daß eine Mutter sich fände, die um ihr Leben flehte und ihres Gatten Knie für sie umfaßte, wie ich die Eurigen jetzt?«
So sprach die edle Dame, und es gelang ihr endlich, die Eisrinde zu schmelzen, die sich um das Herz des Grafen gelegt hatte, mit dem Sonnenstrahl der Vaterliebe. Da er indessen ein wunderlicher Mann war, so wollte er die Strafe doch nicht ganz erlassen, und wenigstens sollten der Verurteilten einige sterben und die anderen aus Gnade mit den bloßen Schauern des Todes davonkommen. »So soll es sein«, sprach er, »und hofft nicht, mehr zu erlangen. Sie werden hinausgeführt, paarweise, gefesselt, beim Fackelschein zum Hochgericht, und mit dem ersten Hornruf des Türmers von St. Mauritius falle das erste Haupt. Und sooft Meister Martin blasen wird auf mein Geheiß, so viele Häupter sollen fallen – nicht mehr.«
»Ein freventliches Spiel, mein Herr und Gemahl!« wandte die Gräfin ein; der Graf aber rief:
»Recht so, denn Freunde der Kurzweil scheinen sie ja, lachten und schäkerten recht weidlich unten in der Halle, mir zum Hohn vielleicht! Nun mögen sie erfahren, daß ich Scherz verstehe und auch kurzweilig sein kann.« Zugleich befahl er, den Türmer zu rufen und den Scharfrichter dazu.
In der Gräfin Gegenwart erhielten beide ihre genaue Weisung, und sie freute sich derselben. Noch einmal ließ sie sich das Wort wiederholen und feierlich geben, daß nur mit jedem Hornruf des Türmers der Henker ein Haupt abschlagen dürfe, wie oft aber jener sein Horn an den Mund setzen solle, um das tödliche Zeichen zu geben, das wollte der Graf ihm eine Stunde vorher kundtun lassen durch die Zusendung von ebensoviel Silbergulden, als er in seiner Weisheit Hinrichtungen beschlossen hatte. Mit diesem Bescheid wurden Türmer und Scharfrichter entlassen.
Die Gräfin aber sandte einen treuen Pagen hinter dem Türmer her und ließ ihn in ihr Gemach führen. »Alter Martin«, sprach sie hier zu ihm, »du bist ein treuer Kriegsknecht und weißt wohl, daß du meiner Verwendung allein deine jetzige Stelle zu danken hast; darum sei einmal mir gehorsam, mehr als deinem gnädigsten Herrn. Er ist heute im Zorn, morgen wird er milder sein, und wo nicht, so gebe ich dir Geld und Mittel zur Flucht. Höre denn! So der Graf dir die Silbergulden hinaufschickt auf den Turm – es mögen nun einer, zwei, vier, sechs sein –, so nimmst du sie demütig vom Boten an und sagst, du wollest gehorsam so viele Hornstöße tun, als Münzen sind. Dann aber läßt du die Leuchte brennen in deinem Gemach, verschließt dasselbe wohl, steigst nieder vom Turm und kommst zu mir herauf in die Burg, hier in mein Gemach, wo ich dich verwahren will bis zum nächsten Tag. Still bleibt es dann oben auf deiner Höhe, das Todeszeichen schweigt, und mit den unschuldigen Häuptern wird sogar das schuldige gerettet. Mag es doch – wenn meines Gemahls Hand nur rein bleibt vom Blut; und zürnt er heute – morgen wird er mir danken. Wirst du gehorchen, Martin?« Und Martin versprach es nach einigem Zureden.
Da schlich auf leisen Sohlen der Mönch hinter einer Tapete hervor und küßte der Gräfin Gewand. Es war der Beichtiger ihres Gemahls, der Burgpfaff aus dem Barfüßerkloster in der Stadt, unfern des Marktplatzes. »Pater Malchus!« rief die Gräfin erschreckt. Er aber beruhigte sie und lobte ihren Entschluß und ihr weiches Herz und versprach Verschwiegenheit gegen den Grafen. Die Nacht kam nun, die elfte Stunde schlug und mit ihr das Herz der edlen Gräfin.
Da trat der Graf, von einem Diener gefolgt, in ihr Gemach. Seine Züge waren von einem seltsamen Lächeln umspielt. »Seht her!« sprach er und hielt ihr die geschlossene Hand hin. »Seht den Haufen von Silbergulden, den ich soeben hinaufsenden werde zu Martin.« Und da die Gräfin mit klopfendem Herzen die Hand öffnete, blinkte nur einer darin. »Dem Mörder!« sagte der Graf finster. »Meister Henker hat die Weisung, mit ihm zu beginnen. Die übrigen sollen davonkommen mit der Angst.«
Frau Beate küßte die gestrenge Hand und bereute nun fast ihre getroffene Verabredung mit dem Türmer. Doch sagte sie nichts, und der Gemahl sandte den Boten weg und verließ sie. Nicht lange, so erschien der Türmer an der geheimen Pforte ihres Gemachs, den Silbergulden in der Hand und am Gürtel den Bund seiner gewaltigen Schlüssel. Die Gräfin winkte ihm still zu und trat an das Fenster, denn die Nacht war hell, und den Berg hinab bewegte sich, wie eine Feuerschlange, ein Zug von Fackeln und Gestalten, und gegenüber am Berg zeigte sich in dunkelrotem Schein das Gemäuer des Hochgerichts.
»Liebe Jünglinge«, sagte Frau Beate zu sich, »Altersgenossen der Jünglinge meines Herzens, wandelt nur getrost, kein abscheulicher Mordstahl wird eure blondlockigen Häupter berühren! O daß ein Engel Zuversicht und Hoffnung hauchte in eure geängstigten Herzen! Warum diese Qual? Wie grausam die Männer doch sind! Ich hätte sie euch nicht dulden lassen. Vielleicht aber dient sie dazu, euren Mut für das ganze Leben zu stählen, und wie man einer überstandenen Gefahr noch lange mit Vergnügen gedenkt, so werdet auch ihr einst von dieser Nacht erzählen, wenn ihr an eurem Herd sitzt bei euren künftigen Weibern und rotwangige Kinder eure Knie umspielen.«
Jetzt verschwand der Zug im Tal, aber die Gräfin sah noch lange seiner traurigen Spur nach und wie er wieder erschien und wieder verschwand. Endlich war er am Hochgericht; es leuchtete ein Lichtkreis von dorther in der Ferne auf. Frau Beate aber ging zum alten Martin, nahm dessen zitternde Hände in die ihrigen und sprach: »Wie gut ist es, Martin, daß ich dich bei mir habe. Doch du zitterst, und ich werde dir einen Humpen mit Wein holen zur Labung; auch hast du nichts zu fürchten, denn mein Gemahl ist gnädig.« Damit ging sie nach dem Vorgemach und füllte am Schenktisch einen silbernen Humpen aus schwerer Kanne bis an den Rand. Eben war sie mit diesem auf dem Rückweg begriffen und überschritt die Schwelle ihres Gemachs, da zog in tiefer Ferne ein langer, weitschallender Hornruf durch die Luft.
»Was ist das?« fragte die edle Frau erschreckt und blieb horchend stehen.
»Es kam«, sagte Martin nach einer Pause, »bei Gott, es kam von meinem Turm! Ich kenne mein Horn.«
»Von deinem Turm? Mann des Unglücks, hast du denn nicht getan, wie ich dir befohlen habe? Hast du nicht die Turmpforte verschlossen?« bebte es von den Lippen der Gräfin.
»Wohl tat ich nach Eurem Befehl, hohe Frau. Hier sind alle meine Schlüssel!«
Ein zweiter Hornruf ertönte wie der erste und nahm beiden Sprache und Atem – nach kurzem Zwischenraum der dritte, der vierte.
»Jesus! Jesus!« schrie nun die Gräfin und ließ den Becher aus ihrer Hand fallen, so daß der Wein über den Boden floß, »was ist geschehen? Wer treibt sein entsetzliches Spiel mit mir? Sollte der Graf, mein Gemahl – nein, sein Wort ist heilig, er brach es nie; furchtbarer Alter – du hast mich betrogen!«
»Nein, nein! Ich schwöre es bei meiner Seele Seligkeit, bei allen Wunden des Heilands, ich bin unschuldig!« rief der Türmer, auf seine Knie stürzend. »Nichts weiß ich, als daß ich alles tat, was Ihr befahlt; es muß der Böse sein, der sein höllisches Spiel treibt.«
Und der fünfte und sechste Hornruf ertönte.
Da stürzte der Graf in seiner Gemahlin Gemach. »Hört Ihr's, Beate?« rief er zornig. »Der schändliche Türmer überschreitet mein Gebot und bläst mehr als einmal. Doch was ist das? Gott im Himmel!«
Er erblickte den alten Martin mitten im Gemach knien.
Seine Gemahlin sank halb ohnmächtig neben ihm hin. »Fort!« atmete sie mit der letzten Anstrengung ihrer Stimme, »sendet Boten, daß dem Schrecklichen Einhalt geschehe. Laßt alle Eure Rosse zu Tode jagen, nur fort, nur fort!«
Und der Graf eilte hinaus, aber es war zu spät. Zwölfmal rief das Horn, und da des Grafen Boten auf keuchenden Rossen ankamen, lagen zwölf enthauptete Körper im Kreis der Reisigen und Fackeln umher. Und keiner war mehr übrig von den Gefangenen. Und alle zwölf Häupter, unter ihnen das des Mörders, waren gefallen. Aber der Graf war hinabgeeilt in die Stadt mit den Schlüsseln des Türmers; er fand das Turmpförtlein geöffnet und eilte, glühend von Zorn, die engen Wendeltreppen hinauf.
Da sah man eine Gestalt in dunklem, fliegendem Gewand auf dem Umgang stehen, über die Brüstung gelehnt, noch das Horn in der Hand. Schauerlich heulte der Wind, aber eine Stimme heulte noch schauerlicher in die Nacht hinaus: »Buben! Ich habe euch vergolten! Ihr verhöhnt mich nicht mehr. Wußtet ihr nicht, daß es gefährlich ist, einen Mann Gottes zu erzürnen? Wußtet ihr nicht, daß ein Mönch niemals verzeiht? Wie lieblich euer Gelächter klang in der Halle und euer kosendes Gerede! Jetzt scherzt auf dem Rabenstein mit den flatternden Raben und Eulen. Ihr habt eine Ewigkeit dazu Zeit.«
Aber die Stimme des Männleins verhallte in einem gräßlichen Schrei. Von zwei kräftigen Armen gepackt und hinabgestürzt über die Brüstung, verschwand er in der Tiefe. Die zerschellte Leiche des Pater Malchus wurde am anderen Morgen am Fuß des Turms gefunden. Wie er hinaufgekommen war, hat man niemals erfahren.
Und viel Unglück traf von dieser Zeit an Burg, Stadt und Land. Die bischöflichen Vasallen, gereizt durch den Mord ihrer Söhne, erneuerten die Fehde mit verdoppelter Kraft, verwüsteten des Grafen ganzes Gebiet und gaben keinem Gefangenem mehr Quartier. Und Kunde lief ein aus Welschland, daß die jungen Grafen gefallen seien in einer großen Schlacht vor Ravenna. Das brach Frau Beates Herz, und sie starb lange vor ihrem Gemahl. Der gespenstische Mönch aber, der von Zeit zu Zeit auf dem Umgang des Turms erscheint und sein Geisterhorn ertönen läßt – wer möchte zweifeln, daß es Pater Malchus sei?
Das Gymnasium Casimirianum ist unweit der Morizkirche. Der Name bezeichnet seinen Stifter. Es wurde im Jahre 1605 eingeweiht, und die an der Eckseite des ansehnlichen Gebäudes angebrachte steinerne Bildsäule des Stifters wird noch jährlich am Stiftungsfest von den Gymnasiasten der Anstalt bekränzt. Ursprünglich stand dieselbe in der Mitte zwischen einem Gymnasium und einer Universität, wie sie denn eigentlich beides zugleich sein sollte. In den unteren Klassen nämlich wurde der eigentliche Gymnasialunterricht erteilt, und in den oberen, unter Beibehaltung desselben, wurden akademische Vorträge gehalten. Erst im Jahre 1803 hörte diese Einrichtung auf, und das Gymnasium, das eine besondere, nicht unbedeutende Bibliothek, ein ansehnliches Naturalienkabinett und einige physikalische Apparate besitzt, erhielt seine jetzige Gestalt.
Außer dieser Bildungsanstalt hat Coburg noch eine lateinische Ratsschule, mehrere Knaben- und Mädchenschulen, ein Seminar und eine weibliche Erziehungsanstalt für Töchter gebildeter Stände.
Auch an gemeinnützigen und Wohltätigkeitsanstalten fehlt es nicht; zu ihnen gehören: der Kunst-und -Gewerbe-, der Garten- und der Frauenverein, die Sonntagsschule, die Sparkasse, mehrere Hospitäler, die schön eingerichtete Badeanstalt usw. Das sehr wackere Hoftheater, dem gegenwärtig ein neues Haus errichtet wird, sorgt für die geistigen Genüsse des Publikums; leider nur die eine Hälfte des Jahres, indem es während der anderen mit dem Hof nach Gotha, der zweiten Residenz des Herzogs, auswandert, wie es bisher seit zehn Jahren wenigstens regelmäßig geschah. Unter den drei Buchhandlungen, welche die Stadt zählt, verdient besonders die Meusel'sche, mit der ein bedeutendes antiquarisches Geschäft und eine Leihbibliothek von solchem Umfang verbunden ist, wie sie in größeren Städten nur sehr selten getroffen wird, eine ehrenvolle Erwähnung. Der Coburger ist fleißig, aber auch heiter und gesellig; daher fehlt es nicht an Vergnügungsorten. Während im Winter Zirkel, wie Kasino, Harmonie und mehrere Privatgesellschaften, Zusammenkünfte veranlassen, locken im Frühling und Sommer eine Menge reizend an die Berge gelehnter Gärten zwischen dem Grün zahlloser Obstbäume zu ihrem Besuch; Spaziergänge nach den nahen Dörfern oder Lustschlössern, auf vortrefflich gehaltenen Wegen und Straßen, sind anmutig und lohnend. Wir führen auf einem solchen den Leser an das Denkmal Thümmels beim Dorf Neuses. Der geistreiche Verfasser der »Reisen«, der Sänger der »Wilhelmine« starb 1817 hier, und einer seiner Freunde und Verehrer ließ ihm im Schatten eines lieblichen Hains auf einer Terrasse dieses Denkmal errichten. Es besteht aus einer Pyramide, mit den Emblemen der Dichtkunst geschmückt, welche auf der vorderen Seite Name, Geburts- und Todesjahr des Dichters trägt, auf den drei anderen aber nachstehende Sentenzen und Sprüche, aus seinen Schriften genommen:
Dem Menschen fiel das Los, mit ungewissem Schritt
Durch eine Nacht zu gehn, wo wenig Sterne glänzen;
Vielleicht, daß einst der Tag auch ihr entgegentritt;
Er nehme dies »Vielleicht« bis an die äußern Grenzen
Des Lebens zum Gefährten an.
Entschluß, gerecht zu sein, Mut zu der Freundschaft Taten,
Veredeltes Gefühl der Lieb' entsteigen nur
Der Dunkelheit des Walds, dem Wellenschlag der Saaten
Und deinem Säuseln, o Natur!
Wie könnte dem des Schlafs Erquickung mangeln,
Den der Gedanke wiegt; Er, ohne den kein Haar
Von deinem Haupte fällt, dreht noch unwandelbar
An Kräften und Gewicht die Welt in ihren Angeln.
Ist es ein verstorbener Dichter, dessen schöne Seele aus diesen Strophen dem Betrachter dieses Denkmals entgegenweht, so könnte derselbe leicht das Glück haben, auch einem noch lebenden und noch größeren Dichter, als Thümmel war, hier zu begegnen. Nicht in jedem Jahr, aber doch zuweilen während der Sommerzeit, wandelt in den Umgebungen von Neuses ein Mann von hoher und ernster Gestalt, mit edlen, wenngleich etwas finsteren Zügen und einer Stirn, hinter welcher eine Welt von Gedanken liegt. Es ist Friedrich Rückert, der, ein geborener Schweinfurter, bekanntlich jetzt als Professor der orientalischen Literatur in Erlangen lebt und eine kleine Besitzung in Neuses hat – die er von Zeit zu Zeit besucht –, der unendlich Begabte, wie ihn neuerdings ein öffentliches Blatt gerechterweise bezeichnet. Da wandert er nun durch diese Büsche, die von seinen unsterblichen Liedern tönen. Perlen des Orients und Diamanten des Abendlandes sind die Tautropfen, die auf ihren Blättern glänzen, wenn Rückerts Auge auf ihnen ruht. Die kleine heimliche Schlucht hinter Thümmels Monument bebt von dem Echo seiner göttlichen Harfe. Möchte der Zeitpunkt noch sehr weit entfernt sein, wo auch sein Monument hier Platz finden dürfte!
Nur etwa eine Viertelstunde von hier erhebt sich, auf einer freien, kegelförmigen Bergkuppe, das Schloß Callenberg, welches, in früheren Zeiten an das herzogliche Haus Sachsen-Meiningen abgetreten, erst durch den Teilungsregreß von 1826 wieder an Coburg-Gotha zurückfiel. Seitdem hat es durch die Fürsorge des Herzogs, dem seine eigentümliche Lage und sein mittelalterliches Aussehen gefielen, die großartigsten Verschönerungen erhalten. Ein neues Schloß ist mit weiser Benutzung und Beibehaltung der alten Gebäude im Raum der Burg aufgeführt und ihr erster, niederer Hof mit prächtigen, zum zweiten emporsteigenden Treppen versehen worden; überall haben sich Terrassen gebildet, von denen man die lieblichste Aussicht auf das Land genießt, und die innere Einrichtung der neuen Gemächer ist ebenso geschmackvoll als fürstlich. Im alten Teil befindet sich die noch vom Herzog Kasimir erbaute Kirche, in der vorzüglich Taufstein und Kanzel schön gearbeitet sind. Ein Teil des Waldes, der das Schloß auf der Südseite begrenzt, ist zum Park und Tiergarten geworden, auf dessen Wiesen zahlreiches Wild heraustritt und mit seinen schlanken Gestalten das Auge ergötzt. In den Ställen einer in diesem Bezirk nahegelegenen Meierei wird eines jener edlen Tiere gefangengehalten, deren Gattung die Verfolgung der Menschen oder irgendein anderes Mißgeschick immer mehr verringert, so daß sie bereits zur Seltenheit geworden ist: ein Bewohner der wildesten und freiesten Täler der Alpen, die er – ein König der Gemsen – mit seinem prächtigen Gehörn durchzieht: ein Steinbock. Dieses schöne und kraftvolle Tier belustigt sich zuweilen, wenn es eben losgelassen wird, auf der schmalen Kante einer Tür zu lustwandeln, eine Geschicklichkeit, die bei seiner Größe wunderbar überrascht und deren Lehrerinnen nichts anderes sein konnten als die Klippen seiner heimatlichen Gebirge, die Abgründe der Alpen.
Ein angenehmer Weg führt von Callenberg über Neuses, Berthelsdorf, Lauter und Esbach nach Rosenau, der eigentlichen Sommerresidenz des Hofs. Einst war dieses Schloß der Wohnsitz eines adligen Geschlechts, derer von Rosenau, das aber nicht mehr existiert. Dasselbe führte einen geteilten Schild im Wappen, in welchem auf der einen Seite drei rote Rosen im weißen Feld, auf der anderen drei weiße Rosen im roten Feld zu sehen waren. Es scheint bereits in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts mit Adam Alexander von Rosenau erloschen zu sein, dessen Bild in Stein gehauen über dem Eingang des sogenannten Marmorsaales sich befindet. Auf einem mäßigen Hügel erhebt sich das Schloß, dessen äußere Gestalt beibehalten wurde, während die ganze Gegend, die es beherrscht, in der Tat mit dem feinsten Kunstsinn zu einem ebenso großartigen als reizenden Park umgeschaffen worden ist. Keine besondere Grenze bezeichnet seinen Anfang, und man dürfte das ganze Tal mit seinen Dörfern einen Garten nennen, in dem die Hand des Gärtners und seine Sorgfalt hier weniger, dort mehr hervortritt. – Er hat es verstanden, die Umgebung in seine Anlagen hineinzuziehen und diese nach jenen zu formen, er hat die Natur verstanden, was oft bei berühmteren und prächtigeren Gärten so wenig der Fall war. Hier bei der Rosenau ist ihr freundlich die Hand geboten, und sie hat diesen Dienst durch eine überschwengliche Fülle von Blüten und Segen dankbar belohnt. Überall tritt dem Auge ungezwungene Anmut in der Gruppierung der Bäume, der Haine, in den grünen Wiesenteppichen und in dem Spiegel von Gewässern entgegen. Wohlangelegte Kunststraßen und Wege führen von einem Standpunkt zum anderen und geleiten zu immer wechselnderen Ansichten. Hier übersieht man den üppigen Wiesengrund nach Oeslau zu mit seiner Schweizerei, dort streift, den Bausenberg entlang, der Blick zur alten Veste empor oder zum freundlichen Callenberg oder zur verödeten Ruine der Lauterburg hinüber.
Unter dieser hin, nordwärts, öffnet sich der Schönstädter Grund, der sich mit dem Gebirge schließt und seine lieblich-bescheidene Tochter, die Itz, zwischen dem Samt seiner Wiesen und unter dem Schutz seiner Erlen- und Ulmenhänge vorsichtig in die Täler der Menschen hinausführt. Das erste Ereignis des kindlichen Flusses ist, die Rosenau zu benetzen und den Glanz eines Fürstenschlosses in ihren unschuldigen Wellen zu spiegeln. Bald finden sich Gespielen zu ihr, welche die Jungfrau reich bekränzt und mit einem Stirnband von Juwelen zum Brautbett des jungen Stroms begleiten, der südlich fließt und die Holde mit Sehnsucht erwartet. Das Schloß Rosenau war ein verlassen auf seinem Hügel stehender, in Trümmer zusammenfallender, alter Bau, dem das seltene und günstige Los zufiel, plötzlich neues Leben und neuen Glanz in seinen Räumen erwachen zu sehen. Die Ritter von Rosenau, wenn sie jetzt durch ihre Burg wanderten, würden zwar Treppen, Gemächer und Säle wiederfinden, wie sie dieselben verließen, aber sie nicht mehr erkennen. Die Zauberei eines ihnen unbekannten Luxus hat sie mit ihrem Strahl getroffen. Eine alte Halle zu ebener Erde, eine Art dunkler Rüstkammer, erglänzt jetzt hinter zierlichen Glastüren, von Marmor und Gold und prächtigen, von der gewölbten Decke niederschwebenden Lüstern; es ist der Marmorsaal. In ähnlicher Weise ließen sich sämtliche Gemächer bezeichnen. Der Blick vom nördlichen Altan auf die mit einer kunstvollen Fontäne geschmückten Terrasse und auf das sich allmählich erhebende Gebirge ist sehr schön. Das Schweizer-Haus in der Nähe von Oeslau ist genau nach dem Muster einer ländlichen Wohnung in dem Berner Hochland erbaut und schließt in seinen Ställen Herden ein, welche vor mehreren Jahren, während einer Anwesenheit des Herzogs in der Schweiz, dort gekauft und hierher versetzt wurden. Hirten und Hirtinnen, die sie auf den Alpen geweidet hatten, kamen mit ihnen und sind zum Teil hiergeblieben, zum Teil später nach ihrem Vaterland zurückgekehrt oder von dort durch andere ersetzt worden. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der Steinbock in unsere Gegend gebracht.
Das Dorf Oeslau mit seinem Kammergut, Schloß, herrschaftlichen Garten und großen Gewächshäusern liegt noch innerhalb der Parkanlagen von Rosenau, die sich hinter demselben, nach Waldsachsen und dem Bausenberg zu, fortsetzen. Am Fuß des letzteren, zwischen dunklem Erlengebüsch, lauscht das freundliche Haus der Marmormühle. Die Poststraße nach Saalfeld, Gera und Leipzig, welche durch Oeslau geht, führt eine halbe Stunde weiter aufwärts nach dem Gebirge, an dem ehemaligen Kloster Mönchröden vorüber, das mit seinem hohen, spitzen, steingrauen Abteigebäude und mit seiner altertümlichen Kirche malerisch von seinem Hügel herabschaut. Eine lange Reihe von Teichen, fast immer die näheren oder ferneren Umgebungen der Klöster, beginnen hinter Mönchröden und breiten ihre angenehmen Spiegel fast bis an das Gebiet der zweiten Stadt des Coburger Fürstentums aus, Neustadt an der Heide, welches drei Stunden von der Hauptstadt entfernt ist.
Witzlinge nennen diese gute Stadt zuweilen »unser Lyon«, da Lyon auch die zweite Stadt eines Reiches ist. Die Verhältnisse bei diesem Vergleich sind nicht ganz unrichtig gedacht, denn Neustadt an der Heide ähnelt dem an dem Ufer der Rhone hingegossenen Lyon in Größe und Herrlichkeit ungefähr ebenso wie das Fürstentum Coburg Frankreich. Es mag etwa zweitausend Einwohner haben, welche indessen ein arbeitsames Völkchen sind und, gleich den Bewohnern der meiningenschen Stadt Sonneberg und der meisten Ortschaften auf dem nahen Gebirge, aus dem leichten Holz der Waldungen Spielwaren und andere Zierlichkeiten zu verarbeiten verstehen, die nicht allein nach Nürnberg wandern und dann unter dem Namen »Nürnberger Tand« allgemein bekannt sind, sondern in großartigen Ladungen in die Seestädte und nach Amerika versandt werden. Der Verfasser sah eines Tages in Sonneberg eine ganze Niederlage von schwarzen Puppen mit Mohrenköpfen, zum Spiel amerikanischer und westindischer Kinder bestimmt. – Nicht selten bemerkt man in den Fenstern der Hütten dieser Walddörfer phantastische und niedliche Figuren stehen – Gebilde der letzten Mode oder einer Welt, die man außerhalb den Begriffssphären der Einwohner wähnte. Dieselben prangen mit den naturgetreuesten und lebhaftesten Farben, welche in der Luft oder dem Sonnenlicht trocknen sollen, und dahinter sind Menschen beschäftigt, deren harte, eine Axt gewohnte Hände diese feinen Gestalten bildeten und malten und noch damit beschäftigt sind. Diese Art von Industrie, welche den Abfall des Holzes, den der reiche Holzhändler oder der Zimmermann verächtlich übersehen würde, in eine gesuchte und wohlbezahlte Ware verwandelt, diese Beschäftigung, welche Tausende nährt und zugleich den Kreis der Begriffe erweitert, Gedanken und Einbildungskraft anregt und in die Hütte des armen Gebirgsbewohners das Bild eines Reichtums lockt, der ihr so fern liegt, hat in der Tat etwas Ehrwürdiges.
Ein kleiner Fluß, die Steinach, tritt hier aus dem Gebirge und wendet sich südlich, um dem Main zuzueilen, den er nach kurzem Lauf erreicht. Vorher, fast angesichts der bayerischen Grenze, spiegelt er einen stattlichen Edelsitz in seinen Wellen: das Schloß Hassenberg, gegenwärtig der Familie von Wasmer gehörig. Hassenberg auf seiner freundlichen Höhe liegt auf dem rechten, der bayerische Ort Mittwitz, ebenfalls mit Schlössern – sie sind Eigentum der Freiherren von Würzburg –, jenem gegenüber, auf dem linken Ufer der Steinach, welche, Mühlen treibend, in ihrem felsigen Bett dahinrauscht.
Wir bleiben noch auf dem rechten Ufer und gelangen, indem wir einen Fußsteig über die Berge einschlagen, der uns an großen Steinbrüchen vorüberführt, aus denen die Quadern zu unseren meisten Schlössern, Klöstern und öffentlichen Gebäuden in unseren Städten seit Jahrhunderten genommen wurden, in ein Tal, das abermals den Anblick breiter Teiche, einer gotischen Kirche und solcher Gebäude darbietet, die an ein Kloster erinnern. Es ist das ehemalige Zisterzienserinnenstift Sonnefeld, jetzt eine Kammerdomäne von Sachsen-Coburg.
Die Geschichte der fränkischen Klöster ist fast überall mit einigen wenigen Abwechslungen dieselbe. Blüte, üppiger Reichtum mit seinem ganzen Gefolge bis zur Reformation, Zerstörung oder Plünderung im Bauernkrieg, Wiederherstellung nach demselben, wenn sie so glücklich waren, innerhalb der Grenzen eines der katholischen Bistümer zu liegen – und endlich Säkularisierung durch König Maximilian von Bayern im Anfang dieses Jahrhunderts. Sonnefeld im Gebiet der sächsischen Pflege, welche Luthers Lehre mit zuerst annahm, erfreute sich keines so langen klösterlichen Daseins, sondern wurde aufgehoben, nachdem seine Nonnen unter ihrer Äbtissin Maria von Brandenstein sich zur neuen Lehre bekannt hatten. Es stand immer in vielfacher Beziehung mit der prächtigen und reichen Benediktinerabtei Banz, deren Türme in einer Entfernung von anderthalb Stunden von bedeutender Berghöhe herabschauen und über alle Täler der Umgegend ragen. Nicht allein die Mitwelt ist schlimm, sogar die Nachwelt ist es, denn sie erzählt lächelnd von dem sehr guten Verständnis zwischen den frommen Frauen zu Sonnefeld und den ehrwürdigsten Herren von Banz – ein Verständnis, welches angeblich sogar durch unterirdische Gänge erleichtert gewesen sein soll. Die schon erwähnte unglückliche Gemahlin Herzog Johann Casimirs, Anna, war auch eine Zeitlang in Sonnefeld Gefangene; man zeigt ihre Zelle noch, und ihr Körper ruht in der Gruft der Kirche.
Möchten wir nun auch gleich dem Winken der vergoldeten Turmspitzen von Banz folgen und uns nach Süden wenden, so wollen wir doch, bevor wir das Fürstentum Coburg verlassen, noch innerhalb seiner Grenzen einen westlichen Abstecher machen. Drei Stunden von Sonnefeld und nur eineinhalb von der Hauptstadt entlegen, erhebt sich auf einem der Berge, die den Itzgrund beherrschen, altersgrau und düster das Schloß Hohenstein, gegenwärtig der Familie von Imhof gehörig, die es in der Mitte des vorigen Jahrhunderts durch Kauf an sich brachte. Früher gehörte es zu den reichen Besitzungen der Freiherren von Lichtenstein, und es waren drei Brüder aus diesem Geschlecht, welche zur Zeit des Bauernkrieges die drei Schlösser Hohenstein, Lichtenstein – die Stammburg – und Geyersberg an der Rodach inne hatten. In geringer Entfernung voneinander und in gleicher Stärke der Wälle und Tore prangten diese Schlösser, aber sie wurden sämtlich von den Bauern erstürmt und zerstört. Die Eroberung von Hohenstein und die Vertreibung seines Burgherrn, Herrn Valten von Lichtenstein, begleiten romantische Sagen, welche sich besonders an einen alten Turm knüpfen, in den der starrköpfige Ritter mit all seinen Mannen flüchtete, als die übrigen Räume bereits in den Händen der Empörer waren. Diese legten Feuer an denselben. Der hohe Turm brannte aus, und seine Besatzung stürzte in die tiefsten Gewölbe hinab, wo viele ihren Tod fanden. Die Überreste dieses Turms, unter denen noch sehr erkennbar der Burggraben hinführt, stehen abgesondert von dem später wiedererbauten Schloß. Dasselbe ist noch jetzt im bewohnbaren Zustand und trägt, eine ehrwürdige Zierde der Umgegend, auf die es von seiner Felsenbasis herabschaut, noch überall an Tür und Tor das in Stein gehauene Lichtensteinsche Wappen.
Unweit des Hohenstein beim Dorf Wizmansberg nehmen wir vom sächsischen Fürstentum Abschied und überschreiten die Grenze des bayerischen Gebietes, um solches, solange wir in Franken verweilen, nicht wieder zu verlassen. Wir durchschneiden einen schmalen Strich des neueren Oberfranken, kommen durch die kleine, aber wohlgebaute Stadt Seßlach, über die der Geyersberg sich erhebt, übersteigen die waldbewachsenen Anhöhen, zwischen denen die Grenze von Unterfranken oder des früheren Untermainkreises hinläuft, und haben bald ein tief eingeschnittenes, schönes Tal, das sich von Osten nach Westen zieht, zu unseren Füßen liegen. Es ist